Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Das Politik-Paradoxon nach der Ära Merkel
Ich sehe das nicht als paradox. Ich habe noch in der Merkel-Ära immer wieder darauf hingewiesen, dass diejenigen, die sich mehr Streit und Polarisierung wünschen, die negativen Konsequenzen nicht voll durchdacht haben. Das zeigt sich dieser Tage immer mehr. Die asymmetrische Polarisierung ist auch auffällig, wenngleich Posener sie nur streift: Die Grünen haben sich programmatisch seit 2019 nicht verändert. Der unbändige Hass, der sich über sie ergießt, kommt glaube ich eher von einer wesentlich gesteigerten Aufmerksamkeit und eben ihrer Gegenposition zur AfD. Letztlich aber bin ich im Appell völlig bei Posener: die Gemeinsamkeiten, deren Dominanz man unter Merkel noch so bedauert hat, könnten ein Comeback mehr als vertragen.
2) EVs Could Last Nearly Forever—If Car Companies Let Them
Im April erreichte ein roter Tesla Model S, gefahren von Hansjörg von Gemmingen-Hornberg, einen beeindruckenden Meilenstein: 2 Millionen Kilometer. Dies könnte das erste Elektrofahrzeug sein, das diese Distanz zurückgelegt hat. Diese Leistung ist nicht ohne Reparaturen, einschließlich mehrerer Batteriewechsel, erreicht worden. Im Vergleich dazu haben einige Benzinfahrzeuge längere Distanzen zurückgelegt, wie ein Volvo von 1966 mit 3 Millionen Meilen. Elektroautos, die weniger bewegliche Teile haben, sind jedoch auf lange Sicht wartungsärmer und könnten bald ähnliche Laufleistungen erreichen. Ein Hauptfaktor für die Lebensdauer von E-Autos sind die Batterien, die mit der Zeit an Kapazität verlieren. Aktuelle Technologien und Forschungen deuten darauf hin, dass zukünftige Batterien langlebiger sein werden und bis zu einer Million Meilen halten könnten. Trotz technologischer Verbesserungen könnten jedoch die Automobilhersteller die Lebensdauer der Fahrzeuge absichtlich einschränken, um den Verkauf neuer Modelle zu fördern, ähnlich wie bei der geplanten Obsoleszenz von Smartphones. Die Langlebigkeit von Elektrofahrzeugen könnte erhebliche ökologische Vorteile bieten, indem sie die Notwendigkeit neuer Fahrzeuge reduziert und den Kohlenstoffausstoß verringert. Dies setzt jedoch voraus, dass die Hersteller die Reparatur und Wartung durch unabhängige Werkstätten ermöglichen, was derzeit noch unsicher ist. Die Zukunft von Elektrofahrzeugen könnte somit stark von den Geschäftsmodellen der Autohersteller abhängen und davon, wie sehr sie sich wie Technologieunternehmen verhalten. (Matteo Wong, The Atlantic)
Ich denke, Wong ist völlig korrekt in den Szenarien, welche Handlungsweise die Hersteller wählen werden. Niemals werden die erlauben, dass die Autos eine so lange Lebensdauer haben. Das ist völlig antithetisch zur Funktionsweise unseres gesamten Wirtschaftssystems. Eine Abkehr von diesem Paradigma wäre nur möglich, wenn man massiv regulatorisch da rangeht, auf breiter Front, und geplante Obsoleszenzen abschafft. Mein Vertrauen darin, dass das überhaupt möglich ist, ist nicht sonderlich groß, und die Flurschäden wären gigantisch, ohne dass man überhaupt die damit verbundene Abkehr vom Wachstumsparadigma miteinbezieht. Allerdings ist es zumindest möglich, die Hersteller zu Abwärtskompatibilität zu verpflichten, was man etwa bei Smartphones leider sträflich unterlassen hat.
