Mittwoch, 29. Mai 2024

Bohrleute 76 - Psychologie fürs Klassenzimmer, mit Benedikt Wisniewski

 


Obwohl Psychologie und Pädagogik im Lehrkräfteberuf eine zentrale Rolle spielen, werden erstaunlich wenig Erkenntnisse aus der Wissenschaft im Klassenzimmer angewandt - oder spielen für die Bildungspolitik eine große Rolle. Mit dem Schulpsychologen Benedikt Wisniewski spreche ich darüber, warum das so ist, welche erstaunlichen Erkenntnisse die Psychologie bereithält und hinterfrage einige liebgewonnene Vorurteile.

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(Musik: Intro aus Accou – Sarabande BWV 1002 (Partita No.1 for violin solo in B-minor), Outro aus Accou – Bourree (I.S. Bach BWV 1002, Violin Partita No 1 in B minor))

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Shownotes

Avoiding Unintended Consequences in Grading Reform

G. K. Chestertons Prinzip von 1929 betont, dass Reformen nur dann durchgeführt werden sollten, wenn die Gründe hinter den bestehenden Regeln verstanden werden. Diese Herangehensweise könnte helfen, unerwünschte Folgen von Reformen im Bildungssystem zu minimieren. Ein Beispiel ist die Praxis, Schülern für nicht eingereichte Arbeiten eine Null zu geben, was oft als ungerecht empfunden wird, aber als Anreiz dienen soll, die Arbeiten abzugeben. Die Diskussion sollte zwischen der Bedeutung der Note und den Konsequenzen differenzieren.

Ein weiteres kontroverses Thema ist die Verwendung von Prozentzahlen anstelle von Buchstabennoten. Prozentzahlen können präzisere Informationen liefern, aber auch Messfehler verdeutlichen. Buchstabennoten hingegen sind weniger präzise und können leicht missinterpretiert werden. Schließlich wird die Methode der Notenmittelung über eine Bewertungsperiode hinterfragt, da sie möglicherweise nicht die tatsächliche Lernleistung widerspiegelt.

Insgesamt wird betont, dass das Verstehen der Gründe hinter etablierten Praktiken wichtig ist, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Es wird empfohlen, bestehende Praktiken sorgfältig zu prüfen, anstatt sie voreilig abzuschaffen, um langfristig bessere Ergebnisse im Bildungssystem zu erzielen. (Dylan William, ASCD)

Effects of Frequent Classroom Testing

Zu PISA und Intelligenz: Pokropek, A., Marks, G. N., & Borgonovi, F. (2022). How much do students’ scores in PISA reflect general intelligence and how much do they reflect specific abilities?. Journal of Educational Psychology, 114(5), 1121.

Transkript

0.009
stefansasse
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von den Bohrleuten. Ich bin wie immer euer Host der Stefan und ich habe heute einen besonderen Gast mitgebracht.

10.418
Benedikt Wisniewski
Hallo, mein Name ist Benedikt Wisniewski. Ich bin Schulpsychologe, habe eine Zeit lang auch als Lehrer gearbeitet und in der Lehrerbildung und habe zum Thema Feedback geforscht. Und jetzt bin ich nur noch tätig als Schulpsychologe, also in der Praxis, interessiere mich aber weiterhin sehr für empirische Bildungsforschung.

34.957
stefansasse
Und dieses Interesse führt dich ja auch dazu, dass du deinen eigenen Podcast machst, den du vermutlich gerade aus reiner Bescheidenheit nicht erwähnt hast. Der nennt sich Psychologie fürs Klassenzimmer. Es findet sich selbstverständlich nach einem Link in den Show Notes. Und diese Psychologie fürs Klassenzimmer ist letztlich, was mich zu dir gebracht hat und worüber wir heute auch sprechen möchten.

45.503
Benedikt Wisniewski
Ja.

54.616
stefansasse
Es geht nämlich darum, psychologische Erkenntnisse, du hast ja schon gesagt, du forscht zu Feedback. Wie wird das in der Schule angewandt? Das ist ja auch als Schulpsychologe quasi dein spezifisches Themengebiet. Und wenn ich aus all den Folgen, die du gemacht hast, eine Linie quasi rausziehen kann, eine Grundtendenzen, Leitmotiv sozusagen.

74.804
stefansasse
dann ist das, dass wir ganz viele Dinge tun in der Schule, dass Lehrkräfte und alle anderen Beteiligten von vielen Dingen ausgehen, die empirisch überraschenderweise gar nicht belegbar sind, teilweise noch gar nicht erforscht wurden. Ich finde es immer wieder erstaunlich, zu was es keine Forschungen gibt.

94.121
Benedikt Wisniewski
Mh.

94.556
stefansasse
Und auf der anderen Seite gibt es dann Studien, die aber keine Follow-ups haben oder so, die kaum Beachtung finden, die aber total gegen das sprechen, was man da so im Allgemeinen macht in der Schule. Oder anders ausgedrückt, wir tun viele Dinge, weil wir sie schon immer getan haben und weil sie sich so irgendwie richtig anfühlen, sind also sehr instinktgetrieben.

114.548
stefansasse
in unserer ganzen Tätigkeit als Lehrkräfte. Und wenn ich dich richtig verstehe, bist du da gar kein so großer Freund von und plädierst für ein bisschen mehr Empirie und wissenschaftliche Unterfütterung dieser Tätigkeit. Habe ich dich da richtig charakterisiert.

128.831
Benedikt Wisniewski
Das kann man durchaus so sagen. Also ich denke, man sollte in einem Beruf, der ja zu den Professionen zählt, sich schon daran orientieren, was die Wissenschaft an Erkenntnissen zur Verfügung stellt. Nur ist es halt im pädagogischen Bereich nicht ganz so einfach. Also ich vergleiche es immer gerne mit der Medizin. Medizin ist halt eine ganz klar evidenzgeleitete Disziplin. Und da geht es halt auch wunderbar.

156.374
Benedikt Wisniewski
Da führt man eine kontrollierte, randomisierte Studie durch zur Wirkung von einem Medikament oder einer Behandlungsweise. Und dann kann man relativ eindeutig feststellen, habe ich da die erwünschte Wirkung oder habe ich sie eben nicht.

164.906
stefansasse
Vielen Dank für's Zuschauen.

169.804
Benedikt Wisniewski
Dann kann man das in Meta-Analysen sogar noch verdichten, diese Informationen. Und dann hat man da sehr, sehr gesicherte Erkenntnisse zum direkten praktischen Vorgehen. Das äußert sich ja dann auch in den Leitlinien, die Medizinern zur Verfügung stehen. Die wissen dann sehr genau, da habe ich jetzt die und die Krankheit und da kann ich so und so vorgehen.

188.96
Benedikt Wisniewski
Und analog funktioniert das leider halt im pädagogischen Bereich nicht, weil wir halt in einer Unterrichtssituation zum Beispiel sehr, sehr viele Entscheidungen treffen in einem sehr komplexen Kontext mit sehr, sehr vielen Beteiligten. Und da kann ich das eben nicht so machen, dass ich eine Studie habe, die mir sagt, verhalte dich in der Situation so und so, weil ich kann die Situation gar nicht so standardisieren.

201.766
stefansasse
Vielen Dank für's Zuhören!

214.445
Benedikt Wisniewski
Und deshalb können wir eigentlich nie eine evidenzbasierte Praxis in der Pädagogik durchführen, sondern es ist halt maximal eine evidenzinformierte Praxis, so hat es glaube ich Dylan Williams mal formuliert. Also das heißt,

237.005
Benedikt Wisniewski
Die wissenschaftliche Evidenz kann uns nicht direkt Handlungsleitlinien vorgeben, aber sie kann halt unser Handeln unterfüttern und wir können unser Handeln schon an dem orientieren, was uns die empirische Forschung da an Erkenntnissen zur Verfügung stellt.

253.968
stefansasse
Das heißt, letzten Endes ist es quasi keine Wissenschaft im Sinne von so einer harten Wissenschaft, letzten Endes. Wir haben im Endeffekt ein sehr ähnliches Problem, wie es auch Geschichtswissenschaft hat oder Soziologie oder sowas. Abschließende Beweise in irgendeiner Art kriegen wir quasi nicht raus. Wir können immer nur versuchen, sozusagen so Trends festzustellen und müssen dann auch Werte durchführen und so.

277.82
Benedikt Wisniewski
So würde ich es nicht sagen. Also man kann schon Sachen sehr eindeutig feststellen. Nur diese eindeutigen Feststellungen führen nicht eins zu eins zu eindeutigen Handlungsanweisungen.

290.418
stefansasse
Also du kannst quasi sagen, in Situationen so und so passieren diese und jene Dinge, aber das lässt sich halt dummerweise dann nicht verallgemeinern.

297.568
Benedikt Wisniewski
Machen wir es an einem Beispiel. Ich kann sehr, sehr genau sagen, unter welchen Bedingungen entsteht intrinsische Motivation. Aber ich kann nicht sagen, mach im Unterricht die drei Schritte und du wirst Motivation erzeugen. So lässt sich es eben nicht übersetzen. Wofür jetzt genau? Für das spezifische Motivationsthema oder für diese Nichtübertragbarkeit in Handlungsanweisungen?

312.705
stefansasse
Okay, gibt es da dafür einen speziellen Grund, der quasi allgemein in der Psychologie liegt oder ist es in dem Fall eine Motivationsgeschichte?

327.039
stefansasse
Sowohl als auch. Also warum kann ich quasi nicht sagen, wie erzeuge ich im Unterricht Motivation? Also ich stelle quasi fest, wir machen XY, quasi Motivation wird so und so erzeugt. Warum kriege ich jetzt keine Handlungsanweisungen raus? Also was ist quasi der psychologische Hintergrund dafür, dass ich keine verallgemeinerbare Lösung finde, die letzten Endes in jedem Unterrichtsetting funktioniert? Das würde man ja eigentlich erstmal annehmen. Das bin ich

349.816
Benedikt Wisniewski
Ja, man kann das eher soziologisch erklären, da begebe ich mich jetzt auf dünnes Eis und fremdes Draht, aber Niklas Lohmann hat das als Technologiedefizit bezeichnet in der Pädagogik.

