Dienstag, 5. Dezember 2023

Scholz folgt wirtschaftlichen Anreizen, um um mit China verschwörungstheoretische Klimaschutzmaßnahmen auf Amazon zu hintertreiben - Vermischtes 05.12.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Absturz eines Besserwissers

Die Spiegel-Titelstory beschreibt die politische Krise in Deutschland nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Haushalt von Kanzler Olaf Scholz verfassungswidrig ist. Die Regierung hat Buchungstricks angewendet, um 60 Milliarden Euro zu verschieben, was zu Unsicherheit über Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen führt. Scholz zeigt während eines Auftritts in Jena wenig Reaktion auf die Krise und betont positive Entwicklungen im Land. Der Artikel kritisiert Scholz' Selbstbewusstsein und beleuchtet die Schwächen seines politischen Systems. Es wird auf die Verantwortung von Staatssekretär Werner Gatzer und Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt hingewiesen, die für die Haushaltskonstruktion mitverantwortlich sind. Die Krise könnte weitreichende Folgen für die Wirtschaft und geplante Projekte haben. Der Artikel endet mit der Frage, wie Scholz aus dieser Lage herauskommen kann. Enge Vertraute wie Hebestreit, Plötner und Kukies werden vorgestellt. Die Finanzlage erfordert einen Umbau des Haushalts, wobei Finanzminister Lindner einen Nachtragshaushalt ankündigt. Die Ampel-Koalition könnte vor dem Abgrund stehen, wenn sie keine Lösung findet. Trotz interner Spannungen erscheint eine Neuwahl unwahrscheinlich, da keine Partei davon profitieren würde. Scholz' politischer Erfolg hängt von seiner Fähigkeit ab, die Haushaltsprobleme zu bewältigen und die öffentliche Meinung zurückzugewinnen. ( Sebastian Fischer/Sophie Garbe/Florian Gathmann/Christoph Hickmann/Martin Knobbe/Christian Reiermann/Marcel Rosenbach/ Christian Teevs/Gerald Traufetter/Severin Weiland, Spiegel)

Ehrlich gesagt wundert mich vor allem, wie lange es gedauert hat, bis sich Leitmedien wie der Spiegel auf Olaf Scholz einschießen. Der Mann hat bislang bemerkenswerte Teflonqualitäten an den Tag gelegt; ob im Wahlkampf mit dem Wegignorieren der Cum-Ex-Affäre oder dann als Kanzler mit der simplen Feststellung, dass er der Kanzler und damit ultimativ verantwortlich ist. Die dysfunktionale Beziehung von FDP und Grünen fiechte ihn bisher nie an, genauso wenig hörte man je, dass er irgendwie möglicherweise mit der Russlandpolitik vor 2022 nicht so ganz richtig lag oder dass er vielleicht auch das Heizungsgesetz und andere umstrittene Maßnahmen mitgetragen und mitverantwortet hatte. Natürlich ist der hämische Ton des Artikels selbst ein Überziehen in die andere Richtung, genau wie der Spiegeltitel selbst; aber das ist für die mediale Politikrezeption ja leider typisch.

2) Warum die Welt gerade gerettet wird: Es ist einfach wirtschaftlich zu lohnend, es nicht zu tun

Die Welt macht gerade Fortschritte im Klimaschutz, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Trotz bisheriger Untätigkeit steigt die Hoffnung, das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen. Gute Nachrichten umfassen den boomenden Ausbau von Wind- und Solarenergie, Fortschritte in Klimaschutztechnologien und den Anstieg des Elektrofahrzeugverkaufs. China und die USA beschleunigen ihre Klimaschutzmaßnahmen, und andere Länder ergreifen ernsthafte Schritte zur Reduzierung von Entwaldung. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern sich, da erneuerbare Energien günstiger werden. Die politische Entwicklung wird jedoch als entscheidend betrachtet, insbesondere im Hinblick auf die UN-Klimakonferenz in Dubai. Geld, Macht und Geostrategie treiben die Veränderungen voran, da die Transformation zu sauberen Industrien als zentral betrachtet wird. Deutschland wird aufgefordert, seine niedrige Verschuldung für wichtige Investitionen in die Zukunft zu nutzen. Weitere Themen des Newsletters reichen von Nachtzügen und Solarenergie bis zu Fortschritten bei Natrium-Ionen-Batterien. (Stephan Dörner, Impact Newsletter)

