Von Stefan Sasse
Im zweiten Teil unseres Online-Seminars zu Arnold Klings "Three languages of politics" soll es um die Frage gehen, warum sich politische Debatten so oft im Kreis drehen. Beispielhaft ist das ja stets in den Talkshows zu begutachten: zwei bis fünf "Diskutanten" sitzen sich gegenüber und werfen sich Zufallsgriffe aus dem Phrasenschwein an den Kopf. Der Erkenntnisgewinn geht gegen null. Arnold Kling würde nun Argumente um die bessere Verkaufbarkeit polarisierenden Unsinns beiseite wischen (obgleich das natürlich eine wichtige Rolle spielt) und stattdessen auf die unterschiedlichen politischen Sprachen verweisen, die eine Verständigung praktisch unmöglich machen.
Tatsächlich ist ein grundlegendes Missverständnis der Positionen des
Gegenübers wesentlich öfter ein Hinderungsgrund für einen Kompromiss als
man annehmen möchte. In der Idealvorstellung ringen die Volksvertreter
schließlich mit Argumenten um die beste Position und einigen sich nach
heftigen intellektuellen Gefechten auf einen Kompromiss, mit dem alle
leben können. Diese Idealwelt können wir in “The West Wing” bestaunen.
Zynischere Naturen bevorzugen vermutlich “House of Cards” und verweisen
darauf, dass es rein um Machterhalt geht.
Was aber, wenn beide Varianten von der Wirklichkeit weit entfernt
sind? Kling verweist in seinem Buch auf drei dominierende Heuristiken im
amerikanischen öffentlichen Diskurs, die mit ein paar Modifikationen
auch für Deutschland anwendbar sind. Für ihn findet politisches Denken
entlang dreier Achsen statt: der progressiven Achse von Unterdrücker vs.
Unterdrückte, der konservativen Achse von Barbarei vs. Zivilisation und
der libertären Achse von Freiheit vs. Zwang. Je nachdem, welcher
Richtung man zuneigt, denkt man entlang seiner Achse.
Das hat für die politische Kommunikation entscheidende Folgen. Nehmen
wir als Beispiel die Euro-Rettung. Für Progressive ist klar, dass die
ausgebeuteten Massen von der unterdrückenden Eurorettungspolitik der
Unterdrücker (der Banken und der ihnen dienstbar gemachten Politik)
gerettet werden müssen. Konservative dagegen argumentieren moralisch: es
kann nicht sein, dass die strebsamen Deutschen die sündhaften Südländer
raushauen. Und für Libertäre ist die Euro-Rettung ohnehin ein
abgekartetes Spiel, denn zur Freiheit gehört natürlich auch der Bankrott
und nicht die Rettung von Banken mit dem Geld derjenigen, die ihre
Freiheit besser genutzt haben.
Sitzen nun ein Progressiver, ein Konservativer und ein Libertärer
zusammen, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Kompromiss
finden. Das liegt aber weniger an der Unvereinbarkeit ihrer Positionen
als vielmehr an ihrer Unfähigkeit, dieselbe Sprache zu sprechen. Um im
Beispiel zu bleiben: der Progressive und der Libertäre sind sich darin
einig, dass sie kein Geld in marode Banken stecken wollen. Sie sind aber
äußerst uneins, WARUM sie das nicht wollen, und WOZU.
Natürlich könnten sie jetzt vernünftig beieinander sitzen und sich
gegenseitig ihre Heuristiken erläutern, so dass man diesen Graben
überspringt. Das aber ist leichter gesagt als getan, und das liegt am
“Ich kenne dich besser als du dich selbst”-Effekt, den Kling beschreibt.
Und dieser Effekt ist in der Tat ein faszinierender Aspekt menschlicher
Psyche. Der politische Akteur ist nämlich nicht nur davon überzeugt,
dass seine jeweilige Heuristik und die daraus folgenden politischen
Handlungsanweisungen richtig und überlegen sind, sondern auch davon,
dass er die Heuristik des Gegners besser versteht als dieser selbst!
Um beim Beispiel zu bleiben würde der Progressive dem Konservativen
vorwerfen, dass seine Schuld-und-Sühne-Sicht auf die Dinge nur einem
perversen, falschen Denksystem entspringt und in Wahrheit nur Folge von
rassistischen Motivationen ist. Würde der Konservative das nur erkennen,
wäre er in der Lage seinen Irrtum zu überwinden und zum Licht des
Progressiven zu kommen. Jeder ist davon überzeugt, dass wenn die anderen
sich nur aus dem Gefängnis ihrer fehlgeleiteten Ansichten befreien
könnten, sie durch die Tugend der Vernunft bei der gleichen
Schlussfolgerung landen müssten wie man selbst!
Dieser Effekt ist für mich die bedeutendste Erkenntnis aus Klings
Buch. Man kann ihn praktisch überall am Werk betrachten.
Umweltaktivisten werden niemals die Freiheit vs. Zwang Heuristik der
Libertären akzeptieren und ihnen stattdessen Korrumpierung durch die
Interessen der Wirtschaft unterstellen – und ihnen damit vorwerfen, die
Frage von Freiheit vs. Zwang nur vorzuschieben. Umgekehrt werfen
Libertäre Progressiven beständig vor, den Staat um seiner selbst willen
ausbreiten und überall ein Zwangsregime einführen zu wollen und die
Unterdrückungs-Rhetorik nur zur Bemäntelung dieses Sachverhalts zu
verwenden.
Auch hier scheint sich eine einfache Lösung aufzudrängen: ich muss ja
nur die Heuristik des anderen “sprechen”, um ihn von meinen Argumenten
zu überzeugen. Dummerweise ist das Verlassen der eigenen Heuristik
extrem schwierig. Um eine echte politische Diskussion zu erhalten, in
der am Ende ein Kompromiss steht, muss ich in der Lage sein, die
gegnerische Heuristik zu verstehen und zu respektieren. Da ich mit ihr
aber nicht übereinstimme (sonst würde ich sie ja verwenden) ist das
leichter gesagt als getan.
Um wenigstens einen positiven Ausblick zu bieten: bereits das
Bewusstsein-Machen dieser Probleme hilft bereits deutlich. Wenn ich
davon ausgehe, dass mein Gegner nicht aus blinder Dummheit oder weil er
bestochen wurde eine Position vertritt, sondern weil er tatsächlich
daran glaubt, ist ein großer Schritt bereits getan. Und diesen Schritt
zu tun ist eines der Hauptziele, das sich dieses Blog gesetzt hat.
"Es gibt welche, die für die Politik leben, und solche, die von ihr leben." Max Weber
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Schöne Grüsse aus München
Rainer Ostendorf