Freitag, 13. November 2020

Was 2020 passiert ist - Teil 3: Folgen

 

Nachdem ich im ersten Artikel dieser Reihe die Fragen angeschaut habe, die durch die Wahlergebnisse entstanden sind, und im zweiten Artikel die Lehren aufgestellt, die man aus diesen Ergebnissen ziehen kann, will ich in diesem Artikel mögliche Folgen der Präsidentschaftswahlen 2020 skizzieren. Es sei ausdrücklich vorgewarnt, dass es sich bei all dem natürlich um Prognosen handelt, die mal mehr, mal weniger gut sein werden. Daher seien alle herzlich eingeladen, ihre eigenen Varianten zu deklarieren und meine zu kritisieren. Ich teile die Voraussagen in thematische Untergruppen. Und los!

Transition

Die "transition" ist die Periode zwischen der Wahl des Präsidenten am 4. November und der Inauguratrion am 21. Januar. In dieser Zeit ist der abgewählte Präsident noch voll im Amt, während der neue Präsident noch offiziell Privatbürger ist. Eine Reihe von Gesetzen regelt diesen Übergang. Dabei wird vor allem dafür gesorgt, dass in den Behörden zwischen den alten und neuen politischen Bürokraten (die Karriere-Bürokraten bleiben ja im Amt) ein reibungsloser Übergang stattfindet und die neue Administration am 21. Januar voll informiert und bereit zur Arbeit ist.

Dieser Übergang wird von Trump und der GOP bewusst sabotiert. Dass das passieren würde, war völlig klar. Diese Leute sind absolut verkommen, und sie haben kein Problem damit, das Land ins Chaos zu stürzen, nur um ihrem politischen Gegner zu schaden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es dieses Jahr überhaupt keine transition geben und Biden und seinen designierten Leuten der Zugang zur Regierung komplett gesperrt werden wird. Deswegen ist es auch wichtig, dass Trumps Tweets und Kommentare nicht nur leeres Geschwätz waren und sind: Denn die Bundesbehörden folgen seinen Anweisungen, und sie blockieren nicht nur über 6 Millionen in transition money, sondern kooperieren auch nicht mit Biden.

Die Folgen können potenziell katastrophal sein. So gibt es die Theorie, dass die verzögerte Inauguration Bushs 2001 die Wahrscheinlichkeit für das Übersehen von 9/11 erhöht hat. Ich bin nicht sicher, inwieweit ich das glaube und inwieweit es nur eine Schutzbehauptung vor dem Versagen angesichts des schlimmsten Terrorattentats der amerikanischen Geschichte ist, aber es ist offensichtlich, dass eine Sabotage der transition für die Funktionsfähigkeit der Biden-Regierung, noch dazu unter den Umständen einer katastrophal außer Kontrolle geratenen Pandemie, verheerend ist. Und genau das ist, was die GOP will. Für sie ist es völlig in Ordnung, wenn zehntausende sterben und Millionen ins Elend fallen, nur damit sie billig politische Punkte durch Fingerzeigen auf das Chaos der beginnenden Biden-Regierung erringen kann. Bedenkt man den Amtseid, den diese Leute eigentlich schwören, ist es nicht weit hergeholt, von Hochverrat zu sprechen - angesichts der in Artikel 2 angesprochenen Putschversuche sowieso.

Zu den Sabotageakten gehört auch die Positionierung von Loyalisten in der Bürokratie. Ich bin ehrlich gesagt unsicher, in welchem Ausmaß das - genauso wie eine letzte Welle von executive orders - zu den üblichen Spielchen der transition period gehört. Wenn da jemand mehr weiß, gerne kommentieren. Dieses Jahr erhält das Thema aber dadurch, dass Trump inkompetente und absichtlich zerstörerische Leute auf diese Posten setzt, statt "nur" linientreue Leute, eine besondere Schärfe.

