Dienstag, 14. November 2017

Hyper-Parteilichkeit und Skandale

In den letzten Jahren sind einige heißgeliebte demokratische Lebenslügen zerbrochen. Unter anderem war man lange der Ansicht, dass Skandale für Politiker schädlich, vielleicht sogar karriereendend sind und dass oftmals ein Rücktritt und einige Jahre politisches Exil das einzige Heilmittel sind. Der Aufstieg der Rechtspopulisten weltweit zeigt, wie wenig das tatsächlich gilt. Donald Trump formulierte dies im Wahlkampf 2016 in typischer Direktheit: "Ich könnte mitten auf der Straße stehen, jemanden erschießen und es würde mich keine Wählerstimmen kosten." Seinerzeit lachten viele die Prahlerei noch weg. Inzwischen kann daran eigentlich kein Zweifel mehr bestehen.

Die dahinterstehende Mechanik wird von Politikwissenschaftlern seit längerem mit sorgenfurchter Braue untersucht. Es handelt sich um eine Steigerungsform der schon seit längerem untersuchten Polarisierung westlicher Demokratien (die zugegeben in Deutschland verspätet und mit harmloserem Ausmaß eintraf), die wenigstens im amerikanischen Sprachraum als hyper-partisanship bezeichnet wird, etwa: Hyperparteilichkeit.

Die Idee ist, dass die Loyalität zu einer Partei oder Gruppe alle anderen Themen überragt. Prinzipien, spezifische Politiken (policies), vorherige Aussagen, selbst wirtschaftliche Konsequenzen. Politikwissenschaftler fanden dabei auch verstörenderweise heraus, dass die Meinungsführerschaft von Politikern und anderen prominenten Figuren oder Institutionen auf die eigene peer-group deutlich stärker ist als bisher angenommen. Auf Deutsch: Anhänger einer Partei übernehmen die Meinung der Partei, nicht umgekehrt. In vergleichsweise fluiden parlamentarischen Systemen wie Deutschland ist dieser Prozess dabei nicht so fortgeschritten wie in konfrontativeren Zwei-Parteien-Systemen wie in Großbritannien oder den USA (und, bei den Präsidentschaftswahlen, Frankreich).

Das erklärt auch, wie eine Parteianhängerschaft, die die Bedeutung von religiöser Frömmigkeit als conditia sine qua non behandelte plötzlich einen rassistischen Serienehebrecher und Atheisten zu ihrem Bannerträger machte: er war der neue Teamchef, also fanden die Mitglieder des Teams Gründe, mit denen sie ihre Anhängerschaft weiter legitimieren konnten.

Dieser Prozess findet selbstverständlich auch auf der Linken statt, ist dort aber (aktuell) nicht so prononciert wie auf der Rechten, weil innerhalb der westlichen Linken die Gemäßigten immer noch tonangebend sind. Es darf aber vermutet werden, dass Anhänger der Democrats, die 2016 noch die Ansicht ihrer Bannerträgerin Clinton teilten, dass Medicare für All keine gute Idee sei, problemlos einem hypothetischen Bannerträger Bernie Sanders unter dem vorher abgelehnten Schlachtruf folgen würden.

Auf der Rechten ist der Prozess aber wegen der ungleich stärkeren Radikalisierung (auch die Linke bewegt sich aus der Mitte weg, nur langsamer) wesentlich auffälliger. Innerhalb weniger Jahre, teilweise sogar nur Monate, wurden Figuren wie Nigel Farage, Marine Le Pen, Victor Orban, Donald Trump und andere zu einflussreichen oder sogar führenden Figuren der jeweiligen Rechten.

