Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Der leichtfertige Irrtum liberaler Demokratien
Der Artikel thematisiert die Herausforderungen liberaler Demokratien in Europa und weltweit, die zunehmend sowohl von außen als auch von innen unter Druck geraten. Der Autor kritisiert, dass der Westen seine Staats- und Rechtsstaatsmodelle als alternativlos betrachte, während populistische Bewegungen, autoritäre Regierungen und interne Spannungen deren Stabilität bedrohen. Beispiele wie die AfD in Deutschland, Viktor Orbáns Ungarn oder der Brexit verdeutlichen, dass diese Entwicklungen keine vorübergehenden Störungen, sondern dauerhafte Probleme darstellen. Der Artikel hebt hervor, dass demokratische Parteien oft auf reparative Maßnahmen setzen, ohne grundlegende strukturelle Reformen zu wagen. Die AfD sei dabei ein Beispiel für eine tiefere demokratische Krise, da sie sich trotz "Brandmauern" und Ausgrenzung dauerhaft im politischen Spektrum etabliert habe. Diese Entwicklungen zeigten, dass die liberale Demokratie nicht selbstverständlich sei und proaktiv verteidigt werden müsse. Der Autor fordert eine Neuausrichtung der demokratischen Parteien, um wirksame und kohärente Regierungen zu bilden, die den wachsenden Herausforderungen gerecht werden können. Er plädiert für tiefgreifende Reformen und eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Konstruktionsfehlern demokratischer Systeme, um ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern. Abschließend betont er, dass die Zeit drängt und Demokratie aktiv gestaltet werden müsse, um ihrer zunehmenden Erosion entgegenzuwirken. (Thomas Schmid, Welt)
Mich lässt dieser Artikel wie so viele seiner Art ratlos zurück. Da wird auf der einen Seite der wohl unoriginellste Vorwurf unserer Tage - wir "belehren", gerne "von oben herab", die Welt mit unseren Werten - erhoben, auf der anderen Seite aber die Gefährdung eben jener Werte wortreich beklagt. Wie genau geht es zusammen, zu erklären, dass mit AfD und BSW zwei demokratiefeindliche Parteien existieren, dass aber "die Zeit der Abwehrbündnisse" vorbei sei und man "damit leben" müsse, dass die existieren? Diese Artikel erklären jedes Mal wortreich, dass man das als Tatsache akzeptieren muss und fordern dann, diese Realität anzuerkennen. Nur - was bedeutet das konkret? Orbans Ungarn ist EU-feindlich. Die AfD ist demokratiefeindlich. Wie genau erhalte ich nun EU und Demokratie, wenn ich "anerkenne", dass die existieren? Letztlich bleibt das nur eine Wortwolke. Will Schmid eine Koalition mit der AfD? Dann sollte er den Mut eines Alexander Kissler haben uns es offen sagen und zu seiner Gesinnung stehen. Will er das nicht, weil die AfD eine Gefährdung der Demokratie darstellt? Was genau bedeutet es dann, keine Brandmauer zu erreichten und "die Realität anzuerkennen"? Das ist völlig unklar. Das ist typisch für diese Art von Artikeln.
2) Besuch vom netten Herrn Habeck
Robert Habecks Küchentischgespräche, bei denen er Bürgern auf Augenhöhe begegnen möchte, stehen im Mittelpunkt dieses Artikels. Der Vizekanzler und Kanzlerkandidat der Grünen sucht das Gespräch mit verschiedenen Menschen, um Einblicke in deren Alltag und Perspektiven zu gewinnen. Bei einem Treffen mit der 96-jährigen Anne und ihrer Tochter Marie spricht Habeck über die Missstände in der Pflege, ohne jedoch konkrete politische Lösungen anzubieten. Das Konzept der Gespräche, bei denen Habeck vor allem zuhört, hat gemischte Reaktionen ausgelöst: Manche loben sein empathisches Auftreten, andere kritisieren die Inszenierung und den Mangel an inhaltlichen Aussagen. In den Videos, die aus den Treffen entstehen, präsentiert sich Habeck als einfühlsam und zugänglich, jedoch bleibt sein politisches Programm weitgehend im Unklaren. Der Artikel hebt hervor, dass die Grünen insbesondere bei älteren Wählern schwache Ergebnisse erzielen und die Gespräche möglicherweise dazu dienen, diese Wählerschicht besser anzusprechen. Während die authentische Begegnung mit Menschen als Stärke gewertet wird, könnten die stark inszenierten Videos Zweifel an der Echtheit dieser Initiative aufkommen lassen. Letztlich bleibt unklar, ob diese Strategie der Grünen bei der anstehenden Bundestagswahl tatsächlich Früchte tragen wird. (Markus Becker, Spiegel)
Noch so ein Artikel, der mich ratlos zurück lässt. Auf der einen Seite ist es zu perfekt, weil es halt trotz allem ein Wahlkampfvideo ist, und daher unauthentisch (wie genau ein Kanzlerkandidat authentisch zufällige Küchentischgespräche führen sollte, bleibt natürlich unklar). Auf der anderen Seite spult Habeck aber nicht sein Programm ab, was schlecht ist, weil er nur zuhört. Zuhören muss die Politik aber, das macht sie ja viel zu wenig. Sie soll sich menschlich und nahbar zeigen, aber wenn sie es tut ist es auch schlecht, weil das ja gar nicht der Realität des Tagesgeschäfts entspricht. So oder so gibt es schlichtweg überhaupt keine Möglichkeit, es in diesen Maßstäben richtig zu machen, ob wir Habeck oder Söder, Lindner oder Merz, Scholz oder Weidel. - Ich habe keine Ahnung, wie effektiv diese Küchentisch-Strategie ist, aber es ist eben ein Ansatz. Wenn die Leute das berechtigte Gefühl entwickeln können, dass ihnen tatsächlich zugehört wird und etwas dabei herumkommt, wäre das ja gut; mal sehen, wie das Format ankommt. Aber dieser Artikel scheint mir meckern um des Meckerns willen, weil man eben als Journalist immer etwas zu kritisieren finden muss. Und das halte ich für ungut.
