Donnerstag, 2. Juli 2020

Trump und Lindner im chinesischen Umfragetief wegen häuslicher Gewalt und KSK - Vermischtes 02.07.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) US v China: is this the start of a new cold war?
The US is demanding that its allies not only admit to previous naivety but join it in an anti-China alliance. China, perhaps less overtly, is lobbying countries to to join its rival power bloc. Many countries are trying to hedge, but the scope for neutrality or non-alignment is narrowing. India, for instance, long proud of what its former national security adviser Shivshankar Menon calls its strategic autonomy, is reeling at the implications of the brutal Chinese clubbing of its soldiers in the Galwan valley, an act Menon regards as unprecedented in its scope and implications for relations between the two neighbours. Menon has long argued that India should eschew permanent alliances: “The ideal position for India, of course, is to be closer to both China and the US than they are to each other,” he says. But as the rhetoric and the threats escalate, it is becoming ever harder to navigate between China and the US in this way. It feels instead as if a new cold war is brewing, fought as much through technology and tariffs as with conventional weaponry. [...] A few years ago, many thought these might be questions for later in the decade. A superpower rivalry had been brewing slowly, after all, under Barack Obama. But it took on a new urgency with the advent of the Trump administration. In the words of one of Donald Trump’s discarded advisers, Steve Bannon, “these are two systems that are incompatible. One side is going to win. The other side is going to lose.” Coronavirus, the Great Accelerator, has brought the issue to a head earlier than expected. According to Kishore Mahbubani, a fellow at the Asia Research Institute, Trump has prepared for this battle chaotically. “The fundamental problem is that the US has decided to launch a geopolitical contest against China, the world’s oldest civilisation, without first working out a comprehensive strategy on how it is going to manage this contest. It is quite shocking. These are not abstract issues for Korea and Japan. America wants them both to decouple from China, but for them that is economic suicide.” (Patrick Wintour, The Guardian)
Wir beschäftigen uns heute in den Fundstücken noch öfter mit China, daher hier erst einmal die grundsätzliche Idee der Machtblöcke in der Region. Das große strategische Problem für die USA ist, dass zwischen ihnen und China ein Ozean liegt. Auch die Nutzung ihrer örtlichen Verbündeten Japan und Südkorea sowie in geringerem Maße Australien kann kein vollwertiger Ersatz dafür sein, dass China nun einmal die beherrschende Regionalmacht ist. Peking baut diese Stellung seit vielen Jahren aggressiv aus, man denke nur an das Aufschütten künstlicher Inseln, um das Völkerrecht auf diese Weise in ihrem Sinne zu biegen. Ich finde allerdings den Vergleich vom Kalten Krieg problematisch, denn um bei der Geographie zu bleiben: Im Kalten Krieg hatten die USA den Vorteil, dass ihre Verbündeten in Europa - vor allem Deutschland und Großbritannien - keine extensiven Handelsbeziehungen zum Ostblock hatten. Korea und Japan dagegen sind wirtschaftlich eng mit China verflochten (wie auch die EU), was die Lage der USA deutlich verkompliziert. Wir kommen später noch auf mögliche Lösungen, aber diese Schwäche der USA wirkt sich schwerwiegend auf Reaktionszeiten und -potenziale aus, vor allem in dem Maß, in dem die chinesische Marine an Stärke gewinnt.