Besonders prägnant kann dies am Beispiel von Roy Moore beobachtet werden, dem Senatskandidaten für Alabama. Moore, der eine lange Geschichte von Rechtsstaatsverstößen hat und bereits zweimal per Gerichtsbeschluss aus dem Amt befördert wurde (unter anderem aus dem Verfassungsgericht Alabama!), weil er gegen Recht und Gesetz verstieß. Angesichts der Hyperparteilichkeit drohte ihm aus dieser Richtung keine Gefahr - er gewann die Vorwahlen. Nun kam allerdings ans Licht, dass Moore eine ganze Reihe von Sexualstraften gegen Minderjährige auf dem Kerbholz hat, die mittlerweile leider verjährt sind.

Nach den oben angesprochenen Lebenslügen der Demokratie müsste man nun annehmen, dass sich die Wähler in Scharen von Moore abwenden und ihn zum Rücktritt oder einer krachenden Wahlniederlage zwingen würden. Und Wähler wenden sich auch von ihm ab: in aktuellen Umfragen gaben rund 38% an, ihn "weniger wahrscheinlich" wählen zu wollen (was noch nicht heißt, dass sie ihn am Ende nicht mit Bauchschmerzen doch wählen werden), aber 28% gaben an, ihn aufgrund der Vorwürfe "mit höherer Wahrscheinlichkeit" wählen zu wollen! Und das ist, gelinde ausgedrückt, irre.

Man muss sich das vorstellen: ein Kandidat, der von (mittlerweile) fünf Frauen pädophiler sexueller Akte angeklagt wird, wird von einem starken Viertel seiner Wähler nun mehr geliebt als vorher. Das ist nicht das Viertel, das für die Legalisierung der Pädophilie ist. Dieses Viertel ist in den Strudel der Hyperparteilichkeit geraten. Die Anschuldigungen, die selbst die moralisch äußerst flexiblen Republicans im Konress zu entschiedenen Rücktrittsaufforderungen bewegten, werden mit zahlreichen mentalen Tricks für irrelevant erklärt. Da steht Ann Coulter hin und erklären, dass John F. Kennedy ja auch eine Affäre mit einer 19jährigen hatte. Da stehen Evangelikale und erklären, dass Maria ja auch ein Teenager war, als Joseph sie geheiratet hat, und die haben immerhin den Heiland bekommen - eine Aussage, die auf so vielen Ebenen falsch ist, dass man gar nicht weiß wo anfangen. Da stehen republikanische Abgeordnete da und erklären allen Ernstes, dass die Washington Post in einer gigantischen Verschwörung alles erfunden hat. Und so weiter.

Diese Hyperparteilichkeit ist in höchstem Ausmaß schädlich für die Integrität der Demokratie, weil auf diese Art und Weise weder verbrecherisches noch offensichtlich inkompetentes Personal ausgesiebt werden kann. In Deutschland ist dieses Phänomen bisher auf die AfD beschränkt; man erinnere sich, wie anders die SPD vor Kurzem mit Edathy umging. Die Hyperparteilichkeit in diesem Ausmaß ist in den USA aktuell aber auch ein rein republikanisches Phänomen. Das liegt weniger daran, dass die Democrats einfach viel bessere Menschen sind als die Republicans. Ich bin ziemlich sicher, dass sie überwiegend den gleichen Anreizen anheim fallen würden, wenn sie sich acht Jahre lang unter Trump radikalisierten wie ihr Gegenpart unter Obama.

Aber: die Democrats stellen solche Kandidaten nicht auf. Barack Obama führte acht Jahre lang eine von persönlichen Skandalen fast völlig freie Präsidentschaft. Hillary Clintons schlimmste Fehlverhalten betrafen Verstöße gegen Regularien, nicht Sexualstraftaten. Und so weiter. Zumindest aktuell gibt es für Democrats keinen Grund, der Hyperparteilichkeit anheim zu fallen, weil ihre Kandidaten besser sind. In dem Moment, in dem das nicht mehr zutrifft und beide Parteien demselben zerstörerischen Impuls folgen, ist die Demokratie in tödlicher Gefahr. Es steht zu hoffen, dass die Republicans vorher vor dem Abgrund zurückzucken und die Democrats der Versuchung weiter widerstehen werden.

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