Donnerstag, 26. Oktober 2023

Newt Gingrich vereint von Upahl aus die arabische Welt gegen Rishi Sunaks Autobahnausbau - Vermischtes 26.10.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Newt Gingrich’s Degraded Legacy

Kevin McCarthy hat seinen Posten als Sprecher des Repräsentantenhauses verloren, weil einige republikanische Vertreter der Ansicht waren, dass er nicht entschieden genug gegen die Demokraten kämpft. Die Spaltung in der Partei zeigt sich auch in der Schwierigkeit, einen Ersatz zu finden. Die Kolumne analysiert die Ursprünge dieser Konfrontationshaltung, die auf Newt Gingrich zurückgeht, der die Republikaner in den 1990er Jahren aus der politischen Wildnis führte. Gingrich glaubte an die transformative Kraft von Konfrontationen, um die Amerikaner von der Korruption der Politik zu befreien. Die heutige Generation von Republikanern neigt jedoch dazu, Konfrontation um ihrer selbst willen zu suchen, ohne eine klare positive Agenda zu verfolgen. Die Autoren betonen, dass die Republikaner lernen müssen, ihre Konflikte zu meistern, um wieder eine funktionierende Partei zu werden. (Philipp Walach, The Atlantic)

Dieser Artikel ist ein super Beispiel dafür, wie vergangene Zeit ständig zu einer Nostalgie über zurückliegende Ereignisse führt. Sicher, unter Newt Gingrich war das Problem noch bei weitem nicht so schlimm wie heute. Er ist allerdings nicht das Exponat einer vergangenen Zeit, in der Grundregel noch galten, sondern einer der Haupttäter bei der Zerstörung dieser Grundregeln. Es war Gingrich mehr als irgendeine andere Person, die den Wandel der republikanischen Partei hinzu dem dysfunktionalen Gebilde, das wir heute kennen, betrieben hat. Die Radikalisierung der Abgeordneten, die Total- und Fundamentalopposition, die Dauermobilisierung, die Lügen - Sie alle waren das Erfolgsrezept der „konservativen Revolution“ von 1994. Seither wird die Partei die Geister, diese rief, nicht mehr los und versucht dies auch gar nicht mehr. Die Fäulnis begann mit Gingrich. Und dafür sollte man ihn in Erinnerung behalten.

2) The Arab world thinks differently about this war

Der Artikel beschreibt die Ereignisse rund um eine Explosion im al-Ahli-Krankenhaus in Gaza, bei der Hunderte Menschen getötet wurden. Hamas beschuldigte Israel, aber Israel bestritt Luftangriffe und sagte, die Explosion sei auf eine fehlgeleitete Rakete von Islamischem Jihad zurückzuführen. Die Katastrophe löste Proteste im Westjordanland, Jordanien und sogar in Tunesien aus. Der Konflikt zwischen Israel und Hamas wurde intensiv in den Medien behandelt, wobei sich die Unterstützung für die Palästinenser im Vergleich zu früheren Konflikten verändert hat. Geopolitisch haben einige arabische Staaten wie Bahrain, Marokko, Sudan und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Beziehungen zu Israel aufgenommen, was die Berichterstattung in einigen arabischen Medien beeinflusst hat. Es gibt auch die Furcht vor einem breiteren Konflikt, und die Region ist heute stärker polarisiert. Einige arabische Länder sind besorgt über eine mögliche Eskalation, während andere aufgrund geopolitischer Interessen zögern, sich klar zu positionieren. Arabische Regierungen zeigen in offiziellen Äußerungen Mitgefühl für die Palästinenser, aber hinter den Kulissen gibt es Uneinigkeit und tiefe Besorgnis über die möglichen Auswirkungen des Konflikts auf die regionale Stabilität. (The Economist)

Ich als Laie habe das Gefühl, dass gerade hier - und nicht in sinnlosen Aufrufen an Hamas und Netanjahu, einen Waffenstillstand zu schließen - das Potential für Diplomatie in der Region liegt. Das schlimmste Szenario für Israel im Speziellen und den Westen im Allgemeinen ist eine in antiwestlichen Stimmungen geeinte arabische Welt. Genau so ist jedes arabische Land, das gemeinsame Sache mit dem Iran macht, ein gewaltiges Problem. Wenn es gelingt, in der Region Verbündete oder doch wenigstens Neutrale für diesen Konflikt zu finden oder zu schaffen, ist dies das Beste, was westliche Diplomatie zu leisten vermag. Dass diese Spaltung unzweifelhaft existieren, wird in dem Artikel ausführlich dargelegt. Es wäre fatal, unter diesen Ländern mit schlechter Diplomatie eine Einheitsfront zu schaffen. Siehe dazu auch diesen Artikel mit Gedanken auf die Zeit nach dem Krieg.