360.93
Benedikt Wisniewski
Was bedeutet, dass die Kontextbedingungen in einem Unterrichtskontext beispielsweise so komplex sind und so viele verschiedene Einflussvariablen sind, dass wir nicht eindeutige Kausalbeziehungen feststellen können, verhalte dich so und das wird passieren. Aber das weiß ja jede Lehrerin, jeder Lehrer, dass ich instinktiv reagieren muss, weil ich so viele Einzelentscheidungen treffe innerhalb von einer Unterrichtsstunde.

388.507
Benedikt Wisniewski
dass es unmöglich ist, jede einzelne Entscheidung irgendwie mit einer empirischen Erkenntnis abzusichern. Es geht gar nicht.

398.272
Benedikt Wisniewski
Und das Zweite ist, wir haben auch nicht die Möglichkeit von Forscherseite oder von Forschungsseite, diese eindeutigen Kausalbeziehungen zu identifizieren, weil aus forschungsmethodischer Sicht die einzige Möglichkeit zu dieser Identifizierung von Kausalbeziehungen sind eben diese kontrolliert randomisierten Studien. Das ist die einzige Art von Studie, wo ich wirklich einen Kausalzusammenhang ermitteln kann.

425.111
Benedikt Wisniewski
Und dafür muss ich eben Versuchspersonen zufällig Gruppen zuordnen, also einer Gruppe, einer Experimentalgruppe, wo ein Treatment durchgeführt wird, einer Kontrollgruppe, wo das nicht durchgeführt wird oder sogar einer Placebo-Gruppe. Und dann müssen diese zwei zufällig gebildeten Gruppen verglichen werden, was die Wirkung des Treatments betrifft. Und allein diese Möglichkeit habe ich im pädagogischen Kontext aus ethischen Gründen so gut wie nie.

450.657
Benedikt Wisniewski
also Personen, Schülerinnen und Schülern zwei Gruppen zuzuordnen und dann einer Gruppe in Treatment zukommen zu lassen, dass ich der anderen Gruppe verwehre. Es geht einfach nicht. Und deswegen können wir das schon rein forschungsmethodisch eigentlich nicht erzeugen. Eindeutige Kausalbeziehungen. Im besten Fall haben wir quasi experimentelle Designs, wo also

476.323
Benedikt Wisniewski
wo es eine Experimentalgruppe oder eine Kontrollgruppe zumindest gibt, wo aber eine zufällige Zuordnung nicht stattfindet. Das heißt, ich kann dann viele Störvariablen nicht kontrollieren. Meistens haben wir nur korrelative Designs, wo Zusammenhänge festgestellt werden. Ja.

492.807
stefansasse
Genau, das könnte ich da jetzt aber ganz ketzerisch ja dann quasi die Frage stellen. Gut, wenn das sozusagen eh immer diese große Geschwindigkeit und diese große Masse von Entscheidungen ist, die ich da als Lehrkraft habe, die ich ja üblicherweise auch in einem halbwegs stressigen Umgebung treffe.

509.616
Benedikt Wisniewski
Ja. Ja.

509.684
stefansasse
Und ich glaube, Leute, die den Job noch nie gemacht haben, die machen sich wirklich keine Vorstellung, wie viele Entscheidungen in sehr kurzer Zeit gefällt werden müssen. Dann kommt es ja wirklich hauptsächlich doch auf irgendwie so einen Instinkt an, diese vielgerühmte Lehrerpersönlichkeit sozusagen. Und dann habe ich da auch so eine Art natürliche

529.457
stefansasse
Wie soll ich sagen, so eine natürliche Begabung für den Lehrkraftberuf, den bringen manche Leute halt mit und manche bringen den nicht mit. Und das ganze Psychologiekram drumherum ist eigentlich nur Hokus Pokus. Das ist ja eine Position, die hört man ja häufig. Dass man quasi sagt, der und der, der kann das einfach und andere Leute können das nicht. Also meine Frage wäre, inwieweit kann man das denn dann tatsächlich lernen?

539.292
Benedikt Wisniewski
Ja, ja, ja.

552.5
Benedikt Wisniewski
Ja, es ist einer der beliebtesten Mythen überhaupt. Also diese Lehrerpersönlichkeit, einer meiner Lieblingsbegriffe überhaupt. Ein unglaublich schillernder Begriff. Frag einfach mal die Leute, die ihn gebrauchen. Was verstehst du darunter? Da wirst du erstaunt sein, was du für Antworten bekommst. Wird kaum jemand in der Lage sein, das überhaupt mal zu präzisieren, was es damit gemeint.

567.739
stefansasse
Ja.

572.312
Benedikt Wisniewski
Unter Lehrerpersönlichkeit wird meistens irgendetwas verstanden, wo man alles Mögliche drunter subsummiert, Verhaltensweisen, Persönlichkeitseigenschaften, Begabungen, bis hin zu sehr spezifischen Verhaltensweisen.

592.466
Benedikt Wisniewski
Und wenn man den Begriff eben so offen lässt, dann kann man sagen, na ja, das ist halt irgendwie wichtig, was man da als Lehrerpersönlichkeit mitbringt, wenn alles darunter subsummiert ist, was Lehrer sein betrifft. In der Psychologie haben wir von Persönlichkeiten einen viel, viel präziseren Begriff. Persönlichkeiten sind einfach die relativ stabilen, weitgehend unveränderlichen Eigenschaften eines Menschen. Also das, was wir auch unter Charakter fassen könnte.

620.555
Benedikt Wisniewski
Das bekannteste Modell dazu in der Psychologie ist das Big Five Modell. Also fünf zentrale Eigenschaften. Und die sind eben stabil, relativ unveränderbar. Und wir wissen aber aus der empirischen Forschung, dass die auf die Qualität von Unterricht zum Beispiel oder auf Berufszufriedenheit oder überhaupt auf die Qualität der Berufsausübung einen minimalen Effekt haben. Das heißt,

679.94
stefansasse
des

681.664
Benedikt Wisniewski
Das heißt, vielleicht eingedampft gesagt, eine hoch extravertierte Person kann genauso erfolgreiche Unterricht machen wie eine hoch introvertierte Person, die braucht eben andere Strategien. Ja.

696.237
stefansasse
Das wäre ja umgekehrt auch ziemlich dramatisch, weil dieses Wort beim Thema Persönlichkeit, wo du die definiert hast, das Wort, an dem ich sofort hängen bleibe, ist unveränderlich. Weil wenn diese Dinge unveränderlich sind und wenn die dann tatsächlich quasi relevant wären in hohem Ausmaß für die Qualität von Unterricht, das wäre in höchstem Maße dramatisch.

717.056
stefansasse
Weil das würde ja wirklich heißen, wir können nichts dran ändern. Das ist ja umgekehrt genau das gleiche, wenn wir quasi sagen, hier bestimmte Schülerpersönlichkeiten sind quasi einfach inherent besser als andere, die können ja dann da auch nichts ändern. Und sie haben ja auch keinerlei Kontrolle drüber. Also das ist ja quasi in eine doppelte Richtung Scheiße.

730.043
Benedikt Wisniewski
Ja. Ja.

735.93
stefansasse
weil ich auf der einen Seite nicht in der Lage bin, eventuelle Defizite auszuräumen und auf der anderen Seite, weil es ja meine Persönlichkeit ist und die ist unveränderlich, ist allein die Betrachtung etwas als defizitär da dann zu sehen, ja, einfach ein Volldesaster, weil ich es ja eben nicht ändern kann. Und das wäre schon ziemlich dramatisch.

757.176
Benedikt Wisniewski
Drum ist die Lehrerpersönlichkeit auch einer von den Mythen, die ich für sehr gefährlich halte, weil wenn man in der Lehrerbildung natürlich als Lehrerbildnerin oder Lehrerbildner die Einstellung hat, dass da Menschen kommen mit einer bestimmten Persönlichkeit und dann eigentlich aufgrund dessen schon mehr oder weniger als geeignet oder ungeeignet eingestuft werden können, dann verfehlt man natürlich völlig den Zweck von Lehrerbildung.

781.374
stefansasse
Das ist auch an der Stelle faszinierend, weil diese Leute, das ist ja deren Beruf, dass die Lehrkräfte bilden und ausbilden. Wie verbreitet ist es denn in deinen Augen diese Einstellung?

795.384
Benedikt Wisniewski
Dazu habe ich keine Daten, was meine subjektive Erfahrung betrifft, ist es glaube ich sehr, sehr verbreitet. Also in meiner ersten Beurteilung als Referendar damals stand auch der wunderschöne Satz drin, er verfügt bereits über eine ausgeprägte Lehrerpersönlichkeit. Mir auch gedacht, ist das jetzt als Beleidigung gemeint oder?

818.296
Benedikt Wisniewski
Jedenfalls hat es ja eine katastrophale Auswirkung, so ein Satz, weil er mir im Prinzip sagt, da ist was, das hast du schon, du kannst es aber nicht beeinflussen. Und ich gebe da sozusagen eine Diagnose ab als Lehrerbilder über dich als Person.

835.794
Benedikt Wisniewski
anstatt dir was über dein Verhalten zu sagen und Feedback zu geben, wie kannst du dein Verhalten anpassen? Und insofern, also dieser Begriff, solange der in der Lehrerbildung umgeistert ist, ist eine absolute Katastrophe. Und ich empfehle jedem, ich empfehle jedem jungen Menschen, der damit konfrontiert wird, fragen Sie doch einfach nach, was meinen Sie denn damit? Und dann wird es sehr schnell ein sehr interessantes Gespräch.

852.363
stefansasse
Ich kann mich nicht mehr...

866.51
stefansasse
Ich habe das Gefühl, das läuft in dieselbe Kategorie wie diese Dauerfrage, was ist ein guter Lehrer bzw. eine gute Lehrerin, weil das haben wir im Referendariat, da kann ich mich erinnern, das wurde immer wieder durchdiskutiert und man kam ja immer wieder drauf, das bedeutet unterschiedliche Sachen für unterschiedliche Leute. Und ich habe schon das Gefühl, das läuft im Endeffekt in die gleiche Richtung, das ist auch super, super undefiniert. Und da werden ja dann auch immer munter didaktische Fähigkeiten, Fachkompetenz, quasi Charisma, letztlich solche Sachen, die werden alle durcheinander geworfen.

