Montag, 13. Mai 2013

Sie sprechen in Zungen! - Warum wir uns in der Politik nicht verstehen

Von Stefan Sasse

Im zweiten Teil unseres Online-Seminars zu Arnold Klings "Three languages of politics" soll es um die Frage gehen, warum sich politische Debatten so oft im Kreis drehen. Beispielhaft ist das ja stets in den Talkshows zu begutachten: zwei bis fünf "Diskutanten" sitzen sich gegenüber und werfen sich Zufallsgriffe aus dem Phrasenschwein an den Kopf. Der Erkenntnisgewinn geht gegen null. Arnold Kling würde nun Argumente um die bessere Verkaufbarkeit polarisierenden Unsinns beiseite wischen (obgleich das natürlich eine wichtige Rolle spielt) und stattdessen auf die unterschiedlichen politischen Sprachen verweisen, die eine Verständigung praktisch unmöglich machen.



Tatsächlich ist ein grundlegendes Missverständnis der Positionen des Gegenübers wesentlich öfter ein Hinderungsgrund für einen Kompromiss als man annehmen möchte. In der Idealvorstellung ringen die Volksvertreter schließlich mit Argumenten um die beste Position und einigen sich nach heftigen intellektuellen Gefechten auf einen Kompromiss, mit dem alle leben können. Diese Idealwelt können wir in “The West Wing” bestaunen. Zynischere Naturen bevorzugen vermutlich “House of Cards” und verweisen darauf, dass es rein um Machterhalt geht.
Was aber, wenn beide Varianten von der Wirklichkeit weit entfernt sind? Kling verweist in seinem Buch auf drei dominierende Heuristiken im amerikanischen öffentlichen Diskurs, die mit ein paar Modifikationen auch für Deutschland anwendbar sind. Für ihn findet politisches Denken entlang dreier Achsen statt: der progressiven Achse von Unterdrücker vs. Unterdrückte, der konservativen Achse von Barbarei vs. Zivilisation und der libertären Achse von Freiheit vs. Zwang. Je nachdem, welcher Richtung man zuneigt, denkt man entlang seiner Achse.
Das hat für die politische Kommunikation entscheidende Folgen. Nehmen wir als Beispiel die Euro-Rettung. Für Progressive ist klar, dass die ausgebeuteten Massen von der unterdrückenden Eurorettungspolitik der Unterdrücker (der Banken und der ihnen dienstbar gemachten Politik) gerettet werden müssen. Konservative dagegen argumentieren moralisch: es kann nicht sein, dass die strebsamen Deutschen die sündhaften Südländer raushauen. Und für Libertäre ist die Euro-Rettung ohnehin ein abgekartetes Spiel, denn zur Freiheit gehört natürlich auch der Bankrott und nicht die Rettung von Banken mit dem Geld derjenigen, die ihre Freiheit besser genutzt haben.
Sitzen nun ein Progressiver, ein Konservativer und ein Libertärer zusammen, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Kompromiss finden. Das liegt aber weniger an der Unvereinbarkeit ihrer Positionen als vielmehr an ihrer Unfähigkeit, dieselbe Sprache zu sprechen. Um im Beispiel zu bleiben: der Progressive und der Libertäre sind sich darin einig, dass sie kein Geld in marode Banken stecken wollen. Sie sind aber äußerst uneins, WARUM sie das nicht wollen, und WOZU.
Natürlich könnten sie jetzt vernünftig beieinander sitzen und sich gegenseitig ihre Heuristiken erläutern, so dass man diesen Graben überspringt. Das aber ist leichter gesagt als getan, und das liegt am “Ich kenne dich besser als du dich selbst”-Effekt, den Kling beschreibt. Und dieser Effekt ist in der Tat ein faszinierender Aspekt menschlicher Psyche. Der politische Akteur ist nämlich nicht nur davon überzeugt, dass seine jeweilige Heuristik und die daraus folgenden politischen Handlungsanweisungen richtig und überlegen sind, sondern auch davon, dass er die Heuristik des Gegners besser versteht als dieser selbst!
Um beim Beispiel zu bleiben würde der Progressive dem Konservativen vorwerfen, dass seine Schuld-und-Sühne-Sicht auf die Dinge nur einem perversen, falschen Denksystem entspringt und in Wahrheit nur Folge von rassistischen Motivationen ist. Würde der Konservative das nur erkennen, wäre er in der Lage seinen Irrtum zu überwinden und zum Licht des Progressiven zu kommen. Jeder ist davon überzeugt, dass wenn die anderen sich nur aus dem Gefängnis ihrer fehlgeleiteten Ansichten befreien könnten, sie durch die Tugend der Vernunft bei der gleichen Schlussfolgerung landen müssten wie man selbst!
Dieser Effekt ist für mich die bedeutendste Erkenntnis aus Klings Buch. Man kann ihn praktisch überall am Werk betrachten. Umweltaktivisten werden niemals die Freiheit vs. Zwang Heuristik der Libertären akzeptieren und ihnen stattdessen Korrumpierung durch die Interessen der Wirtschaft unterstellen – und ihnen damit vorwerfen, die Frage von Freiheit vs. Zwang nur vorzuschieben. Umgekehrt werfen Libertäre Progressiven beständig vor, den Staat um seiner selbst willen ausbreiten und überall ein Zwangsregime einführen zu wollen und die Unterdrückungs-Rhetorik nur zur Bemäntelung dieses Sachverhalts zu verwenden.
Auch hier scheint sich eine einfache Lösung aufzudrängen: ich muss ja nur die Heuristik des anderen “sprechen”, um ihn von meinen Argumenten zu überzeugen. Dummerweise ist das Verlassen der eigenen Heuristik extrem schwierig. Um eine echte politische Diskussion zu erhalten, in der am Ende ein Kompromiss steht, muss ich in der Lage sein, die gegnerische Heuristik zu verstehen und zu respektieren. Da ich mit ihr aber nicht übereinstimme (sonst würde ich sie ja verwenden) ist das leichter gesagt als getan.
Um wenigstens einen positiven Ausblick zu bieten: bereits das Bewusstsein-Machen dieser Probleme hilft bereits deutlich. Wenn ich davon ausgehe, dass mein Gegner nicht aus blinder Dummheit oder weil er bestochen wurde eine Position vertritt, sondern weil er tatsächlich daran glaubt, ist ein großer Schritt bereits getan. Und diesen Schritt zu tun ist eines der Hauptziele, das sich dieses Blog gesetzt hat.

1 Kommentar:

  1. "Es gibt welche, die für die Politik leben, und solche, die von ihr leben." Max Weber

    Der Artikel hat mir gefallen.

    Schöne Grüsse aus München

    Rainer Ostendorf

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