Montag, 1. Juli 2019

Elizabeth Warren hat einen Plan gegen Bothsidermismus, rechte Unterwanderung der Bundeswehr und die europäische Outputlücke - Vermischtes 01.07.2019

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Elizabeth Warren Channels the Real New Deal

These four ideas, which are the most unique and original among Warren’s impressive oeuvre, give a picture of the senator’s economic philosophy. A good term for it might be “progressive industrialism.” Though Warren wants to rebalance the economic power of labor and capital, and use government to assist the needy, she also wants to harness private industry to create growth. Her plans for technology regulation and her export promotion would boost small businesses, while her housing plan would leverage the power of private development and her co-determination plan would more closely align the interests of labor and capital. The strategy is reminiscent of the New Deal, in which President Franklin D. Roosevelt strove to integrate private industry with government spending in order to advance both growth and equality. It also bears some resemblance to the strategies used by Germany and Japan to recover from World War II. Warren’s ideas are also notable for their specificity. In their recent book “Concrete Economics,” economist Brad DeLong and historian Stephen S. Cohen argued that successful policy programs should have concrete goal instead of leaving the future up to the vagaries of the market. Warren seems intent on doing exactly that -- under her industrialist program, Americans would get more housing, more opportunity to start their own businesses and more respect and power at work. They would also get more child care, cancellation of student debt, assistance with addiction, and a number of other tangible benefits. A health care plan is surely also forthcoming. This isn't to say that Warren’s plans are ideal in their current form. Her co-determination plan could benefit from the inclusion of German-style worker councils, her industrial policy should remove its harmful “buy-American” provision, her corporate tax plan might discourage investment and her wealth tax might run into constitutional obstacles. But ultimately no set of big, transformational ideas will be perfect. The New Deal certainly wasn’t. But by thinking big, combining intelligence with ambition, and being willing to engage both the public and private sectors, Warren has set herself up to be the closest thing modern American politics has to a successor to FDR. (Noah Smith, Bloomberg)
Wenn wir für einen Moment Noah Smiths Prämisse akzeptieren, dann läuft seine Analogie in die falsche Richtung. Elizabeth Warren wäre dann nicht die Reinkarnation von FDR, sondern von Robert F. Wagner. Zur Erinnerung, Wagner war ein Senator in den 1930er Jahren und konnte nach den Midterms 1934, als der erste (inkonsistenteu und undurchdachte) New-Deal-Entwurf Roosevelts scheiterte, ein fertig ausgearbeitetes Alternativkonzept aus der Tasche ziehen, das die Grundlage für Amerikas wirtschaftlichen Aufschwung und, vor allem, seine nachhaltige Untermauerung legte. Wagner ist jemand, den Warren sofort wiedererkennen dürfte. Ein detaillierter Plan, fertig in der Schublade, den man direkt zur Abstimmung geben kann. Nur wird dem geneigten Leser sicher schon aufgefallen sein, dass Wagner nicht Präsident war, und auch nicht Präsidentschaftskandidat. Es mag ein Zeichen der Zeit und der Machtverschiebung zur Exekutive seit 1941 sein, dass Warren in der Präsidentschaft den Schlüssel zur Umsetzung ihrer Pläne sieht, aber ich halte das für einen Irrtum. Trumps ständiges Scheitern, seine eigenen Prioritäten irgendwie in Gesetzesform zu gießen, liegt natürlich zu einem guten Teil an seiner völligen Inkompetenz und der seines Teams. Aber die Präsidentschaft ist eben auch nicht die Institution, die am besten zur Schaffung großer Reformwerke geeignet ist. Das ist der Kongress. Obama, ein absoluter Meister der präsidialen Governance, stieß wieder und gegen die Grenzen des Amtes. Warren wird es nicht anders ergehen. Mein Bauchgefühl ist, dass sie am meisten erreichen kann, indem sie sich im Geiste Wagners als Senatsführerin etabliert und einen verbündeten Präsidenten zur Umsetzung hat. Die Republicans haben immer verstanden, dass es ihrer Agenda der Steuergeschenke für die Superreichen reicht, in den Worten Norquists, einen Präsidenten mit fünf Fingern zu haben, der das Ding unterschreiben kann, das der Kongress vorlegt. Die Democrats brauchen den Kongress. Ohne den werden sie es nicht schaffen. Und im Kongress braucht es eine Allianz für diese Reformen. Sonst wird daraus nichts. Das merkt auch Trump immer wieder.