Als ausgemacht dürfte gelten, dass Trump in massivem Ausmaß das Recht auf Begnadigungen missbrauchen wird. Der Präsident kann jede auf Bundesebene verhängte Strafe annullieren (die Begnadigung, pardon) oder den Rest der Strafe aussetzen, wodurch diese zwar rechtsgültig bleibt, aber nicht mehr verbüßt werden muss (commutation). Trump wird vermutlich versuchen, sich selbst zu begnadigen. Ob das geht, ist völlig unklar und wird sicherlich vom rechtsextremistisch geprägten SCOTUS entschieden werden müssen. Der Rest seiner Begnadigungen dürfte gegen bare Münze und Verbindungen an Familie und Freunde gehen.

Zuletzt ist zu erwarten, dass die Trump-Regierung in großem Umfang Dokumente zerstören wird. Es ist unzweifelhaft, dass von Trump und seinen Verbündeten in den vergangenen vier Jahren hunderte von Verbrechen begangen wurden (vor allem, was Korruption, Diebstahl etc. angeht). Hier ist damit zu rechnen, dass alle Spuren verwischt werden, um Strafverfolgung zu erschweren. Die Begnadigungen dürften ihr Übriges tun, dass es praktisch unmöglich sein wird, in nennenswertem Umfang die Trump-Ära aufzuarbeiten. Großer politischer Wille dürfte hierzu ohnehin nicht vorhanden sein. Es ist im Endeffekt eine Wiederholung des Endes der Busch-Ära, wo Obama ebenfalls eine de-facto General-Amnestie aussprach. Nur, dass sie dieses Mal von den Verbrechern selbst kommen wird.

Außenpolitik

Was als praktisch sicher gelten kann ist, dass sich an der amerikanischen Forderung an ihre Verbündeten, ganz sicher aber an die Bundesrepublik, das 2%-Ziel einzuhalten, nichts Substanzielles ändern wird. Sicher, Trumps bescheuerter Ansatz der Schutzgelderpressung wird wegfallen. Biden wird diplomatischer sein. Aber die Grundausrichtung der US-Bündnispolitik wird dieselbe bleiben. Das sollte nicht überraschen, denn Trump hat diese Grundausrichtung ja nicht erfunden, sondern von Obama übernommen, der ebenfalls immer wieder - wenngleich diplomatischer - auf die Einhaltung gepocht hat.

Ebenfalls wenig ändern dürfte sich der Bedeutungsverlust Europas im amerikanischen strategischen Gesamtbild. Bereits unter Obama begann die große Umorientierung von Europa und dem Mittleren Osten in den asiatischen Raum ("pivot to Asia"), die sich auch unter Biden fortsetzen wird. Schon alleine deswegen ist eine stärkere Ausbildung von Fähigkeiten in der restlichen NATO alternativlos. Ein Detail in diesem Zusammenhang: Biden hat bereits ein "Review" der Truppenverlegungen aus Deutschland, die Trump in typischer Manier angekündigt hatte, angekündigt. Ich würde davon ausgehen, dass dieses damit endet, dass die Truppenverlegungen nicht durchgeführt werden, einfach, weil sie nicht im amerikanischen Interesse liegen.

Im Nahen Osten hat Biden bereits die Beendigung der Unterstützung Saudi-Arabiens im Jemen-Krieg angekündigt. Ob das ein Ende der engen Beziehung zu Saudi-Arabien bedeutet, bleibt abzuwarten. Es ist in jedem Fall gut, dass die US-Regierung dieses Abschlachten endlich nicht mehr unterstützt. Angesichts der schamlosen Korruption, die Trump und seine Spießgesellen mit Saudi-Arabien betrieben haben, könnte es sein, dass die bisher starke Unterstützung des Klientel-Staats in die allgemeine Polarisierung gezogen und ihr Opfer wird.

