Montag, 22. April 2024

Rationierung, Verbot oder Preis?

 

Es ist dieser Tage (hoffentlich) allgemein bekannt, dass die Menschheit durch die Emission von CO2 die Erdatmosphäre aufwärmt und dass diese Entwicklung so bedrohliche Ausmaße angenommen hat, dass Gegenmaßnahmen notwendig sind. Allein, an dieser Stelle hört die Einigkeit auf. Welche Gegenmaßnahmen dies sind, in welchem Umfang und in welcher Geschwindigkeit sie zu erfolgen haben und wer die Kosten dafür trägt, all das ist Gegenstand heftigster politischer Auseinandersetzungen. In den westlichen Ländern hat sich die grundsätzliche Sicht durchgesetzt, CO2 als ein Gut zu betrachten, das künstlich verknappt werden muss, um auf diese Art und Weise die Gesamtemissionen zu reduzieren. Dabei werden vor allem drei Möglichkeiten diskutiert: das Verbot bestimmter CO2-Emissionen (etwa Zulassung neuer Verbrenner, Einbau neuer Gasheizungen, etc.); die Bepreisung von CO2-Emissionen (entweder direkt über eine CO2-Steuer oder über den Umweg sich stets verknappender, gehandelter Zertifikate); und zuletzt die Rationierung, also eine Zuweisung von Emissionszertifikaten. Natürlich gibt es keinen dieser drei Ansätze in Reinkultur und werden kombiniert. Aber es ist nützlich, diese drei Bahnen als Denkrichtungen zu unterscheiden, weil sie jeweils ihre eigenen Logiken und Konsequenzen mit sich bringen.

Auffällig ist auch die Gemeinsamkeit aller drei Ansätze: sie sehen kein direktes, selbstverantwortliches Handeln des Einzelnen voraus. Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit Plädoyers für "Selbstverantwortung" und der Größe der Herausforderung ist das auch kein Wunder. Gleichwohl wird die Klimakrise - und ihre Bekämpfung - noch immer viel in individuellen und moralisierenden Framings diskutiert. Wie Simon Sahner in seinem großartigen Essay zu Nikolaj Schultz schreibt:

Hier zeigt sich noch einmal das grundsätzlich das Paradox: Die Klimakrise muss individuell bekämpft werden und sie kann nicht individuell bekämpft werden. Das bedeutet gleichzeitig, dass die meisten Menschen in Europa schuldig und unschuldig an der Klimakrise sind. In dieser Erkenntnis verbergen sich sowohl Sorge als auch Erleichterung. Vielleicht ist genau das die größte Herausforderung im Umgang mit dieser Krise: Die Gegensätze zu akzeptieren und mit ihnen zu leben ist unumgänglich, denn für die meisten Menschen, die diesen Text lesen, wird die Klimakrise für den Rest ihres Lebens Realität sein – egal, ob wir es schaffen, sie zu bremsen oder nicht. Das heißt, dass wir es schaffen müssen, die Klimakrise als gegeben zu akzeptieren, während wir sie bekämpfen. Die Klimakrise muss Alltag werden und darf es gleichzeitig nicht werden. Wer bei jedem Moment der Bewusstwerdung der Klimakrise in Panik verfällt und sich wie Schultz in Pariser Tropennächten von Schuldgefühlen geplagt im Bett wälzt, wird sich gelähmt fühlen. Wer sich an jedem sonnig warmen Tag zwischen November und März verzweifelt zurückzieht und sich in Schuldgefühlen ergeht, wird der Klimakrise ebenso wenig etwas entgegenzusetzen haben, wie derjenige, der sich nie bewusst macht, worauf diese Tage verweisen. Eben weil die Bekämpfung dieser Krise kein Sprint, sondern ein Marathonlauf ist, muss man mit seinen Kräften haushalten.

