Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
Der Artikel kritisiert die populistischen Töne innerhalb der CDU, besonders durch Aussagen von Michael Stübgen und Steffen Bilger zur Unterstützung der Ukraine und der Behandlung ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland. Der Autor bemängelt den Abstieg der CDU in populistische Rhetorik und die Verlagerung der Partei nach rechts, um Wähler in den östlichen Bundesländern zu gewinnen. Diese Entwicklung spiegelt eine Erosion des staatsräsonalen Selbstverständnisses der CDU wider. Der Artikel betont, dass die CDU ihre ursprünglichen Werte und politischen Ziele opfert, um dem Zeitgeist und den Forderungen nach einer schärferen Migrations- und Sozialpolitik gerecht zu werden. Diese Strategie könnte die Partei langfristig schädigen und ihre Identität gefährden. (Dieter Schnaas, Wirtschaftswoche)
Was ich an der Analyse scharfsinnig finde (zugegeben etwas eigennützig, weil ich denselben Punkt auch schon eine Weile mache) ist der Fokus auf der Bedeutung des Kulturkampfs für die CDU. Das ist auch wenig überraschend, Identitätspolitik und Kulturkampf wird von jeder Partei betrieben. Ich finde diese bürgerliche Schutzbehauptung, man selbst tue das nicht und es seien nur die bösen anderen, wahnsinnig ermüdend. Natürlich ist das Ausmaß mal mehr, mal weniger umfassend und Gegenstand von Wechseln. Wie Ariane und ich ja auch im Podcast bemerkt haben, gab es bei dieser Mentalität in den letzten Jahren eine Drehung zwischem progressivem und bürgerlichem Lager: letzteres erlebte eine scharfe Bedeutungszunahme von Kulturkämpfen, während diese in ersterem eher abnahmen. Lange Zeit war die Lage eher umgekehrt. Scheint auch so eine Art politischer Mode zu sein.
2) Absurd teure Scheinlösungen
Viele deutsche Politiker fordern, dass Deutschland seine Asylverfahren in Drittstaaten verlegt, um die Belastung der Kommunen zu reduzieren. Trotz des Widerstands von Experten, die diese Modelle als ineffektiv und neokolonialistisch kritisieren, drängen die Länderchefs, mit Ausnahme von Bremen und Thüringen, auf konkrete Vorschläge bis Dezember. Diese Idee ist jedoch nicht neu: Seit 20 Jahren wird darüber diskutiert, ohne dass sie umgesetzt wurde. Viele afrikanische Länder sind nicht bereit, weitere Flüchtlinge aufzunehmen und betrachten die europäischen Auslagerungswünsche als kolonialistisch. Großbritannien zahlte bereits enorme Summen an Ruanda, ohne dass bisher ein Flüchtling umgesiedelt wurde. Die Aussichten, dass solche Maßnahmen die deutsche Kommunen langfristig entlasten, sind gering. Vielmehr benötigen die Kommunen finanzielle Unterstützung und Ressourcen für Bildung, Integration und Sozialleistungen. (Christian Jakob, taz)
Ich habe darüber bereits in meinem Grundsatzartikel "Sackgasse in der Migrationspolitik" geschrieben: sowohl Links als auch Rechts haben sich in eine totale Sackgasse manövriert, was das Thema angeht. Fantasien und irgendwelche Schlagworte bestimmen die Debatte, und beide Seiten sind völlig unrealistisch. Die rechtliche Lage ist wahnsinnig kompliziert und erlaubt die populistischen Forderungen von Scholz bis Dobrindt einfach nicht. Gleichzeitig kann es ja auch keine Lösung sein, die ganze Zeit einfach nur die Hände in die Luft zu werfen und zu sagen "kann man halt nichts machen", denn das Migration ein Problem ist - vor allem ein politisches Problem, da aber ein drängendes - steht doch außer Frage. Aber wie auf so vielen Feldern geschieht da nichts Substanzielles; man versichert sich nur stets gegenseitig, dass es sich um ein drängendes Problem handelt, haut irgendwelche Sprüche raus und schraubt an winzigen Schräubchen rum.