Ein ähnliches Schicksal könnte Israel drohen. Netanyahus aggressive Unterstützung Trumps und Angriffe auf die Democrats schon während Obamas Regierungszeit dürfte in der demokratischen Partei den einen oder anderen gegenüber der engen Beziehung zum Land eingesäuert haben. Ich glaube nicht, dass das einen fundamentalen Wandel der Politik hervorrufen wird - ich glaube etwa nicht daran, dass die Botschaft wieder nach Tel Aviv zurückverlegt wird oder so etwas - aber Netanyahu dürfte auf eine deutlich kühlere Reaktion in Washington treffen.

Biden hat ebenfalls bereits den Abzug der meisten Truppen aus Afghanistan und Irak angekündigt. Das ist keine Überraschung. Obama hatte dasselbe angekündigt, und Trump auch. Und trotzdem stehen noch Truppen dort, und es werden auch welche verbleiben. Der aktuelle US-Ansatz scheint eine Konzentration auf Special Forces zu sein. Aber der "Blob" des außenpolitischen Establishments ist extrem mächtig, und ich sehe Biden nicht grundsätzlich in Konflikt zum Pentagon gehen, vor allem nicht jetzt, wo Trump dort seine politischen Säuberungen durchführt (siehe weiter unten). Von daher reden wir hier auch eher von Akzentverschiebungen als von einem grundlegenden Wandel.

Ein solcher dürfte sich eher darin finden, dass auch ein Präsident Biden den von Trump eingeführten stärkeren Fokus auf Transaktionalismus beibehalten dürfte. Trumps größte politische Wirkung auf dem Feld der Außenpolitik dürfte seine effektive Beseitigung der alten Idee sein, dass die USA ein ideologisches Vorbild seien, das seine Werte auf der ganzen Welt durchzusetzen versucht. Stattdessen treten sie nun wie eine Weltmacht auf, die ihre Interessen durchsetzt. Ob das für die internationale Politik besser ist, bleibt abzuwarten.

Ein letzter Aspekt, den ich hier noch beleuchten will, ist die Rüstungskontrolle. Anders als Trump hat sich Biden bereits bereit erklärt, das New-START-Abkommen mit Putin bedingungslos zu unterzeichnen, das Trump noch hat auslaufen lassen wollen. Wenn dieses Abkommen nicht erneuert würde, gäbe es überhaupt keinen gültigen Rüstungskontrollvertrag mehr. Dieser "Rüstungskontrollwinter", in dem wir uns bereits seit Jahren befinden, wäre dadurch noch kälter geworden. Schon so ist die Lage alles andere als optimistisch stimmend.

Innenpolitik

Wie bereits bei der transition ist zu erwarten, dass die Innenpolitik der nächsten vier Jahren von konstanter Sabotage der GOP geprägt sein wird. Dafür ist keine sonderlich überbordende Fantasie nötig. Die Partei tat beim letzten demokratischen Präsidenten dasselbe. Es gibt keinen Grund nicht anzunehmen, dass sie nicht wieder auf Totalblockade schalten werden. Mit dem wahrscheinlichen Erhalt der Senatsmehrheit haben die Republicans sämtliche Mittel dafür in der Hand. Sie werden Ernennungen blockieren, Gesetze aufhalten, endlose Pseudo-Skandale inszenieren. Wir haben all das gesehen, und die Republicans halten das nicht eben geheim.

Wie bereits 2009 (Stichwort: one term president) ist Mitch McConnell gewohnt offen über seine Obstruktionspläne. Er kann sich darauf verlassen, dass am Ende doch ein "Both Sides" dabei herauskommt. Bereits jetzt kann man in diversen Zeitungen lesen, dass sich die Positionen "beider Seiten" bezüglich Corona-Hilfsmaßnahmen verhärten und deswegen kein Kompromiss zustande kommt, was insofern richtig ist als dass eine Seite Hilfsmaßnahmen will, während die andere Seite zehntausende Menschen sterben und Millionen in den Ruin gleiten lassen will.

