Mittwoch, 6. September 2023

Rezension: Adrian Daub - What Tech Calls Thinking (Teil 1)

 

Adrian Daub - What Tech Calls Thinking (Hörbuch)

Festzustellen, dass die großen Techkonzerne von Silicon Valley eine unglaublich große Rolle in unserem Alltag haben, ist wahrhaftig keine überragende Erkenntnis. obwohl Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Bill Gates und wie sie alle heißen allseits bekannte Figuren sind, ist weitgehend unergründet, wie sie denken und wer ihre großen Einflüsse sind. Adrian Daub von der Stanford-Universität in Kalifornien ist schon allein wegen der räumlichen Nähe zum Silicon Valley ein einleuchtender Kandidat dafür, das etwas näher zu untersuchen. In „What Tech Calls Thinking“ geht er diese Ideengeschichte des Silicon Valley nach, ohne dass man ihn - der Titel verrät es schon ein wenig - allzu großer Sympathie beschuldigen dürfte.

Das Problem des Untersuchungsgegenstandes macht Daub gleich zu Beginn im Vorwort deutlich. Die Betrachtung des Tech-Sektors wird meistens auf die großen, schillernden Figuren, wie ich sie auch eingangs aufgelistet habe, reduziert. Wie die große Masse der Beschäftigten im Silicon Valley denkt ist bislang komplett unerforscht. Die entsprechende soziologische Untersuchung, so Daub, muss erst noch geschrieben werden. Daub selbst allerdings überlässt diese Aufgabe anderen und bleibt bei den großen, bekannten Figuren. Eigentlich ein Text über geht, formuliert er noch zwei Thesen: das wäre einerseits die Bedeutung des College Dropouts als beherrschender Mythos und andererseits die Wurzeln des Tech-Denkens in der Counterculture der 1960er Jahre.

Den ersten Teil dieser Thesen beginnt er im Kapitel 1, „Dropouts“, zu erforschen. Er stellt fest, das viele der Gurus des Silicon Valley, etwa die Venturkapitalistin Elizabeth Holmes, in Ihrer Selbstdarstellung gerne den Collegedropout als elementaren Teil ihrer Unternehmendenkarriere darstellen, indem sie den persönlichen Einsatz für das jeweilige Unternehmen betonen. Daub Durchlöchert diesen Mythos aber sofort, indem er völlig zu Recht darauf hinweist, dass für diese Personen der Dropout keinerlei persönliches Risiko darstellte.

Stattdessen stellt er die These auf, dass die Techkapitalist*innen das College vielmehr als eine Art ersten Job sähen, indem man einige wertvolle Fertigkeiten erwerbe und dann, wenn man eine wahrgenommene Grenze erreicht hat, zu einem neuen Job wechselt - ganz so, wie ist die Lebensläufe dann später für die Unternehmen, in denen diese Leute arbeiten, widerspiegeln. Für Daub Ist diese Sichtweise auf das College allerdings ein grundsätzliches Problem, weil sie nicht die eigentliche Erfahrung des Studiums erlaube, das wesentlich ganzheitlicher angelegt sei. Stattdessen wird man einigen Ideen ausgesetzt und nimmt diese vielleicht auch auf, allerdings ohne die Tiefe, die ein echtes Studium mit sich bringen würde.

Das Missverständnis, dass der Dropout eine Kritik am universitären Umfeld wäre, räumt Daub direkt aus. Dies wird zwar oft zu rezipiert, würde von den Dropouts selbst aber nicht so gemeint sein. Vielmehr zeigten die Arbeitsumfelder, in die diese dann wechseln, eine tiefe Verbundenheit mit dem akademischen Umfeld: vom Google Campus zu Mark Zuckerbergs an eine WG erinnernde erste Kommandozentrale von Facebook würden die späteren Unternehmen bewusst oder unbewusst an Universitäten ausgerichtet. Auch würde das Prestige der Eliteuniversitäten und des Studiums generell stets benutzt. Der Dropout sei vielmehr eine Marketingmaßnahme: so etwa wird über Elizabeth Holmes‘ Zeit in Stanford wesentlich mehr gesprochen, weil sie das Studium dort abgebrochen hat, als wenn sie es regulär zu Ende gebracht hätte.

