Sonntag, 5. Mai 2013

Von Bismarcks Parlamentsreden direkt ins heimische Wohnzimmer

Frank Schäffler und Horst Krahmer, FDP-Abgeordnete in Bundestag und Europaparlament und schon länger Rebellen gegen den Kurs der Parteiführung, haben in der FAZ einen gemeinsamen Artikel veröffentlicht, in dem sie Grundlinien für eine andere FDP skizzieren. Angesichts der Ergebnisse des jüngsten FDP-Parteitags erscheint der Artikel eher wie eine Erklärung des Parteiübertritts zur AfD, aber beide Autoren legen Wert darauf, die FDP von innen verändern zu wollen. Sie sind quasi für die Liberalen, was Albrecht Müller für die SPD ist. Ihre Kritik ist ein merkwürdiges Konglomerat von unheimlich treffenden Analysen und völlig fehlgeleiteten Prämissen, das zu sezieren sich lohnt.




Beginnen wir mit der Überschrift und der Grundthese des Artikels: es gehe nicht um einen Streit von politischen Positionen, sondern einen Kulturkampf. Der Rückgriff auf die innenpolitische Struktur des Kaiserreichs lässt tief blicken, denn scheinbar fühlen sich Schäffler und Krahmer als verfolgte und ausgegrenzte Minderheit, ein Habitus, der sie mit der AfD verbindet – mehr als nur eine Überschneidung, wie wir noch sehen werden. Begründet wird die ungewöhnliche Metapher folgendermaßen:
Wir haben es in unserer Gesellschaft also mit einer strukturellen Macht von 75 bis 80 Prozent zu tun, die ein antiliberales „mentales Modell“ verinnerlicht hat.
Das ist wohl zutreffend. Der eigentliche Kern liberaler Ideen genießt mit Sicherheit keinen über 20, 25 % hinausgehenden Freundeskreis in Deutschland und hat das auch nie. So gesehen ist diese Situation für die Liberalen also nichts Neues. Eine erste, schwere Fehleinschätzung aber ist es, dass Schäffler und Krahmer die 25% Potenzial, die in Deutschland angeblich für eine “klassisch-liberale” Partei bestehen, mit einer realistischen Wahlchance verwechseln. Seit jeher wird jeder möglichen neuen Partei ein Potenzial zwischen 20 und 25% eingeräumt, ob das nun die Horst-Schlämmer-Partei, eine “Alternative rechts von der CDU”, die Piratenpartei, eine linke Parteo, die AfD oder eine ominöse “klassisch-liberale” Partei sind. Sind das eigentlich dieselben 20%? – Aber ich schweife ab. Leute, die in einer Umfrage sagen, sie “könnten sich vorstellen”, eine solche Partei zu wählen, sind nicht gleichbedeutend mit Leuten, bei denen das wahrscheinlich ist. Der Höhenflug der FDP 2009 hat eher am oberen Ende der Möglichkeitsskala gekratzt.
Die Gefahr sehen die beiden Autoren in der Verwandlung des “liberalen Rechtsstaats” hin zum Sozialstaat. Sie machen außerdem darauf aufmerksam, dass es für Liberale keinen “Primat der Politik” geben kann, sondern dass es stets ein “Primat der Freiheit” sein müsse, das sie anleitet. Das alles stimmt vollkommen, und es ist auch folgerichtig, dass eine solcherart aufgestellte Partei wenig Chancen hat, eine Wählerschicht zu penetrieren, die einem Sozialstaat gegenüber fundamental positiv eingestellt ist. Diese Erfahrung musste ja auch die SPD machen, deren zaghafte Revisionsversuche der Agenda2010 nicht auf die Welle von Wärme und Zuneigung gestoßen sind, die man sich erhofft hatte. Entsprechend ist kaum zu erwarten, dass der Umschwung der FDP nun zu einem 2009-Niveau beim Wahlergebnis 2013 führen wird, da haben Schäffler und Krahmer schon Recht.