3) Bundesregierung will Bevölkerung besser vor Extremwetter warnen
Die Bundesregierung will den Schutz der Bevölkerung vor Extremwetterereignissen verbessern. In der neuen Klimaanpassungsstrategie, die im Kabinett beschlossen werden soll, werden Maßnahmen vorgestellt, um auf Folgen des Klimawandels wie Starkregen, Überflutungen und Hitze besser zu reagieren. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) betonte die Bedeutung transparenter Fortschrittsmessungen und entschlossener Umsetzung der Maßnahmen. Ein Ziel der Strategie ist die Steigerung der Nutzerzahlen der Warn-App Nina um 30 Prozent durch Informationskampagnen. Derzeit nutzen etwa 12 Millionen Menschen die App. Zusätzlich sollen Kommunen ihre Klimaanpassungsmaßnahmen erweitern, beispielsweise durch mehr kühlende Grünflächen und die Identifikation von Stadtgebieten mit klimatischen Defiziten. Bis 2030 sollen 80 Prozent der betroffenen Gemeinden über entsprechende Konzepte verfügen. Rechtliche Grundlage ist das Klimaanpassungsgesetz, das Bund, Länder und Kommunen verpflichtet, Anpassungsmaßnahmen zu planen. Kritiker bemängeln jedoch, dass Deutschland bisher zu wenig unternommen habe. Forscher weisen darauf hin, dass die Wahrnehmung der Klimakrise in Deutschland erst durch eigene Extremwetterereignisse gestiegen ist. Die Strategie zielt darauf ab, die Bevölkerung effektiver zu schützen und den wirtschaftlichen Wohlstand langfristig zu sichern. (AFP, Spiegel)
Die NINA-App begeistert mich kein Stück. Ich habe die seit ein paar Jahren auf dem Handy, aber ich kann sie nicht wirklich ernstnehmen. Sie spuckt einfach zu viele Warnmeldungen aus. Immer, wenn ein etwas stärkerer Wind geht, kriege ich eine Unwetterwarnung. Das ist sicherlich einmal alle zwei Wochen oder so. Inzwischen wische ich die Dinger eigentlich nur noch weg. Wenn es hier wirklich einmal eine gefährliche Extremwettersituation geben würde, à la Ahrtal, ich würde das wahrscheinlich nicht von den sonstigen "Achtung, deine Grillabdeckung könnte wegfliegen"-Warnungen unterscheiden. Und das kann ja wohl nicht im Sinne des Erfinders sein. Wie so oft läuft hier ein "gut gemeint" gegen die konkrete Umsetzung. Dasselbe gilt für diese kommunalen Schutzkonzepte. Das ist bestimmt gut, wenn die Kommunen das haben, aber mir persönlich hilft das erst mal nichts; ich wälze ja keine Kataloge solcher Konzepte.
4) Gesetzesvorhaben stillschweigend begraben: Die ungesunde Macht der deutschen Alkohollobby
Der Artikel kritisiert das Versagen der Ampelregierung, die geplante Verschärfung der Marketing- und Sponsoringregeln für die Alkoholindustrie umzusetzen, obwohl Alkohol jährlich 74.000 Todesopfer in Deutschland fordert. Trotz offensichtlichem Handlungsbedarf und einer klaren Vereinbarung im Koalitionsvertrag wurde kein Ministerium aktiv, um das Vorhaben voranzutreiben. Das Versäumnis wird auf den starken Einfluss der Alkohollobby zurückgeführt, die verdeckt und effektiv agiere. Besonders problematisch sei, dass Spitzenpolitiker wie Cem Özdemir enge Kontakte zur Alkoholindustrie pflegen und sich von Lobbygruppen wie dem Deutschen Brauer-Bund öffentlich feiern lassen. Anfragen zu Parteispenden und Verbindungen werden von diesen Verbänden ignoriert. Der Artikel schließt mit der pessimistischen Einschätzung, dass zukünftige Regierungen, besonders unter Beteiligung der Union, kaum bereit sein werden, gegen die Interessen der Alkoholindustrie vorzugehen, da deren Macht ungebrochen scheint. (Sebastian Leber, Tagesspiegel)
Wir hatten es an dieser Stelle ja schon öfter vom großen deutschen Alkoholkonsum, den gesundheitlichen Gefahren und der mangelnden Bereitschaft der Politik, dagegen vorzugehen. Bei den Zigaretten ging man wesentlich entschlossener vor, was die Durchsetzung der "ab 18"-Regelung einerseits und die Abschreckung durch Werbeverbote und Aufkleber auf den Packungen andererseits angeht. Das Resultat kann sich durchaus sehen lassen. Gleiches gilt übrigens auch für das Verbot der Alcopops seinerzeit, aber das war natürlich eine rein auf Jugendliche gerichtete Maßnahme, und dafür gibt es in Deutschland immer Mehrheiten. Was mir allerdings im Artikel etwas fehlt - und in der Debatte generell - ist der Vergleich. Die Schäden durch Alkohol sind hoch, klar, aber wie hoch sind sie in Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Ländern? Mir fehlt da irgendwie noch die Empirie.
