Freitag, 27. Oktober 2023

Rezension: Kim Stanley Robinson - The Ministry for the Future (Teil 3)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

Kim Stanley Robinson - The Ministry for the Future (Kim Stanley Robinson - Das Ministerium für die Zukunft) (Hörbuch)

Die tiefgreifende Wirtschaftskrise hat zudem zahlreiche neue Wirtschaftsmodelle hervorgebracht, so dass der klassische Kapitalismus nur noch in einigen wenigen Weltregionen betrieben wird und durch die Kontrolle der Währungen und die damit einhergehende Wiedergewinnung der Souveränität der Legislativen ohnehin nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Gleichwohl sind viele dieser Initiativen Revolutionen unterhalb der Oberfläche, sie kommen ohne Guillotinen und spektakuläre Umstürze aus. Die alten Machtzentren existieren zwar weiterhin - so verschwinden die Oligarchen wieder von einem Tag auf den anderen, noch tun sie das widerstandslos - aber Ihre Position wird zunehmend prekärer, weil offener und auf wenige Bereiche begrenzt, so dass die von Keynes beschriebene „Euthanasie der Rentier-Klasse“ immer näher zu rücken scheint.

Franks Geschichte kommt in diesen Tagen zu einem traurigen Abschluss: nachdem ihm ein Gehirntumor diagnostiziert wurde, stirbt er im Hospiz unter Begleitung häufiger Besuche von Mary. Für diese kommt ihre Zeit im Ministerium ebenfalls an ein Ende: auf einer Sitzung der COP wird im Endeffekt der Sieg über die Klimakrise verkündet, seit Dank der Geoengineering-Maßnahmen der CO2-Gehalt der Atmosphäre konstant und relativ schnell zu sinken beginnt, nachdem er sieben Jahre zuvor stagniert war. Es bleibt zwar unglaublich viel zu tun, und die Probleme menschlicher Gesellschaften mit Ungleichheit, Bürgerkrieg, Unterdrückung und was der Möglichkeiten der Menschen, einander das Leben zu ruinieren, nicht noch mehr ist. Sie ist allerdings deutlich an einem Schlusspunkt ihres Lebens angelangt.

Nach ihrem Rücktritt nutzt sie daher die neu gewonnene Zeit und macht sich auf eine große Reise in einem Luftschiff rund um die Welt, die Robinson gleichzeitig die Gelegenheit gibt, eine Art Bestandsaufnahme zu unternehmen. Von der Regenerierten Tierwelt über menschenleere Landstriche zu immer wiederkehrenden Erkenntnis, wie dumm man in vergangenen Jahrzehnten gewesen war, hin zu den Erfolgen des Geoengineering (von einem riesigen chemischen Teppich auf dem Arktischen Ozean, der Sonnenlicht reflektiert, zu den Bestrebungen in der Antarktis, wo mittlerweile die militärisch nutzlos gewordenen Flugzeugträger als perfekt gewartete Atomreaktoren die Basis für einige zehntausend Arbeiter bilden). Der Roman findet seinen Ausblick in Marys Teilnahme an einem Fastnachtsfest in Zürich, der noch einmal eine Liebeserklärung an die Alpenrepublik bietet.

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Das Buch als Roman zu bezeichnen, erscheint mir immer ein wenig als Etikettenschwindel. Eine klassische Handlung gibt es kaum, sieht man von den wenigen Elementen mit Mary und Frank ab. Stattdessen werden philosophische Untersuchungen gemacht, geradezu historische Abhandlungen eingefügt oder Augenzeugenberichte und Protokolle wiedergegeben. Diese Kombination hat ihren eigenen Reiz, ja hat aber eher etwas von einer Mockumentary als einem klassischen Roman. Das sollte vor der Lektüre bewusst sein. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die Charaktere, sofern man diese überhaupt so nennen möchte. Überwiegend sind sie Gefäße für Ideen und kommen ohnehin nur kurz vor; im Fall der wiederkehrenden Charaktere reicht üblicherweise ein einziges Charaktermerkmal. Obwohl Mary in rund einem Drittel der Kapitel vorkommt, erfahren wir praktisch nichts über sie. Sie hat keinerlei Privatleben, ihre definierende Charaktereigenschaft ist Irisch zu sein und ansonsten wird sie graduell älter, ohne dass dies Auswirkungen hätte. Deswegen zieht sich das Ende des Romans auch furchtbar: der lange Ausblick der letzten rund 15% hat ein Feeling von "Die Rückkehr des Königs", nur haben uns da die Charaktere interessiert und wir haben mit ihnen Gefühle verbunden. Auf den letzten 80 Seiten mehr Charakterentwicklung für die Hauptfigur zu betreiben als in den 500 zuvor ist nicht die cleverste Strukturentscheidung.