2) Amthor vs. Steinmeier
Ich finde den Kontrast auffällig zur Reaktion auf die Weingeschenke des Rüstungslobbyisten und Waffenhändlers Ahmad El Husseini an Frank-Walter Steinmeier, die wir im vergangenen September aufdeckten. Damals meldete sich ein Politiker der Grünen zu Wort – sonst schwieg Berlin. Von unseren Recherchepartnern Stern und Frontal21 abgesehen griffen andere Medien die Geschichte nicht weiter auf. Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Schließlich war Steinmeier zur Zeit der Weingeschenke Außenminister und genehmigte in diesem Amt Rüstungsgeschäfte, von denen der Lobbyist El Husseini wiederum profitierte. Aufgrund seines Amts steht zudem ein Verstoß gegen das Ministergesetz im Raum – Steinmeier hatte die Geschenke nicht angemeldet. Ich glaube, dass die verhaltene Reaktion auf unsere Steinmeier-Recherche drei Gründe hatte. Erstens griff die AfD die Recherche sofort auf, vermutlich dankbar für jede Ablenkung von ihrem eigenen Parteispendenskandal. Andere Parteien dürften daraufhin gezögert haben, auf den Zug aufzuspringen. Zweitens: Es fehlen Fakten. Wir dokumentierten lediglich die Bestelllisten aus dem Luxuskaufhaus KaDeWe – und haben aber Grund zur Annahme, dass die Weine im Abgeordnetenbüro von Steinmeier auch ankamen. Drittens ist Steinmeier inzwischen Bundespräsident, womit Medien durchaus eine höhere Schwelle an Kritik anlegen. Amthor hingegen ist ein aufstrebender Jungpolitiker, dem viele eine große Karriere zutrauen, der aber auch in den sozialen Medien schon vor der Affäre polarisierte und damit Aufmerksamkeit auf sich zog. Zudem liegen die Fakten über seine Nebentätigkeit durch die Recherche von Der Spiegel auf dem Tisch. (Frederik Richter, Correctiv)
Ich halte diesen Vergleich für an den Haaren herbeigezogen. Die Vorstellung, Steinmeier genehmige Rüstungsexporte, weil er ein bisschen Wein geschenkt bekommen hat, ist absurd. Rüstungsgeschäfte werden in den letzten Jahren generell sehr liberal genehmigt, das ist eine Konstante der deutschen Außenpolitik in den Merkel-Kabinetten (und keine, die man besonders positiv sehen muss). Das gilt, gleich wer die entsprechenden Schaltstellen besetzt hält. Sigmar Gabriel hält den traurigen Rekord der genehmigten Rüstungsgeschäfte mit irgendwelchen Diktaturen, aber vorherige Entscheider waren da nicht viel wählerischer. Auch das Argument, die AfD hätte den Skandal quasi "verbrannt", ist Quatsch. Die BAMF-Affäre wurde auch nicht kleiner, weil die AfD sie gepusht hat. Das ist einfach nur Propaganda. Punkt zwei ist der entscheidende: Es gibt keinerlei Beweise für irgendwas, nur das Raunen irgendwelcher Rechtspopulisten. Unfug wiederum ist die angeblich höhere Hürde, die beim Bundespräsidenten angelegt würde. Darf ich an Christian Wulff erinnern? Was für ein blödsinniger Artikel.

3) China and the Trans-Pacific Partnership: In or out?
With the United States on the CPTPP sidelines, a Chinese application to join the club would put other CPTPP countries in an awkward position. Most CPTPP countries would not want to say “no” to China given their dependence on the Chinese economy but also would not want to say “yes” given the likely US reaction. As Singapore Prime Minister Lee Hsien Loong wrote in a Foreign Affairs op-ed, Asia-Pacific countries do not want to choose between the United States and China; they want to cultivate good relations with both. Thus, a push by China to join the CPTPP would put a real squeeze on existing members. US allies would probably try to string out negotiations with China and escalate efforts to get the United States back in the CPTPP. US presidential candidate Joe Biden said that he would consider US participation in the TPP if the terms were revised. In fact, some of the issues that the Democrats objected to, and that led the Obama administration to delay bringing the deal to Congress, have been expunged from the revised CPTPP, including investor-state dispute settlement and data exclusivity for biologic drugs. CPTPP members may warmly welcome the return of the United States and likely would accept further changes, for example, on digital trade and labor and climate issues, to make the deal attractive to a Biden administration. If the United States rejoins the CPTPP in 2021 or 2022, American officials could block efforts to water down CPTPP standards and would have a veto on Chinese entry terms. From the US perspective, that is clearly the best policy. From the Chinese perspective, a decision by the next US administration to ignore the CPTPP would offer an opening for China to negotiate the terms of entry—and solidify Beijing’s position as the dominant economic player in Asia. (Zhiyao (Lucy) Lu, Peterson Institute for International Economics)
Es ist das Problem mit Trumps Außenpolitik, dass er zwar den richtigen Instinkt gegenüber China hat - ein potenziell schädlicher Einfluss - aber so unglaublich falsche Instinkte dabei, wie man hier am besten vorgeht, so irre wenig Sachkenntnis und dazu einen pathologischen Obama-Hass. Denn Obamas "pivot to Asia" hatte die Herausforderung durch China bereits klar als größte außenpolitische Aufgabe der USA erkannt, und das TPP-Handelsabkommen wies eindeutig in eine vernünftige strategische Richtung. Stattdessen entkoppelte Trump sich völlig von der Region und versuchte Schutzgeld von Korea und Japan zu erpressen. Die Folge ist, dass zu der in Fundstück 1 beschriebenen geographischen Distanz zwischen Südostasien und den USA nun auch noch eine politische kommt. Mit so unberechenbaren "Partnern" ist es sinnvoller, sich mit China gutzustellen. Genau das sehen wir gerade. Es ist ein geopolitisches Desaster.