Ich will aus dem langen Newsletter vor allem den Punkt hervorheben, dass sowohl die USA als auch China mittlerweile dazu übergegangen sind, zielgerichtet geostrategische Industriepolitik zu machen und dabei auch den Klimaschutz einbeziehen. Das ist in der EU generell und in Deutschland ganz besonders noch nicht angekommen, einfach schon allein deswegen, weil Deutschland überhaupt keine strategische Politik betreibt (sieht man ja im Sicherheitsbereich sehr deutlich). Trotz der Erfahrungen von 2022ff. mit der Abhängigkeit von Russland etwa macht die deutsche Wirtschaft keine Anstalten zu einem De-Risking von China, während China selbst zielgerichtet seine Abhängigkeiten identifiziert (Stichwort "chokehold" Halbleitertechnologie) und aktiv Anstrengungen unternimmt, diese abzubauen. Ich bin auch zunehmend der Überzeugung, dass Kooperation in Sachen Klimaschutz mit China eine Sackgasse ist; wir profitieren (leider) mehr davon, eine Art Kalter-Krieg-Wettbewerbssituation mit China auf diesem Feld zu haben. Das würde glaube ich auch stärkere marktwirtschaftliche Effekte auslösen (siehe auch Fundstück 5).

3) Don’t Be Evil

Der Autor diskutiert den Verfall des Internets und führt dies auf institutionelle Handlungen anstelle von individuellem moralischem Verfall zurück. Er argumentiert, dass die Verschiebung von einem guten Internet zu einem schlechten das Ergebnis interner Kämpfe innerhalb von Institutionen ist, bei denen Handlungen Siege für diejenigen sind, die darauf abzielen, Benutzer zu fesseln, anstatt sie zu befreien. Die Schwierigkeit für Benutzer, Online-Dienste zu verlassen, wird als entscheidender Faktor für den ihnen zugefügten Missbrauch identifiziert. Strategien wie die Reduzierung des Wettbewerbs, die Begrenzung der Entdeckung von Alternativen und die Verteuerung des Service-Austritts werden erläutert. Der Autor betont die Bedeutung, dass Benutzer zurückschlagen, beispielsweise durch den Einsatz von Werbeblockern, und hebt die Bemühungen hervor, solche Maßnahmen zu kriminalisieren. Trotz des aktuellen Zustands der verschlechterten Giganten glaubt der Autor an die Möglichkeit eines neuen, guten Internets und ermutigt zu Argumenten, die sich sowohl auf moralische Bedenken als auch auf wirtschaftliche Nachteile bei der Verschlechterung der Benutzererfahrung konzentrieren. (Cory Doctorow, Locus)

Ich muss immer wieder feststellen, wie großartig der Begriff der "enshittification" ist. Davon abgesehen halte ich die Betonung des Zyklus' von Regulierung für marktwirtschaftlichen Wettbewerb entscheidend. Michael Seemann hat das in seinem Buch "Die Macht der Plattformen" (hier rezensiert) auch ausgeführt. Es gibt einen natürlichen Drang zum Monopol, und sobald die entsprechende Dominanz erreicht ist, verliert automatisch der Kunde. Das kann man von Google über Amazon zu Facebook an allen Ecken und Enden betrachten. Alle diese Plattformen begannen ihren Lebenszyklus als nutzer*innenfreundliche, revolutionäre Konstrukte und werden Stück für Stück dysfunktionaler, verhindern aber durch ihre Marktmacht das Aufkommen von möglicherweise besseren Mitbewerbern. Selbst Erzliberale sehen die Rolle des Staates eigentlich in einem Verhindern von solcher Marktkonzentration und der Förderung von Wettbewerb, aber hier liegt ein krasses Versagen vor.

4) Wie SPD-Abgeordnete versuchen, eine Verschwörungserzählung zu entkräften

Der Artikel berichtet darüber, wie die SPD mit einer hartnäckigen Verschwörungstheorie über einen angeblichen Lastenausgleich umgeht. Einige behaupten, die SPD plane eine große Umverteilung, bei der wohlhabendere Bürger einen Prozentsatz ihres Vermögens abgeben müssten. Der SPD-Abgeordnete Carlos Kasper widerspricht diesen Behauptungen, betont jedoch die Schwierigkeit, gegen Desinformationen anzukommen. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty erklärt, dass Verschwörungstheorien an reale Ängste anknüpfen und von bestimmten Milieus genutzt werden, um Produkte zu bewerben. Einige SPD-Politiker versuchen, den Dialog mit Bürgern durch provokante Aktionen und aktive Online-Kommunikation zu fördern, um gegen Desinformationen anzukämpfen. (Marc Röhrig, Spiegel)