3) Der Kampf für saubere Energie ist erfolgreicher, als viele denken
Trotz pessimistischer Stimmen, die meinen, es geschehe „zu wenig zu spät“ im Kampf gegen die Erderwärmung, wird weltweit intensiv an Lösungen gearbeitet. Die erneuerbaren Energien sind auf dem Vormarsch und sollen laut der Internationalen Energie-Agentur (IEA) bereits im nächsten Jahr die Kohle als größte Stromquelle ablösen. Insbesondere China und die USA machen große Fortschritte: China plant bis 2027 die Hälfte des globalen Zuwachses an erneuerbaren Energien zu installieren, und die USA verdoppeln ihre Kapazitäten. Solaranlagen und Windkraft werden dominieren, unterstützt durch Fortschritte in der Speichertechnologie und künstlicher Intelligenz. Diese Entwicklungen zeigen, dass eine nachhaltige, emissionsfreie Energieversorgung keine ferne Utopie mehr ist, sondern bald Realität sein könnte. Es ist daher wichtig, optimistisch zu bleiben und kontinuierlich an diesen Veränderungen zu arbeiten. (Ullrich Fichtner, Spiegel)
Ich hoffe einfach mal, dass Fichtner Recht hat. Vermutlich gibt es bei dem Thema auch einfach eine Spaltung der Wahrnehmung über längere und kürzere Zeitrahmen: kurzfristig sieht die Lage für die Erneuerbaren gerade nicht sonderlich gut aus, langfristig mag die Entwicklung besser sein. Ich finde das besonders am Beispiel Chinas, das wir ja im letzten Vermischten diskutiert hatten, augenfällig. Während Tooze in seiner Analyse betonte, wie viel da kurzfristig getan werden muss, spricht Fichtner von einer tollen langfristigen Aussicht. Was davon korrekt ist? Keine Ahnung. Ich hoffe einfach mal, dass sich Fichtners Optimismus bewahrheitet.
4) Merz entdeckt seinen inneren Habeck
Friedrich Merz von der CDU hat sich jüngst zum Befürworter der Wärmepumpentechnologie gewandelt, obwohl er zuvor die Technologie und andere erneuerbare Energien kritisch betrachtet hatte. Ursprünglich stellte er die Kompetenz von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Frage, da dieser keine technische Ausbildung habe. Merz und andere CDU-Politiker äußerten wiederholt Skepsis gegenüber Wärmepumpen und setzten sich für fossile Brennstoffe ein, unterstützt von Lobbyisten der Gasindustrie. Diese Haltung führte zu einer verstärkten Installation von Gasheizungen in Deutschland, obwohl Wärmepumpen erwiesenermaßen effizienter und umweltfreundlicher sind. Nun hat Merz seine Position geändert und unterstützt die Wärmewende. Bei der Eröffnung einer Wärmepumpen-Akademie sprach er von der Technologie als „faszinierend“ und einem „wesentlichen Träger für die Transformation“. Diese Kehrtwende kommt jedoch für viele zu spät, da die Preise für fossile Brennstoffe voraussichtlich steigen werden, sobald der Gebäudesektor in den europäischen Emissionshandel einbezogen wird. Merz' Sinneswandel könnte ein positives Zeichen für die Zukunft Deutschlands sein, doch er zeigt auch, wie stark die fossile Lobby bisher den Diskurs beeinflusst hat. (Christian Stöcker, Spiegel)
Das ist das tolle an der CDU: seit Adenauer interessiert die ihr "dummes Geschwätz von gestern" grunsätzlich nicht. Ein Jahr lang führt Merz mit seiner CDU zusammen mit Springer einen Kulturkampf um die Gasheizung, bringt zehntausende zu einer wirtschaftlich nachteiligen Entscheidung (auffällig, wie viele gegen Wärmepumpen agitierende CDU-Politiker*innen die Dinger selbst zuhause haben...) und drehen sich dann einfach um und erklären, schon immer für Wärmepumpen gewesen zu sein. Das ist dieser politische Pragmatismus, der praktisch allen anderen Parteien abgeht, in dem ich aber den größten Unterschied zur FDP sehe. Die sind viel mehr true believer als die CDU, und ich glaube, da kommt auch viel von den internen Konflikten in bürgerlichen Koalitionen. Die FDP ist jedes Mal aufs Neue überrascht, dass die CDU zwar rhetorisch ihre Prinzipien teilt, aber niemals, wenn es konkret wird. Deswegen habe ich auch so wenig Vertrauen in CO2-Preise und Co: die CDU wird jederzeit und ohne zu zögern die Schuldenbremse abschaffen und riesige Subventionen raushauen, um die eigene Klientel davor zu beschützen. Die kennen da gar nichts.