Eine spezifisch neue Obstruktionspolitik wird durch den "Skandal" der "gestohlenen Wahl" auf das Land zukommen. Seit Langem arbeiten die Republicans gemeinsam - bei weitem nicht nur Trump! - an dem Mythos, dass die Wahl nicht legitim sei. Bisher haben die meisten republikanischen Amtsinhaber den Ausgang immer noch nicht anerkannt. Es ist nicht zu erwarten, dass sich das noch substanziell ändern wird; letztlich ist es eine Wiederauflage des Birther-Mythos, der sich auch problemlos jahrelang in der Partei halten konnte. Es ist daher nicht gerade verwegen anzunehmen, dass die Legende von der gestohlenen Wahl die nächsten vier Jahre propagandistisch ausgeschlachtet werden wird. Dabei wird es helfen, die Gerichte des Landes durch zahlreiche alberne Prozesse zu beschäftigen. Es weht der der Geist von Bush v Gore.

Ebenfalls zu erwarten sind weitere Versuche der voter suppression, etwa Lindsay Grahams Ankündigung, die Briefwahl abschaffen zu wollen. Die Republicans versuchen seit Langem, das Wahlrecht wo möglich für ihre Kontrahenten zu beschneiden. Das wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. In Teilen des Landes kann die Partei ohne ja gar keine Wahlen mehr gewinnen; Georgia ist da das prominenteste Beispiel.

Ein eher psychologisches Element beschreibt Helen Lewis im Atlantic als den "Kater" nach der Wahl, weil Trump letztlich ein großer Haufen Nichts war. Nun steht das normale, dröge Regieren wieder an. Die ganze Aufregung, Dauerberichterstattung, das Atemlose dürfte (hoffentlich!) wieder aus der Politik verschwinden. Es war ja ein explizites Wahlversprechen Bidens, dass Politik wieder langeweilig wäre. Tatsächlich steht zu hoffen, dass sich das erfüllt.

Wirtschaft

Ein Feld ohne gute Nachrichten stellt die Wirtschaft dar. Ich habe schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass die Republicans die Wirtschaft sabotieren werden, um Joe Bidens Stellung zu unterminieren. Sie taten dasselbe unter Obama. Und die anhaltende Covid-Pandemie wird zumindest für 2021 eine fortgesetzte und sehr wahrscheinlich verschärfte Rezession bedeuten. Hier ist die Hoffnung auf gute Nachrichten praktisch bei Null - eine mehr als katastrophale Aussicht.

Es steht auch zu erwarten, dass die Wirtschaft wieder zurück in die Arme der GOP finden wird. Die große Unterstützung für Joe Biden in der aktuellen Wahl liegt auch an der Reaktion auf die katastrophale Corona-Politik Trumps, die für die Wirtschaft zu zerstörerisch war. Adam Tooze schreibt in seiner "political economy of Trumpism:

If 2020 had gone according to plan, there would no doubt have been strong support from American business for Trump’s reelection. And this would have been even more the case if the Democrats had chosen Bernie Sanders rather than Joe Biden as their candidate, something that could quite easily have happened if the virus had arrived only a few weeks later, boosting Sanders’ campaign for universal health care.

Auf der anderen Seite würde das Land, wie Tooze weiterschreibt, gerade von einem starken Linksdrall profitieren, weil dieser in der Krise dringend benötigte Ressourcen lösen würde:

Ironically, the best thing for the American economy in 2020 would be a Democratic landslide with a powerful left-wing minority, led by figures such as Alexandria Ocasio-Cortez, pushing for the infrastructure spending and welfare reforms that America so urgently needs. Business might squirm around regulation and taxes. One would expect a backlash from the courts. But not only would this deliver growth, but also, only such a program has the chance of actually reconsolidating American society and convincing working-class Americans that the government is for them too. Given challenges such as climate change, given America’s profound polarization, simply waiting for demography and structural change to make the right-wing base fade away is a dangerous game. It was the game the Democrats played in 2016. We know how that ended.