Zuletzt untersucht Daub das merkwürdige Verständnis der ersten Person Plural dieser Dropouts: Sie verwenden unglaublich gern diese Pluralform, meinten damit allerdings stets „Leute wie ich“. dies sei sehr gut ein Unternehmen wie Lyft, Uber und so weiter feststellbar, die alle eine vergleichsweise hohe Eintrittsschwelle besitzen und sowohl für wenig techaffine als auch begüterte Menschen unerreichbar seien.

Kapitel 2, "Content", taucht tiefer in die Counterculture ein. Der Denker, den Daub uns jetzt vorstellt, ist Marshall McLuhan. Er war einer der ersten Medienwissenschaftler und formulierte die einflussreiche Idee von „das Medium ist die Botschaft“. Auch die Idee des „global village“ und der Begriff des „Surfens“ sind von ihm - wohlgemerkt in den 1960er Jahren! McLuhan kokettierte stets damit, falsch verstanden zu werden, und schrieb seine Texte voller Anspielungen, intertextuelle Bezüge und Fremdworte. Auf diese Art und Weise wurde er zu einer Projektionsfläche, auf die man alle möglichen Vorstellungen anwenden konnte und sich zugleich auf einen großen Denker berufen.

Dadurch wurde McLuhan zu einer Art enfant terrible seiner Zunft und verkörperte eine Anti-Establishment-Haltung, die auf die Counterkulture natürlich unglaublich attraktiv wirkte. Die zentrale Botschaft McLuhans, dass das Medium die Botschaft sei, war eine bewusste Abkehr von der Literaturwissenschaft, die üblicherweise ja den Inhalt große Bedeutung beizumessen pflegt. Stattdessen legte er das Gewicht auf das Medium: er erklärte, das dieses gewaltigen Einfluss auf die Art unseres Inhaltskonsums besitze. Es macht einen Unterschied, ob man eine Geschichte liest oder ihre Verfilmung ansieht.

Daraus leitete sich die Vorstellung ab, dass der Inhalt komplett unwichtig sei. Wer verstanden habe, wie das Medium funktioniert, war allen anderen Gesprächspartner*innen sofort überlegen. diese scheinbare intellektuelle Überlegenheit ist natürlich für junge Menschen generell attraktiv, für die Counterculture aber im Besonderen. Sie war ungeheuer misstrauisch gegenüber der neuen Technologie des Fernsehens und gegenüber der Werbung, weil diese direkt zum Establishment gehörten und von ihm kontrolliert wurden. McLuhan bot daraus einen Ausweg: mit dem einzigartigen Verständnis des Mediums konnte man es einerseits „verbessern“ und andererseits gegen seine Besitzenden wenden.

Auf diese Art wurde die Counterculture zu einem Spiegelbild der Konservativen: wo diese die Gegenwart schlecht fanden und eine goldene Vergangenheit beschworen, fand sie die Gegenwart schlecht und beschwor eine goldene Zukunft, in der alles besser werden würde. Das enthob die späteren Tech-Gurus auch gleichzeitig von jeder Verantwortung für ihre Erfindungen, weil es aus dieser Medientheorie eine systemische Notwendigkeit ableitete. Wenn allerdings etwas systemisch ist, bin ich selbst nicht verantwortlich.

Auf diese Art wurde auch jede Art von der Schaffung von Inhalten abgewertet. Die neuen Plattformen betrachten Content als reine Füllmasse und bezahlen diejenigen, die ihn bereitstellen, oftmals nicht einmal. Ein spannender Nebeneffekt dieser Entwicklung ist, dass die Erschaffung von Content, früher eine männliche Domäne, dadurch zunehmend verweiblicht wurde. Die Counterculture war aber auch jeher eine männliche Domäne gewesen. Ein weiterer Aspekt dieser Entwicklung war, dass die neuen Plattformen sich als für den Content nicht verantwortlich gerierten. während eine Zeitung für das, was sie druckt, verantwortlich gemacht werden kann, gilt das für Veröffentlichungen auf Facebook, Twitter oder Wordpress dezidiert nicht. Die Zerstörung alte Strukturen ist so auf zahlreichen Ebenen verantwortungsfrei.