2) Tweet der SZ und Armin Laschets
Es ist beruhigend zu sehen, dass immer mehr Instanzen im bürgerlichen Kreis endlich den Bothsiderismus hinter sich lassen und die reale Bedrohung akzeptieren und benennen können. So gefährlich Linksextremisten auch sind, die Gefahr in der BRD steht rechts, und sie tut das bereits seit Jahrzehnten. Auch die Erinnerung Laschets an die Ermordung Rathenaus ist nicht verkehrt. Auch in der Frühphase Weimars gab es linksextreme Gewalt - die eigentliche Gefahr für die Republik aber stand rechts und wurde viel zu lange ignoriert oder sogar hofiert, mit katastrophalen Folgen. Von Weimarer Zuständen sind wir glücklicherweise weit entfernt, aber es gilt den Anfängen zu wehren. Wenn erst einmal AfD-Leute deutsche Innenministerien kontrollieren, ist es zu spät.

3) We know a lot less than we think about the world – which explains the allure of “simplism”
In 2002, the psychologists Frank Keil and Leonid Rozenblit asked people to rate their own understanding of how zips work. The respondents answered very confidently – after all, they used zips all the time. But when asked to explain how a zip works, they failed dismally. Similar results have been obtained with respect to flush toilets, piano keys, helicopters and bicycles. It doesn’t just apply to physical objects: people have been found to overestimate their understanding of climate change, the tax system and foreign policy. [...] I think this tells us something about what’s gone wrong with our politics. A consistent feature of those experiments is that after trying and failing to explain something, people accept that they don’t understand it as well as they thought they did. Humility sets in. But in our current political culture, that doesn’t happen. Among our political leaders it is almost unheard of to concede ignorance or even to accept that reality is complicated. They have no idea how zippers work, but they have very strong views on how to make them. The disease of politics today is not populism, so much, as simplism: the oversimplification of complex problems. Politicians have always distilled intricate issues into soundbites and slogans – that’s part of the job. But Brexit has revealed something new: a refusal even to accept that there is a more complex reality behind the slogans. (Iain Leslie, The New Statesman)
Ich stimme der Problembeschreibung grundsätzlich zu. Die krasse Reduktion hochkomplexer Phänomene auf schnell verständliche Schlagworte ist ein Kern populistischer Rhetorik. Es kommt allerdings ein dickes "Aber": Ohne Reduktion haben wir vollständige Paralyse. Politische Probleme sind IMMER hochkomplex und interdependent, das ist eine Binsenweisheit. Würden wir alles bis ins letzte Detail auszudiskutieren versuchen, würde einfach überhaupt nichts mehr passieren, und jegliche Kommunikation zwischen technokratischer Verwaltung und Regierung auf der einen und eigentlich souveränem Volk auf der anderen Seite käme zum Erliegen. Die Schwierigkeit liegt daher weniger darin, Simplismen zu vermeiden, sondern komplexe Probleme in verständliche, aber zutreffende Narrative herunterzubrechen. Ein Phänomen wie Brexit zeigt deutlich, was passiert, wenn man sich in Richtung Simplismus verrennt. Auf der anderen Seite muss man nur auf die Eurokrise zurückschauen um zu erkennen was geschieht, wenn man nicht in der Lage ist, Probleme auf allgemeinverständliche Narrative herunterzubrechen. Diese Gratwanderung ist im Herzen der Kunst der Politik, und sie ist leider ziemlich in Verruf geraten.