5) Labour’s winning coalition may be another political sandcastle
Die aktuelle politische Lage in Großbritannien zeichnet sich durch schnelle und tiefgreifende Veränderungen aus. Beispiele hierfür sind die Wahlerfolge der UKIP im Jahr 2014, der SNP im Jahr 2015, der Brexit-Entscheid 2016 und die raschen Auf- und Abstiege von Jeremy Corbyn und Boris Johnson. Diese Dynamik zeigt, dass politische Koalitionen heutzutage oft instabil und kurzlebig sind. Ein Hauptgrund für diese Instabilität ist die abnehmende Parteibindung der Wähler. In den 1960er Jahren hatten fast die Hälfte der Briten eine starke Parteibindung, heute sind es nur noch etwa 10%. Dies führt zu einer erhöhten Wechselbereitschaft, wobei viele Wähler von Wahl zu Wahl die Partei wechseln. Die Konservativen haben in den letzten Jahren unterschiedliche Wählergruppen angesprochen, was zu einer heterogenen und instabilen Wählerbasis geführt hat. Diese Spannungen werden deutlich, wenn man versucht, unterschiedliche Wählergruppen wie die in Kensington und Clacton zu vereinen. Die Unfähigkeit, nachhaltige wirtschaftliche Verbesserungen zu liefern, hat diese Koalition weiter geschwächt. Labour steht vor einer ähnlichen Herausforderung. Trotz einer möglichen breiten Wahlbasis ist die Partei mit vielfältigen und oft widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert. Die Breite und Heterogenität ihrer Unterstützerbasis könnten zukünftige Probleme verursachen, insbesondere wenn der anfängliche Wahlerfolg nicht in langfristige Stabilität umgewandelt werden kann. Letztlich zeigt sich, dass politische Parteien zunehmend darauf abzielen, kurzfristige Wahlerfolge zu erzielen, anstatt langfristige Reformen und Regierungsstabilität anzustreben. Dies könnte dazu führen, dass politische "Sandburgen", die auf wackeligen Koalitionen basieren, ebenso schnell zusammenbrechen, wie sie aufgebaut wurden. (James Kanagasooriam, Focal Data)
Die Analyse ist in meinen Augen völlig korrekt, was die gewaltigen Schwünge der vergangenen zwei Dekaden angeht; diese Erosion von Stammwählendenschaften ist ja breit untersucht und auch kein britisches Phänomen, wir haben dasselbe in Deutschland ja auch. Allerdings sollte man vorsichtig sein, das zu pauschalisieren; manchmal bilden sich eben doch deutlich festere elektorale Burgen (nicht, dass das bei Labour hier der Fall sein muss!). Auch die Analyse, dass die Kurzfristigkeit der Politik nicht eben hilfreich ist teile ich, wenngleich mir nicht ganz klar ist, inwiefern sich tiefe Reformpolitik in dauerhafte Koalitionen ummünzen lässt. Das funktioniert eigentlich sehr selten.
Resterampe
a) Der Scholzomat ist wieder auf Hochtouren, und dieses Mal gilt die Ausrede mit dem Nachhaltigkeitstag nicht.
b) Mal ÖRR-Kritik von links. Auch nicht überzeugender.
c) Gutes Beispiel zu Statistikmissbrauch.
d) Noch ein Beispiel für Kulturkämpferei.
f) So ein langer Artikel nur um zu sagen "wenn es eine Meinung ist, die ich doof finde, ist die selbstverständlich nicht geschützt". Davon abgesehen ist das auch völlig bizarr. Diese Leute leben in einer Fantasiewelt.
g) Woher die absurde Vorstellung kommt, Biden sei ein Diktator.
h) Zu unserer Bahndebatte. Und noch was: Deutsche Bahn: Plan zur Streichung von Fernverkehrsverbindungen – besonders im Osten. Völlig absurd.
Fertiggestellt am 26.06.2024
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