Ich gehe davon aus, dass die "Veralltäglichung" der Klimakrise ohnehin kommen wird, ob wir das wollen oder nicht. Es lässt sich überhaupt nicht vermieden. In dem Ausmaß, in dem ihre Auswirkungen bei uns ankommen - ob mittelbar durch Geflüchtete, Lieferkettenstörungen und Ähnliche wirtschaftliche Verwerfungen oder unmittelbar durch Naturkatastrophen -, desto mehr wird sie ein permanenter Bezugsrahmen werden. Das wird auch Änderungen in den moralischen Kodices, nach denen wir leben, zur Folge haben. Die Scham, die manche möglicherweise bereits jetzt ob besonders emissionslastigem Konsumverhalten verspüren mögen, wird mit viel mehr Druck gesellschaftlich durchgesetzt werden, je mehr Menschen davon ausgeschlossen sind. Emissionen werden ein Luxus der Reichen werden, wobei die Frage, wer als "reich" gelten darf, die eine oder andere Person überraschen dürfte, weil sie sinnvoll nur im globalen Maßstab gewertet werden kann. Branko Milanovic versucht sich in seinem Artikel "Climate change, covid and global inequality" an einer Quantifizierung:

Who are the rich, viz. the global top decile?  About 450 million people from Western countries, or the entire upper half of Western countries’ income distributions; some 30-35 million people from both Eastern Europe and Latin America, that is respectively about 10% and 5%  of their total populations; about 160 million people from Asia or 5% of its population; and a very small number of people from Africa.

Und da haben wir die Crux. Rund die Hälfte der westlichen Bevölkerung gehört im globalen Maßstab zu den Reichen und wird am direktesten von der Einschränkung der Freiheit, CO2 emittieren zu können, betroffen sein. Da reich aber immer nur die anderen sind und Einschränkungen des eigenen Lebensstils immer unzumutbar sind, stehen hier massive politische Probleme ins Haus. Genau auf diese zielen die drei skizzierten grundsätzlichen Möglichkeiten ab; sie versuchen, dieses politische Dilemma zu adressieren.

Verbote haben den großen Vorteil ihrer Universalität und Fassbarkeit. Sie sind unmittelbar erlebbar und begreifbar und gelten für alle gleich. Genau das ist natürlich auch ihre große Schwäche: Sie sind in ihrer Urheberschaft direkt zuweisbar, sie sind in ihrer Wirkung empirisch überprüfbar und stellen wie ein Blitzableiter einen Fokuspunkt von Protest und Widerstand dar. Auf der Policy-Seite sind sowohl im Soll- als auch im Habenbereich ihre große Durchschlagskraft zu nennen: was verboten wurde, ist am Stichtag nicht mehr erlaubt und damit verbannt. Das garantiert einen hohen Wirkungsgrad, doch kann sich dieser schnell ins Gegenteil verkehren, wenn Alternativen nicht oder nicht hinreichend vorhanden sind oder wenn unvorhergesehene Sekundäreffekte eintreten (der klassische Fall dürfte die Entstehung organisierter Verbrechenskartelle in der Prohibition sein).

Bepreisungen haben den großen Vorteil, auf wirtschaftliche Mechanismen zurückgreifen zu können. Diese sind für die Verteilung knapper Güter - und genau als solches muss CO2 gesehen werden - prädestiniert und haben sich gegenüber allen anderen Methoden bewährt. Sie erfordern keine aktive Steuerung des Staates und diffundieren die Verantwortung komplett auf die Marktteilnehmenden, jedenfalls in dem Ausmaß, wie die Bepreisung unabhängig vom gesetzten Rahmen verläuft. Die Höhe einer CO2-Steuer oder die Menge verfügbarer CO2-Zertifikate bleibt ja staatlich festgelegt und muss auch staatlich nachgehalten werden, was einen wesentlich höheren Repressionsgrad voraussetzt, als Befürwortende gerne bedenken. Zudem hat eine Verteilung über Geld zwar den klaren Vorteil, die rationale Effizienz von Preismechanismen nutzen zu können; wie jeder Preismechanismus ist sie aber vollkommen blind gegenüber sozialen Härten, die wiederum entweder ignoriert oder von der Politik ausgeglichen müssen würden.