4) Tweet der Oregon-GOP
Was gerade in Oregon abgeht ist völliger Irrsinn. Weil die Democrats mehrheitlich ein Klimaschutzgesetz verabschieden konnten, legten die Republicans das Parlament lahm, indem sie sich illegalerweise der Abstimmung durch Flucht aus der Stadt (und teils des Staates) entzogen. Daraufhin wurde ihnen die Polizei hinterhergeschickt, worauf die Republicans mit der Mobilisierung rechtsextremer Milizen reagierten. Ein Abgeordneter schrieb wörtlich, dass die Polizisten, die ihn holen kämen, besser "Junggesellen und bewaffnet" sein sollten. Das ist übrigens dieselbe Partei, die es völlig okay findet dass schwarze Teenager ermordet werden, weil sie Hoodies tragen. Dieser Extremismus ist auch kein Einzelfall der GOP von Oregon. Das ist mittlerweile in der Partei verankert. Man muss das deutlich machen: die Republicans sind keine demokratische Partei. Absolut nicht, null. Keine demokratische Partei kann es hinnehmen, dass ihre ABGEORDNETEN sich mit bewaffneter, paramilitärischer Gewalt gegen ordentliche Gesetze und die Polizei stellen. In Oregon passiert das in organisiertem Maßstab, und praktisch niemanden interessiert es. Das ist ein Verschieben von Maßstäben, das einen sprachlos macht.

5) AOC Is Right: Democrats Can’t Cave In on the Border Bill
Under normal circumstances, it might be best to pass the bill quickly and hope for the best. But Donald Trump has made it clear that he considers congressional appropriations to be mere suggestions, giving him the authority to “reprogram” the money any way he chooses. It’s hardly surprising that Democrats don’t trust him after watching him rip up Pentagon funding to build his wall. On this one, I’m with AOC. Her politics aren’t entirely mine, but her instinctive understanding of how to deal with people like Trump is unrivaled. “I will not fund another dime to allow ICE to continue its manipulative tactics,” she said earlier this evening, and I agree. Democrats should put reasonable restrictions into the legislative language and then dare Trump to veto it. The hostage-taking approach to politics won’t stop until it’s crystal clear that it will never, ever work. The appalling part of this, of course, is that it requires us to grit our teeth and allow Republicans to continue their usual callous treatment of the weak unless they agree to spend the money the way it’s supposed to be spent. But there’s no choice. McConnell and Trump are counting on bleeding-heart liberals to be patsies. They have to learn that we won’t be. (Kevin Drum, Mother Jones)
Wie im letzten Vermischten bereits geschrieben: Donald Trump lügt. Immer. Mit so jemand kann man nicht verhandeln. Ich verstehe die elektoralen Überlegungen von Nancy Pelosi, wenn sie zum Schutz ihrer verwundbaren Abgeordneten dem Gesetz zustimmt. Die meisten Wähler sehen das Ungleichgewicht im politischen System nicht, was vor allem durch den furchtbaren Bothsidermismus in den Medien hervorgerufen wird. Ich erinnere an Fundstück 4. Die Republicans sind keine demokratische Partei, sie erkämpfen sich die Macht mit unlauteren Mitteln und brechen und beugen danach das Gesetz, um sie zu behalten. Die aktuelle Entscheidung des Supreme Courts zum Gerrymandering belegt das ebenfalls wieder. Das ganze System kennt gerade nur drei mögliche Wege: entweder werden die Republicans in ihrer Verweigerungshaltung belohnt, indem die Medien diese nicht benennen und die Democrats weiter immer klein beigeben, um die Integrität des Systems zu retten versuchen. Dies kann nicht funktionieren und wird am Ende in der Autokratie enden. Oder die Democrats schlagen mit den gleichen Methoden zurück, was sehr wahrscheinlich zur Eskalation führt und ebenfalls lebensbedrohlich für die Demokratie ist. Oder die Wähler haben ein Einsehen und wählen die Extremisten ab. Pelosi und viele andere moderate Beobachter, mich eingeschlossen, hoffen auf Option drei. Aber es ist sehr, sehr unwahrscheinlich dass das passiert, weil die Wähler eben mitradikalisiert werden. Option zwei ist unglaublich unattraktiv, aber im Gegensatz zu Option eins bietet sie immerhin eine Chance. Es ist zum Haare raufen.

