Donnerstag, 28. März 2024

Scholz bekommt für Tauruslieferungen zu wenig Gehalt und reduziert die Moralziele von Friedrich Merz - Vermischtes 28.03.2024

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Ein Kanzler verzwergt sich selbst

In der Diskussion über die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz seine Position ausführlich erläutert, was jedoch zu Kritik und Zweifeln an seiner Kompetenz geführt hat. Er signalisierte Misstrauen gegenüber der Ukraine und stärkte damit Wladimir Putin. Scholz lehnte es ab, deutsche Soldaten einzusetzen, um sicherzustellen, dass die Raketen nicht tief in Russland eingesetzt werden. Dies deutet auf eine tiefe Angst vor Moskau hin. Sein offener Zweifel an Kiews Aufrichtigkeit könnte die deutsche Unterstützung für die Ukraine beeinträchtigen. Indem er sich den Russen gegenüber einschüchternd zeigt, düpiert er auch die westlichen Partner. Scholz' Offenheit führt zu einem diplomatischen Desaster und gefährdet die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der internationalen Politik. (Ralf Neukirch, Spiegel)

Ich habe im letzten Vermischten schon angesprochen, wie verrannt die Debatte um die Ukraine (wie auch jene um Gaza) mittlerweile ist. Ähnliches gilt auch für die Debatte um Scholz. Fürs Protokoll, ich halte seine Taurus-Verweigerung für falsch, aber die Kritik scheint mir doch reichlich überzogen. Der FAZ-Artikel von Hofreiter und Röttgen etwa, der sich anfühlt wie ein Lambsdorff-Papier 2.0, ist wie weitere Aufrufe dieser Art (z.B. "Herr Scholz, kommen Sie ihrer Pflicht nach!") unglaublich aufgeladen. Umgekehrt scheint mir die Vorstellung eines brillant agierenden Scholz ("Diese Stunde im Parlament ging an den Kanzler") auch fern der Realität. Letztlich sind sich doch alle einig, dass die Taurus keinen entscheidenden Unterschied machen. Das ist wie mit den fünfzehn Leopard-2-Panzern. Alles nett, besser haben als nicht haben, aber daran entscheidet sich der Krieg sicher nicht. Dieser absolutistische Ton, in dem die einen einen Verrat an Deutschland und dem Westen generell sehen und die anderen blutgierige Kriegstreiber am Werk ist angesichts des Sachthemas völlig absurd.

2) Warum Olaf Scholz tun sollte, was sein Volk nicht will

Eine Mehrheit der Deutschen, insbesondere Anhänger der AfD und BSW, lehnt die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ab. Diese ablehnende Haltung wird bei den traditionellen Volksparteien CDU und SPD sowie bei den bürgerlichen Parteien FDP und Grüne weniger stark ausgeprägt. Diese Situation wirft Fragen auf, ob FDP und Grüne eine bürgerliche Tugend repräsentieren, indem sie Risiken eingehen. Olaf Scholz wird gelobt, weil er sich dem Willen des Volkes beugt und keine Taurus-Raketen liefert. Doch es wird auch die Frage aufgeworfen, ob diese Entscheidung die Freiheit international verrät und ob politische Führer nicht manchmal gegen den Volksentscheid handeln sollten, um zu führen. Es wird betont, dass die Ukraine Waffen erhalten muss, um die Demokratie zu verteidigen, und Scholz muss deutlich machen, dass Freiheit nicht ohne Opfer zu haben ist. (Alan Posener, Welt)

Passend zu Fundstück 1) sei dieser Kommentar zur Taurus-Geschichte hier nicht weiter besprochen. Erneut, von mir aus gerne liefern, aber wenn nicht halt nicht. Was ich auffällig finde ist die Argumentationsweise: Posener (wie viele andere auch) erkennt einen Sachverhalt, den er moralisch (siehe dazu Fundstück 5)) für bedeutend hält und argumentiert, dass dahinter der Mehrheitswille zurückstehen müsse. Das ist natürlich wohlfeil. Der Mehrheitswille ist immer wahnsinnig wichtig, wenn die Mehrheit so tickt wie man selbst ("Die Mehrheit der Deutschen ist gegen Gendern!", "Die Mehrheit ist gegen Kürzungen im Sozialbereich!)") und wird plötzlich total irrelevant, wenn es den eigenen Interessen zuwiderläuft ("Lieferung von allem an die Ukraine", "Schulden zur Finanzierung von allem möglichem"). Das Argumentum ad Populum ist deswegen auch so nutzlos. Politik kann machen, wozu sie Mehrheiten findet. Und das Volk kann versuchen, diese Mehrheitsfindungen zu steuern (Partizipation!) und ansonsten bei der nächsten Wahl andere Repräsentant*innen wählen.

