Freitag, 31. Mai 2013

Eine Sprache gehört niemandem

Von Stefan Sasse

Mein geschätzter Kollege Theophil hat postuliert, dass der zunehmende “falsche” Sprachgebrauch innerhalb der EU-Institutionen das Englische zerstören würde. Dem liegt in meinen Augen eine grundlegende Fehleinschätzung zugrunde: dass es eine irgendwie “richtige” Sprache gebe, die gewissermaßen ehern steht und an der sich alle Anwender zu messen haben. Das aber ist für das Englische ebenso falsch wie für das Deutsche, nur für das Englische wahrscheinlich noch falscher. Was übrigens auch kein Wort ist, aber trotzdem versteht es jeder, was uns direkt zum nächsten Punkt führt.  


Sprache ist einem ständigen Wandel unterworfen. Das Deutsch, das zur Zeit der Gebrüder Grimm gesprochen wurde, die gewissermaßen Gründungsvater des “richtigen” Sprachgebrauchs sind, weil sie als Erste ein umfassendes Lexikon aufgestellt haben, wird heute nur noch mit Mühe verstanden, und das “Hochdeutsch”, das Luther erfunden hat, enthält so viele Worte mit einer heute nicht mehr gebräuchlichen Bedeutung, dass man ein Studium braucht, um es zu verstehen. Deswegen ist etwa die Verwendung von “actual” anstelle von “current” zwar technisch gesehen falsch, aber offensichtlich bis zur Veröffentlichung des Reports niemandem aufgefallen. Ein viel bemühtes Beispiel hierfür im Deutschen ist übrigens das wunderbar bewährte “Sinn machen”, das technisch gesehen nicht existiert und “Sinn ergeben” heißen müsste, weil “Sinn machen” eine direkte (und falsche) Übersetzung aus dem englischen “makes sense” ist. Von Bedeutung ist dieser Sachverhalt aber nur, wenn man damit angeben will, denn verstanden wird beides. Wahrscheinlich würden viele Deutsche inzwischen instinktiv “Sinn ergeben” als falsch ansehen. Die englischsprachige Welt schlägt sich mit denselben Problemen herum, nur hat sie mit einer globalen Dimension zu kämpfen, die uns Deutschen völlig abgeht.
Deutsch nämlich, “richtiges Deutsch” zumal, wird nur in wenigen Ländern gesprochen. Englisch dagegen ist eine weltweit verbreitete Sprache; wer mein Blog “The Nerdstream Era” kennt weiß, dass jeder ohne das Eingreifen irgendeiner Sprachschutzbehörde darin schreiben und reden und seine Fehler hineinwursteln kann. Da Englisch effektiv auch die Sprache der Popkultur ist, und Popkultur ein globales Phänomen (siehe etwa hier), können merkwürdige Konstruktionen sehr schnell ihren Weg in die eigene Sprache zurückfinden. Früher war das eher ein Problem der englischen Sprachgemeinschaft selbst, wenn etwa irgendwelche lokalen Varianten zugunsten der bekannten anderen Variante wesentlich populärer sind (trucks sind einfach cooler als lorries) und über die üblichen Kanäle ihren Weg zurück finden. Meistens sitzen dann irgendwelche alten weißen Männer zusammen und beschweren sich ganz fürchterlich über den Sprachverfall der heutigen Jugend, aber das ist nun einmal der natürliche Verlauf der Dinge. Sprachen sind organisch, nicht in Stein gemeißelt. Sie verändern sich mit denen, die sie nutzen. Das Englische gehört daher schon längst nicht mehr denen, die es sprechen (anders als etwa das Deutsche, das auch gar niemand anderes haben will). Englisch ist letztlich, was andere als solches erkennen. It’s an actual fact in our current world.

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