6) Why It Matters How Powerful Men Treat Women
“I don’t think they want to hear about that kind of thing.” That’s how Boris Johnson, the man about to become the United Kingdom’s prime minister, whether the public likes it or not, responded when a journalist obliquely invited him to reassure the public that he didn’t beat up his girlfriend last Friday night. Occasionally this mendacious sack of personality disorders yells it like it is. While he evaded the question about what exactly transpired when police were called to a “domestic disturbance” at his home, he’s dead right about one part: A lot of people don’t want to hear about it. Just like they don’t want to hear about the allegation published that same day that President Trump savagely sexually assaulted advice columnist E. Jean Carroll in the mid-90s. Just like they don’t want to watch the video of British Member of Parliament Mark Field grabbing a female Greenpeace protester by the throat last Thursday. Here’s what’s happening: All across the English-speaking world, men seeking or established in high office, icons of elitist entitlement shotgun-married to rank populism, are having to answer questions about just how much violence they have chosen to inflict on the women around them. And all across the English-speaking world, their supporters are rallying behind them. Male violence at the highest levels of government has been tolerated for a very long time. Unfortunately for these men, women are no longer quite so willing to keep their mouths shut about it as they once were. This means that even voters who don’t really care about male politicians assaulting women know that on some level they should care, which is why so many double down on frantic excuses. Meanwhile, the accused themselves behave as though accountability is for the little people. (Laurie Penny, The New Republic)
Was wir als Gesellschaft sanktionieren zeigt, welche Werte wir verfolgen. Dass in den USA gerade die zweiundzwanzigste Frau Donald Trump der Vergewaltigung bezichtigt und es der New York Times nicht einmal eine Meldung auf dem Titelblatt wert ist, zeigt deutlich, welche Maßstäbe hier angelegt werden. Übrigens auch Doppelmaßstäbe, denn wie erst letzthin ein Journalist auf Twitter schrieb ist es völlig unvorstellbar, dass ein schwarzer Präsident oder Präsidentschaftskandidat glaubhaft der sexuellen Übergriffe in zweiundzwanzig Fällen beschuldigt würde und immer noch als ernstzunehmener Präsident oder -kandidat gelten könnte. Hillary Clinton wurde wegen ihrer Mails jahrelang durch den Dreck gezogen, aber bei Trump nimmt man einfach alles hin. Es ist absolut zum Kotzen.

7) Nothing Changes Until the “Grim Reaper” of the Senate Is Held Accountable
But Tomasky fails to identify the challenge Democrats will face with that task. He is right to point out that right-wing media will completely distort the message, if they cover it at all. But in addition, the mainstream media, in the interest of balance, will respond by suggesting that Democrats have gone negative and furrow their brows with the fact that both sides do it. That is how they’ve been covering McConnell’s total obstruction strategy since it began in 2009. For them, Barack Obama never did enough to reach out to Republicans, even as some liberals claimed that he was giving away the store. No one ever stood up and held McConnell accountable. The Republican majority leader has been getting away with being the Grim Reaper since the country was in the midst of the Great Recession and he refused to work with Democrats to do anything about it. The fact of the matter is that it has worked so well that Republicans will continue the strategy—at least until it doesn’t work anymore. [...] The truth is that in the Senate, “tradition and bipartisan comity” are gone. They were killed by the “Grim Reaper.” Right now, it doesn’t look like they’re coming back. The question is whether triggering the nuclear option across the board in the Senate will fix that, or simply make things worse. All one has to do in order to contemplate the latter is to look at how McConnell is using the 51-vote threshold to confirm a slate of Trump’s judicial nominees who aren’t simply conservative, but unqualified and extremist. (Nancy LeToruneau, Washington Monthly)
Es ist bezeichnend, dass Mitch McConnell sich den Namen "Grim Reaper" ("Sensenmann") gibt. Der Mann macht sich keine Illusionen darüber, was er ist und was er tut. Warum sich die Medienlandschaft auch nach zehn Jahren beharrlich weigert, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, ist mir völlig unklar, und ich habe es bereits in Fundstück 4 und 5 einfließen lassen. Mich erinnert McConnells Spitznahme an den Sketch "Are we the Baddies?". Ja, möglicherweise seid ihr tatsächlich nicht auf der Seite der Guten.
 