4) What If I Told You Joe Biden Is Actually Running a Great Campaign?
For all the derision that has surrounded Biden’s generally low profile, it is the broadly correct move. Trump is and always has been deeply unpopular. He managed to overcome this handicap in 2016 because Hillary Clinton was also deeply unpopular, though somewhat less so, and turning the election into a choice allowed anti-Clinton sentiment to overpower anti-Trump sentiment. The fact that Biden has attracted less attention than Trump is not (as many Democrats have fretted) a failure. It is a strategic choice, and a broadly correct one. Second, Biden’s isn’t just hiding out. He is doing some things. He has delivered speeches, given interviews, and met with protesters. These forums have tended to display his more attractive qualities, especially his empathy. Only one of them (his Breakfast Club interview) yielded a major gaffe. And third, Biden has managed to communicate a coherent campaign theme. This is often a challenge for Democrats, who usually want to change a whole bunch of policies (health care! environment! progressive taxation!) that resist a simple unifying slogan. But Biden has been able to carry forward the message he used to start his campaign, which he built around Trump’s shocking embrace of racist supporters at Charlottesville, into a promise of healing racist divisions. Biden surely benefitted from good luck, in that he chose a theme more than a year ago that happened to anticipate the current massive social upheaval. But it wasn’t just luck to predict that Trump’s divisive racism would continue to flare up. Instead, pundits have repeatedly predicted that Trump would use Nixonian law-and-order themes to rally a silent majority against Black Lives Matter protests. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Ob Joe Biden einen großartigen Wahlkampf macht oder nicht ist die falsche Frage. Wahlkampfstrategien sind immer Wetten darauf, welche Koalitionen am Wahltag die relevanten sein werden und was ihre Wahlentscheidung motiviert. Clintons Wahlkampf 2016 setzte darauf, dass die Abneigung gegen Trump genügend republikanische Wähler in die Arme einer moderat progressiven, aber offensichtlich kompetenten Alternative treiben würde. Das stellte sich am Ende als unerfolgreich heraus. Joe Bidens Wette ist, dass Trump alle Aufmerksamkeit in negativer Weise auf sich zieht und deswegen alle Unzufriedenen ihre Wünsche auf Joe Biden projizieren können, der quasi Schrödingers Kandidat ist. Das kann klappen oder auch nicht. Aktuell ist es eine Wette, genauso wie Trumps Strategie, die Wählerschaft so stark wie möglich mit rassistischer Identitätspolitik aufzuheizen und so an die Wahlurnen zu motivieren, eine Wette ist. Einer von beiden wird am Ende falsch liegen. Wer das sein wird, ist völlig unklar, einfach weil wir Anfang Juli haben und im November gewählt wird. Da kann noch viel passieren. Jede Analyse, die das aktuell bewerten will, ist daher ein fool's errand. Biden hat eine Strategie, und die zieht er durch. Nicht mehr, nicht weniger.