5) Far-Right Militias Seek Role in Trump Deportation Plan
Der Artikel beleuchtet die Bemühungen rechtsextremer Milizen und privater Organisationen, sich an Donald Trumps Plan zur Massendeportation von Millionen illegaler Einwanderer zu beteiligen. Gruppen wie die „Texas Three Percenters“ und die „Arizona Border Recon“ boten ihre Unterstützung an, um bei Grenzpatrouillen oder der Umsetzung des Deportationsplans zu helfen. Sie betonen ihre Erfahrung an der Grenze und ihre Bereitschaft, die Regierung zu unterstützen. Trotz der Ablehnung durch Trumps Übergangsteam sorgt die logistische Herausforderung der Massendeportationen für Diskussionen über die Einbindung solcher Gruppen. Kritiker warnen vor den Gefahren, die durch Gewaltpotenzial, rechtliche Probleme und inoffizielle Akteure entstehen könnten. Historische Fälle von Grenzgewalt durch Vigilantengruppen unterstreichen die Risiken. Zudem sind einige Mitglieder dieser Milizen in gewalttätige Vorfälle wie den Sturm auf das Kapitol 2021 verwickelt. Während die Milizen ihre Unterstützung als Ergänzung staatlicher Maßnahmen darstellen, sehen Experten hierin eine potenziell destabilisierende Legitimierung extremistischer Akteure, die außerhalb gesetzlicher Autorität handeln. (Alan Feuer, New York Times)
Auf der einen Seite ist das offenkundig eine schlechte Entwicklung, weil rechtsextreme Milizen mit Waffen, die irgendwelche Leute "deportieren" wollen, die teilweise US-Staatsbürgerschaft haben, eine Einladung für tragische, gewalttätige und tödliche Desaster ist - die die Trump-Regierung dann per pardon einfach wegbügeln kann. Aber da steckt noch mehr drin: Ariane und ich hatten ja im Podcast bereits darüber gesprochen, dass ein Abschied von rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Prinzipien im Umgang mit "den anderen", also Immigrant*innen, Geflüchteten etc., eine Tendenz hat, nach Hause zurückzukehren. Wenn die rechtsextremen Milizen im Umgang mit undokumentierten Eingewanderten (und wen sie dafür halten) einüben, dass sie Leute mit Waffengewalt von ihren Familienmitgliedern trennen und sie in Lager packen können, lernen sie für die Zukunft ein neues, grundsätzlich akzeptables Verhalten kennen. Solche Dynamiken haben wahrlich genug Beispiele; wer es gerne plakativ will, kann natürlich immer Niemöller zitieren.
Resterampe
a) Greenpeace-Vorschlag zur Besteuerung für den Klimaschutz (taz). Ich bin etwas unsicher bei der Millionärsabgabe, aber die Strafsteuer für klimaschädliche Investments zumindest klingt sehr sinnvoll.
c) We’re still trying to figure out why Latinos abandoned Kamala Harris (Kevin Drum).
d) Ulf Poschardt heute auch eher dadaistisch unterwegs (Welt).
e) Was Wahlkampfthema wird, sollten die Bürger schon selbst entscheiden (Welt). Was für eine blödsinnige Prämisse.
f) So viel Ludwig Erhard steckt in Javier Milei (Welt). Das ist echt eine weirde Obsession.
g) Das Belehren hört einfach nicht auf, Tugend-Signalisierung zur besten Sendezeit (Welt). Auch eine Obsession. Dabei belehren die beiden (Poschardt und Schneider) selbst permanent. Die können es nicht lassen.
h) The revolt against experts has been very calculated and very Republican (Kevin Drum). Schon richtig, aber der Trend ist im ganzen Westen zu sehen.
i) Even the Koch Brothers Weren’t This Brazen (The Atlantic).
j) Guter Artikel in der Welt zu Abschiebungen und Syrien. Siehe auch NTV.
k) Habecks Bilanz bei den Erneuerbaren sieht echt nicht schlecht aus (Bluesky).
m) Passend zu l) prognostiziert dieser Artikel eine massive Zunahme der Energiespeicher (Spiegel).
Fertiggestellt am 16.12.2024
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