8) Maastricht hat ausgedient
Sie reflektieren vor allem Eins: die Furcht der reichen Länder im Norden, dass sie im Ernstfall für die Schulden der Anderen, der Länder im Süden, aufkommen müssen. Der Euro kann eine existenzielle Krise nur überleben, wenn einer dem anderen hilft und es keinen Zweifel an der Solidarität gibt, wie in einer Familie. Damit das nicht ausgenutzt wird und es erst gar nicht zu Schuldenkrisen kommt, wollten die mutmaßlichen künftigen Gläubiger wenigstens vertraglich und sanktionsbewehrt zugesichert bekommen, dass alle sparsam wirtschaften und sich stets nur wenig neu verschulden. Herausgekommen sind die 60%-Schuldenregel und die 3%-Defizitregel, beide einfach zu verstehen, auch für Juristen, aber dennoch ein wichtiger Grund, weshalb die Wirtschaft Eurolands so langsam wächst und die Populisten so viele Stimmen bekommen. In Italien haben die Regeln vor allem eins bewirkt: dass sie den Staat daran gehindert haben, die große Lücke zwischen dem tatsächlichen und dem potenziellen Bruttoinlandsprodukts mit seiner Nachfrage mindestens teilweise zu füllen und auf diese Weise mehr Wachstum und Beschäftigung zu schaffen. Seit zwanzig Jahren stagniert dort die Wirtschaft, die Arbeitslosenquote beträgt immer noch 10,2 Prozent, während die EU-Kommission ungerührt weiterhin behauptet, dass de facto Vollbeschäftigung herrsche, wenn sie dem Land für das kommende Jahr eine Outputlücke von lediglich 0,1 Prozent des Produktionspotenzials bescheinigt, und die Finanzpolitik daher ihre Budgetdefizite vermindern müsse. Matteo Salvini von der Lega wirkt deshalb glaubwürdig, wenn er die Kommission und die Mitgliedschaft in der EU für die andauernde Misere des Landes verantwortlich macht. Ein großer Teil der italienischen Wähler wünscht sich endlich mehr finanzpolitische Autonomie und unterstützt Salvini bei seinem Kampf gegen „Brüssel“. Der Streit könnte leicht entschärft werden, wenn die Kommission zugeben würde, dass ihr Konzept der Vollbeschäftigung revidiert werden muss. De facto ist die Outputlücke viel größer als „offiziell“ ausgewiesen. (Markus Schieritz, Zeit)
Die Outputlücke in der Gesamt-EU beträgt mittlerweile über 12%. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik, wie sie aktuell gefahren wird, ist einfach irrsinnig. Wir laufen in einem Ausmaß unter unseren Möglichkeiten, das seinesgleichen sucht, ausschließlich aus ideologischer Verblendung. Und ja, Populisten rechts wie links des Spektrums nutzen diese Phantomschmerzen einer amputierten Volkswirtschaft für ihre Zwecke. Dass das in Deutschland noch keine größeren Wellen schlägt liegt vor allem daran, dass wir noch relativ gut dastehen. Trotz Maastricht, nicht wegen. Aber unser Wohlstand hängt entscheidend von einer stabilen, auf Freihandel gründenden EU ab. Und die droht uns gerade um die Ohren zu fliegen.