Überhaupt ist die Stagnation der Charaktere typisch für Robinsons Romane. In seiner berühmten Mars-Trilogie wurde ein Mittel erfunden, dass die gesunde Lebenserwartung und deutlich erhöhte und so die Erzählung über mehrere Jahrzehnte ermöglichte, ohne neue Charaktere einführen zu müssen. In diesem Roman bleibt Mary die Chefin einer politischen Institution, ohne auch nur ein einziges Mal einen Machtkampf kämpfen zu müssen oder über den Verlauf von rund 30 Jahren jemals von der Ablösung bedroht zu sein. Auch das Team um sie herum übernimmt in 30 Jahren keine neuen Aufgaben oder wendet sich zu neuen Ufern. Ich halte das nicht für einen Fehler Robinsons, sondern für eine bewusste Entscheidung. Seine Charaktere sind, wie gesagt, keine Charaktere; sie sind Gefäße für Ideen. Mary sollte man sich daher nicht als eine existierende Frau vorstellen, sondern eher als generische Verkörperung des Vorsitzes eine Institution.

Was die eigentliche Handlung anbelangt, sind solche Vereinfachungen natürlich ebenfalls angelegt. Robinson schreibt in einem etwas eigenwilligen Genre. Auf der einen Seite ist die Handlung von zahlreichen Katastrophen und Zusammenbrüchen gekennzeichnet, die sich bei dem Gegenstand des Klimawandels auch kaum vermeiden lassen. Das Buch ist aber auf der anderen Seite eine Utopie. Die Gegenseite kommt deswegen praktisch kaum vor. Sie wird mit geradezu lächerlicher Leichtigkeit ausgeschaltet und marginalisiert; der eigentliche Gegner bleibt die Klimakrise selbst und die Stupidität des Menschen. Selbst in den größten Katastrophen dominiert eine positive Sicht auf die Dinge. Der in einem Kajak durch das überflutete LA paddelnde Stadtbewohner Sich angesichts des Gemeinschaftsgeistes der Menschen beeindruckt. Obwohl die Weltwirtschaft mehrere große Crashs hinlegt und sich über die Handlung eigentlich nie auf das Niveau vor 2024 erholt, dominieren Erzählungen von Experimenten und spontane Massenorganisation, die geradezu linken Fieberträumen entsprungen scheinen.

Auch wenn Robinson wert darauf legt, nicht in das Horn der Degrowth-Bewegung zu blasen, läuft es doch oft darauf hinaus - zumindest für die oberen 10% der westlichen Gesellschaften. Das passt zu seiner grundsätzlichen ideologischen Ausrichtung: er lässt wenig Zweifel daran, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise sowohl selbstzerstörerisch ist als auch zu großer Ungleichheit führt, die ihrerseits zahlreiche negative Effekte hat. Die Einebnung dieser Ungleichheit ist für ihn deswegen ein klares Plus. Wenn er dafür den narrativen Zauberstab schwingen und die Politik eine erfolgreiche Nationalisierungen auf globaler Ebene durchführen lassen muss - so sei es.

Dabei muss man betonen, dass diese Visionen nicht einmal komplett unrealistisch sind, weil durchaus zu erwarten ist, dass die schiere Fülle von Katastrophen und Zusammenbrüche tatsächlich Handlungsspielräume eröffnen wird, die aktuell noch undenkbar sind. Gleichwohl erscheint es mir als ein deutliches Manko, wie wenig Widerstand vor allem von rechts sich all diesem Wandel entgegenstellt. Stattdessen dominieren wishfulfillment fantasies, etwa die Massenproteste selbst, die in ihrer friedlichen Selbstorganisation und unabgesprochenen Koordinierungsfähigkeit selbst manchen Anarchisten peinlich sein dürften. Auch der Erfolg des vom Ministerium produzierten sozialen Netzwerks ist so umfassend und widerstandslos, das ist kaum anders denn als Utopie beschreibbar ist.

Spannend allerdings bleiben diese Utopien alle dennoch - und auch erschreckend. Denn selbst in dieser vergleichsweise positiven Entwicklung, wie Robinson sie hier skizziert, sind die Katastrophen allgegenwärtig und leiden Millionen von Menschen.