Ein in Tech-Zirkeln allgegenwärtiger Begriff wird in Kapitel 3, "Genius", untersucht. Ihn führt Daub auf Ayn Rand zurück. Rand hasste zwar die Counterculture, aber die Counterculture ihrerseits liebte sie, schon allein, weil Rand die Jugend und Disruption verherrlichte. In ihren Büchern glorifizierte sie außerdem Egoismus und Kapitalismus. Daub wirft ihr allerdings vor, in ihrer Analyse komplett jegliche zugrundeliegenden kollektiven Strukturen von der Familie über den Staat und die daraus resultierenden Abhängigkeitsverhältnisse zu ignorieren und misszuverstehen, weswegen ihre gesamte Theorie letztlich auch nie funktionieren könne. Das ist allerdings für die Übernahme zentraler Konzepte durch die Tech-Gurus auch irrelevant.

Die Idee des Genies, die sich in Romanen wie „The Fountainhead“ oder „Atlas Shrugged“ findet, wird auch im Silicon Valley gerne reproduziert. Daub zeigt dies anhand der Filme von Pixar, die häufig objektivistische Ideen enthalten. Am offensichtlichsten ist dies wohl bei „The Incredibles“ der Fall, er kapriziert sich aber vor allem auf „Ratatouille“. Obwohl der Dialog des Filmes behauptet, dass „jeder kochen kann“, zeigt die Handlung eindeutig, dass es dazu außerordentlicher Begabung bedarf. Die Idee ist als nicht so sehr, dass jeder ein Genie sein kann, sondern dass alle Milieus Genies hervorbringen können. Dieser Geniekult erhielt in der Counterculture eine tiefe Verankerung und wurde in die Tech-Welt transportiert.

Dort entstand eine neue Arbeitsästhetik: neue Arbeitsformen wie das Coding für Amazon wurden überhöht, während andere wie das Fahren für Uber nicht einmal mehr als Arbeit akzeptiert wurden, sondern stattdessen in den Bereich des Hobbys und Lebensstils abgedrängt wurden. Ein interessantes Detail sind auch hier wieder die Genderdynamiken: im 19. und frühen 20. Jahrhundert war Coding eine wenig angesehene Frauenarbeit. Erst die neue Tech Industrie ja machte es zu einem attraktiven, gut bezahlten und sicherlich nicht zufällig männlich konnotierten Job.

In Kapitel 4, "Communication", wendet sich Daub dem Phänomen des Trolls zu. Über den etwas merkwürdigen Umweg des New-Age-Gurus Huxley, der die Einnahme von Drogen zur Erweiterung des Bewusstseins und der Kommunikation predigte und damit einen zentralen Einfluss auf die Counterculture ausübte, gelangt eher zu der Vorstellung, dass Kommunikation eine Art transzendenter Vorgang sei, der seine ganz eigene inhärente Wertigkeit besitze. Diese Idee ist selbstevidenterweise für den Tech-Sektor eine beherrschende. Kommunikation schließlich ist das tägliche Brot praktisch aller sozialer Netzwerke.

Daub beschreibt, inwiefern diese Trennung von Kommunikation von ihrem Inhalt üblicherweise vonstattengeht und besonders auf Plattformen wie Twitter konstituierend ist. Seine Erzählung zeigt, wie die Behauptung von Kommunikation im Internet häufig als Substitut für echte Kommunikation benutzt wird. Die performative Reaktion, selbst bei Statements, bei denen keinerlei Reaktion erforderlich ist - oder gerade dann - ruft Widerstand hervor, an dem der Troll wächst. Auf diese Art generiert er Aufmerksamkeit, wo eigentlich überhaupt kein Potential für eine solche bestanden hatte.

Ein anderes Phänomen ist das des bewussten Missverständnisses, oder, genauer, der Konstruktion von scheinbaren Missverständnissen. Was Daub meint sind Äußerungen, deren Ziel das performative enttäuscht Sein ist. Sein Beispiel ist das berühmte geleakte Google-Memo von 2017, in dem ein Mitarbeiter die fehlende Diversität des Unternehmens auf biologische Ursachen zurückführte und somit klar rassistische und misogyne Narrative bediente. Er behauptete später in einer gewissen kognitiven Dissonanz, sowohl falsch verstanden worden zu sein - daher Daubs Behauptung - als auch, das mangelnder Unternehmenserfolg in diesem Missverständnis und dem Verweigern einer Debatte begründet liege.

Weiter geht es in Teil 2.

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