9) If Texas Goes Blue, It Will Change American Politics Permanently
In the past, you might have thought that if Texas was competitive, the election was already lost for the Republicans, but that might not be the case in 2020. The state is changing demographically much faster than other states. Its electorate is getting more ethnically and racially diverse at a rapid rate, and it’s attracting a large influx of non-conservative people who are coming there for work. Add to that that Trumpism doesn’t sell much better in the suburbs of Dallas and Houston than it sells in the suburbs of Philadelphia and Washington, DC. When all these factors are combined together, Texas could be leapfrogging other states like Georgia and Arizona that have been moving in the Democratic Party’s direction. It’s not impossible that Texas could decide whether or not Trump is reelected. But even if that’s still not the likeliest scenario, it’s beginning to look like Texas will be a battleground state. The Republicans cannot afford to lose it and they’ll never be able to afford losing it. Once it goes blue, that is the end of the Republican Party in its current conservative movement iteration. If you don’t believe me, I encourage you to play around with the Electoral College calculator and try to cobble together a plausible majority for the GOP without Texas. This is why Republicans are starting to freak out. (Martin Longman, Washington Monthly)
Die Worte hör ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube. Der Wandel Texas' zu einem purpurnen Battleground State ist ein Evergreen unter Progressiven, oft beschworen, nie passiert. Ich erinnere mich noch an ein Interview mit Hillary Clinton aus dem Wahlkampf 2016, in dem sie gefragt wurde, welchen Staat sie als das lohnendste Übernahmeziel ansiehe und sie direkt "Texas" antwortete. Es mag irgendwann noch passieren, dass die sich ändernde Demographie und das Wachstum der Städte und Vorstädte, verbunden mit dem Verlust der GOP in diesen Demographien, den Staat purpur färbt. Aber ich würde solche Voraussagen mit einer gehörigen Portion Vorsicht betrachten. Davon einmal abgesehen: selbst wenn Texas zum Battleground würde, steht dem eine Verschiebung in anderen Staaten gegenüber. Zum Glück für die Democrats sind New York und California ziemlich stabil, aber wenn Pennsylvania und Florida weiter rot tendieren haben sie auch ein gigantisches Problem. Das System ist in sehr langsamer, aber ständiger Bewegung. Man muss sich erinnern, dass California einst eine Hochburg der Republicans war, ebenso New York. Das ist ein System mit sehr vielen Variablen.