However, that may be changing. America is in the grips of a world-historical crisis. It will need a stupendous amount of work to even get back to the pre-coronavirus status quo, let alone address other festering disasters like police brutality, extreme inequality, climate change, and so on. It will be all but impossible to fix this country with Republicans able to jam up the wheels of government whenever they want. Thus as Ed Kilgore writes at New York, previous stalwart defenders of the filibuster, like Sen. Chris Coons (D-Del.), are beginning to change their tune. Coons, a close Biden ally, told Politico this week: "I will not stand idly by for four years and watch the Biden administration's initiatives blocked at every turn... I am gonna try really hard to find a path forward that doesn't require removing what's left of the structural guardrails, but if there's a Biden administration, it will be inheriting a mess, at home and abroad. It requires urgent and effective action." Meanwhile, the movement for D.C. statehood has gotten fresh momentum lately. The House is expected to pass a bill granting statehood on Friday, and while it will certainly not be passed by the Senate or signed by Trump, it could be if Biden wins, Democrats take the Senate, and they abolish the filibuster. Even moderate Democratic elites are getting behind this move. The most important consequence would obviously be to provide congressional representation for the roughly 700,000 Americans who are currently treated like quasi-colonial subjects, but of course it would also add two Senate seats that would be safely Democratic and help redress that chamber's partisan skew somewhat. Adding Puerto Rico as a state as well (so long as its residents agree) would help even more. Democrats have often been queasy at the prospect of doing what is both morally right and helps them politically — as if it's somehow illegitimate to enfranchise your own voters, or provide benefits for them. (Republicans, of course, think nothing of outright cheating by disenfranchising Democratic constituencies — indeed, it has become their key strategy for holding power.) But the plain fact is that the United States simply cannot afford another presidential term of do-nothing legislative gridlock. As historian Patrick Wyman writes, Trump's smoking ruin of a presidency has compounded a generation of previous mistakes and atrocities that now have us dangerously close to a full-blown crisis of legitimacy. Other countries in similar straits have seen mass political violence, civil wars, or simply fallen to pieces. If Democrats don't want to oversee the demise of the American republic, they better choose to govern, and fix the Senate. (Ryan Cooper, The Week)
Ich hoffe, dass sich bei den Democrats wirklich langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass sie strukturell von den Republicans an die Wand gespielt worden sind. Es ist völliger Blödsinn, es als gottgegebenes Fakt anzunehmen, dass sie 5% mehr Stimmen als die GOP gewinnen müssen, nur um gleichzuziehen. Das ist schlichtweg undemokratische Verzerrung. Gleiches gilt für die lächerliche Überrepräsentation leeren Landes im Senat gegenüber den Orten, an denen tatsächlich Menschen wohnen. Allein diese wahlrechtlichen Dynamiken müssen von der Partei angegangen werden, mit einem konzisen Plan. Gleiches gilt für die Judikative. Man hat sich die im Endeffekt stehlen lassen, und es wird Zeit, dass die Democrats endlich anerkennen, dass ihre Gegner sich nicht an Regeln halten. Ständig die andere Wange hinzuhalten in der Hoffnung, die Wähler mögen es gouttieren, funktioniert offensichtlich nicht.