Mit das revolutionärste Potential hat die Idee der durch Blockchain und die Zentralbanken abgesicherten Parallelwährung, weil sie wie eine Art silberne Kugel zahlreiche Umsetzungsprobleme angeht. Ohne marktwirtschaftliche Mechanismen aufzugeben werden diese in produktive Richtungen gelenkt und erlauben eine dezentrale Umverteilung, indem autonome Akteure am unteren Ende der Wertschöpfungskette plötzlich gewinnbringend arbeiten können. Dasselbe gilt für die unglaublich teure Zusammenarbeit der Staaten und die notwendigen Buyouts der Maßnahmenverlierer. Die dafür nötigen gigantischen Summen werden ausschließlich dadurch überhaupt möglich. Dies ist explizit eine Art Anwendung von MMT.

Was die Lesenden aber mit Sicherheit mit dem größten flauen Gefühl in der Magengrube zurücklassen dürfte ist die Rolle des Terrorismus. Ohne ihn wären die meisten der Klimamaßnahmen nicht vorstellbar. Es ist der Klimaterrorismus, der in Robinson Erzählung die Initialzündung allen Wandels gibt und der quasi eine notwendige Bedingung darstellt (wenngleich nicht hinreichend; die Kinder Khalis geben im Verlauf der Handlung nach ihrem Erfolg auf Intervention ihres Gurus den Terrorismus auf und winden sich Produktiveren Handlungsweisen zu). Robinson macht daraus auch wenig hehl; seine Romanfiguren sind allesamt Befürworter, egal wie zögerlich, von Gewalt gegen die Klimaverbrecher, wenngleich sie sich in der Ausprägung unterscheiden: manchen reicht die Sabotage und Zerstörung ihrer Besitztümer, andere gehen zu gezielten Ermordungen über. Als Leser in die Situation gebracht zu werden, mit Terroristen zu sympathisieren, gehört aber sicherlich nicht zu den leichtesten Leseerlebnissen.

Eine Idee des Romans, die sich sehr realistisch anfühlt, ist die der Notwendigkeit des Respekts für sämtliche Kulturen der Welt. Solche Nationen und Kulturen, die sich nicht respektiert fühlen, werden an den internationalen Maßnahmen nicht teilnehmen. Die erste erfolgreiche Integration nach der Indiens ist die Chinas, die zentrale Treiber bei der Carbon Coin darstellen. Hier fällt leicht, dass die Chinesen die Finanzwirtschaft immer schon als Instrument des Staates betrachtet haben und daher für sich das Narrativ entwickeln können, dass der Rest der Welt effektiv ihr System übernimmt. Dasselbe gilt im späteren Verlauf für Russland. Dieses entdeckt seine sowjetische Vergangenheit wieder und vergleicht diese positiv mit den zunehmenden Verstaatlichungen und Vergesellschaftungen im Roman. Historisch ist dies natürlich kompletter Quatsch, es ist allerdings sehr realistisch, dass ein solches Narrativ entstehen würde. In diesem Fall hat es die gute Auswirkung, eine positive Alternative zu den autoritären Regime Putins und Konsorten darzustellen.

Etwas merkwürdig ist das Auslassen der islamischen Welt; zwar wird in einem Satz betont, dass sie neben Russland am größten unter diesem Problem leidet, Sie kommt allerdings danach effektiv nicht mehr vor. Geradezu anachronistisch ist die Sicht auf China, in dem Hongkong es schafft, durch Massendemonstrationen seine Unabhängigkeit zu bewahren und ein China der vielen Systeme mit Hoffnungen auf eine Öffnung irgendwann in der Zukunft zu erschaffen - eine Aussicht, die aktuell eher in eine gegenteilige Richtung läuft.

Auffällig für mich ist auch der Technologieoptimismus Robinsons. Auch wenn er eine sehr kritische Haltung gegenüber den Kryptowährungen hat, glaubt er doch an den durchschlagenden Erfolg des Blockchain Konzepts, glaubt denn die digitale Vernetzung der Menschen in einem besseren, nicht kapitalistischen System, das zu einer größeren Zusammengehörigkeit der gesamten Menschheit führen werde und beschreibt die KI als eine praktisch ausschließlich positiv genutzte Technologie.

Insgesamt ist der Roman für mich eine faszinierende, wenngleich teilweise frustrierende Lektüre. Nicht nur wegen der strukturellen und erzählerischen Schwächen, sondern auch, weil die Utopie ein Genre ist, das zwangsläufig stark von spezifischen politischen Überzeugungen geprägt ist (anders als die meist wesentlich generalisiertere Dystopie). Aber Robinsons Sachkenntnis und detaillierte Recherche machen das Werk zu einem spannenden Gedankenspiel und gibt Konzepte an die Hand, mit denen sich unsere heutigen Herausforderungen denken und bearbeiten lassen. Allein das lohnt die Lektüre allemal.

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