Donnerstag, 13. Juni 2013

Warum der Keynesianismus die bessere Wahl ist (nicht, was ihr denkt)

Der große Konflikt zwischen den Wirtschaftswissenschaften hat nicht nur Eingang in die Popkultur gefunden, wo Keynes und Hayek gegeneinander rappen. Kaum eine wissenschaftliche Disziplin konnte sich in den letzten Jahrzehnten so stark aus dem akademischen Elfenbeinturm lösen und das Leben und Streben von Millionen und Milliarden Menschen so sehr beeinflussen wie die Wirtschaftswissenschaften. Von der Euro-Krisenpolitik über die Abenomics hin zur Dollarpolitik der Fed kämpfen die Ökonomen in der politischen Arena um die Richtigkeit ihrer Ideen. Es wird kaum einen regelmäßigen Leser überraschen, dass ich eher Keynes als Hayek oder Friedman zuneige, aber es gibt dafür einen relativ simplen Grund, der viel zu wenig Aufmerksamkeit erfährt.


Ich bin der erste, der frank und frei zugibt, kein Experte auf dem Gebiet der ökonomischen Wissenschaft zu sein. Ich kann deswegen nicht so fundiert wie etwa Jens Berger oder Albrecht Müller für den Keynesianismus eintreten, oder so vehement für angebortsorientierte Theorien streiten wie der Wirtschaftswurm oder Alexander Dilger. Bereits bei der Nennung dieser Personen fällt auf, dass niemand die reine Lehre vertritt. Wie kaum eine andere Wissenschaft wird die Ökonomie durch ihren Kontakt mit der Realität, besonders der politischen, berührt und verändert. Auch wenn es Ökonomen nur sehr ungerne zugeben, so wird die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit ihrer Theorien direkt von den Realitäten des politischen Betriebs beeinflusst. Es ist eine Sache, ein Modell zu haben, das bei Punkt-für-Punkt-Umsetzung (möglicherweise) in einer Dekade ein wirtschaftliches Gleichgewicht schafft. Es ist etwas anderes, ein solches Modell umzusetzen. Wie viele andere Personen auch, die irgendwann in Kontakt mit der Politik kommen, sind sie dann angewidert von den Kompromissen, die eingegangen werden, dem klaren Bedienen von Klientelinteressen, dem mangelnden Interesse an langfristiger Planung und den oft kleinlichen Kämpfen um die mediale Deutungshoheit und ziehen sich auf “beratende” Funktionen zurück. Das ist nachvollziehbar, hilft aber wenig, denn eine 1:1-Umsetzung wirtschaftlicher Theorien auf die Realität scheitert stets an einem einfachen Fakt: Theorien sind genau das, Theorien. Die Wirklichkeit aber lässt sich nicht einer Theorie unterordnen. Es macht daher wenig Sinn darauf zu bestehen, dass Austerität, wenn man sie nur “richtig” anwenden würde, mit Sicherheit zum Erfolg führen würde, oder darauf zu beharren, dass die aktuelle Euro-Krisenpolitik ja eigentlich gar keine richtige Austeritätspolitik ist. Viel besser als zu Beginn der Euro-Krisenpolitik werden die politischen Voraussetzungen für die Implementierung einer Austeritätspolitik nicht. Wenn es also unter diesen Bedingungen schon nicht möglich ist, eine solche Politik zu machen, so wäre die angemessene Frage die, ob es überhaupt möglich ist, eine solche Politik zu machen. Und genau diese Frage wird aus unerfindlichen Gründen überhaupt nicht gestellt. Ein Caveat: ich habe sie für meine bevorzugte wirtschaftspolitische Ausrichtung, den Keynesianismus, auch lange nicht gestellt, denn die potenziellen Gewinne aus einer antizyklischen Wachstumspolitik schienen mir zu offenkundig. Je mehr ich aber über die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise lese, desto mehr zeigt sich für mich vor allem eins: dass es mir unmöglich ist zu entscheiden, wer Recht hat. Stattdessen ist mir etwas anderes klar geworden: die wirtschaftswissenschaftlichen Theorien lassen sich schlichtweg grundsätzlich nicht umsetzen. Die angebotsorientierten Theorien nicht, die nachfrageorientierten nicht. Politik und Gesellschaft arbeiten schlicht nicht so, wie es erforderlich wäre. Das kann man bedauern, muss man aber nicht. Man muss sich auch nicht vom Prozess der (oftmals uninformierten) öffentlichen Meinungsbildung losgelöste politische Strukturen wünschen, denn die schaffen es auch nicht. Abgesehen von den Vorlagen, die die Euro-Krise bot, kann wohl nur Pinochets Chile ähnlich gute Voraussetzungen bieten, eine Theorie umzusetzen. Das erste, was Pinochet machte, war Armee und Sicherheitsapparat von den Reformen Friedmans auszunehmen. Auf die gleiche Weise ist der Keynesianismus nicht umsetzbar. In der Theorie klingt die Sache gut: in der Krise Schulden aufnehmen, die Krisenfolgen dadurch bekämpfen und im Boom das Zeug zurückzahlen und eine Blase durch Überhitzung verhindern. In der Praxis klappt das Schulden aufnehmen hervorragend, während das Zurückzahlen (der antizyklische Teil im Boom) niemals kommt, weil kein Politiker selbstmordgefährdet genug ist, einen Boom abzuwürgen. Irgendein Grund wird sich immer finden – wie die Arbeitgeber stets die Lage schlecht reden können, dass gerade jetzt, leider, leider, keine Lohnerhöhung drin ist, so werden Politiker stets auf irgendetwas verweisen das gerade jetzt, leider, leider, eine Streichung von Ausgaben und Schuldenrückzahlung unmöglich macht. Trotzdem bin ich im Zweifel für die Implementierung eines keynesianischen Systems. Warum? Weil es in seinem Scheitern für die Beteiligten besser ist. Wenn die angebotsorientierte Politik scheitert, haben wir es mit schwerer Rezession, Massenarmut und politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen zu tun. Wenn das keynesianische System scheitert, konservieren wir überkommene Strukturen und haben enorme Staatsschulden. Ich entscheide mich jeden Tag gerne für letzteres und vermeide ersteres, wenn das meine Wahl ist. Und abseits des akademischen Elfenbeinturms scheint genau das unsere Wahl zu sein.

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