Die Kolumne erschien nicht im luftleeren Raum. Der ganz konkrete Anlass war: rassistisch motivierte Polizeigewalt in Deutschland, relative Straffreiheit und rechtsextreme Strukturen innerhalb der Staatsorgane. Also wer betreibt hier eigentlich Identitätspolitik: staatliche Organe, die offen zugeben, racial profiling zu betreiben? Oder Linke, die darauf beharren, das zum Thema zu machen? [...] Die ganz besondere Pointe an diesem Text ist, dass er den Rassismus nicht nur benennt und verarbeitet, sondern auch zum Vorschein bringt. Identität spielt in der Kolumne überhaupt keine Rolle. Es waren dann viele, viele Kritiker*innen, die das in die Diskussion eingebracht haben; mit genau dem Move, den sie selbst gleichzeitig geißeln. Satirischer als die Kolumne sind all die halbgaren Solidarisierungen, die keine sein wollen, von Leuten, die einst mit Inbrunst das französische Satireblatt »Charlie Hebdo« und die dänische Tageszeitung »Jyllands-Posten« (die 2005 die sogenannten Mohammed-Karikaturen publizierte) verteidigt haben. Sowas kannste dir echt nicht ausdenken. (Frédèric Valin, Neues Deutschland)
Ich weise immer wieder darauf hin, dass diese ganze Debatte völlig schief ist. Identitätspolitik wird von jedem und immer betrieben, aber es ist eben ein sehr erfolgreicher politischer Angriff, der seitens des konservativen und rechten Spektrums benutzt wird. Das ist auch kein Problem, das gehörte schon immer zum Repertoire. Nur wird so getan, als ob es nur eine Seite mache und es irgendwie igitt sei, was an der problematischen Vorstellung liegt, man selbst sei der Standard und stehe darüber, weswegen dann auch immer aggressiv reagiert wird, wenn man darauf hingewiesen wird. Gleiches gilt für die Beschwörung von Meinungs- und Pressefreiheit. Noch der größte Müll aus Pegida- und AfD-Kriesen wurde als unbedingt notwendige Auseinandersetzung mit den Themen und Leuten beschworen. Aber vom Chefredakteur der Cicero über den Vorsitzenden der Werteunion, zum Innenminister, zu Ulf Poschardt, als ein beknackter Artikel der anderen Seite das Thema war, waren die vormaligen Verteidiger der Presse- und Meinungsfreiheit vor allem mit Häme, Vernichtungswünschen oder gar offener politischer Gewalt (im Falle Seehofers) zur Stelle.

7) Why almost no conservative criticism can harm Trump
But Trumpsters, in general, are not interested in qualified or contingent support. They don’t want to be told that there is a case for Trump as the lesser evil. They demand total loyalty, loud enthusiasm, a readiness to shift your own views whenever the president shifts his. Hence, I suspect, the disproportionate rage directed at the handful of politicians and commentators who, sticking to what was an almost universal conservative position before and during the 2016 primaries, keep their distance from the White House. These figures — Joe Scarborough, Jonah Goldberg, Bill Kristol, Jay Nordlinger, Mitt Romney, David French — are so few that they hardly represent a threat. If Bolton really is “a disgruntled boring old fool," he is hardly going to swing the November election. My hunch is that anti-Trump conservatives are the bad conscience of the wider movement, that they force others to acknowledge trade-offs that they would rather not think about. To put it another way, they are living reminders of what the Republican Party used to be until four years ago. No wonder they get so much flak. (Dan Hannan, Washington Examiner)
Ich hatte die Diskussion über diesen Artikel bereits mit Der Wächter auf Twitter, aber hier noch mal die Kurzform: Four years ago? Sorry, Leute, aber die Fäulnis in der republikanischen Partei geht wesentlich tiefer zurück als vier Jahre. Ich habe darüber ausführlich geschrieben. Das ist problematisch, weil es zu der Idee führen könnte, dass Trump die Wurzel allen Übels ist und dass man quasi nur ihn abwählen müsse, um es zu lösen. Aber das ist es nicht, und es wäre sehr gefährlich, das anzunehmen. Auf der anderen Seite, und das war Wächters Punkt, ist es natürlich wichtig, potenzielle Verbündete nicht zu vergraulen und Konvertiten gegenüber offen zu bleiben. Das ist absolut richtig, und ich bilde mir ein, hier auch fair zu sein (siehe Frum, Nichols, Wilson et al). Aber mit Bolton sucht sich Wächter den falschen Angeklagten aus. Nicht nur ist Bolton eine geradezu karikaturhafte Übersteigerung des Neocon, den uns gerade Trump vom Hals schaffen sollte (wenn man seinen idiotischen linken Verteidigern wie Jakob Augstein zuhört); er diente Trump auch als Sicherheitsberater und war SCHLIMMER als die wandelnde Katastrophe im Oval Office. Zudem war sein Verhalten während des Impeachment-Prozesses absolut indiskutabel. Bolton ist der falsche Mann, um hier ein solches Argument aufzumachen. Er gehört in den Orkus des Vergessens gestoßen, und die Aussicht, dass er jetzt als Bestsellerautor Millionen aus seiner Quisling-Karriere macht, bereitet mir Magenschmerzen.