874.684
Benedikt Wisniewski
Ja. Ja. Ja. Ja.

897.71
stefansasse
Besonders wenn man SchülerInnen fragt, da kommen wir vielleicht auch noch bei der Feedback-Geschichte dann gleich drauf oder können das als Absprungpunkt nutzen. Ich habe das Gefühl, ganz viele von diesen Evaluationen, die scheitern ja schon in dieser Anfangs, in diesen Anfangs-Stages, das dann nie definiert wird. Was will man da eigentlich abfragen? Und häufig, wenn man dann Leute fragt, auch später, wenn die aus der Schule mal raus sind, wer waren denn die guten Lehrkräfte, die erinnern sich dann häufig positiv an diejenigen, die halt

904.923
Benedikt Wisniewski
Ja. Ja.

925.299
stefansasse
cool waren in Anführungszeichen, die nett waren oder sonst irgendwas. Aber das sind nicht zwingend diejenigen, bei denen man viel gelernt hat.

933.695
Benedikt Wisniewski
Ja, das liegt einfach daran, dass gut eine normative Setzung ist, die ich halt mit sehr unterschiedlichen Inhalten füllen kann. Ich kann sagen, ein guter Lehrer oder eine gute Lehrerin, das sind die, die lustig sind. Ich kann sagen, das sind die, bei denen man viel lernt. Ich kann sagen, das sind die, bei denen man motiviert ist. Also das Gut kann ich ja dann beliebig mit Inhalt füllen.

955.384
Benedikt Wisniewski
Deswegen wird der Begriff gut auch in der empirischen Bildungsforschung nicht verwendet. Da spricht man einfach von effektivem Unterricht. Und das kann man dann sehr genau operationalisieren, was damit gemeint ist. Effektiv ist dann halt einfach der Unterricht, bei dem die höchsten Lernerfolge erzielt werden.

976.437
stefansasse
Wie messe ich denn eigentlich diese Lernerfolge? Weil Noten können es ja nicht wirklich sein. Ich glaube, das ist so eine Einigkeit, die im gesamten pädagogischen Bereich besteht, dass Noten doch zumindest suboptimale Messkriterien sind, die sich nur sehr schwer objektivieren lassen. Also wenn ich Lernerfolge quasi daran messe, welche Noten kommen daraus,

990.964
Benedikt Wisniewski
Ja. Ja. Ja.

997.073
stefansasse
Dann habe ich ein Problem. Ja, bis letztes Jahr ist wieder ein Artikel gelesen über Noteninflation. Da hat sich der Phädologenverband mal wieder beklagt. Also das ist offensichtlich keine besonders treffsichere Kategorie. Das heißt, wie messe ich Lernerfolg eigentlich?

1011.75
Benedikt Wisniewski
Also zunächst mal muss ich entscheiden, was will ich denn eigentlich messen? Will ich messen einen Wissenszuwachs? Will ich messen einen Kompetenzzuwachs? Will ich messen einen Motivationszuwachs? Will ich messen positive Lerne-Emotionen? Alles das sind Konstrukte, die kann ich mit entsprechenden Testverfahren messen. Und Noten sind halt

1039.189
Benedikt Wisniewski
eine Größe, die im Prinzip eine Scheinquantifizierung sind von einer sehr spezifischen Art von schulischer Messung, die sehr schlecht Güterkriterien, die wir normalerweise erwarten, erfassen.

1060.486
Benedikt Wisniewski
Wenn ich aber jetzt zum Beispiel die spezifische Komponente Lernerfolg messen will, dann wird das halt üblicherweise gemacht mit standardisierten Tests, wo die Kompetenzen, die man vorher vermitteln wollte im Unterricht, dann abgefragt werden. Das ist jetzt auch kein großes Geheimnis, aber es ist fast schon eine Aussage, wo man in die Defensive geht, wenn man das so sagt.

1085.128
Benedikt Wisniewski
weil es bestimmte Leute gibt in dem Bereich, die quasi von der Unmöglichkeit ausgehen, entweder sowas überhaupt quantifizieren zu können oder sogar in Frage stellen, dass diese ganzen Kategorien überhaupt eine Rolle spielen. Sowas wie Wissen ist ja schon fast ein verpönter Begriff, obwohl wir aus der psychologischen Forschung eigentlich sehr genau erkennen können, dass das Wissen eine unglaublich zentrale Komponente ist.

1115.742
stefansasse
Ja, da habe ich das Gefühl, da ist gerade so ein ganz leichter Backlash am Laufen, dass man quasi von dieser reinen Orientierung am Kompetenzbegriff, der mal eine Weile en vogue war, wieder zurückkommt und doch dann wieder betont, wie du gerade schon gesagt hast, diese Wissenskategorie, weil beides sich halt irgendwie so wunderschön bedingt.

1132.005
Benedikt Wisniewski
Ja, ich glaube, das Problem, das dabei auftritt, ist, dass Wissen von vielen Menschen gleichgesetzt wird, also im pädagogischen Bereich, im psychologischen nicht, wird gleichgesetzt mit deklarativen Wissen, also das Faktenwissen, das halt

1148.285
Benedikt Wisniewski
dass man ausspucken kann, eine Jahreszahl auswendig lernen oder sowas. Das Wissen aber als Konstrukt natürlich wesentlich weitergefasst ist. Es gibt prozedurales Wissen, das ist Wissen darüber, wie bestimmte Abläufe sind. Also wenn meine kleine Tochter jetzt Fahrrad fahren lernt, dann braucht sie dafür prozedurales Wissen, wie sie so ein Fahrrad bewegt.

1167.927
Benedikt Wisniewski
Und dann gibt es konzeptionelles Wissen, das Wissen, das Zusammenhänge betrifft, also was dann Analyse, Analyse und Verstehensfähigkeit betrifft. Und dann gibt es eben verschiedene Formen von Wissen und die alle, die fügen sich dann zum Beispiel auch zu sowas wie einer Kompetenz zusammen oder einem Skill. Aber im Prinzip, das, was dem Ganzen zugrunde liegt, ist immer eine Form von Wissen, nämlich ein Inhalt, der im Langzeitgedächtnis gespeichert ist.

1194.821
stefansasse
Wobei die meisten Leute ja, wenn sie den Begriff verwenden, das deklarative Wissen meinen, oder?

1198.507
Benedikt Wisniewski
Ja, aber ich weiß nicht warum. Wissen ja.

1202.244
stefansasse
Ja, ich glaube, das ist einfach eine von den Dingen, weil wir es nicht besser wissen. Unser deklaratives Wissen ist zu schlecht an der Stelle. Einfach, das glaube ich, auch im Umgangssprachlichen sozusagen wird das einfach auf die Art verwendet. Gerade diese Analysefähigkeit oder dieses Prozeduale oder sowas, da verwenden wir üblicherweise andere Begrifflichkeiten. Wir nehmen Wissen. Ja, total.

1225.93
Benedikt Wisniewski
Ja, und teilweise aber sehr ungeeignete. Also, schönstes Beispiel sind sogenannte 21st-century-Skills, wenn man sich das mal anschaut, wie diese Fähigkeiten operationalisiert sind. Da gehen bei mir als Psychologen eigentlich nur Fragezeichen auf.

1243.78
stefansasse
Hast du ein Beispiel?

1245.265
Benedikt Wisniewski
Naja, nehmen wir die 4K. Das sind Kommunikation, Kollaboration, kritisches Denken und Kreativität. Nichts davon ist ein Skill. Nichts davon hat eine didaktische Beschreibung, wie ich das überhaupt fördern kann.

1264.633
Benedikt Wisniewski
Nichts davon ist in den Texten, die sich damit beschäftigen, wie die Förderung dieser sogenannten Skills funktionieren soll, überhaupt mal eingegrenzt, was darunter zu verstehen ist. Und dann haben wir genau das gleiche Problem wie bei der Lehrerpersönlichkeit, dass ich dann über zum Teil sehr stabile Eigenschaften spreche und das aber als Skill bezeichne. Und dann wird es schwierig.

1294.309
stefansasse
Das heißt, nur weil ich Schach spielen lerne oder Latein, werden nicht meine kritischen Denkfähigkeiten besser.

1300.179
Benedikt Wisniewski
Sowieso nicht. Also da sind wir beim domänenspezifischen Wissen, das ist ja sehr gut erforscht. Dieser Transfer zwischen einzelnen Feldern, der ist sehr weitgehend widerlegt.

1311.083
stefansasse
Auch das ist ja wieder so eine faszinierende Sache, weil das wird immer noch behauptet. Also gerade wenn es darum geht, die Fremdsprachen zu rechtfertigen, ganz besonders natürlich die alten Sprachen, also gerade Latein, wird das ganz viel benutzt. Die Schach AG hat immer so den Ruf, dass man da das logische Denken dann ganz doll lernen kann und so weiter und so fort. Also diese Behauptung von diesem Überlaub,

1330.794
Benedikt Wisniewski
Ja. Ja.

1335.555
stefansasse
die wird ja wirklich ganz, ganz weit verbreitet. Und wenn du mich jetzt fragen würdest, ich habe die Fächer Deutsch und Geschichte, und ich würde schon sagen, dass wenn du in Deutsch gelernt hast, wie man Erörterungen schreibt, das ist in Geschichte ein super relevanter Skill. Also, genau, also verstehe ich da jetzt gerade irgendwas falsch oder?

1357.722
Benedikt Wisniewski
Also es gibt bestimmte metakognitive Kompetenzen, die ich natürlich über bestimmte Fächer hinweg anwenden kann. Die sind meistens aber auch irgendeinem Bereich zugeordnet. Aber wenn du jetzt die Beispiele bringst, Schach, Latein oder Klavierspielen ist auch noch so ein beliebtes Beispiel dafür. Dann kann man relativ eindeutig dazu sagen, beim Schachspielen, da lerne ich vor allem Schach spielen,

1384.172
Benedikt Wisniewski
Bei Latein lerne ich vor allem Latein und beim Klavierspielen lerne ich vor allem Klavierspielen. Und eine Übertragbarkeit von irgendwelchen generellen Skills wie logisches Denken, die dann dadurch gefördert werden, das konnte bisher niemand nachweisen.

1399.292
stefansasse
Das ist echt faszinierend.