Ein weiterer Faktor in der Wirtschaftspolitik dürfte der Aufstieg des ökonomischen Populismus' sein. Trumps Wahlsieg bei den primaries wie bei der general election basierte in großen Teilen auf seiner offensiven Abkehr von der klassischen GOP-Wirtschaftspolitik. Davon blieb im Amt wenig übrig - McConnell und Ryan sorgten dafür - aber sowohl sein Erfolg als auch der Bernie Sanders' bei den Democrats zeigen deutlich, wie groß das Verlangen nach ökonomischem Populismus ist - und zwar unabhängig, ob er von rechts oder links kommt. Es werden ziemlich sicher weitere PolitikerInnen in beiden Lagern auf diesen Zug aufspringen, und es sollte uns nicht überraschen, wenn Joe Biden auf manchen Feldern 2024 von seinem republikanischen Herausforderer eher aus einer Richtung attackiert wird, die mit der linken Parteibasis assoziiert werden. Auf jeden Fall etwas, um die Augen offen zu halten.

Als ein letzter Detailpunkt zu möglichen wirtschaftspolitischen Initiativen: Noah Smith schlägt vor, Kleinbetriebe zu fördern, weil diese besonders von den Corona-Pleiten betroffen waren und selbst Republicans mit ihrem traditionellen Fokus auf small business das unterstützen sollten. Ich halte das für Fantasterei. Selbstverständlich passt das in die Rhetorik der Republicans, aber die werden nichts tun, um die Krise zu lindern. Ganz egal, wie es ihnen reinläuft. Obama bot ihnen 10:1 Kürzungen gegen Steuererhöhungen an, um den Staatshaushalt zu sanieren, und sie nahmen es nicht an. Warum sollten sie jetzt plötzlich offen sein?

Die Democrats

Die wichtigste strategische Entscheidung der Democrats in den nächsten Wochen betrifft die Senachtsnachwahlen (run-off) in Georgia. Nur im unwahrscheinlichen Fall, dass beide Wahlen gewonnen werden, hat die Partei im Senat eine hauchdünne Mehrheit. Die beste Strategie hierfür scheint zu sein, die beiden Wahlen in ein Referendum zu verwandeln und von Bidens Popularität zu profitieren: Wollt ihr eine handlungsfähige Regierung? Umgekehrt ist wahrscheinlich, dass die GOP auf den Instinkt der WählerInnen setzen wird, die checks&balances des Systems zu verstärken und eben diese handlungsfähige Regierung nicht zu ermöglichen. Das Konzept des überparteilichen Kompromisses erfreut sich paradoxerweise ja trotz der krassen Polarisierung ungehemmter Popularität. Um noch einmal Adam Tooze auszupacken; er beschreibt im Guardian eindrucksvoll die Folgen der kommenden Obstruktionspolitik Mitch McConnells. Wenn die Democrats diese kommuniziert bekommen, wäre viel gewonnen, selbst wenn die Wahlen verloren gehen.

Es wäre die Hoffnung, dass die Democrats auch den Wert des Organizings erkennen. Besonders augenscheinlich war das nämlich in Georgia: Im Bundesstaat sank die Rate nicht registrierter WählerInnen von 22% auf 2%! Die ständige Organisation der eigenen WählerInnen ist eine klare Schwäche der Partei. Die Erfolge in Georgia gegenüber den Misserfolgen in anderen Bundesstaaten, aber auch gegenüber der wesentlich erfolgreicheren Organisationsarbeit der Republicans in diesem Wahlzyklus zeigen dieses Defizit deutlich auf.

Schon allein aus diesem Grund sollten die Democrats daran arbeiten, dass eine starke Gewerkschaftsbindung in möglichst vielen Staaten existiert und die Gewerkschaften deutlich gestärkt werden. Deren Macht korreliert deutlich mit demokratischen Wahlerfolgen. Deswegen ist etwa auch Nevada trotz seiner geringen Bildungsdichte ein so solide blauer Staat. Gleichzeitig bekommen die Democrats keinen Fuß auf den Boden, wo eine besonders gewerkschaftsfeindliche Stimmung vorherrscht, obwohl die Demographie für sie sprechen würde, wie in vielen Staaten des Sunbelt. Auch im mittleren Westen ist die Korrelation zwischen der Zerstörung der Gewerkschaften und der Erosion der demokratischen Stammwählerschaft augenfällig.

