Von Stefan Sasse
Obama hat eine furchtbare Woche hinter sich, an die sich die nächste voraussichtlich nahtlos anschließen wird. Erst fingen die Medien an, die Vorwürfe von Cover-Ups im Falle Benghazi ernstzunehmen, die bisher auf Kreise rechter Verschwörungstheoretiker beschränkt gewesen waren, dann platzte die Nachricht, dass die IRS (die Steuerbehörde der Amerikaner) Tea-Party-Gruppierungen gezielt von Steuernachlässen auszunehmen versuchte (die nur unter sehr diffizilen Bedingungen möglich sind) und am Ende verbreitete sich das Gerücht, dass das Justice Department Telefone und Mails von AP-Journalisten abgehört habe. Es war, als hätte jemand das Horn zum Jagen geblasen, und die Journalisten sprangen auch darauf an.
Bereits heute ist klar, dass es sich um keine gigantischen Skandale
handelt, wie es etwa Watergate war. Im Falle Benghazi sind die
ursprünglichen Annahmen über ein Cover-Up immer noch nicht belegt, und
es scheint, als ob auch nur wenig dahinter sei. Beim IRS-Skandal hat
sich nicht nur herausgestellt, dass der Verstoß von einem Mitarbeiter
der unteren Hierarchieebenen ohne Anweisung von oben unternommen wurde,
sondern auch, dass das IRS auch liberale Gruppierungen auf dem Kieker
hatte. Und was genau hinter dem Abhören des Justice Department steht ist ebenfalls völlig unbekannt. Es ist aber gleichzeitig auch völlig irrelevant.
Und genau hier liegt die Crux: ob diese Skandale tatsächlich welche
sind, ob die Ereignisse wahr sind oder nicht und, vor allem, ob Obama
überhaupt irgendwie verantwortlich ist, spielt alles keine Rolle. Die
Medien haben Blut geleckt. Die ohnehin stets vorhandene Tendenz zur
Personalisierung von Politik, die alle Erfolge und Misserfolge stets dem
Präsidenten zuschlägt, wird in solchen Skandalen erst richtig geweckt.
Denn für die Medien spielen zwei Dinge eine Rolle: Aufmerksamkeit, die
durch Skandale besonders angefeuert wird, und die eigene
Selbstdarstellung. Da Medien stets als kritisch und “ihren Job machend”
gelten, wenn sie die Regierung kritisieren (nicht zu Unrecht), ist ein
Skandal für alle eine willkommene Gelegenheit: liberale Medien können
Unabhängigkeit demonstrieren, konservative Medien die Gelüste ihrer
Anhänger befriedigen, und alle haben eine tolle Story, die sich
großartig verkauft.
Dass Obama auf das IRS überhaupt keinen Einfluss hat; dass über
Benghazi bisher überhaupt nichts belastbares bekannt ist, dass das
Abhören durch das Justice Department ebenfalls noch völlig ungeklärt ist – all das spielt keine Rolle, denn es passt hervorragend zum Narrativ. Governmental Overreach! Second Term Curse!
Das sind Geschichten, wie sie das Leben schreibt, die spannend sind und
ohne jegliche Kenntnis von Fakten und Zusammenhängen verständlich sind.
Und genau darin liegt ihre Attraktivität. Die Republicans
haben das natürlich gut erkannt und nutzen die Situation bar jeglicher
Sachkenntnis weidlich aus (Marco Rubio etwa forderte Obama auf, den
zuständigen IRS-Direktor zu feuern, woraufhin sich herausstellte, dass
es gar keinen gab, weil die Republicans seine Ernennung im Kongress seit 2008 (!) blockieren – aber who cares?), was ihr gutes Recht im politischen Prozess ist. Man könnte sogar sagen es ist ihre Pflicht, und anzunehmen, dass die Democrats sich in einer vergleichbaren Situation anders verhalten würden hieße heucheln.
Das Problem sind nicht die Politiker, das Problem sind die Medien
und, vor allem, die Medienkonsumenten. Denn an Aufklärung und Fakten
besteht nach wie vor kein Interesse. Politik tatsächlich verstehen zu
wollen ist den meisten Leuten schlicht zu anstrengend. Stattdessen lässt
man sich Politik lieber erzählen, und Geschichten über Fakten sind
leider Gottes reichlich langweilig. Viel besser, wenn man handfeste
Skandale und große Duelle zwischen großen Männern hat, weswegen
Wahlkampfzeiten auch immer so grandiose Zeiten der Politikerzählung
sind. Wer sich über die Ineffizienz von Demokratien beklagt und darüber,
dass Politiker ständig nur streiten und sich zu profilieren versuchen,
der sollte sich erst einmal an die eigene Nase fassen und sich fragen,
wann er denn das letzte Mal wirklich von sich annehmen konnte, einen
Vorgang verstanden zu haben.
Links:
Jonathan Chait rekonstruiert die Entstehungsgeschichte der Skandale
Ich bekam neulich die Aufforderung, meine Steuererklärung auszufüllen. Wegen dieser unzumutbaren Belästigung, die man schon staaatliche Verfolgung nennen darf, verlange ich den Rücktritt von Präsident Hollande!
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