1402.346
Benedikt Wisniewski
Ich vielleicht eine kleine Anekdote dazu. Der Professor Ludwig Haag, ehemaliger Schulpädagogik-Professor und er ist auch Psychologe an der Uni Bayreuth. Ich bin mir jetzt nicht sicher, entweder seine Promotion oder seine Habilitation dazu verfasst, welche transferierbaren Skills durch das Fachlatein erzeugt werden. Er war selber glühender

1426.971
Benedikt Wisniewski
Verfechter des Faches Latein und auch Lateinlehrer. Und er wollte einfach mal nachweisen, was durch das Erlernen dieses Faches eben alles für Transfereffekte entstehen. Und sein Fazit aus dem Ganzen war dann eben der Satz, durch das Lernen von Latein lernt man vor allem Latein.

1447.944
stefansasse
Ja, das ist schon fies. Ich bin immer wieder beeindruckt von WissenschaftlerInnen, dass die das dann schaffen, da intellektuell ehrlich zu bleiben. Das ist einfach die wirklich ganz große Errungenschaft von Wissenschaft, dass man da dann gegebenenfalls seinem eigenen Wachen vernichtendes Zeugnis ausstellt, weil einen da die Forschung hinführt. Jetzt wäre meine Frage.

1464.377
Benedikt Wisniewski
Ja. Hm. Hm.

1467.363
stefansasse
Wir haben jetzt schon an diversen Stellen festgestellt, was für krasse Fehlannahmen da im Umlauf sind über wirklich elementare Grundbedingungen unseres Berufs. Wenn ich aber auf Lehramt studiere, dann habe ich Pflichtveranstaltungen in Psychologie und Pädagogik. Und im Referendariat habe ich auch Pflichtveranstaltungen in Pädagogik, in denen zumindest ein bisschen Psychologie mit drin ist.

1492.927
stefansasse
Warum, um Gottes willen, wissen wir das dann alles nicht. Also ist das so ein Qualitätsproblem der Lehre? Sind wir Lehrkräfte einfach zu doof? Also was ist quasi da das Problem in der Ausbildung schon?

1510.886
Benedikt Wisniewski
Puh, also da kann ich auch nur spekulieren oder so, bis lasst mich auf meine eigene Erfahrung beziehen. So mein sehr persönlicher Eindruck ist, dass das, was erstmal an der Uni in den Fächern

1525.623
Benedikt Wisniewski
vermittelt wird, teilweise sehr weit weg ist von dem, was für die Praxis dann tatsächlich relevant ist. Also lerne ich im Prinzip wieder, und da sind wir beim deklarativen Wissen, ich lerne Dinge auswendig für eine Prüfung, die aber eigentlich mit dem tatsächlichen beruflichen Alltag nichts zu tun haben oder sehr wenig zu tun haben, beziehungsweise ich lerne die Sachen so, dass ich eigentlich nicht verstehe, wie ich es anwenden kann.

1556.516
Benedikt Wisniewski
Und deswegen nützt mir das dann eigentlich nichts. Und dann gehe ich von der ersten Phase in die zweite Phase über und begegne dort Menschen, die dann sagen, jetzt vergessen sie erst mal alles, was sie an der Uni gehört haben, was natürlich dann nicht dazu führt, dass das Ganze anwendbar wird. Also ich glaube, vielleicht sind es im Kern diese zwei Komponenten, die praxisferne der universitären Ausbildung und dann die Theoriefeindlichkeit der zweiten Phase.

1584.599
stefansasse
Woher kommt denn diese Theoriefeindlichkeit? Also ich habe die definitiv auch wahrgenommen, weil ich sie selber auch hatte. Ja, also meine Einstellung gegenüber Psychologie und Pädagogik war auch im Endeffekt jahrelang, also sowohl während der Ausbildung als auch danach, lief eigentlich immer darauf raus, dass alles kokolore ist, also alles theoretische Unsinn, brauche ich alles nicht, weil letzten Endes ist es ja doch Übungen,

1602.329
Benedikt Wisniewski
Ja.

1606.203
stefansasse
also quasi Routine und Begabung, die da in irgendeiner Weise reinlaufen, was, wenn der eigene Unterricht gut zu laufen scheint und dieses Scheinen ist, wo ich nachher auch noch gerne drauf kommen möchte, dann ist es natürlich, was das für das eigene Selbstbild super ist.

1620.435
Benedikt Wisniewski
Ja, ich muss da leider spekulativ bleiben. Ich kann dir keine empirischen Erkenntnisse dazu jetzt nennen, warum es so ist. Aber wenn ich halt als Mediziner in eine Vorlesung gehe, dann habe ich da halt meistens jemanden stehen, der als Chirurg dann zum Beispiel selber tätig ist.

1642.244
Benedikt Wisniewski
und mir halt dann die wissenschaftlichen Inhalte aus Sicht eines Praktikers vermittelt, während ich halt an der Uni im pädagogischen und pädagogisch-psychologischen Bereich meistens mit Leuten zu tun habe.

1657.52
Benedikt Wisniewski
die ihnen selber die Praxiserfahrung weitgehend abgeht. Oft sind es die Leute mit dem größten Selbstbewusstsein. Ich sage jetzt mal etwas provokativ. Aber es ist natürlich ein Problem, theoretisch etwas zu vermitteln für Menschen, die das praktisch anwenden sollen, wenn ich selber diese Praxis nicht kenne.

1682.892
Benedikt Wisniewski
Und das Gleiche dann, oder nicht das Gleiche, aber analog dazu in der zweiten Phase, ist es schwierig, theoretische Inhalte aufzugreifen, wenn ich sehr stark, ich muss es vorsichtig formulieren, wenn ich meiner subjektiven Erfahrung einen sehr hohen Stellenwert beimesse.

1711.834
stefansasse
Was meinst du damit genau?

1713.882
Benedikt Wisniewski
Na ja, wenn ich der Meinung bin, so wie es ich halt sehe, so passt es und so wie es ich mache, ist es richtig. Und meine eigene Erfahrung, die bestätigt mich darin. Da gibt es viele psychologische Verzerrungsmechanismen, die uns dazu führen, das zu glauben. Aber in der Profession muss ich das halt reflektieren können, dass es nicht so ist.

1732.449
stefansasse
Und das führt mich zu diesem Ding, was ich gerade eben schon angeteset habe, mit diesem Scheinen. Ich glaube, das ist eine Erfahrung, die kennen sowohl Forscher und Forscherinnen wie du als auch Lehrkräfte aus der Praxis wie ich zumindest hoffentlich, dass man häufig gar nicht selber merkt, wie erfolgreich der eigene Unterricht eigentlich ist.

1750.111
stefansasse
Wir neigen ja zum Beispiel ganz stark dazu. Angenommen, ich stehe da vorne, ich erkläre irgendwas und dann bringe ich diesen nutzlosesten Satz von allen. Haben sie alle verstanden? Gibt es noch irgendwelche Fragen? Da meldet sich nie irgendjemand oder ist es so super selten, dass Leute da tatsächlich den Mut aufbringen, sich zu melden, wenn sie es nicht verstanden haben. Und das, obwohl wir wirklich wissen, jeder fragt grundsätzlich für jemand anderen noch mit.

1750.111
Benedikt Wisniewski
Ja. Ja. Ja.

1775.503
stefansasse
Aber im Normalfall meldet sich niemand, die Klasse ist ruhig, alle schauen mich an und dann niggere ich und denke, jetzt habe ich so geil erklärt, jetzt wissen dies alle. Und dann wundere ich mich wieder, dass dann die Leute es nachher doch nicht wissen und doch nicht verstanden haben. Also von daher, wir wissen häufig gar nicht, wie effektiv unser Unterricht eigentlich ist.

1779.923
Benedikt Wisniewski
Ja. Ja.

1796.749
stefansasse
Und auch hier liegt es wiederum an unserer schlechten Theorie, an unserem schlechten Methoden-Baukasten? Oder ist das quasi ein Grundproblem von Unterricht, mit dem man quasi immer zu tun haben muss?

1811.374
Benedikt Wisniewski
Ja, das ist ein definitiven Grundproblem. Also erstens mal müsste ich natürlich Kriterien festlegen, was macht denn jetzt den effektiven Unterricht aus? Das ist ja schon mal nicht so einfach. Ist es der Unterricht, wo Schülerinnen und Schüler einfach viele Kompetenzen, viel Wissen erwerben?

1836.34
Benedikt Wisniewski
Ist es der Unterricht, wo Sie besonders motiviert sind? Ist es der Unterricht, wo Sie besonders viel Lernfreude verspüren? Ist es der Unterricht, den Sie im Nachhinein als angenehm bezeichnen? Ist es der, wo man später nachweisen kann, dass das Lernen besonders nachhaltig erfolgt? Es ist ja schon mal überhaupt nicht einfach zu sagen, was ist denn eigentlich das Kriterium.

1848.268
stefansasse
Vielen Dank für's Zuschauen.

1860.401
Benedikt Wisniewski
Und selbst wenn ich dann ein Kriterium habe, ist es natürlich unglaublich schwer, das zu messen. Also wenn wir jetzt mal nur das einfachste und gängigste Kriterium hernehmen von erfolgreichen Unterricht, nämlich der Wissenszuwachs oder der Kompetenzzuwachs von Schülerinnen und Schülern, dann habe ich eigentlich keine Möglichkeit festzustellen für meinen Unterricht, inwieweit ist es denn gegeben. Weil dazu

1886.357
Benedikt Wisniewski
müsste ich ja unter gleichen oder sehr ähnlichen Bedingungen meine Unterrichtsergebnisse vergleichen mit einer sehr großen Stichprobe von anderen Schülerinnen und Schülern. Die Möglichkeit gibt es bei uns nicht. Im angloamerikanischen Raum gibt es das. Da gibt es die sogenannten Value Added Measures. Da macht man genau das, nämlich

1908.097
Benedikt Wisniewski
die Komponente zu identifizieren, die Lehrkräfte am Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler tatsächlich verursachen oder ausmachen. Und dafür muss man aber in riesigem Maße standardisiert testen. Das heißt, ich kann dann sehen, das, was meine, der Unterschied vom Schulgerätsbeginn zum Schulgerätsende im

1919.104
stefansasse
Vielen Dank für's Zuhören!