Man sollte deswegen auch keinesfalls den Fehler machen, von der Popularität bestimmter Einzelpolitiken auf elektorale Erfolge der Partei zu schließen, wie das etwa Bernie Sanders tut:

Einige dieser Politiken - Stichwort Mindestlohn - sind offensichtlich keine progressiven Politiken! Es wäre ein Fehler anzunehmen, sie würden mit der eigenen Seite identifiziert. Die SPD hat hierzulande den gleichen Irrtum begangen und profitiert überhaupt nicht vom Mindestlohn. Auf der anderen Seite haben manche progressive Herzensangelegenheiten wie eine Stärkung der affirmative action selbst im tiefblauen Kalifornien an der Wahlurne verloren. Es liegt der Verdacht nahe, dass eine Konzentration auf klassischen ökonomischen Populismus, wie bereits oben angesprochen, für die Democrats eine lohnende Strategie sein könnte.

Und das bringt uns direkt in den parteiinternen Konflikt zwischen Moderaten und Progressiven in der Partei. The Truce is already over, schreibt Elaine Godfrey im Atlantic. Besonders um die Person Alexandria Ocasio-Cortez' ist ein Deutungskampf darum entbrannt, welcher der beiden Flügel die Zukunft verkörpert. Ich halte das für die völlig falsche Debatte. Die Partei hat nur eine Zukunft, wenn sie breit aufgestellt ist. Sherrod Brown als moderater Democrat in Ohio war ein Sieger - und ein Gegenmodell zur ebenfalls siegreichen AOC. Es braucht beides! Progressive KandidatInnen können in progressiven Wahlkreisen reüssieren, moderate KandidatInnen in moderaten Wahlkreisen. Die Partei muss eine big tent party sein. Mit dieser Strategie fuhr sie die großen Erfolge 2018 ein.

Was man gerade sieht, ist da eher kontraproduktiv. Der Krieg des DCCC gegen die progressiven HerausforderInnen und der folgende Backlash zeigen, dass das Problem beileibe nicht nur bei der radikalen Parteibasis liegt. Die plumpen, aggressiven Versuche des Establishments, diese zu unterdrücken, können ziemlich fies zurückschlagen. Die Partei sollte sich stattdessen als Bündnis begreifen und zusammenarbeiten, statt einen Sieg über den jeweils anderen Flügel erreichen zu wollen. Ich dachte nicht, dass ich je Merkel zitieren würde, aber: Flügel geben Auftrieb.

Was die Democrats dagegen nicht tun sollten ist zu versuchen, sich zu verraten, weder nach links noch nach rechts. Es ist vermutlich müßig, die DSA-Mitglieder und Jill-Stein-WählerInnen umwerben zu wollen. Genauso nutzlos ist es für die Partei, sich ständig um die UnterstützerInnen der Gegenseite zu bemühen. Das ist ein abgedroschenes und nutzloses Narrativ. Ich unterstütze die Forderung, sich von Trumps Unterstützern zu emanzipieren.

Stattdessen muss die Partei sehen, dass sie ein halbwegs kohärentes Angebot für etwa 60-70% der AmerikanerInnen macht. Mehr ist selbst unter Idealbedingungen nicht möglich, und wenn sie das erreicht, erreicht sie viel. Und dieses Angebot kann weder darin bestehen, reflexartig auf die progressive Basis einzuschlagen noch reflexartig die Revolution dieser Basis gegen moderate AmtsinhaberInnen zu fordern.

Zuletzt möchte ich noch Peter Unfried in der taz zitieren:

Es wird darum gehen, kleine Brötchen zu backen. Ja, ist so. Aber diese eben wirklich zu backen, statt reflexhaft die Brötchen der Populisten zu kritisieren und sie damit größer aussehen zu lassen. Die Beschwörung, wie schlimm alles ist, das ist der Job von Rechts- und Linkspopulisten. Unserer ist es, auf der Basis eines nicht blinden, sondern konstruktiven Vertrauens in die Demokratie und ihre Institutionen (einschließlich Polizei) eine Zukunftspolitik der Mehrheit zu befördern.