Solche Verschwörungserzählungen gibt es überall, diese über die SPD (von der ich zum ersten Mal höre) sind dafür nur ein Beispiel. Üblicherweise sind die auch gar nicht so parteipolitisch gebunden (mit der Ausnahme der Grünen, was da an Bullshit-Theorien unterwegs ist geht auf keine Kuhhaut), sondern richten sich allgemeiner gegen "die Politiker*innen" oder "den Staat". Einer meiner Favoriten ist dieser Unfug von wegen "die Geflüchteten bekommen viel mehr als wir Deutsche, die kriegen tolle Wohnungen und Autos". Ich habe echt schon mit Leuten gesprochen die der festen Überzeugung waren, dass Geflüchtete fabrikneue Mercedes vom Staat erhalten würden, mit Geld, das man vorher armen deutschen Hartz-IV-Empfänger*innen gestrichen hätte. Für mich offenbaren solche Verschwörungserzählungen auch eine fundamentale Unkenntnis über die Funktionsweise von Staat, Medien und Demokratie: nicht nur setzen sie immer ein koordiniertes Regierungshandeln über verschiedene Koalitionen und Jahrzehnte hinweg, das der Erfahrung mit realer Behördenkompetenz Hohn lacht, sondern nehmen zusätzlich sämtliche Medien mit ins Boot, die dies decken müssten. Warum genau die Politik bewusst "uns Deutschen" schaden sollte, um "den Ausländern" zu helfen, bleibt dabei immer völlig unerklärt. Solche Logiklücken stören die Erzählung aber auch nicht.

5) COP28: UAE planned to use climate talks to make oil deals

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sollen laut geleakter Unterlagen ihre Rolle als Gastgeber der UN-Klimaverhandlungen (COP28) nutzen, um Öl- und Gasgeschäfte mit 15 Nationen zu besprechen. Die Dokumente zeigten geplante Gespräche über fossile Brennstoffgeschäfte mit Ländern wie China, Kolumbien, Deutschland und Ägypten. Die UN-Organisation, die für den Gipfel verantwortlich ist, betont, dass Gastgeber ohne Voreingenommenheit oder Eigeninteresse handeln sollten. Die VAE bestätigen keine geschäftlichen Gespräche bei der COP28, und private Treffen seien privat. Die Enthüllungen werfen Fragen zur Einhaltung von Verhaltensstandards für COP-Präsidenten auf, da es einen möglichen Interessenkonflikt zwischen den Geschäften der VAE und dem Klimaschutz gibt. (Justin Rowlatt, BBC)

Dasselbe passiert übrigens auch mit Saudi-Arabien, das arme Länder von seinen Öllieferungen abhängig zu machen versucht. Aus ökonomischer Sicht ist es auch wenig überraschend. Die Ressource fossile Brennstoffe ist viel zu wertvoll, als die Länder freiwillig darauf verzichten könnten, sie auszubeuten und maximal gewinnbringend einzusetzen. Die ökonomischen Anreize laufen hier dem Notwendigen zum Überleben der Spezies entgegen. Ich gehe davon aus, dass dieses Problem sich nur auf zwei Arten lösen lässt. Einerseits wäre da der technologische Fortschritt, der die fossilen Brennstoffe überflüssig machen könnte. Nur wird diese Entwicklung nicht schnell genug gehen und wird von den Förderländern, wie wir sehen können, aktiv sabotiert. Bleibt Alternative zwei, die auch Kim Stanley Robinson in "The Ministry for the Future" (hier rezensiert) beschrieben hat: die Förderländer dafür bezahlen, dass sie das Zeug im Boden lassen. Denn sich gegen marktwirtschaftliche Dynamiken zu stellen, halte ich für letztlich unmöglich.

Restrampe

a) Aus Klimagesichtspunkten wird es immer absurder, das Tempolimit nicht einzuführen.

b) Ganz interessante Sicht auf den Ukrainekrieg.

c) Zum Thema Unternehmen Rache: mal wieder eine Überschrift aus der Hölle.

d) Cancel-Culture, FDP-Edition. :D

e) Gutes Interview zum Thema Islamismus und Palästina.

f) Mehr Hintergründe zur italienischen Verfassungsreform: Prize and Premiership.

g) Wenn das Recht versagt.

Noch eine Reihe von Artikeln zur Schuldenbremse:

h) Es braucht ein Sondervermögen Klima.

i) Schuldenbremse und Klimawandel.

j) Wie weiter mit der Klimapolitik?: Es braucht jetzt eine Neuausrichtung.

k) German judges toss a spanner into the government’s spending plans

l) Germany’s overzealous debt brake

m) »Die Schuldenbremse ist eine Verrücktheit«

n) Schreckgespenst Schuldenkrise

o) Adam Tooze bei Anne Will.

Und fertig.

) Schadenfreude ist die schönste Freude.

) The IEA's message to the oil and gas industry: wake up! Siehe auch: Betting on climate disaster. The possible futures of the (US) oil and gas industry.

) Trump's climate plan: Kill us all even faster

) Bundesverfassungsgericht: Wahlrechtsreform von 2020 war verfassungsgemäß

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