1937.278
Benedikt Wisniewski
Wissen in den Kenntnissen meiner Schülerinnen und Schülern wird verglichen erstens mit dem Vorjahr und zweitens mit einer riesigen Stichprobe von Gleichaltrigen unter gleichen Bedingungen. Und nur so kann ich alle möglichen Faktoren daraus rechnen, die diesen Lernerfolg mitbedingen, nämlich die Intelligenz, das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler, der sozioökonomische Hintergrund, die schulischen Umweltbedingungen. Alles, was da so rein spielt,

1964.445
Benedikt Wisniewski
Und nur durch ein sehr, sehr komplexes statistisches Verfahren, wo ich eben eine riesige Stichprobe brauche, kann ich diese Faktoren herausrechnen und am Schluss diese Komponente identifizieren, die die Lehrerin oder der Lehrer hier beigetragen hat. Und selbst dieses Verfahren ist natürlich umstritten. Natürlich hat

1983.456
stefansasse
So wie du das sagst, hat es ja auch entscheidende Nachteile. Also das klingt jetzt nicht nach einer Empfehlung.

1989.292
Benedikt Wisniewski
Na ja, Empfehlung würde ich nicht sagen, aber bei all diesen Fragen muss man immer Kompromisse treffen. Und auf der einen Seite habe ich hier dann eine Möglichkeit, so etwas wie Erfolg zu identifizieren. Auf der anderen Seite produziere ich natürlich wieder ungünstige Nebeneffekte. Also es produziert natürlich dann dieses Teaching-to-the-test-Phänomen. Das wäre wieder ein ganz eigenes Thema. Inwieweit das nur Nachteile hat, auch darüber kann man diskutieren.

2019.701
Benedikt Wisniewski
Aber man sieht selbst bei einem klar definierten Kriterium wird es wahnsinnig schwer, das festzustellen. Und insofern haben wir leider so etwas wie einen Erfolgsindikator für Lehrerinnen und Lehrer objektiv bestimmbar nicht.

2038.097
stefansasse
Das heißt, als Seitenbemerkung diese ganzen immer wieder geäußerten Vorstellungen, dass man Lehrkräfte nach Leistung bezahlen sollte, das ist halt letzten Endes auch eine Schimäre, weil sich diese Leistung ja nicht wirklich definieren lässt.

2048.763
Benedikt Wisniewski
Sie würde sich eben nur so definieren lassen, in Großbritannien hat man das zum Beispiel eingeführt, die leistungsgerechte Bezahlung eben nach Value Added Measures, das funktioniert dort eigentlich gut. Also zumindest ist das das, was man dazu nachlesen kann, dass es als gut bewertet wird. Aber es hat eben die genannten Nebeneffekte und ja, es

2077.339
Benedikt Wisniewski
Es führt natürlich zu einer weiteren Betonung von standardisierter Testung. Auf der anderen Seite, und deswegen sage ich es immer ein Kompromiss und es ist immer eine Abwägungssache,

2091.664
Benedikt Wisniewski
führt natürlich die Tatsache, dass wir keine klaren Erfolgsindikatoren haben, also dass wir Qualität nicht feststellen können, führt zu einer völligen Überbetonung in diesem Berufsfeld von Quantität. Und das ist dann natürlich eine Frage des Feldes der Lehrkräftegesundheit. Wenn man Qualität nicht messen kann, dann verlagert man sich auf Quantität und dann wird die Person als erfolgreich angesehen, die halt möglichst viel arbeitet.

2119.872
Benedikt Wisniewski
die möglichst lange an der Korrektur oder an der Vorbereitung oder an der Nachbereitung sitzt. Und Quantität wird umdefiniert zu einem Qualitätsmerkmal. Und das ist natürlich auch ein massiv ungünstiger Effekt, den wir haben und der halt auf Kosten der Gesundheit von vielen Lehrerinnen und Lehrern geht. Wir haben nicht umsonst in diesem Feld diese wahnsinnig hohen Fälle von Erschöpfungsdepressionen oder landläufig Burnout genannt.

2148.848
stefansasse
Das heißt, das könnte man quasi vermeiden, wenn man eher in die Richtung von dieser standardisierten Kram geht. Okay, aber die können wir in unserem System zumindest nicht kriegen.

2157.312
Benedikt Wisniewski
Man könnte es vermeiden, wenn man Qualitätsindikatoren tatsächlich hätte, wie immer die dann aussehen.

2166.493
Benedikt Wisniewski
Naja, also was wir natürlich schon kriegen können, sind Evaluationsdaten. Das ist aber natürlich auch ein schwieriges Feld. Wir haben gesehen, dass die Evaluation durch Studierende im Hochschulbereich eigentlich gründlich schiefgegangen ist. Anders kann man es nicht sagen. Das heißt, das Modell, dass man Leistung operationalisiert über Evaluation von Schülerinnen und Schülern

2196.682
Benedikt Wisniewski
wird wahrscheinlich nicht funktionieren, weil die Erfahrungen an den Hochschulen zeigen, dass es da auch nicht funktioniert hat. Und es gibt eigentlich keinen Grund anzunehmen, warum es an Schulen besser funktionieren sollte als an Hochschulen. Was nicht bedeutet, dass man hier aber für die eigene Einschätzung der Tätigkeit nicht Daten gewinnen kann. Also was eine wunderbare Möglichkeit ist,

2218.712
Benedikt Wisniewski
sich selber einzuschätzen oder die eigene Einschätzung des beruflichen Handelns sozusagen auf eine verlässlichere Basis zu stellen, ist Feedback zum Unterricht durch Schülerinnen und Schüler ist ein Thema, das auch gut untersucht ist.

2235.384
Benedikt Wisniewski
wo ich auch selber ein bisschen dazu mitforschen durfte. Hier bekommt man einfach aggregierte Daten und wenn man ein vernünftiges Instrument hat, dann auch aussagekräftige Daten dazu, wie das, was man da selber beruflich abliefert, bei denen dies betrifft, ankommt.

2253.933
stefansasse
Ja, da habe ich auch sehr gute Erfahrungen mit gemacht. Wir machen das bei uns an der Schule auch und geben quasi den Lehrkräften die Anweisung, dass sie sich evaluieren lassen von ihren SchülerInnen, sagen aber gleichzeitig als Schulleitung explizit, wir wollen die Ergebnisse nicht sehen. Also das ist quasi wirklich nur privat.

2271.323
stefansasse
für die eigene qualitative Weiterentwicklung sozusagen. Und ich finde es dann auch immer ganz interessant, wenn man da dann eben sieht, die einen die Schülerinnen sehen und ob das eigene Selbstbild mit dem Fremdbild weitgehend übereinstimmt.

2273.558
Benedikt Wisniewski
Genau. Ja. Ja.

2289.735
stefansasse
Dann würde ich von dieser Feedbackgeschichte gerne rüberkommen zu der anderen Feedbackgeschichte, nämlich zu der, die ich professionell mache und für die ich ja in weiten Teilen auch bezahlt werde und die ja so der sichtbarste Teil meines Berufs ist, weil ich gebe ja permanent eine Form von Feedback, zumindest in Form von Noten ist es ja auch stark institutionalisiert.

2308.439
Benedikt Wisniewski
Und. Und. Und.

2311.34
stefansasse
Also ich bin gezwungen, so und so viele Leistungsnachweise, ich muss da dazu mündliche Noten, dann kommen Mitarbeit und Kram dazu. Also die SchülerInnen, die werden ja in einem unglaublichen Ausmaß und mit einer sehr großen Regelmäßigkeit mit Feedback versehen, das zumindest in Form von einer Zahl kommt. Was auch immer diese Zahl dann genau ausdrückt.

2333.097
stefansasse
Und da dazu sollte ja technisch gesehen im eigentlichen Unterricht auch Feedback erfolgen. Das passiert ja teilweise gemäß quasi dem Watzlawickischen Motto, dass man ja gar nicht nicht kommunizieren kann, eh automatisch. Weil je nachdem, was die Leute sagen, ich hab meine Mimik ja meistens gar nicht so unter Kontrolle und will das ja auch gar nicht haben, dass da keine Reaktion draus käme.

2345.503
Benedikt Wisniewski
Mh.

2355.503
stefansasse
Also so oder so, ich gebe ja die ganze Zeit Feedback. Und das ist jetzt was, wo du geforscht hast und wo, glaube ich, auch sehr viel Verbesserungsbedarf ist, wenn ich dich und deine Forschung da richtig verstehe.

2366.032
Benedikt Wisniewski
Also ich habe ja eher zum Feedback in die andere Richtung geforscht, nämlich dass Schülerinnen und Schüler an Lehrkräfte geben. Und ich bin auch zum Thema Noten kein Experte. Und ich gebe es auch nicht vor, dazu ein Experte zu sein. Es ist ganz interessant, wie du sagst, es ist so ein zentrales Thema in der Schule.

2387.21
Benedikt Wisniewski
Aber man findet im deutschsprachigen Raum eigentlich niemanden, der sich substanziert und schwerpunktmäßig mit diesem Thema beschäftigt. Das ist eigentlich sehr interessant. Man findet ein bisschen schlecht informierte Ratgeberbüchlein.

2404.94
Benedikt Wisniewski
Aber so eine substanzielle Forschung zu dem Thema gibt es eigentlich nur zu Einzelaspekten. Und wie gesagt, mir würde niemand einfallen, der jetzt schwerpunktmäßig Expertin oder Experte für das Thema Noten ist in Deutschland oder im deutschsprachigen Raum. Insofern, wenn wir das Fass aufmachen,

2430.282
Benedikt Wisniewski
Dann wird es kompliziert und ich kann da, glaube ich, nur zu sehr begrenzten Teilaspekten was sagen, was das Thema Noten betrifft, was dich interessiert. Ja.

2442.312
stefansasse
Ich bin zugegebenermaßen eher ein Kritiker von Noten. Also ich bin nicht besonders überzeugt, dass das, was wir da machen, besonders große Effekte hat. Und ich will dich einfach mal kurz durch meine Logik sozusagen gehen und dann kannst du mir sagen, wo ich falsch liege oder wo ich da unter Umständen den Nagel auf den Kopf treffe, je nachdem, was eben zutrifft.

2463.66
stefansasse
Für mich eines der größten Probleme, die diese Noten hat, haben, ist, dass wir die Leistungsfeststellungen quasi immer darauf aufbauen, dass da am Ende diese Zahl stehen muss. Und die Schülerinnen betrachten dementsprechend auch Leistung quasi als diese Zahl, die da am Ende kommt.