Einen Schwerpunkt bei der Extremismusabwehr bildet dabei nach wie vor das KSK, wo wir weiterhin rund 20 Personen bearbeiten. Hier ist es uns gelungen, Schritt für Schritt durch stille Operationen mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Auch wenn wir mit unserer Arbeit noch nicht am Ende sind, wurden in zahlreichen Fällen personelle und disziplinare Maßnahmen ergriffen, die von der Versetzung aus dem KSK bis zur Entlassung aus der Bundeswehr reichen. Spektakulär war der Munitions-und Waffenfund bei einem KSK-Angehörigen vor einigen Wochen. Auch wenn jetzt die Strafverfolgungsbehörden am Zuge sind, ist unsere Operation nicht abgeschlossen. Vor allem interessiert uns natürlich die Frage, ob es Mitwisser oder gar Mittäter gab. Die neue Dimension des Rechtsextremismus begründet sich in der Bundeswehr aber auch daraus, dass wir gerade im KSK nicht nur von Einzelfällen ausgehen können. Eine Untergrundarmee haben wir bislang zwar nach wie vor nicht entdeckt, aber Beziehungsgeflechte – oder wenn sie so wollen Netzwerke bzw. Strukturen – mit unterschiedlicher Qualität finden wir sehr wohl. (Thomas Wiegold, Augen Geradeaus)
Wenn ich mich an die engagierte Widerrede Stefan Pietschs zu eben dieser Problematik in den vergangenen Jahren erinnere, bleibt eigentlich nur der Verdacht, dass der MAD irgendwie zu einer linksradikalen Spinnerorganisation geworden ist. Oder man erkennt halt endlich an, dass vielleicht - vielleicht - doch etwas dran ist an dem strukturellen Rechtsextremismusproblem. Inzwischen haben das ja selbst wirklich sehr bundeswehrnahe Personen eingesehen.

9) Stadt in Angst
Nach außen inszeniert sich die KP als Anhängerin von internationaler Zusammenarbeit und Multilateralismus, sogar als Freund Europas. Peking weiß, was seine europäischen Partner hören wollen. Doch spätestens seit Xi chinesischer Präsident ist, hat es Europa mit einem anderen Partner zu tun. Das neue China ist nach innen und außen aggressiv wie nie: die Masseninternierung von Muslimen in Westchina. Tibet. Die Gängelung anderer Länder, das aggressive Verhalten im Südchinesischen Meer, Drohungen Richtung Taiwan. Hinzu kommt die mangelnde Transparenz im Umgang mit dem Coronavirus. Europas Schwäche ist zum Teil eine Folge dieser Politik. Gezielt hat Peking die europäische Einheit mit seinen Staatsinvestitionen, bilateralen Deals und Dialogforen unterwandert. Peking spürt nun Gegenwind. Das ist der Grund, warum es Kritik an seinem Auftreten als "antichinesisch" bezeichnet oder als "Kalter-Krieg-Mentalität". Doch nicht das Ausland oder die USA sind die Treiber hinter der Entfremdung. Chinas Öffnung ist seit Jahren nicht voran gekommen. Europäische Firmen dürfen bis heute zum großen Teil nur in Bereichen investieren, in denen chinesische Firmen die Marktmacht haben oder es nichts mehr zu gewinnen gibt. Chinas digitales System ist abgeschotteter denn je. Visa werden nur noch selektiv vergeben. Peking fordert Offenheit von anderen. Selbst nimmt es sich, was es will. Verträge, internationales Recht, Regeln und Standards, das alles ist nur etwas wert, wenn es dem Regime nutzt. Der Versuch, die aufsteigende Wirtschaftsmacht einzubinden, war richtig. Er ist aber gescheitert. Es ist Zeit für eine ehrliche Bilanz. Und klare Konsequenzen. (Lea Deuber, Peking)