10) Merz löst Diskussion über deutsche Sicherheitspolitik aus
Friedrich Merz hat vor einem Abdriften von Polizisten und Soldaten hin zur rechtspopulistischen AfD gewarnt und damit eine Diskussion über die Sicherheitspolitik der Regierung angestoßen. "Wir verlieren offenbar Teile der Bundeswehr an die AfD. Wir verlieren Teile der Bundespolizei an die AfD", sagte der frühere Fraktionschef im Bundestag und CDU-Politiker der Bild am Sonntag. Um dem Trend zu begegnen, müsse die CDU eine Partei sein, die ohne Wenn und Aber hinter den Sicherheitsorganen stehe. "Nur mit eindeutigem Rückhalt aus der Politik können sie jeden politischen Extremismus erfolgreich bekämpfen." Bei seiner Einschätzung, dass immer mehr Soldaten und Bundespolizisten zu AfD-Anhängern werden, stützt sich Merz dem Bericht zufolge auf Gespräche mit Bundestagsabgeordneten aus dem Verteidigungs- und Innenausschuss. Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Ernst G. Walter, sagte, er teile die Sorge des CDU-Politikers. "Die Aussagen von Friedrich Merz kann ich definitiv bestätigen. Auch mir bereitet es bereits seit langem große Sorgen, dass immer mehr Kollegen sich nicht mehr von den etablierten Parteien vertreten fühlen und über "Alternativen" nachdenken", sagte Walter dem Handelsblatt. Solange diese Partei als einzige die Themen aufgreife, die Polizisten täglich umtrieben, dürfe man sich nicht wundern, dass die Sympathie für eine solche Partei zunehme. [...] Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wies die Kritik von Merz entschieden zurück. "Er sollte die Bundespolizei nicht als Trittbrett für seine politische Karriereplanung missbrauchen", sagte Seehofer der Bild. "Die Bundespolizei schützt unser Land seit vielen Jahrzehnten. Auf sie ist Verlass", sagte Seehofer. "Die Bundespolizei steht fest auf dem Boden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Sie ist kein Eigentum einer Partei, sondern Teil unserer offenen Gesellschaft." (Süddeutsche Zeitung)
Friedrich Merz hat völlig Recht, genauso, wir Ursula von der Leyen vor ihm Recht hatte. Es ist ja kein Zufall, dass die AfD gerade hinter den Kulissen massiv daran arbeitet, ihren Einfluss in Bundeswehr und Polizei auszubauen und sich als Partei dieser beiden Exekutivorgane zu gerieren. Die rechte Unterwanderung der Sicherheitsdienste war schon immer ein Problem, und sie wird es gerade zunehmend. Es ist gut, dass dies auch von Konservativen endlich anerkannt und auf die Agenda gehoben wird.

11) Walter Lübcke darf nicht vergeblich gestorben sein
Nach den offiziellen Zahlen der Bundesregierung wurden 76 Tötungsdelikte mit 83 Todesopfern seit 1990 erfasst. Dabei werden nur Taten angegeben, bei denen eine gefestigte rechtsextreme Tätergesinnung als „tatauslösend und tatbestimmend“ nachweisbar sei. Andere Statistiken kommen auf wesentlich höhere Zahlen. Die Liste der Amadeu Antonio Stiftung kommt auf 196 Opfer. Aber selbst, wenn man nur die Zahlen der Bundesregierung nimmt, sollte das eigentlich für ein flächendeckendes Grauen ausgereicht haben. Dass die staatlichen Behörden diesem Grauen angemessen Maßnahmen ergriffen hätten, kann ich nicht erkennen. Zu gerne wurde uns vorgemacht, es habe sich jeweils um Einzeltäter gehandelt. Zu gerne sah man die Gefahr von links. Bei dem Tatverdächtigen im Mordfall Lübcke hieß es zunächst, der sei seit rund 10 Jahren nicht mehr auf dem Schirm der Dienste gewesen. Nun stellt sich heraus, dass er noch im März auf einem Treffen mit Mitgliedern der Gruppe Combat 18 war. Ob denn da jetzt mal jemand gucken geht? Allerspätestens seit den NSU-Morden musste jedem klar sein, dass die rechtsterroristische Szene durchaus groß und auch gut organisiert ist. Gleichwohl wurde in der Öffentlichkeit stets der Eindruck erweckt, der NSU sei ein Trio gewesen, von dem am Ende nur Beate Zschäpe überlebt hat. Tja, Teile der Wahrheit können die Öffentlichkeit halt irritieren. (Heinrich Schmitz, Die Kolumnisten)
Ich mag die Überschrift dieses Artikels überhaupt nicht. Wäre Lübcke denn "gut gestorben", wenn sein Tod im Sinne des Autors genutzt wird? Niemandes Tod hat einen Sinn, nur sein Leben. Aber davon einmal abgesehen zeigen die Zahlen aus diesem Artikel einmal mehr, wie ungeheuer nachlässig die Sicherheitsbehörden gegenüber der rechten Gefahr waren, ob nun aus Inkompetenz, Absicht oder einer Mischung aus beidem. Es ist so was von an der Zeit, dass endlich durchgreifend gehandelt wird.

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