3) Das Wundern von Upahl

Es wird von Protesten und einem Baustopp berichtet, als die Gemeinde Upahl in Deutschland eine Unterkunft für Geflüchtete errichten will. Heike und Klaus Reimann gehören zu den Protestierenden und organisieren Demonstrationen gegen die Unterkunft. Der Artikel beschreibt ihre Motivation, Ängste und die Dynamik im Dorf. Rechtsradikale mischen sich in die Proteste, und es gibt juristische Auseinandersetzungen um den Bau. Trotz eines zeitweiligen Baustopps wird die Unterkunft fertiggestellt, und die ersten Bewohner ziehen ein. Der Artikel endet damit, dass Heike Reimann die kleinen, jungen Männer sieht, die nun in der Unterkunft leben, und sich Gedanken über ihre eigene politische Haltung macht. (Tom Krahl, ZEIT)

Es ist immer wieder schön von Geschichten zu lesen, in denen eine vorherige Radikalisierung wieder zurück ins moderate Spektrum verläuft. Auffällig finde ich hier die Faktoren, die sowohl zur Radikalisierung beigetragen haben als auch später beim Weg zurück ausschlaggebend waren. Letzterer scheint zu einem großen Teil schlichtweg daraus zu resultieren, das eine Art Pause von der konstanten Agitation und Bombardierung mit Nachrichten aus der Radikalenblase eingelegt worden war. Noch entscheidender allerdings scheint mir, dass die vorhergehende Radikalisierung massiv vom Gemeinschaftserlebnis getragen wurde, ein gemeinsames Ziel zu haben und endlich eine Gemeinschaft zu bilden - in einer Region, die Strukturschwach und unter demografischem Abwanderungsdruck steht und in der diese Gemeinschaftsstrukturen praktisch komplett weggefallen waren. Man stelle sich einmal vor, das alles würde konstruktiven Zwecken statt Hass und Ablehnung zugeführt. Etwas unklar bleibt mir die Rolle der Politik. Die Reduzierung der Unterbringungszahlen wird im Artikel zwar genannt, scheint aber auf die konkreten Haltungen keinen Einfluss gehabt zu haben. Es wäre hier schön zu wissen, ob dies stimmt oder nur ein Artefakt meiner Leseweise ist.

4) Rishi Sunak’s Israel visit signals UK shift towards European mainstream

Rishi Sunaks Besuch im Nahen Osten folgt dem Beispiel anderer europäischer Führer, darunter der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, die nach dem Angriff vom 7. Oktober ihre Solidarität mit Israel bekundet haben. Die Strategie spiegelt die Herangehensweise von Gideon Rachman wider, die betont, Israels Sicherheitsbedenken zu verstehen, während gleichzeitig eine Überprüfung der Reaktion gefordert wird. Sunaks Besuch steht im Einklang mit seinem Bestreben, das Vereinigte Königreich als "normale" europäische Macht zu positionieren, die bei Themen wie China kooperiert und Mainstream-Europastandpunkte übernimmt. Trotz möglicher Herausforderungen scheint diese Herangehensweise weiter Bestand zu haben und markiert einen Bruch mit früheren konfrontativen Ansätzen. Im Kontext des Israel-Palästina-Konflikts bleibt Sunaks politischer Standpunkt stabil, während mögliche Auswirkungen eher den Labour-Führer Keir Starmer betreffen dürften. (Stephen Bush, Financial Times)

Nachdem wir in den letzten Vermischten über die Radikalisierung der Tories gesprochen haben, hier ist es ganz spannend, hier einmal eine gegenläufige Meinung zu sehen, die in Rishi Sunak eine moderierende Kraft sieht. Dies mag zumindest in der Außenpolitik zutreffen; in der Innenpolitik ist davon jedoch nichts zu sehen. Es macht allerdings durchaus Sinn, denn die Außenpolitik ist ein Feld, das naturgemäß deutlich weniger Menschen interessiert (Instrumentalisierungen wie während des Brexit oder der Flüchtlingskrise Wir hatten praktisch immer durch einen innenpolitischen Spiegel gesehen) und wegen der starken Konzentration auf exekutive Funktionen und das Amtsgeheimnis ohnehin abseits der Öffentlichkeit stattfindet. Hier können diejenigen sich austoben, denen tatsächlich der dauernde Kulturkampf und innenpolitische Radikalismus zu viel ist. Es ist insofern eine gute Nachricht, als dass wir von der Außenpolitik deutlich mehr betroffen sind als von eben diesen Kulturkämpfen. Gleichzeitig zeigt es allerdings auch, dass es für Großbritannien selbst vorläufig keinen Ausweg aus dieser strategischen Entscheidung der Konservativen zu geben scheint.