Und noch einmal China. Die Vorgänge in Hongkong sind beunruhigend genug, aber die Nachrichten, die aus dem abgeschirmten Westen des Landes bezüglich des Genozids an den Uiguren kommen, sind mehr als bedrückend. Die jüngste Schreckensnachricht ist, dass ganze Ladungen voll Menschenhaars aus den Konzentrationslagern an die Industrie weitergegeben werden, was aus deutscher Perspektive besonders erschütternd sein sollte. Es steht zu hoffen, dass der "Gegenwind", von dem im Artikel gesprochen wird, mehr als ein laues Lüftchen ist. Ich sehe allerdings nicht wirklich, wie China Einhalt zu gebieten wäre. Nicht nur seine aggressive, expansionistische Außenpolitik ist Anlass zu großer Sorge, auch der Umgang mit Minderheiten und der eigenen Bevölkerung wäre Anlass für Intervention. Aber die Machtstellung des Landes und seine herausragende wirtschaftliche Bedeutung für den Westen machen das mehr als unwahrscheinlich. Es ist äußerst deprimierend, und wahrlich keine schöne Aussicht, dass China in den nächsten beiden Dekaden rapide an Einfluss gewinnen wird. Wir werden uns noch sehnlichst die Tage des so harsch kritisierten "US-Imperialismus" zurückwünschen...

10) Häusliche Gewalt in Berlin um 30 Prozent gestiegen
Zum Höhepunkt der Lockerungen im Juni 2020 habe die Gewaltschutzambulanz zum Beispiel einen Anstieg von 30 Prozent der Fälle im Vergleich zum Juni 2019 verzeichnet. Die Zahl der Kindesmisshandlungen sei im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Fünftel gestiegen (23 Prozent). [...] Zunächst hatten die Behörden während des Lockdowns weniger Fälle registriert. Das habe aber daran gelegen, dass kaum jemand vor die Tür gegangen sei. Mit den Lockerungen seien die Fallzahlen sofort in die Höhe geschnellt. (dpa, Tagesspiegel)
In unseren Artikeln zu Corona im Frühjahr hatten Ariane und ich diese Entwicklung auch schon prophezeit. Solche Zeiten bringen das schlechteste im Menschen hervor, und da das Thema häusliche Gewalt und toxische Maskulinität ohnehin genauso wie der aktuell hervorbrechende strukturelle Rassismus zu den Themen gehört, die in Deutschland sehr ungern diskutiert werden, gab es auch kaum Problembewusstsein und noch weniger Hilfs- und Lösungsangebote.

11) Intellektuell blank
Möglicherweise liegen die Ursachen der liberalen Existenzkrise ganz woanders. Vielleicht wiegt die intellektuelle Leere, die sich rund um die FDP ausgebreitet hat, schwerer als alle politischen Versäumnisse und strategischen Fehler der vergangenen Jahre. Die besten Ideen nützen schließlich nichts, wenn sie sich nicht zu einer populären Erzählung zusammenfassen lassen. Nicht bunte Werbeslogan und auch nicht Schwarz-Weiß-Bilder mit Drei-Tage-Bart generieren Gestaltungsmacht. Wer politisch wirksam sein will, muss die Gesellschaft durchdringen. Die Grünen, der ewige Widerpart der FDP, sind nicht deshalb wesentlich erfolgreicher, weil Parteichef Robert Habeck der schönere Cover-Boy ist, sondern weil die grüne Erzählung anders als die liberale populär ist. Grüne Politik hat ein Ziel, die Energiewende zum Beispiel. Forschende diskutieren darüber, Thinktanks unterstützen das Projekt. Die Grüne Jugend mobilisiert den Protest gegen die fossile Energiegewinnung auf der Straße. Man muss die Ziele der Grünen nicht teilen, aber wer sich fragt, warum die eine Oppositionspartei in der aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach bei 18,5 Prozent steht und die andere bei 4,5 Prozent, warum die Grünen ihren Wähleranteil seit der Bundestagswahl 2017 mehr als verdoppelt haben und die FDP ihren im selben Zeitraum halbiert hat, findet hier eine Antwort. Die Grünen wollen das 21. Jahrhundert zum ökologischen Jahrhundert machen. Und was will die