3) Eine Verteidigung des Heute gegen das Gestern
Ich bin völlig bei Fichtner; ich kann mit diesem ganzen Doomsday-Blödsinn auch nichts anfangen. Dass der sowohl von Links (kapitalistische Hölle) als auch aus dem ökologischen Spektrum (wir werden schon morgen alle sterben) als auch von rechts (unser Volk wird aussterben und von Migrant*innen überrannt) als auch von liberaler Seite (wir leben quasi in einer kommunistischen Diktatur kommt), mit sich gegenseitig ausschließenden dräuenden Weltuntergängen, macht das Ganze noch absurder. Dazu kommt, dass es auch politisch schlecht ist; von Untergangsszenarien profitieren immer die Ränder, niemals die Mitte, was sie für demokratische Parteien und ihre ideologischen Nachbarn auch kontraproduktiv macht. Umgekehrt muss man allerdings auch sagen, dass ein trotziges "dem Land geht es besser als du denkst" auch nicht die Sternstunde politischer Kommunikation ist, da muss man nur Hillary Clinton dazu befragen. Diese Nadel durch dieses spezifische Öhr zu bringen ist alles andere als leicht.
4) Democrats Should Run Against the Supreme Court
Nach der Verurteilung von Donald Trump durch ein Gericht in Manhattan forderte der Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, den Obersten Gerichtshof auf, zugunsten von Trump einzugreifen. Johnson bestritt nicht die Schuld Trumps, sondern sprach vage von "Systemmissbrauch" und hoffte auf Unterstützung seiner Bekannten im Gericht. Diese Aufforderung verdeutlicht die schädlichen Einflüsse des rechtsgerichteten Obersten Gerichtshofs auf die amerikanische Demokratie. Nach der Entscheidung im Fall Dobbs, die das Recht auf Abtreibung nach einem halben Jahrhundert aufhob, sind viele Amerikaner über das Verhalten der Richter empört. Der Oberste Gerichtshof steht vor einer Legitimationskrise, ausgelöst durch Skandale um Geschenke an Richter Clarence Thomas und finanzielle Unregelmäßigkeiten bei Samuel Alito. Alito wurde zudem beschuldigt, extremistische und parteiische Entscheidungen geleakt zu haben und Symbole des christlichen Nationalismus und der Trump-Bewegung „Stop the Steal“ gezeigt zu haben. Die konservative Mehrheit im Gericht wurde größtenteils von Präsidenten ernannt, die die Volkswahl verloren hatten, was zu einer starken politischen Neigung führte. Dies hat das Gericht zutiefst unpopulär gemacht, wobei über 60 Prozent der Amerikaner mit seiner Arbeit unzufrieden sind. Diese Unzufriedenheit bietet den Demokraten eine Gelegenheit, auf Reformen des Gerichts zu drängen und die Verbindung zwischen Trump und den extremen Entscheidungen des Gerichts hervorzuheben. Die Biden-Kampagne sollte diese Dynamik nutzen, da die demokratischen Politiken populär sind, während Trump und der Oberste Gerichtshof es nicht sind. Um die Wähler zu erreichen, insbesondere die weniger informierten und weniger engagierten, müssen die Demokraten die Auswirkungen von Trumps Ernennungen auf das Gericht und die Rücknahme lang gehegter Rechte klar kommunizieren. (David Atkins, Washington Monthly)
Ich stimme der These völlig zu. Nicht nur ist der Supreme Court ein mittlerweile offenkundig parteiisches Organ, das eine vollkommen politische Rolle eingenommen hat und deswegen auch als politischer Akteur gesehen und behandelt werden muss; es ist mittlerweile für die Democrats auch politisch klug. Denn nicht nur haben ihre Gegner keinerlei solche Hemmungen; der Supreme Court hat in den letzten zehn Jahren durch seine Radikalisierung und Politisierung in atemberaubenden Ausmaß an Legitimität verloren. Noch 2016 wäre es politischer Selbstmord gewesen, gegen den SCOTUS Wahlkampf zu machen. Inzwischen ist es soweit, dass es völlig unverständlich ist, das nicht zu tun.
5) Billigautos aus China? Immer her damit!