2475.606
Benedikt Wisniewski
Ja.

2485.247
stefansasse
Und das hat den Effekt, dass die Leistungsfeststellungen selbst als Gelegenheit zum Lernen völlig ausfallen. Das ist mein größter Kritikpunkt an Klausuren, mündlichen Prüfungen, völlig egal, an jeglicher Form von Leistungsfeststellung. Bei meiner Erfahrung, und auch hier wieder nur anekdotisch natürlich, ist die, dass die SchülerInnen im Endeffekt Leistungsfeststellungen betrachten wie so ein Glücksspielautomat in Las Vegas. Man schmeißt quasi oben eine beliebige Menge Lernzeit hinein, häufig genug keine.

2515.043
stefansasse
dann zieht man einmal am Hebel und unten kommt eine Note raus. Und was auch immer da dann quasi unten rausfällt sozusagen, das ist halt das, was man bekommt. Also es ist einfach so eine Einstellung, die ich sehr häufig beobachte bei SchülerInnen, dass man es halt mal probiert. Und vielleicht hat man ja Glück. So nach dem Motto, als ob da quasi überhaupt keinen Zusammenhang besteht. Und üblicherweise wird das, was man gelernt hat, auch ganz schnell wieder vergessen, also dieses Bulimielernen.

2517.227
Benedikt Wisniewski
Hm. Hm. Hm. Hm.

2543.933
stefansasse
Aber das für mich Dramatischste ist, ich verbringe ja einen unglaublichen Teil meiner Arbeitszeit mit Korrekturen. Also wenn man Studien glauben darf, ist das ja fast so ein Siebtel oder so, wenn ich es richtig im Kopf habe, was da reingeht in Korrekturen. Und die tun ja einfach gar nichts. Die SchülerInnen kriegen die zurück, die verstehen meine Korrekturen üblicherweise nicht, weil ich mache immer diese Korrekturzeichen da an den Rand, die mir da auch vorgeschrieben werden. Ich muss das ja machen.

2553.626
Benedikt Wisniewski
Ja.

2568.439
stefansasse
Dann schreibe ich irgendwelche Kommentare hin, die mit ein bisschen Glück verstanden werden oder auch nicht. Angeguckt werden sie üblicherweise auch nicht. Und letzten Endes kommt da kein großer Lerneffekt bei rum. Schon allein deswegen, weil das, was in der Klausur abgefragt ist, ja dann durch ist. Und das ist ja dann fertig. Und das lohnt sich in Anführungszeichen aus Schülerinnen-Sicht ja dann häufig gar nicht, da weiter zu machen. Und Noten verstärken diesen ganzen Prozess in meinen Augen massiv.

2597.985
Benedikt Wisniewski
Jetzt sind es ganz viele Punkte, ich muss es jetzt versuchen zu ordnen.

2606.049
Benedikt Wisniewski
Ich fange vielleicht mit dem an, was mir jetzt am meisten aufgestoßen ist, und das ist der Begriff Bulimielernen. Als jemand, der tatsächlich mit bulimischen Menschen gelegentlich zu tun hat, finde ich das einen sehr zynischen Begriff und würde jeden bitten, den zu vermeiden. Bulimie ist eine sehr schwere psychische Erkrankung, häufig

2614.326
stefansasse
Hmm. Ja.

2631.834
Benedikt Wisniewski
mehr als die meisten anderen Erkrankungen sogar mit Mortalität verbunden. Wir sollten diesen Begriff nicht missbrauchen für eine Umschreibung von einem Lernprozess. Das ist mal das Erste.

2648.2
stefansasse
Hast du ein gescheites Alternativwort, was man da verwenden kann für dieses Lernen, Lernen, Lernen und dann gleich wieder vergessen? Okay.

2655.725
Benedikt Wisniewski
Naja, man kann es ja so beschreiben. Auswendig lernen von reinen Fakten, die dann schnell vergessen werden. Also lernen mit niedrigem Elaborationsgrad wäre wahrscheinlich der passende Begriff. Also mit wenigen Anschlusspunkten im Langzeitgedächtnis und dadurch, was zu schnell vergessen führt. Ja, dann

2681.937
Benedikt Wisniewski
ist das zweite, wie wirken sich Noten jetzt aus? Also auch da muss man jetzt nochmal unterscheiden. Noten sind ja quasi nur die Quantifizierung von dem, was wir als Prüfung bezeichnen und was häufiges Prüfung betrifft, also in Form von schulischen Arten der Tests.

2702.21
Benedikt Wisniewski
Da kann man feststellen, also da gibt es ganz gute Untersuchungen dazu, auch in meta-analytischer Form, dass ein regelmäßiges Testen zu einem nachhaltigeren Lernen führt. Also das wird jetzt nicht das bestätigen, was du sagst. Ich kann eine Meta-Analyse dir geben, die kannst du gerne dann verlinken. Das ist eigentlich so der Standardtext dazu.

2724.872
Benedikt Wisniewski
wo festgestellt wurde, wenn du mindestens, ich weiß nicht, ob ich es auswendig zusammenbringe, wenn du in 15 Wochen mindestens einen Test zu dem schreibst, was da gelernt wird, erhöht das den Lernerfolg um eine halbe Standardabweichung. Eine halbe Standardabweichung ist in dem Fall schon relativ massiv. Das ist normalerweise so der Wissenszuwachs von einem Schuljahr. Oder so gab es noch mehr.

2754.599
stefansasse
Okay, das ist eine ganz schöne Menge.

2755.712
Benedikt Wisniewski
Also das regelmäßige Prüfen an sich hat mal eine günstige Auswirkung. Jetzt, was die Quantifizierung dessen betrifft, also das, was bei uns dann Noten sind von 1 bis 6 oder in anderen Ländern von A bis F oder wie auch immer, das ist natürlich mit vielfältigen Problemen behaftet.

2779.65
Benedikt Wisniewski
Allein aus messtheoretischer Sicht ist es mit vielfältigen Problemen behaftet, weil natürlich diese Testgütegriterien, die wir normalerweise voraussetzen, bei so schulischen Prüfungen nachweislich in sehr geringem Maße ausgeprägt sind. Da geht es um die Objektivität, die Reliabilität und die Validität. Das sind drei

2804.024
Benedikt Wisniewski
Bedingungen, die wir bei jedem Test eigentlich voraussetzen, dass die hoch ausgeprägt sind, sodass wir mit den Testergebnissen was anfangen können. Und immer wenn man das für schulische Prüfungen untersucht, stellt man fest, nicht besonders hoch ausgeprägt. Das heißt, wenn da so eine 2 steht,

2822.773
Benedikt Wisniewski
Dann wissen wir eigentlich weder, ob diese zwei unabhängig von dem SDR sie erhoben hat. Wir wissen auch nicht, wie genau diese Messung der Note 2 ist. Also wenn wir es zwei Tage später nochmal messen würden, würde wieder eine 2 rauskommen oder eine 4 oder sogar eine 5.

2842.773
Benedikt Wisniewski
Das größte Problem ist dann die Validität. Was haben wir mit dieser Zwei eigentlich erfasst? Haben wir damit nur erfasst, dass jemand fünf Jahreszahlen auswendig kann? Haben wir damit erfasst, dass jemand analytisch denken kann? Haben wir damit Argumentationsfähigkeit erfasst oder wie auch immer? Und je

2863.302
Benedikt Wisniewski
genauer wir messen können, also je höher die Relabilität ist, ab einem gewissen Grad, umso niedriger wird dann leider wieder die Validität, also das nennt sich Verdünnungsparadox oder

2879.816
Benedikt Wisniewski
Reliabilitätsvaliditätsparadox. Wenn ich sehr genau messen kann, dann kann ich das nur über Formen von Fragestellungen, die sehr eindeutige Ergebnisse ermöglichen, also zum Beispiel multiple choice und die auch sehr homogen sind, also immer das Gleiche.

2899.753
Benedikt Wisniewski
Wenn ich jetzt zum Beispiel in der Geschichteprüfung einfach nur zu 20 Ereignissen die Jahreszahl auswendig abspulen lassen würde, hätte ich eine hohe Reliabilität, aber natürlich eine geringe Validität, wenn es mir darum geht, zum Beispiel die Einordnung von historischen Sachverhalten zu prüfen. Also, lange Rede kurzer Sinn. Messtheoretisch haben wir da ein Riesenproblem.

2931.442
Benedikt Wisniewski
Und jetzt kann man natürlich sagen, ja, dann muss man das halt abschaffen. Und viele spricht auch dafür tatsächlich. Das Problem ist halt, dass

2948.643
Benedikt Wisniewski
dass wir nicht wissen, was tatsächlich passiert, wenn wir es abschaffen, weil es dazu auch kaum Untersuchungen gibt. Also wir wissen zum Beispiel nicht, wie hoch ist tatsächlich diese extrinsische Motivationskomponente von Noten und was passiert wenn, also besser gesagt von Prüfungen und was passiert, wenn wir sie weglassen.

2973.49
Benedikt Wisniewski
Und bevor man sowas abschafft, sollte man halt genau das tun. Man sollte halt erst mal überprüfen, was passiert denn, wenn man sowas abschafft. Es gibt da das berühmte Beispiel von Chestertons Fans. Ich weiß nicht, ob der das was sagt. Chesterton war ein Schriftsteller und der hat ein Gedankenexperiment gemacht. Da ging es um Reformen im politischen Bereich. Man kann das direkt übertragen.

3000.35
Benedikt Wisniewski
Er hat gesagt, da kommt jemand und sagt, die und die politische, also das Gesetz in dem Fall, das schaffen wir ab, weil ich weiß nicht, wofür es gut sein soll. Und der Chesterton hat gesagt, dann schaffen wir es ganz sicher nicht ab. Wir schaffen es dann ab, wenn du mir sagen kannst, wofür es gut ist. Und was er damit sagen wollte, ist, bestimmte Praktiken, die sind aus bestimmten Gründen entstanden.

3028.968
Benedikt Wisniewski
Besonders natürlich Praktiken, die sich über eine lange Zeit schon halten. Und man sollte sich halt sehr genau anschauen, warum sind die entstanden und was passiert, wenn man sich deren entledigt. Und das sollte eigentlich der erste Schritt sein. Und wir wissen es bei Noten überhaupt nicht. Bei Noten wissen wir, wenn man also aus wirklich sehr, sehr kleinen Untersuchungen in sehr kleinem Rahmen und begrenztem Kontext

3057.176
Benedikt Wisniewski
wissen wir eigentlich nur, wenn man sie abschafft, dann fehlt genau das, was eigentlich das größte Problem ist, nicht weg, nämlich ein sozialer Vergleich, den Schülerinnen und Schüler bezüglich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit immer vornehmen. Und das wäre ja eigentlich, also das wäre aus meiner Sicht eigentlich das größte Problem an Noten, dieser soziale Vergleich.