3) Working-class people rarely have a seat ‘at the legislative table’ in state capitols

Die demokratische Abgeordnete Kaela Berg aus Minnesota ist eine seltene Vertreterin der arbeitenden Klasse in der Politik. Trotz fehlendem College-Abschluss und vorheriger politischer Unerfahrenheit gewann sie einen Sitz im Staatsparlament. Berg kämpfte nicht nur gegen einen erfahrenen republikanischen Gegner, sondern auch gegen Wohnungsprobleme und arbeitete als Flugbegleiterin. Als eine von nur 116 arbeitenden Klasse-Abgeordneten unter fast 7.400 in den USA, setzt sich Berg für die Anliegen von Arbeitnehmer:innen ein. Ihre Erfahrungen als Flugbegleiterin beeinflussen ihre politischen Entscheidungen, insbesondere in Bezug auf Arbeitszeitregelungen. Bergs Präsenz im Parlament zeigt, wie vielfältige persönliche Erfahrungen zu einer ausgewogeneren Gesetzgebung führen können. Trotz der Barrieren für arbeitende Klasse-Kandidat:innen, wie niedriger Gehalt und mangelnde politische Unterstützung, betonen Expert:innen die Wichtigkeit ihrer Vertretung in der Politik, um die Anliegen der arbeitenden Bevölkerung angemessen zu berücksichtigen. (Robbie Sequeira, News from the States)

Die Staatenhäuser-Abgeordneten in den USA machen das oft nur als Nebenjob. Das sind etwa drei Monate im Jahr, die rund 10.000$ einbringen. Das ist ein Hobby für Wohlhabende. Erstmal muss man sich drei Monate im Jahr aus den Rippen schneiden können. Das geht in den meisten Jobs ja gar nicht. Genau das ist ja der Grund, warum die Konservativen im 19. Jahrhundert so erbittert gegen Diäten gekämpft haben: es hält das breite Volk aus dem Parlament raus, vor allem aber diese furchtbare Arbeiterklasse. Politik als Beruf, oft beklagt, ermöglicht überhaupt erst die Repräsentanz, deren Fehlen bei Berufspolitiker*innen dann wieder kritisiert wird. Es ist ein Paradox der Politik, aber eines, das selten öffentlich diskutiert wird. Stattdessen bekommt man immer diese alberne Debatte über "volksnähere" Politik, die man angeblich bekäme, wenn Politik kein Beruf, sondern Berufung wäre. Nur können halt nur Leute mit viel verfügbarer Zeit und Sicherheit einer Berufung nachgehen, der Rest arbeitet für den eigenen Lebensunterhalt.

4) Friedrich Merz will deutlich weniger Flüchtlinge in Deutschland - 60.000 bis 100.000 pro Jahr

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender, strebt an, die jährliche Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, auf unter 100.000 zu senken. Er unterstützt die von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer vorgeschlagene Obergrenze von 60.000 bis 100.000 Flüchtlingen pro Jahr. Merz befürwortet auch Reisen des Bundeskanzlers in Drittländer, um Asylverfahrensmöglichkeiten zu erkunden, ähnlich wie es Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron getan haben. Er lobt das Ruanda-Modell Großbritanniens und das Albanien-Modell Italiens als Vorbilder. Dabei betont er die Wichtigkeit, dass der humanitäre Schutz nach einem erfolgreichen Asylantrag im Aufnahmeland gewährleistet bleibt. In Deutschland stellten 2023 rund 329.120 Menschen erstmals einen Asylantrag, darunter viele aus Syrien, der Türkei und Afghanistan. Zudem leben etwa 1,14 Millionen ukrainische Geflüchtete in Deutschland aufgrund des russischen Angriffskriegs, die keinen Asylantrag stellen müssen. (Spiegel)

Ich kenne niemanden in der Verantwortung, der das nicht will. Aber arbiträre Zahlen verkünden ist das eine, die Realität an die Zahlen anpassen was völlig anderes. Die Grünen fordern ja auch beständig irgendwelche coolen Zahlen von CO2-Reduktionen, und das Ziel der Reduktionen wollen auch alle. Nur an der Praxis scheitert es dann halt. Und genauso wie der Vorwurf an die Grünen und generell Linke, dass ihre Positionen allzu oft auf Open Borders hinauslaufen, nicht unberechtigt ist, so gilt das umgekehrt auch für die Bürgerlichen. Deren Positionen laufen nämlich aller Rhetorik zum Trotz auch oft darauf hinaus, dass wir halt nichts tun und auf das Beste hoffen. Wir nehmen alle gerne die entsprechende Reduktion, allein, wie sie zu erreichen ist und welche Konsequenzen das für die jeweilige Politik hat, das ist die Crux.