Die EU-Kommission untersucht derzeit Chinas Subventionen für seine Elektroautoindustrie. Sollte die EU zu dem Schluss kommen, dass diese Subventionen unfair sind, könnten höhere Zölle auf chinesische Autos verhängt werden. Dies könnte jedoch der deutschen Autoindustrie, den europäischen Autokäufern und dem globalen Klimaschutz schaden. Deutsche Autohersteller wie Volkswagen, Mercedes und BMW lehnen Zölle offen ab, da sie befürchten, in China zum Paria zu werden, wo sie einen Großteil ihrer Autos verkaufen. Europäische Hersteller bringen erst langsam erschwingliche Elektroautos auf den Markt, während in China bereits günstige Modelle weit verbreitet sind. Mehr Auswahl im unteren Preissegment könnte dazu beitragen, die CO₂-Ziele der EU zu erreichen, indem mehr Menschen auf Elektroautos umsteigen. Obwohl chinesische Autos bisher nur in geringen Mengen in Europa verkauft werden, könnte sich dies ändern, da chinesische Hersteller inzwischen qualitativ hochwertige Fahrzeuge anbieten. Anstatt in einen Handelskrieg zu stolpern, sollte die EU ihre Verhandlungsposition nutzen, um bessere Handelsbedingungen zu fordern. Beispielsweise könnte eine Angleichung der Einfuhrzölle zwischen China und der EU angestrebt werden. Die EU könnte auch von Chinas Modell der Gemeinschaftsunternehmen lernen, bei dem ausländische Firmen, die in China tätig sind, mit lokalen Partnern zusammenarbeiten müssen. Eine ähnliche Strategie könnte europäische Zulieferer und Forschung stärken. Letztlich sollte die EU auf einen Deal hinarbeiten, der beiden Seiten Vorteile bringt, anstatt Strafzölle zu verhängen, die langfristig allen schaden könnten. (Alexander Demling, Spiegel)
Die deutschen Automobilhersteller scheinen mir in einem Catch-22 gefangen. Auf der einen Seite haben sie die Entwicklung verschlafen und können sich immer noch nicht recht entscheiden, ob ihr Heil im Protektionismus oder der strategischen Neuaufstellung liegt. Auf der anderen Seite sind sie aber so abhängig vom Chinageschäft, das absehbar immer weniger werden wird, dass der Protektionismus riesige Opportunitätskosten hat. Entweder werden sie von hoch subventionierten chinesischen Autos bedrängt, oder sie schaffen es die EU auf Strafzölle festzulegen - und verlieren dann das Chinageschäft. Nur, das erklärte Ziel der chinesischen Regierung ist es, genau dieses Geschäft mittelfristig zu killen, weil man die westlichen Konzerne stets nur als Technologielieferanten gesehen hat. Das ist auch nichts Neues - es war schon immer erklärte Strategie Chinas, nur hat man das eben zwei Jahrzehnte lang ignoriert. Es war immer das Problem des nächsten CEO. Und jetzt ist der nächste CEO da und hat das Problem. Und es gibt keinen guten Ausweg daraus. Da Deutschland sich weigert, Industriepolitik zu betreiben, ist hier keine Alternative sichtbar. Und wie lange der Luxusmarkt noch vor chinesischem Einfluss sicher sein wird, sei mal dahingestellt. Xiamo jedenfalls scheint da deutliche Aspirationen zu haben. Das wird noch richtig ungemütlich, besonders wenn man die Abhängigkeit unserer Wirtschaft von diesem Zweig bedenkt.
Nachtrag: Ich hatte das schon geschrieben als die Nachricht von EU-Strafzöllen eintrudelte.
Resterampe
a) Bob Blume kritisiert die Kritik des Philologenverbands am Wahlalter 16.
b) Post-constitutional? Yeah, about that.
c) Egal, was Israel tut. Es landet auf der Anklagebank. Korrekt.
d) Joe Biden ist der israelfreundlichste US-Präsident der Geschichte. Korrekt, und wie so vieles von Bidens Bilanz interessiert es keine Sau.
e) Israel und das Völkerrecht: Und der Tiger hat doch Zähne.
f) Was für ein blödsinniger Kommentar.
g) Die Bundesregierung und Gazprom im Sommer 2021.
h) It’s not COVID that killed trust in experts. It’s politics.
i) Cancel Culture im Bildungsministerium.
k) Do you remember the Trump recession?
Fertiggestellt am 12.06.2024
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