3060.503
stefansasse
Vielen Dank für's Zuschauen.

3086.135
Benedikt Wisniewski
der auch dazu führt, dass ich in einer Lerngruppe vielleicht Mittelmaß bin, aber in einer anderen Lerngruppe oberster Durchschnitt oder sogar überdurchschnittlich, weil ich eben nicht mit einem objektiven Kriterium verglichen werde, sondern mit einer sozialen Vergleichsgruppe. Genau das fällt nicht weg, wenn ich die Noten abschaffe. Das heißt, eigentlich

3113.848
Benedikt Wisniewski
liegt dahinter ein problematischer Mechanismus, der viel tiefer sitzt als die Oberflächendimensionen an Noten. Und vielleicht müsste man eher daran.

3126.032
stefansasse
Angenommen, du wirst jetzt Diktator des Bildungssystems. Was würdest du dann machen, um genau dieses Problem anzugehen? Also ich höre quasi die Theorie. Mir ist allerdings nicht ganz klar, was sich daraus jetzt ergibt.

3140.862
Benedikt Wisniewski
Also ich hoffe, nicht zum Diktator des Bildungssystems zu werden. Was sich daraus ergibt, ist für mich schwer zu sagen, weil ich bin kein Bildungspolitiker. Ich bin auch kein Kultusbürokrat. Ich bin ja in erster Linie jemand, der deskriptiv auf die Sachen schaut.

3167.739
Benedikt Wisniewski
und vielleicht teilweise versucht, die Zusammenhänge zu verstehen. Ich bin niemand, der aktivistisch vorgeht oder ich bin auch kein Bildungsvisionär. Aber was man daraus ableiten kann, ist, dass wir uns eigentlich

3191.544
Benedikt Wisniewski
Also wenn das so zutreffen würde und sich auch über größere Stichproben nachweisen lassen würde, dass wir diesen sozialen Vergleich als sehr zentrale Komponente da sehr tief verankert haben in diesem System, dass wir dann durch eine Abschaffung von einem Oberflächenmerkmal wie Noten eigentlich nichts verändern, sondern dass wir das sehr tief einsteigen müssten in die Professionalisierung,

3217.551
Benedikt Wisniewski
und sehr stark uns als Lehrkräfte damit beschäftigen müssten, welche Erwartungen transportieren wir und wie tragen wir dazu bei, dass genau dieser Mechanismus entsteht, dass Schülerinnen und Schüler sich permanent bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit mit anderen vergleichen und dass es nicht einen Vergleich an einem tatsächlichen objektiven Kriterium gibt.

3229.667
stefansasse
Vielen Dank für's Zuschauen.

3244.838
Benedikt Wisniewski
Das heißt, man müsste erst einmal diese Kriterien schaffen und dann müsste man dafür sorgen, dass es verstärkt wird, sich damit zu vergleichen und nicht mit einer Vergleichsgruppe. Und das ist wahrscheinlich unglaublich komplex und das erfordert wahrscheinlich viel, viel mehr Reflexion als zu sagen, ja, wir tun halt die Noten weg. Nee.

3267.755
stefansasse
Ja, weil diese Verbalbeurteilungen, die haben mir da gar nichts geholfen. Also wenn man anguckt mit den Erfahrungen, da werden ja dann einfach nur Baukastensätze, das ist ja genauso wie bei Arbeitszeugnissen, da werden dann einfach nur Baukastensätze wieder in Noten transferiert.

3280.674
Benedikt Wisniewski
Genau. Und was machen die Schülerinnen und Schüler als Erstes? Ich schaue mal, was hast du da stehen? Bei mir steht So und So. Also der Mechanismus wird dadurch nicht ausgehebelt.

3289.838
stefansasse
Ja, es ist auch eine Erfahrung, die ich häufig mache, wenn ich Kommentare unter Klausuren schreibe oder sowas, dann heißt es häufig auch, ja, bei mir steht das und ich habe so und so, ich habe die und die Note, warum hat die Person, bei der es ähnlich steht, quasi eine bessere oder sowas.

3307.449
stefansasse
Das ist dann immer superschwer, den begreiflich zu machen, letzten Endes. Und dann kommt ja auch noch die pädagogische Komponente dazu. Das finde ich auch so spannend bei den Noten, so als Seitenbemerkung, dass die ja offiziell eine pädagogische Feststellung auch sein sollen. Das heißt, diese Dimension, die kommt ja noch mit rein. Die allermeisten Lehrkräfte, die ich kenne, versuchen das ganz bewusst rauszunehmen, aus offensichtlichen Gründen, glaube ich.

3323.148
Benedikt Wisniewski
Ja.

3333.217
stefansasse
Weil das so wahnsinnig problematisch ist, aber rein theoretisch gesehen, so von den Buchstaben des Schulgesetzes her, kann ich ja noch viel mehr pädagogische Gestaltungsspielräume in die Noten reinbringen, Klammer auf bis zu den Abschlussprüfungen, Klammer zu, weil die ja dann wieder standardisiert sind.

3349.462
stefansasse
Da prallen ganz viele Dinge aufeinander. Und auch so als eine Seitenbemerkung zu dem Ding, was du gerade gebracht hast, meine anekdotische Evidenz ist, dass die Noten per se keine große motivierende Wirkung haben. Weil also jedes Mal, wenn ich Leute habe, die katastrophale Noten haben, die sind dadurch nicht motiviert zusätzlich zu lernen.

3353.097
Benedikt Wisniewski
Hm. Hm.

3372.005
stefansasse
Und die lassen sich witzigerweise auch nicht motivieren durch besonders einfache Tests oder sowas. Da hatte ich letztendlich mit einer Kollegin die Diskussion, die ist Sprachenlehrerin, ist verzweifelt darüber, hat Schüler in der Klasse, die haben fünf, fünf bis sechs oder sowas in der zweiten Fremdsprache, lernen aber nicht mal auf Vokabeltests, obwohl das ja wirklich ein reines auswendiges Lernen wäre, das total easy eine gute Note produzieren könnte.

3398.183
stefansasse
Und die ist da völlig drüber verzweifelt. Und ich konnte an der Stelle nur lachen und konnte quasi sagen, ich verstehe das total, weil ich war als Schüler genauso. Ich kann ihr aber nicht sagen, warum. Also das scheint irgendwie auch so eine Typfrage zu sein. Aber das fand ich spannend an der Stelle, dass sie das quasi überhaupt nicht nachvollziehen konnte, weil sie offensichtlich als Schülerin auch total anders war. Und mir war das sofort eingängig. Nicht, dass das ein sinnvolles Verhalten wäre, aber ich hatte das genauso.

3406.783
Benedikt Wisniewski
Stoppmiss.

3423.797
Benedikt Wisniewski
Also wenn man eine Sache über intrinsische Motivation sehr genau weiß, dann ist es die, dass intrinsische Motivation eine Folge von Erfolg ist. Und das heißt, jemand, der eine schlechte Note hat, der kann daraus eigentlich relativ unmöglich Motivation ziehen. Also da produziere ich eher an der Stelle einen Scheren-Effekt, dass die Leute, die sowieso gut sind, dann noch mehr motiviert werden.

3447.978
Benedikt Wisniewski
und die, die schlechter sind, demotiviert werden. Der Effekt, der hinter der vorher genannten Meta-Analyse steht, warum Lernerfolge gesteigert werden durch häufiges Testen, ist auch kein Motivationseffekt, sondern ist ein relativ basaler lernpsychologischer Effekt. Nämlich, dass einfach das Üben von Abruf einer der mächtigsten Wirkmechanismen ist beim Lernen von Inhalten.

3477.5
Benedikt Wisniewski
Also bei einer Prüfung bin ich einfach gezwungen, meinen, den Abruf zu üben. Und das wirkt mehr als ihn zu wiederholen oder mir Notizen zu machen oder Unterstreichungen oder was es alles an Lerntechniken gibt. Es ist einfach ein sehr, sehr wirksame, eine sehr, sehr wirksame Methode, Abruf zu üben. Und das erklärt, warum häufiges Testen Lernerfolge steigert. Ist kein Motivationseffekt.

3506.869
stefansasse
Das ist auch mal wieder sehr spannend. Aber das heißt ja auch, dass quasi diese ganzen Vokabeltests und so, die da immer geschrieben werden, die sind ja eigentlich super sinnvoll dann. Das bestätigt sich ja dann, oder?

3517.824
Benedikt Wisniewski
Ja, das Phänomen nennt sich Retrieval Practice und das ist eigentlich ein sehr gut beschriebenes psychologisches Phänomen.

3526.732
stefansasse
Das klingt doch so weit stabil. Ich würde jetzt noch zum Schluss quasi grundsätzlich werden wollen. Und zwar, wir reden hier ja zumindest so gefühlt eigentlich schon immer aus einer Perspektive von letzten Endes Schülerinnen und Schülern,

3542.944
stefansasse
die doch zumindest grundsätzlich lernwillig sind oder doch funktionieren sozusagen in diesen schulischen Kontexten. Und wir haben ja jetzt aber in Deutschland ein mehrgliedriges Schulsystem. Wir kennen Brennpunktschulen. Wir haben eine erschreckend hohe Anzahl an Schülerinnen jedes Jahr, die quasi als, wie auch immer man das ausdrücken will, Abbrecher, Schulversager, da gibt es ja alle möglichen Begrifflichkeiten dafür, aber die auf jeden Fall

3551.613
Benedikt Wisniewski
Hm.

3570.145
stefansasse
die Schule ohne Abschluss verlassen, was ja eigentlich in dem System gar nicht so wirklich vorgesehen ist. Da brauche ich ja dann quasi auch komplett andere Herangehensweisen für. Und ist da überhaupt quasi Psychologie der richtige Kontext?

3586.988
stefansasse
Oder haben wir es da dann eigentlich immer schon mit sozialen Problemen zu tun, die quasi eher dann in der Soziologie oder in der sozialen Arbeit oder wie auch immer begründet sein müssten, die aber in eine Institution ausgelagert werden, die da wirklich nicht gut geeignet ist, damit umzugehen?