Rationierungen schließlich werden in westlichen Ländern bisher fast gar nicht diskutiert, weil sie mit der realsozialistischen Diktatur einerseits und den Härten des Kriegsalltags andererseits verknüpft sind. Sie haben den Vorteil, ähnlich wie Bepreisungen der harten binären Logik von Verboten (entweder komplett erlaubt oder komplett verboten) zu entgehen und durch künstliche Verknappung Effizienz in der Verteilung zu gewährleisten. Sie bringen allerdings eine wesentlich schwerere Hand des Staates mit sich, eine klarere Wahrnehmung von Verantwortlichkeiten und behandeln alle gleich - was man mit Blick auf die soziale Ausgestaltung als Vorteil sehen kann, was allerdings natürlich einiges der Effizienzvorteile von Bepreisungen nimmt.

Es mag etwas verwundern, Rationierung als dritte Option diskutiert zu sehen. Üblicherweise läuft die Debatte in Deutschland eher zwischen den Polen von Verboten oder Bepreisungen. Ich halte sie aber für ein unterdiskutiertes Mittel, das deutliches Potenzial hat. Wir im Westen sehen es als eine radikale, sogar extreme Maßnahme, weil sie mit Bezugsscheinen des Krieges verbunden ist und für uns die Überwindung der Rationierungssysteme zwischen 1945 und 1955 als so markanter psychologischer Einschnitt existiert. Gleichzeitig besteht natürlich wie auch bei Verboten die Gefahr der Umgehung dieser Maßnahmen. Branko Milanovic schreibt dazu:

Clearly, there may be a black market for gas or meat, but the overall limits will be observed simply because they are given by the total availability of coupons. Some people might think that rationing is extraordinary, and I agree with them. But it has been done in a number of countries under wartime, and at times even during peacetime conditions, and it has worked. If indeed we face an emergency of such “terminal” proportions as the advocates of climate change claim, I do not see any reason why we should not resort to extreme measures.

Er hat hier sicher einen Punkt: wenn die Herausforderung extrem ist - und das ist sie in meinen Augen - dann müssen auch entsprechend umfangreiche Gegenmaßnahmen diskutiert werden. Die Crux liegt in der Größe dieser Beschneidung. Denn daran scheitern ja die bisherigen Versuche, über moralische Appelle und Anpassungen des individuellen Verhaltens Fortschritte zu erzielen: der Veggieday, das Tempolimit, das Böllerverbot oder das 49-Euro-Ticket liefern zwar Beiträge zur Bekämpfung der Klimakrise, sie sind aber in Relation zur Größe der Aufgabe lächerlich klein, während sie gleichzeitig massive Widerstände hervorrufen. Dabei wären wesentlich drastischere Einschnitte notwendig; Milanovic skizziert in seinem Artikel etwa eine Reduzierung des Flugverkehrs um mehr als 60%.

Der Punkt, der mir dabei zu betonen wichtig ist: diese massive Reduzierung ist Gegenstand ALLER Ansätze. Es ist diese Stelle, an der mich die Diskussion ungemein frustriert. Ob wir verbieten, bepreisen oder rationieren ist für das Endergebnis egal: es steht dort eine deutliche Reduzierung. Unterschiedlich ist nur der Weg dorthin und die Konsequenzen für den Alltag. Um kurz beim Flugverkehr zu bleiben: ob ich alle Kurzstreckenflüge verbiete, die Flüge durch Bepreisung von Emissionen deutlich verteuere oder einfach eine Verknappung ansetze und die verbliebenen Flüge als Zertifikate in der Bevölkerung verteile (die dann wieder handelbar sein könnten...) spielt keine Rolle: am Ende gibt es weniger Flüge. Gerade Befürwortende von Bepreisungsansätzen erwecken aber gerne den Eindruck, als würde genau das nicht passieren; die ansgesprochene Verantwortungsdiffusion spielt hier eine zentrale Rolle.