5) Moral löst Argumente ab – und das killt dann die Debatten

Papst Franziskus löste mit seinem Vorschlag, die Ukraine solle die "weiße Fahne" hissen und den Krieg mit Russland beenden, Empörung aus. Obwohl der Vatikan Schadensbegrenzung betreibt, wird der Papst nicht abgesetzt. In Deutschland jedoch haben immer mehr Menschen Angst, ihre Meinung frei zu äußern. Dies führte zu einer Diskussion über Meinungsfreiheit im SWR, bei der der CDU-Politiker Armin Laschet betonte, dass abweichende Meinungen akzeptiert werden müssen. Alena Buyx, Vorsitzende des deutschen Ethikrats, widersprach und betonte, dass es kein Problem sei, seine Meinung zu äußern. Diese Diskussion zeigt die bestehende Besorgnis über die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland. Es ist wichtig, dass demokratische Gesellschaften diese Freiheit wahren und respektieren, anstatt abweichende Meinungen zu unterdrücken oder zu verspotten. (Anna Schneider, Welt)

Ich stimme Schneider völlig zu. Moral nimmt in Debatten einen riesigen Stellenwert ein. Damit endet unsere Übereinstimmung aber bereits. Denn der Tenor, dass das irgendwie ein neues Phänomen wäre, ist genauso falsch wie ihre Idee, dass sie das nicht machen würde. Anna Schneider ist eine 1A-Moralisiererin; jede ihrer Kolumnen trieft nur so von Moralismus und ideologischer Überzeugung. Wie halt bei praktisch jedem. Niemand ist frei von Wertvorstellungen. Nur tendieren die allermeisten Menschen dazu, ihre eigenen Wertvorstellungen nicht als solche und damit relativ zu begreifen, sondern sie absolut zu setzen. Moralisieren tun immer die anderen, Ideologie haben immer die anderen. Man selbst hat Prinzipien oder ist pragmatisch oder was auch immer. Aber Debatten drehen sich IMMER um Moral, deswegen enden sie ja auch nie. Diskutiert man um irgendein Fakt, ist ein Ende erreichbar (und wird auch recht schnell erreicht); moralische Debatten können niemals enden. Das macht sie nicht nutzlos; wir werben um Mehrheiten und vergegenwärtigen uns unserer eigenen Vorstellungen, nutzen sie für unsere eigene Identität und zur Schaffung von Gruppenzugehörigkeit. Nur sollte man nicht so tun, als würde man das nicht machen.

Resterampe

a) Zu dem Thema Organisation der Demokratie in Ostdeutschland.

b) Zum Thema Verfassungsschutz als politische Waffe, das im Podcast mit Horst Meier eine Rolle spielte.

c) Dieses Plädoyer für mehr Transrechte für Teens machte in meiner Timeline die Runde, falls das wen interessiert. Ich habe da mangels Expertise keine Meinung dazu.

d) Wehrpflicht – demnächst auch für Frauen? Ist aus meiner Sicht völlig unstrittig. Wenn wir den wieder einführen, MUSS er für beide Geschlechter gelten. Das ist anders überhaupt nicht mehr vermittelbar.

e) „Pflichtübung ohne Glanz und Freude“: Was ein Didaktik-Professor (und Vater) der Schule ins Stammbuch schreibt. Bin völlig bei ihm.

f) Die Lösung für die Nachkriegs-Ukraine lautet Amnestie.

g) America’s teens probably don’t get very much real news from TikTok. Diese TikTok-Debatte fasziniert mich wegen der Flachheit und Abgelutschtheit der Argumente echt. Hatten wir nicht den gleichen Unfug schon in den 2000ern über die Daily Show, dann über Facebook, dann Instagram? Siehe auch: TikTok is losing popularity among teens.

h) EU-Lieferkettengesetz: FDP schadet der Position der Bundesregierung in der EU. Ja, no shit.

i) Nachtrag zur Debatte ums thüring'sche TV-Duell. Was mich überhaupt nicht überzeugt ist das Argument, dass die Social-Media-Dominanz der AfD ein Grund für das TV-Duell wäre. Selbst wenn Höcke das krachend verlöre - SEHR großes "Wenn" - würde das ja auf Social Media überhaupt nicht rezipiert. Bleibt der Rest der Argumentation.

j) Gedanken zur Reform der Lehrkräfteausbildung.

k) Bodo Ramelow zum Streit zwischen Bahn und GDL: »Ich bin über die jetzige Lage fassungslos« Passend dazu die Verbotspartei: Streiks: FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai will Streikrecht bei der Bahn einschränken.

l) BKA warnt vor wachsender linksextremer Bedrohung. Zu Recht. Weiß nicht, ob "linksextrem" das passende Label ist und man nicht eher ein neues wie "Ökoterrorismis" oder so bräuchte, aber die Tendenz ist ziemlich offensichtlich.

m) Joe Biden is a decent human being. Exakt. Dasselbe Muster wie bei Obama auch schon, für den galt dasselbe.

n) “Americans” don’t think Biden is too old. Ja, aber: Ein Fünftel haste dennoch, und das würde gegebenenfalls entscheiden.

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