3607.6
Benedikt Wisniewski
Also grundsätzlich ist natürlich die Institution nach wie vor nicht gut ausgestattet mit Leuten, die sich spezifisch damit beschäftigen. Und da würde ich mich jetzt selber dazu zählen, also die Schulpsychologie, die Jugendsozialarbeit an Schulen, also alle die

3626.118
Benedikt Wisniewski
Bereiche, die sich speziell den Schülerinnen und Schülern annehmen, die halt Schwierigkeiten haben und die durch Beratungsangebote wie auch immer unterstützen. Da ist es natürlich schon Teil der Institution, wo man auch mehr machen könnte. Aber es ist natürlich ein grundlegendes Problem, das dahintersteckt, dass wir in Deutschland

3654.974
Benedikt Wisniewski
in jeder PISA-Untersuchung wieder feststellen, dass der Bildungserfolg wahnsinnig hoch mit dem sozioökonomischen Status der Eltern verknüpft ist in Deutschland und dass sich das auch nicht ändert. Das ist ein Problem, das kann Schule nicht lösen. Das ist ein Thema der Bildungspolitik. Also meine Schule

3679.821
Benedikt Wisniewski
Schule kann es nicht lösen in dem Sinne, dass eine Lehrkraft durch Gestaltung von Unterricht beispielsweise zur Verminderung beiträgt. Das geht nicht. Das ist eine bildungspolitische Frage. Da bin ich dann aber weitgehend raus.

3696.783
stefansasse
Das fasziniert mich ohnehin. Wir machen diese ganzen Studien jetzt wirklich schon seit deutlich über 20 Jahren und was auch wiederum faszinierend ist, was sie erst seit 20 Jahren tun. Aber es scheint und wir kriegen ja wirklich jedes Jahr in Schattierungen denselben Befund. Wir kaprizieren uns dann hauptsächlich darauf, welches Bundesland da jetzt quasi welches andere überholt hat, ohne dass da jemals dieser viel beschworene Effekt vom Lernen und von der Konkurrenz der Bundesländer untereinander eintreten würde.

3717.585
Benedikt Wisniewski
Ja. Ja. Ja, weiß ich nicht, weiß ich nicht, ob es eine Lernresistenz ist und ob es den Beteiligten egal ist.

3727.783
stefansasse
Aber an den grundsätzlichen Befunden selbst ändert sich irgendwie gar nichts. Das finde ich schon faszinierend, welche Lernresistenz da zu herrschen scheint und wie egal das den Beteiligten irgendwie auch ist.

3748.566
Benedikt Wisniewski
Das größere Problem aus meiner Sicht ist, dass man ja aus diesen Ergebnissen auch gar nicht wirklich große Schlüsse ziehen kann, weil wir ja nie wissen, was sind die Kausalbedingungen. Wir wissen ja, wir können ja immer nur spekulieren, woran es liegt. Wir bekommen da bestimmte Ergebnisse, so gut oder so schlecht sind die 15-Jährigen in diesen Bereichen, die da eben gemessen werden.

3770.401
Benedikt Wisniewski
Aber allein das Versuchsdesign der PISA-Untersuchung gibt es ja überhaupt nicht hier Ursachen zu identifizieren. Das ist eine absolute Scheindebatte, die da stattfindet. Also sobald die Ergebnisse einer neuen PISA-Untersuchung veröffentlicht werden, kommen die ganzen Expertinnen und Experten

3793.079
Benedikt Wisniewski
und erzählen uns das, was Sie schon immer gesagt haben, wird dadurch jetzt wieder bestätigt. In Wirklichkeit geben die Daten es überhaupt nicht her. Das sind rein deskriptive Daten über einen Stand von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in bestimmten Kompetenzbereichen. Wir wissen nichts darüber, was Schule dazu beitragen kann, dass es sich verändert. Wir wissen nichts darüber,

3818.362
Benedikt Wisniewski
wie Unterricht jetzt verändert werden müsste, dass die Ergebnisse besser werden. Alles das geben die Daten überhaupt nicht her. Und wenn man sich Ergebnisse anschaut, kann ich dir vielleicht auch zum verlinken, dann schicken gibt es Untersuchungen, die mal diese Aufgabentypen der PISA-Untersuchungen anschauen, dann stellt man fest,

3843.12
Benedikt Wisniewski
Es gibt eine massive Überschneidung zwischen dem, was die PISA-Aufgaben messen und dem, was Intelligenztests messen. Also PISA misst viel weniger eigentlich das, was Schule vermittelt, als es vorgibt zu messen, sondern es misst eigentlich wieder eine relativ stabile Eigenschaft, nämlich die Intelligenz.

3864.309
Benedikt Wisniewski
Und natürlich, je mehr jetzt so eine Untersuchung aber eine stabile Komponente wie Intelligenz misst, umso weniger habe ich darauf als Schule überhaupt Einfluss. Und auch mit der Frage muss ich mich da mal beschäftigen, inwieweit haben wir überhaupt Einflussmöglichkeit auf das, was Pisa misst?

3864.326
stefansasse
Tuts das gut? Mist ist es dann wenigstens gut, weil Intelligenztests sind ja auch unglaublich problematisch und umstritten.

3892.244
Benedikt Wisniewski
Nein, also in der Psyologie nicht.

3895.367
stefansasse
Ah, okay. Heißt das dann einfach, die deutschen Schülerinnen sind im Schnitt dümmer oder... das klingt jetzt schon fast so.

3903.848
Benedikt Wisniewski
Also was Problematik von Intelligenztests betrifft, weiß ich nicht. Grundsätzlich ist Intelligenz eigentlich das am besten erforschte physiologische Konstrukt überhaupt. Wir haben für kein anderes Konstrukt so eine hohe Vorhersagegüte für verschiedenste spätere Merkmale. Also Intelligenz sagt so ziemlich alles, was

3926.943
Benedikt Wisniewski
Menschen in der Regel wichtig ist, sehr gut voraus, besser als jedes andere Merkmal. Es sagt so was wie Einkommen, Zufriedenheit später. Es sagt so was wie Gesundheit sogar, sehr gut voraus. Es ist nicht so, dass wir es damit am umstrittenen Konstrukt zu tun hätten, zumindest nicht aus psychologischer Sicht. Und wenn jetzt eine PISA-Untersuchung Dinge misst, die damit sehr stark überlappen,

3956.647
Benedikt Wisniewski
Dann kann man natürlich sagen, wenn wir dann abnehmen, dann werden die Leute dümmer. Und wir hatten bis in die 1990er Jahre einen massiven Anstieg der Intelligenz in der Gesamtbevölkerung. Das nennt sich Flynn-Effekt.

3975.06
Benedikt Wisniewski
Man hat es damit erklärt, dass die Leute einfach ernährungstechnisch und in ihrer psychischen Gesundheit besser versorgt sind und dass dadurch Intelligenz ansteigt. Und man hat dann festgestellt, dass ab Mitte der 90er Jahre ungefähr dieser Effekt stagniert.

3994.514
Benedikt Wisniewski
Und man stellt jetzt fest, das ist noch nicht so ganz eindeutig, weil man natürlich, da braucht man immer viele und über viele Daten und Daten über lange Zeiträume, dass dieser Effekt jetzt leicht rückläufig ist. Damit haben wir in einem Land, das als einzige Ressource Bildung und Technologie Entwicklung hat, natürlich ein Problem.

4020.247
stefansasse
Und die Lösung dafür ist natürlich das, was wir schon immer gedacht haben, was getan werden muss. Das ist halt die große Gretchenfrage an der Stelle und spätestens da scheinen sich ja dann wieder die Geister deutlich zu scheiden.

4025.742
Benedikt Wisniewski
Naja, genau, was tut man dann? Ja, also man kann nicht sagen, dass die Intelligenz überhaupt nicht beeinflussbar ist durch Schule. Den Eindruck möchte ich jetzt auch nicht vermitteln. Also da kann ich Professor Detlef Rost zitieren, der hat gesagt, dass die wichtigste Einflusskomponente für die Intelligenzentwicklung ist der gute Unterricht.

4053.865
Benedikt Wisniewski
wie immer er das gemeint haben mag. Aber die Intelligenz ist natürlich nicht beliebig beeinflussbar durch Schule, sondern in einem sehr engen Korridor. Definitiv, definitiv. Und man könnte natürlich auch, wenn man schon diese

4066.544
stefansasse
Okay, aber diesen Corridor könnten wir sicher optimaler ausnutzen, als wir es aktuell tun. Aber die sind doch standardisiert, oder? Also wir können doch den Pisa-Test gar nicht einfach ändern.

4076.937
Benedikt Wisniewski
unglaublich umfangreichen Untersuchungen alle vier Jahre durchführt, dann könnte man auch die natürlich so gestalten, dass Schulen mehr damit anfangen können. Ja. Ne, wir können den nicht ändern. Aber die OECD könnte den natürlich so auslegen, damit man was damit anfangen kann. Da musst du die OECD fragen. Andreas Schleicher ist bei Twitter.

4097.534
stefansasse
Okay. Warum tun die das nicht?

4105.674
stefansasse
Okay, dann danke ich dir ganz, ganz herzlich für dieses Gespräch. Es war wahnsinnig erhellend. An der Stelle noch einmal der Aufruf, wer mehr Informationen zu all diesen Themen haben möchte und quasi faszinierende Einblicke in die Psychologie und ihre Anwendbarkeit auf Schule und Unterricht haben möchte, der ist mit deinem Podcast wunderbar bedient. Psychologie fürs Klassenzimmer. Ich habe gar nicht im Überblick, wie oft kommt eine Folge raus, alle zwei, drei Wochen.

4130.116
Benedikt Wisniewski
Im Moment nicht, ich arbeite gerade an was anderem, aber ab Herbst gibt es dann wieder regelmäßige Folgen. Ich danke für die Einladung.

4135.657
stefansasse
hervorragend. Und ansonsten bis Herbst rettet einen dann ja gegebenenfalls das Backlog und es lohnt sich ja auch die Folgen mehrfach anzuhören und wir schreiben dann einen Test drüber. Bis zum nächsten Mal, ich danke dir herzlich und allen vielen Dank fürs Zuhören.

 

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