Ob man es mag, oder nicht, das ist die Realität der nächsten vier Jahre, und das wussten wir schon vor der Wahl. Die Democrats müssen, wie bereits unter Obama, erst einmal den Flurschaden der GOP-Regentschaft beseitigen. Ohne ausreichende Mehrheiten bleiben ihnen dazu nur kleine, inkrementelle Schritte. Das ist ungeheuer frustrierend, aber solange diese Mehrheiten nicht erreicht sind, kann es nichts anderes geben.

Medien

Ich habe mich oft genug über die Berichterstattung über Trump und die Republicans geärgert, ich muss diese Fundamentalkritik hier nicht wiederholen. Auffällig war allerdings, dass mit dem Moment der Niederlage urplötzlich eine neue Courage in den Medien einzog:


Ich kommentierte dies direkt:


Denn entweder galt das schon immer, und man hätte Trumps Lügen immer schon ausblenden und deutlich machen können. Oder es war immer falsch, weil sich die Medien neutral gegenüber dem gewählten Staatsoberhaupt positionieren sollten. Beide Möglichkeiten sind in sich kohärent. Aber wenn er abgewählt ist plötzlich Bonuspunkte auf die Art generieren zu wollen hinterlässt echt mehr als nur einen schalen Beigeschmack. Ich habe deswegen auch ernsthafte Zweifel, dass die Medien irgendetwas aus diesen vier Jahren gelernt haben. Aber vielleicht werde ich ja noch überrascht.

Die Republicans

Bleiben die Republicans. Es ist unwahrscheinlich, dass sie die Niederlage als Anlass nehmen werden, wieder vernünftiger zu werden und sich um Mehrheiten zu bemühen. Ich habe bereits anderer Stelle über den Einfluss der QAnon-Spinner und die voter suppression gesprochen. Daher wird die Partei mit der bisherigen Strategie weitermachen. Warum auch nicht? Es funktioniert ja.

Ich erwarte daher, dass die Behauptung, dass die Wahl gestohlen wird, bei den primaries 2022 zum Lackmustest der Republicans werden wird. Solche Lackmustests hat die Partei mittlerweile an vielen Stellen eingeführt. Erst war es die Birther-Theorie, dann war es das Bekenntnis zu Trump und dem größten Wahlsieg aller Zeiten. Es ist ein typisches Machtmittel von Totalitaristen, die eigenen Leute zu Bekenntnissen von offensichtlich falschen Dingen zu zwingen. Nichts verstärkt die eigenen Loyalitätszyklen so sehr. Man denke nur an die rituellen entsprechenden Bekenntnisse der realsozialistischen Staaten.

Ebenso zu erwarten sind Versuche, die Legitimation des demokratischen Prozesses generell weiter zu zerstören. Beispiele hierfür kann man gut in diesem lesenswerten Twitter-Thread sehen. Auch dürfte gewalttätige Identitätspolitik weiter eine zentrale Rolle spielen, wie man am Beispiel Gianfortes in Montana sehen kann.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich an dieser Stelle erschöpft bin und gar nicht weiter darauf eingehen. Die Gesamtstrategie ist furchtbar trostlos und offensichtlich und, leider, erfolgversprechend. Dieser Thread skizziert sie gut. In Kurzform: Blockade, Hetze, Missbrauch der Gerichte, voter suppression. Die Strategie ist klar. Die Gegenwehr ist schwierig. Aber gerade weil so offensichtlich ist, was die Partei versuchen wird, gilt es, sich entgegen zu stellen. Sonst war die Wahl Joe Bidens keine Trendwende zur Rettung der amerikanischen Demokratie, sondern vielmehr ihr Abgesang. Und das wäre verheerend.

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