Es ist allerdings extrem befremdlich, wenn sie die 75, 80% derjenigen, die grundsätzlich antiliberal eingestellt sind, völlig verwerfen und eine Annäherung praktisch kategorisch ablehnen. Mit dieser Einstellung sind sie durchaus wieder nahe an der AfD, aber weniger an der FDP. Es stellt sich vor allem die Frage, inwiefern diese Strategie sich in praktische Politik umsetzen soll. Grundsätzlich läuft die Argumentation auf die der LINKEn hinaus: Daueropposition ohne die “faulen Kompromisse” einer Regierungsbeteiligung. Dies hätte denn unbeabsichtigten Nebeneffekt, dass die Große Koalition der anderen drei Parteien CDU, SPD und  Grüne zum Dauerzustand würde, weil gegen die inkompatiblen Oppositionskräfte dieser neuen FDP und der alten LINKEn anders kein Staat mehr zu machen wäre.
Natürlich sind Schäffler und Krahmer zu sehr Politiker, als dass sie dies für eine attraktive Perspektive hielten. Sie achten daher darauf, in ihrem Artikel zwar aggressiv eine Zusammenarbeit mit SPD oder Grünen abzulehnen, zur CDU/CSU aber gar nichts zu sagen. Und tatsächlich ist klar, worin Schäffler und Krahmer die Rolle einer solch “klassisch-liberalen” FDP sähen: als Partner der CDU in einer schwarz-gelben Koalition, die sich deutlich von der Mitte entfernt, in die sich die CDU und FDP gerade so aggressiv hineindrängen und die sie SPD und Grünen so ähnlich macht. Auch darin sind sie nahe an der AfD, die letzten Endes dasselbe Ziel verfolgt. Die Maßnahmenliste, die die beiden Autoren aufstellen, zeigt diesen Kurs auch deutlich:
Erstens: Wir lehnen Mindestlöhne und Lohnuntergrenzen in jeder Form ab. Niemand hat das Recht, in die Vertragsfreiheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzugreifen.
Zweitens: Der Länderfinanzausgleich muss abgeschafft werden. Die Bundesländer müssen eigene Steuern erheben können.
Drittens: Das EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) ist abzuschaffen. Nur so lässt sich die sogenannte Energiewende marktwirtschaftlich gestalten und für einen europäischen Energiemarkt öffnen.
Viertens: Nicht Banken und Staaten, sondern allein die Spareinlagen der Bürger sind zu sichern. Es ist billiger, die Spareinlagen zu retten als überschuldete Staaten und Banken. Der Zahlungsverkehr kann trotzdem aufrechterhalten werden.
Fünftens: Wir müssen in Europa zur Einhaltung des Rechts zurückkehren. Die ständigen Rechtsbrüche im Rahmen der irrig Rettungspolitik genannten Politik, retten nicht den Euro, zerstören aber Recht und Freiheit in Europa. Wir wollen ein Europa, in dem das Primat von Recht und Freiheit gilt, nicht ein Primat der Politik.
Diese Forderungsliste würde bei der AfD nicht auch nur im Geringsten auffallen. Interessant ist besonders Punkt 4, der mit Sicherheit den Applaus der anderen Oppositionskraft, der LINKEn herausfordern dürfte und wohl zu den populärsten Punkten im Repertoir der AfD gehört und tatsächlich der revolutionärste “klassisch-liberale” Gedanke ist, den die Forderungen in die Diskussion einbringen. An der Fünf-Punkte-Liste geradezu auffällig fehlend aber ist jegliche Form von bürgerrechtlichem Liberalismus. Diese Frage spielt für Krahmer und Schäffler keine Rolle, ebenfalls ein Charakteristikum, das sie mit der AfD verbindet. Es erleichtert natürlich die Zusammenarbeit mit der CDU deutlich. Würde diese symbolisch von einigen sozialstaatlichen Positionen abrücken, könnte eine solche “klassisch-liberale” Partei, ob es nun eine reformierte FDP oder die AfD ist, problemlos den konservativen Paternalismus akzeptieren. Das würde den Bogen zu Bismarcks Zeiten schlagen, den Kreis schließen und den Status dieser Partei als “klassisch-liberal” wahrhaftig begründen.

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