Wenig überraschend argumentieren Ökonom*innen überwiegend für die Bepreisungsansätze. Diese decken sich schließlich mit der Funktionsweise der restlichen Weltwirtschaft. Ihr offensichtlicher Problem aber ist die soziale Ungerechtigkeit. Es kann daher kaum überraschen, dass die Bepreisungsmechanismen in der Bevölkerung wesentlich unbeliebter sind als Verbote, wie jede Meinungsumfrage zuverlässig ausspuckt (aus offensichtlichen Gründen). Denn zwar wird kaum jemand widersprechen wollen, dass Preise ein recht effizientes Steuerungsmittel sind; gleichzeitig wird aber auch kaum jemand widersprechen, dass sie soziale Schlagseiten deutlich verstärken. Bereits jetzt ist die moralische Frage, ob man einen Langstreckenflug auf die Malediven buchen sollte, für mindestens die Hälfte der deutschen Bevölkerung keine relevante: sie können es sich eh nicht leisten.

Das für mich eindrücklichste Praxisbeispiel dieser Ansätze habe ich jüngst in China erlebt. Die Millionenmetropolen Beijing und Shanghai haben beide das Problem aller Millionenmetropolen: hohe Bevölkerungsdichte und ein Bedürfnis nach Mobilität, das in uneingeschränktem Zugang zu Individualverkehr den Kollaps der Verkehrswege zur Folge hätte: zu viele Autos auf (zwangsläufig) zu wenig Straßen. Beide Städte haben daher die Policy, die Zahl der Autos zu deckeln, verwenden aber unterschiedliche Ansätze.

Beijing setzt (als Zentrum der kommunistischen Diktatur wenig überraschend) auf Rationierung: die Menge der Zulassungen pro Monat ist stark begrenzt (auf gerade einmal 6000) und wird unter den über 22 Millionen Einwohnenden einfach verlost. Die meisten Zulassungen gibt es ohnehin nur noch für Elektrofahrzeuge; auf diese Art ist der Anteil der eMobilität wesentlich höher als hierzulande. Die künstliche Verknappung wirkt entsprechend; der Zufallsfaktor macht das Ganze "fair".

Shanghai dagegen fußt seine Politik (als Zentrum der wirtschaftlichen Öffnung und kapitalistische Mustermetropole ebensowenig überraschend) auf Bepreisung: die Zulassungen werden auch hier gedeckelt, in einem Beijing vergleichbaren Ausmaß, aber schlicht versteigert. Auf diese Art kosten Zulassungen oftmals mehr als das Auto selbst (Beträge von 7000 bis 8000 Euro sind die Norm, fünfstellige Beträge nicht ungewöhnlich). Für zahlreiche Menschen sind Autos daher überhaupt keine Option; Besitzer*innen eines Nummernschilds sind von der Sozialhilfe ausgeschlossen, das gleich wie ein Aktiendepot als Vermögen gehandelt wird. Es sollte nicht überraschen, dass dies von der Bevölkerung nicht besonders gemocht wird; die Stadt steht auf dem Standpunkt, dass es das Säckel füllt, was wiederum für den massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrssystems genutzt werden könne (inwieweit das tatsächlich so funktioniert, konnte ich nicht sicher nachvollziehen).

Solche Deckelungen sind für Deutschland bisher völlig unvorstellbar. Wenn man bedenkt, welchen Aufschrei schon die Idee eines Tempolimits oder des Gasheizungsverbots ausgelöst hat, ist eine solche Reduzierung schlechterdings irreal. Allerdings ist sie eine logische Konsequenz aus diesen Ansätzen. Einen ersten Vorgeschmack davon werden wir 2027 bekommen, wenn die CO2-Bepreisung erstmals Zähne bekommt. Einige besonders schlaue Leute, die noch schnell eine Gasheizung verbauen ließen, werden dann ganz schön dumm schauen - und natürlich auf die Politik schimpfen. Im Sinne von Sahners eingangs zitiertem Essay würde diese wohl gut daran tun, sich hier ehrlich zu machen: egal welchen Ansatz wir wählen, so oder so ist die klare Konsequenz ein "weniger". Wie viel weniger, für wen dieses "weniger" in welchem Lebensbereich zutrifft und wie durchdringend das wird, liegt im Ermessens- und Entscheidungsspielraum der Politik. Sicher ist aber: je früher wir diese Debatten führen und je früher wir die Maßnahmen ergreifen, desto weniger durchreifend müssen sie sein und desto mehr Partizipationsspielraum besteht für uns.

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