5) Klimaschutz? Lieber Autobahnen ausbauen

Die deutsche Regierung plant, 138 Autobahnabschnitte zu erweitern, was den Verkehr fördert und dem Klimaschutz schadet. Die Entscheidung kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt, da die Klimapolitik der Regierung bereits in der Kritik steht. Die Autobahnerweiterungen sollen Staus reduzieren, aber langfristig führen breitere Straßen zu mehr Verkehr, verstärkter Zersiedelung und einer Benachteiligung von Bahn, Bus und Fahrrad. Die Regierung ignoriert sogar ihre eigenen Prognosen, die besagen, dass Straßenbau den Verkehr und CO₂-Emissionen erhöht. Die FDP argumentiert für gute Straßen für klimafreundliche Autos, ignoriert jedoch, dass der Großteil des Verkehrs nicht elektrisch ist und der Straßenbau selbst CO₂ verursacht. Diese Entscheidung zeigt die Ambitionslosigkeit der Regierung im Klimaschutz, insbesondere im Verkehrssektor. (Sören Götz, ZEIT)

Diese Maßnahmen sind ein schönes Beispiel dafür, dass in einer Koalition alle Seiten Kompromisse schlucken müssen, die ihnen zutiefst zuwider sind. In der Ampelkoalition fällt das nur viel mehr auf, weil anders als unter den schwarz-roten Merkelregierungen die beteiligten Parteien wesentlich programmatischer aufgestellt und gestaltungswilliger sind. Entsprechend entstehen größere Konflikte und auch größere Zumutungen. Politisch lehne ich den Autobahnausbau selbstverständlich ab; er ist eine verkehrspolitische Idiotie, die sich nur aus dem autozentrierten Mindset erklären lässt und völlig kontraproduktiv für sämtliche Klimaschutzmaßnahmen ist. Mir ist aber durchaus klar, dass sich die Grünen nicht überall werden durchsetzen können. Auch die FDP musste in dieser Koalition schon so manche Kröte schlucken, das liegt schlicht in der Natur der Sache. Dass so viele Menschen das nicht zu begreifen oder akzeptieren scheinen, lässt die Forderungen während der Merkel-Ära nach mehr politischer Auseinandersetzung und Debatte umso hohler erscheinen.

Resterampe

a) Die FAZ hat eine gute Übersicht über die völkerrechtlichen Regeln für den Kampf im Gaza.

b) Weil wir es letzthin mal von Habecks Kommunikationspotenzial hatten, hier mal wieder ein Positivbeispiel.

c) Es ist immer einfach, sich über solche Prediction Fails lustig zu machen, aber Fakt ist, dass die meisten Erfindungen zur Zeit dieser Vorhersagen tatsächlich dysfunktional waren und dass die meisten Erfindungen eben nie Marktreife erlangen und sang- und klanglos untergehen. Survivor's Bias.

d) Nahost-Konflikt: Linken-Politiker stellt mit mutmaßlicher Falschmeldung Lehrkräfte an den Pranger. Besondere Verantwortung, wenn man ein Mikrofon hat...

e) China Changed Its Mind About World War II. Ganz interessanter Artikel zur Vergangenheitsbewältigung in China und Japan.

f) Surprise! Jim Jordan is not a fiscal conservative.

g) The fiscal consequences of a unitary state.

h) Der blinde Fleck.

i) Sehr guter Artikel zum Scheitern der westlichen Außenpolitik im Nahen Osten.

j) "Das Problem heißt Lanz".

k) Lesenswerter Beitrag über den Umgang der AfD im Bundestag mit Abgeordneten mit Migrationshintergrund.

l) Respekt für Platzeck.

m) Antisemitische Radikalisierung auf TikTok.

n) Kretschmer ist echt so ein Widerling. Schiebt den Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfall auf Geflüchtete. Als ob Gymnasiallehrkräfte fehlen, weil Flüchtlinge Deutschunterricht kriegen. Dazu passt der Versuch, Förderung von Vereinen an eine Gag-Order zu Kritik an der CDU zu knüpfen.

o) Strack-Zimmermann weiter stabil.

p) Es geht schon los mit dem Angriff auf die postcolonial studies.

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