2002 fand der Politologe Larry Bartels in seiner bahnbrechenden Studie heraus, dass sich Menschen in ihren Ansichten dramatisch von ihren Anschauungen leiten lassen und dass Fakten einen überzeugten Parteigänger nicht umstimmen können, sondern eher in seiner Ansicht bestärken – die “truth-feedback”. Er untersuchte das anhand der Einstellung von den Democrats zuneigenden Personen, die 1988 nach ökonomischen Fakten befragt wurden und schlicht verleugneten, dass Inflation und Arbeitslosigkeit gesunken waren – weil sie damit Ronald Reagan’s Programm als funktionierend anerkennen müssten. Doch eine neue Studie ergänzt diese Ergebnis um eine weitere wichtige Erkenntnis: die Leute glauben gar nicht, was sie sagen.
Diese Erkenntnis ist in der Tat mehr als überraschend. Wir hatten uns
mittlerweile daran gewöhnt, dass immer größere Seifenblasen entstehen,
innerhalb derer die Leute abgeschottet von “unbequemen” Gegenmeinungen
sitzen – MSNBC und FOX NEWS beispielsweise sind Paradebeispiele dafür.
Auf diese Art schien es so, als ob die Wahrheit nicht mehr die geringste
Chance zum Durchkommen hätte. Neuere Studien zeigten etwa, dass Republicans
nicht anerkennen wollten, dass Inflation und Arbeitslosigkeit unter
George W. Bush gestiegen waren, oder das Defizit, oder dass Democrats
schlicht verleugneten, dass die Zahl gefallener US-Soldaten im Irak
2007/08 stark zurückging. Die Logik, die daraus folgte schien zu sein,
einfach komplett auf Fakten zu verzichten und stattdessen die jeweilige
Blase zu bedienen – eine Strategie, die besonders von den Republicans im Wahlkampf 2012 versucht wurde und die krachend gescheitert ist.
Eine neue Studie
von Breendan Nyhan und Jason Reifler zeigt nun aber, dass die Sache
komplizierter ist (und liefert damit indirekt auch eine Erklärung für
Obamas überwältigenden Sieg 2012): wenn man nämlich den
Umfragteilnehmern Geld für richtige Antworten bietet, verringert sich
der so genannte “partisan gap” (also der Unterschied zwischen
den Meinungen an den Polen, etwa zum Anstieg der Arbeitslosigkeit) um
55%. Das zeigt offensichtlich, dass den Leuten klar war, dass ihre
vorherhigen Antworten nicht richtig waren. Ging es um Richtigkeit,
antworteten sie plötzlich deutlich korrekter (der Anstieg der
Arbeitslosigkeit unter Bush wurde in der ursprünglichen Umfrage mit
einem partisan gap von 0,9 Punkten beantwortet. Mit einer Geldbelohnung sank er auf 0,4!).
Doch beinahe noch entscheidender war eine weitere Erkenntnis:
belohnte man die Teilnehmer in geringerem Umfang als richtige Antworten
auch für “weiß ich nicht”, sank der Abstand auf 0,2 Punkte und damit in
den statistisch irrelevanten Bereich. Dylan Matthews vom Wonkblog
schließt dann mit dem cleveren Satz, dass die Leute wohl Umfragen doof
finden den Artikel, aber die Implikationen dieser Erkenntnis sind
tiefgreifender als das. Ich habe selbst in solchen Umfragen auch schon
bewusst provokant geantwortet, um die Ergebnisse später in eine
bestimmte Richtung zu schieben (“Glauben Sie, dass die Rente völlig
sicher ist?” “Ja, klar!” Und dann die Unsicherheit am anderen Ende der
Leitung genießen), und genau das passierte bei diesen Umfragen auch. Die
Teilnehmer dachten bereits implizit weiter und versuchten, ihre
jeweilige Seite im finalen Ergebnis zu stützen – wie Fußballfans, die
ihren Verein anfeuern.
Diesen Effekt jedoch als reinen Umfrageneffekt abzutun hieße, ihn zu
gering zu schätzen. Denn die Bekenntnisse zur eigenen Partei, die im
Gewand von Meinungen daherkommen, schaffen einen Höllenlärm in der
politischen Auseinandersetzung. Ich weiß vielleicht als konservativer
BILD-Leser, dass die aktuelle Kampagne gegen die LINKE inhaltlich Mist
ist, aber ich kann das schlecht sagen, weil ich damit “meiner” Partei,
der CDU, die sich in der Frage klar positioniert hat, in den Rücken
fallen würde. Mitgefangen, mitgehangen. Als LINKEr weiß ich eigentlich,
dass die Mauer nicht gerade ein Glanzstück des sozialistischen Aufbaus
war, aber ich werde bei Angriffen etwa durch die CDU in eine
Verteidigungshaltung gedrängt, weil ein Zugeben des jeweiligen Fakts als
Schwäche interpretiert wird. So war es auch in den Studien: Democrats, die gegen den Irakkrieg sind können 2007 schlecht zugeben, dass die aktuelle Strategie zu funktionieren scheint, und Republicans, die für Bush sind, können schlecht den Vorwürfen der Democrats
über die steigende Arbeitslosigkeit zustimmen. Also positionieren sie
sich, obwohl sie insgeheim wissen, dass es nicht stimmt, gegen die
jeweiligen Fakten.
Dylan Matthews hat es als “Lügen” bezeichnet. Aber das trifft den
Sachverhalt nicht ganz. Es ist eher ein Verhangen-sein in der jeweiligen
Ideologie. Wenn etwa Mitt Romney verkündet, dass Abtreibung eigentlich
immer schlecht ist, und ich als moderater Republican eigentlich
davon nicht überzeugt bin, unterstütze ich die Aussage trotzdem um ihn
gegen Barack Obama zu stützen und rede mir ein, dass es bei ihm auch nur
Taktik ist, ein reines rhetorisches Mittel. Dieses unbewusste
Eingeständnis, dass der ganze politische Lärm ohnehin nicht wirklich
ernst zu nehmen ist, scheint mir auch die Ursache für den verbreiteten
Zynismus gegenüber Wahlversprechen zu sein. Niemand nimmt sie wirklich
ernst. Genauso ist es auch bei dem meisten anderen Krach, der auf diese
Art abgesondert und vielfach wiederholt wird.
Problematisch wird es mit diesem Krach allerdings dann, wenn er eine
Eigendynamik gewinnt oder aber von jemandem benutzt wird, der ihn ernst
meint. Dann kann er plötzlich zu einer zerstörerischen Kraft werden, und
die oben beschriebenen Mechanismen verhindern effektiven Widerstand der
Seite, die ihn trägt, weil sie ihre Gegner nicht stützen will. Und auf
solchen Wellen kommen dann die wirklichen schädlichen Politiken und
Politiker an die Macht.
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