Mittwoch, 22. Mai 2013

Warum der Austritt aus der Sozialistischen Internationale für die SPD richtig ist

Die SPD hat letzthin ihre Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationale gekündigt. Nicht offiziell, natürlich, aber das Abziehen der Mitarbeiter und praktische Einstellen der Zahlung von Mitgliedsbeiträgen dürfte der alten SI den Exitus bereiten, war doch die SPD der Hauptsponsor der alt-ehrwürdigen Organisation, als deren Vorstand etwa SPD-Legende Willy Brandt lange Jahre tätig war. Stattdessen betrieb die SPD die Gründung der “Progressive Alliance”, mit rund 70 Gründungsmitgliedern. Diese soll “moderne” sozialdemokratische Ziele befördern. Der Schritt mag manchen Traditionalisten sauer aufstoßen, aber er macht absolut Sinn.


Eine Partei, die noch 2007 jeglichen Verweis auf den “demokratischen Sozialismus” aus dem Parteiprogramm streichen wollte und die auch seither wenig mit dem Thema am Hut hat, muss die Mitgliedschaft in einer “Sozialistischen Internationale” bestenfalls als Traditionsbestand, sonst aber als Mühlstein empfinden. Die Lage hat sich auch gewandelt, denn das Bekenntnis zur SI und zum “demokratischen Sozialismus” ist für die SPD keine notwendige Öffentlichkeitsstrategie mehr. In den 1970er und 1980er Jahren, als die SPD noch die linkeste Partei des Parteienspektrums war, war eine deutliche Distanzierung zum Sozialismusbegriff nutzlos: die CDU würde doch eine Rote-Socken-Kampagne fahren und den unpopulären Begriff mit den Sozialdemokraten verknüpfen (deren Jugendorganisation ohnehin “Jungsozialisten” heißt), so dass die einzig Erfolgversprechende Gegenstrategie die positive Besetzung oder  doch zumindest Neutralisierung war. Seit aber die LINKE 2005 als Partei aufgetreten ist und sich 2009 nicht als der von der SPD gewünschte Betriebsunfall herausgestellt hat, sind Grüne und LINKE die neuen Hauptgegner der CDU, die sie mit Rote-Socken-Furcht und der Warnung vor Gesinnungsterrorismus bekämpft. Die SPD dagegen ist einer von zwei wahrscheinlichen Koalitionspartnern.
Für die SPD ist daher “Sozialismus” mehr als sonst ein alter Hut. Jeder, der wirklich sozialistisch fühlt, wählt ohnehin die LINKE, so dass für sie auf diesem Feld nichts mehr zu gewinnen ist. Gleichzeitig verliert sie die “modernen” Linken an Grüne und Piraten. Die Gründung der Progressive Alliance ist ein vernünftiger Schritt, besonders, da das Bündnis viel mehr politischen Kräften den Beitritt erlaubt, die von dem Label “Sozialistisch” bisher abgeschreckt waren, vor allem den US-Democrats (deren Selbstbezeichnung als progressive sicher zur Namenswahl beitrug), der indischen Kongresspartei und der brasilianischen Arbeiterpartei. Sie alle sind strategisch von großer Bedeutung. Brasiliens Rolle als Wachstumsmotor in Lateinamerika unter der Führung der Arbeiterpartei, Indiens ohnehin stets labile Entwicklung zur Demokratie und die offensichtliche Machtstellung der Amerikaner erlauben der Progressive Alliance eine völlig andere Koordination und ein völlig anderes Auftreten als vorher die SI.
Man stelle sich beispielsweise vor, die Kritik vieler Democrats an der europäischen Austeritätspolitik würde mit der SPD verknüpft, die erste Avancen in diese Richtung ja bereits mit den Besuchen bei Hollande gemacht hat. Ein Auftritt von progressiven Politikern aus Deutschland, den USA, Frankreich, Brasilien und Indien, die sich gegen die Politik der Merkel-Regierung stellen? Das könnte ein Ausbruch aus der insularen Selbstwahrnehmung der Deutschen bedeuten. Es wäre vor allem ein Ausbruch aus den unpopulären Strukturen der EU, die derzeit das einzige “internationale” Betätigungsfeld der progressiven Politik darstellt. Merkels mittlerweile zerfallene konservative Allianz war ein ernstzunehmender Machtblock. Wenn es der SPD gelingen sollte, einen vergleichbaren zu schmieden (und eventuell die Grünen ins Boot zu holen, was dank des Verzichts auf Arbeiterpartei-Rhetorik problemlos möglich ist und die Grünen der CDU als Koalitionspartner noch weiter entziehen würde), so wäre dies tatsächlich eine umwälzende Entwicklung.
Damit diese Vision wahr werden könnte, braucht es allerdings in der SPD einen Reinigungsprozess. Die letzten Exponenten der alten Agenda-Politik müssen dafür entmachtet werden, vor allem Steinbrück und Steinmeier. Und vermutlich ist das der Plan Sigmar Gabriels, der seit seiner Wahl zum Vorsitzenden einen (zugegeben erratischen) Mittelweg zu gehen versucht. Es scheint, als hätte er tatsächlich einen Langzeitplan, in dem die Niederlage 2013 bereits fest eingepreist ist. Für Gabriel wäre vermutlich sogar eine Neuauflage von Schwarz-Gelb wünschenswert. Wenn die enge Zusammenarbeit zwischen SPD und Grünen, die im aktuellen Wahlkampf (bisher) ausgezeichnet zu funktionieren scheint, sich nach 2013 fortsetzen lässt, wäre dies eine echte Perspektive für 2017 (ein Datum vorher ist nicht realistisch). Das sind sehr viele Konjunktive. Aber wenn es funktioniert, könnte sich die SPD als wahrlich internationale und progressive Partei neu aufstellen und den alten Ballast hinter sich lassen – sowohl das Erbe der Agenda als auch das altbackene Sozialismus-Klimbim.

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