Die SPD hat letzthin ihre Mitgliedschaft in der Sozialistischen
Internationale gekündigt. Nicht offiziell, natürlich, aber das Abziehen
der Mitarbeiter und praktische Einstellen der Zahlung von
Mitgliedsbeiträgen dürfte der alten SI den Exitus bereiten, war doch die
SPD der Hauptsponsor der alt-ehrwürdigen Organisation, als deren
Vorstand etwa SPD-Legende Willy Brandt lange Jahre tätig war.
Stattdessen betrieb die SPD die Gründung der “Progressive Alliance”, mit
rund 70 Gründungsmitgliedern. Diese soll “moderne” sozialdemokratische
Ziele befördern. Der Schritt mag manchen Traditionalisten sauer
aufstoßen, aber er macht absolut Sinn.
Eine Partei, die noch 2007 jeglichen Verweis auf den “demokratischen
Sozialismus” aus dem Parteiprogramm streichen wollte und die auch
seither wenig mit dem Thema am Hut hat, muss die Mitgliedschaft in einer
“Sozialistischen Internationale” bestenfalls als Traditionsbestand,
sonst aber als Mühlstein empfinden. Die Lage hat sich auch gewandelt,
denn das Bekenntnis zur SI und zum “demokratischen Sozialismus” ist für
die SPD keine notwendige Öffentlichkeitsstrategie mehr. In den 1970er
und 1980er Jahren, als die SPD noch die linkeste Partei des
Parteienspektrums war, war eine deutliche Distanzierung zum
Sozialismusbegriff nutzlos: die CDU würde doch eine Rote-Socken-Kampagne
fahren und den unpopulären Begriff mit den Sozialdemokraten verknüpfen
(deren Jugendorganisation ohnehin “Jungsozialisten” heißt), so dass die
einzig Erfolgversprechende Gegenstrategie die positive Besetzung oder
doch zumindest Neutralisierung war. Seit aber die LINKE 2005 als Partei
aufgetreten ist und sich 2009 nicht als der von der SPD gewünschte
Betriebsunfall herausgestellt hat, sind Grüne und LINKE die neuen
Hauptgegner der CDU, die sie mit Rote-Socken-Furcht und der Warnung vor
Gesinnungsterrorismus bekämpft. Die SPD dagegen ist einer von zwei
wahrscheinlichen Koalitionspartnern.
Für die SPD ist daher “Sozialismus” mehr als sonst ein alter Hut.
Jeder, der wirklich sozialistisch fühlt, wählt ohnehin die LINKE, so
dass für sie auf diesem Feld nichts mehr zu gewinnen ist. Gleichzeitig
verliert sie die “modernen” Linken an Grüne und Piraten. Die Gründung
der Progressive Alliance ist ein vernünftiger Schritt, besonders, da das
Bündnis viel mehr politischen Kräften den Beitritt erlaubt, die von dem
Label “Sozialistisch” bisher abgeschreckt waren, vor allem den US-Democrats (deren Selbstbezeichnung als progressive
sicher zur Namenswahl beitrug), der indischen Kongresspartei und der
brasilianischen Arbeiterpartei. Sie alle sind strategisch von großer
Bedeutung. Brasiliens Rolle als Wachstumsmotor in Lateinamerika unter
der Führung der Arbeiterpartei, Indiens ohnehin stets labile Entwicklung
zur Demokratie und die offensichtliche Machtstellung der Amerikaner
erlauben der Progressive Alliance eine völlig andere Koordination und
ein völlig anderes Auftreten als vorher die SI.
Man stelle sich beispielsweise vor, die Kritik vieler Democrats
an der europäischen Austeritätspolitik würde mit der SPD verknüpft, die
erste Avancen in diese Richtung ja bereits mit den Besuchen bei
Hollande gemacht hat. Ein Auftritt von progressiven Politikern aus
Deutschland, den USA, Frankreich, Brasilien und Indien, die sich gegen
die Politik der Merkel-Regierung stellen? Das könnte ein Ausbruch aus
der insularen Selbstwahrnehmung der Deutschen bedeuten. Es wäre vor
allem ein Ausbruch aus den unpopulären Strukturen der EU, die derzeit
das einzige “internationale” Betätigungsfeld der progressiven Politik
darstellt. Merkels mittlerweile zerfallene konservative Allianz war ein
ernstzunehmender Machtblock. Wenn es der SPD gelingen sollte, einen
vergleichbaren zu schmieden (und eventuell die Grünen ins Boot zu holen,
was dank des Verzichts auf Arbeiterpartei-Rhetorik problemlos möglich
ist und die Grünen der CDU als Koalitionspartner noch weiter entziehen
würde), so wäre dies tatsächlich eine umwälzende Entwicklung.
Damit diese Vision wahr werden könnte, braucht es allerdings in der
SPD einen Reinigungsprozess. Die letzten Exponenten der alten
Agenda-Politik müssen dafür entmachtet werden, vor allem Steinbrück und
Steinmeier. Und vermutlich ist das der Plan Sigmar Gabriels, der seit
seiner Wahl zum Vorsitzenden einen (zugegeben erratischen) Mittelweg zu
gehen versucht. Es scheint, als hätte er tatsächlich einen Langzeitplan,
in dem die Niederlage 2013 bereits fest eingepreist ist. Für Gabriel
wäre vermutlich sogar eine Neuauflage von Schwarz-Gelb wünschenswert.
Wenn die enge Zusammenarbeit zwischen SPD und Grünen, die im aktuellen
Wahlkampf (bisher) ausgezeichnet zu funktionieren scheint, sich nach
2013 fortsetzen lässt, wäre dies eine echte Perspektive für 2017 (ein
Datum vorher ist nicht realistisch). Das sind sehr viele Konjunktive.
Aber wenn es funktioniert, könnte sich die SPD als wahrlich
internationale und progressive Partei neu aufstellen und den alten
Ballast hinter sich lassen – sowohl das Erbe der Agenda als auch das
altbackene Sozialismus-Klimbim.
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