FDP? In diesen Tagen hat Christian Lindner der Rheinischen Post ein Interview gegeben. "Mein Ziel ist es, die FDP in Regierungsverantwortung zu führen und etwas für das Land zu bewirken", sagt er darin. Und dann? "Mehr Chancen durch mehr Freiheit", so ist das gerade überarbeitete Leitbild der Partei überschrieben. "Umfassende gesellschaftliche und politische Herausforderungen wie der Klimawandel, das Erstarken der politischen Ränder aber auch die Corona-Pandemie wollen wir (…) mit unseren Konzepten bewältigen", heißt es darin und weiter: "Mit weltbester Bildung, Selbstbestimmung für Jeden und Chancen auf Vorankommen durch eigene Leistung." Geht es noch etwas konkreter? "Durch die Gestaltung fairer Spielregeln für Alle: In einem Rechtsstaat mit Sozialer Marktwirtschaft, starken Bürgerrechten und einem handlungsfähigen Staat." Wie eine liberale Idee, die angesichts der Bedrohung der Demokratie durch autoritäre politische Führer und angesichts eines außer Kontrolle geratenen globalen Kapitalismus die Massen ergreifen könnte, klingt das nicht. (Christoph Seils, ZEIT)

Ich bin immer etwas skeptisch, wenn Kritik an der FDP sich auf die Freiburger Thesen beruft; das sind mittlerweile etwas olle Kamellen. Aber die grundsätzliche Beschreibung der Problemlage der FDP ist sicherlich nicht komplett falsch, auch wenn ich denke, dass sich ihre Lage diesbezüglich nicht sonderlich von der LINKEn unterscheidet. Die Unterschiede zwischen den Umfrageergebnissen dieser Parteien können nicht ausschließlich in der linken Stammwählerschaft und ihrer Loyalität zu suchen sein. Ich denke auch nicht, dass die FDP grundsätzlich ideenlos ist. Klar haben sie sich auf den Personenkult um Christian Lindner konzentriert, aber das war eine Strategie, die sie triumphal zurück in den Bundestag brachte. Ich halte es für schwierig, das grundsätzlich zu verdammen. Die Probleme fingen ja erst deutlich später an, um 2019 herum und seit Corona mit unverminderter Wucht. Aber die Wurzeln liegen eben schon vor Corona, denn sonst sollte die FDP nicht so tief fallen, wie sie das gerade tut. Meine These wäre, dass die FDP eher zu viele Ideen als zu wenig hat. Lindner hat sich 2017 als Personifizierung der Modernisierung Deutschlands wählen lassen; Digitalisierung und Bildung waren seine großen Themen, dazu noch ein wenig unappettitliches Blinken nach rechts, um vielleicht ein paar enttäuschte CDU-Wähler abzufangen. Das war erfolgreich. Aber seither ist mit Bildung und Digitalisierung nicht mehr viel, was sicherlich auch darin begründet liegt, dass die Regierungsbeteiligung ausgeschlagen wurde - im Rückblick sicherlich wenigstens ein taktischer Fehler, der die Partei schwer kostet. Aber seither ist Lindner zwar immer präsent und gegen was auch immer die Regierung gerade tut, aber sonderlich viel Konsistenz außer dem Versuch, mit maximalem Lärm die Oppositionsführerschaft zu übernehmen - angesichts der taktischen Zurückhaltung der Grünen und der praktischen Irrelevanz der LINKEn ist sie da auch nur mit der AfD in Konkurrenz, was weder Lindner und der Partei gut tut. Aber "was auch immer Merkel gerade macht, nur das Gegenteil" ist natürlich nichts, woraus sich eine sonderlich gute Erzählung entwickeln ließe. Dazu kommt eine mangelnde Machtperspektive durch die Ablehnung von Jamaika, die Linder inzwischen ja sogar wieder zurückgenommen hat - ohne eine Erklärung, warum die Koalition 2017 falsch regieren wäre, aber 2021 nicht.

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