Montag, 4. März 2024

Bohrleute 70 - Was ist denn nun eigentlich das Bürgergeld?, mit Florian Blank

 


Mit der sich verschlechternden Wirtschaftslage ist das gerade erst von der Ampel-Koalition beschlossene Bürgergeld in aller Munde. Zwischen sozialer Hängematte und kaum zum Leben ausreichend sind so ziemlich alle Meinungen vertreten. Zusammen mit dem Sozialwissenschaftler Florian Blank von der Hans-Boeckler-Stiftung versuche ich die Frage zu klären, was das Bürgergeld eigentlich ist, welche Debatten gerade geführt werden und warum das so murmeltiergrüßend an die 2000er Jahre erinnert.


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Shownotes:

Was machen die eigentlich?

Das Bürgergeld in Deutschland wird an Menschen gezahlt, die keine Arbeit finden oder zu wenig verdienen. Aktuell gibt es 5,4 Millionen Bezieher, was vor dem Hintergrund vieler offener Stellen in Unternehmen eine hohe Zahl erscheint. Arbeitsminister Hubertus Heil verschärfte die Regeln für Bürgergeldbezieher: Bei zweimaliger Arbeitsablehnung innerhalb eines Jahres entfällt das Geld für zwei Monate. Die CDU erwägt, das Bürgergeld durch ein anderes Modell zu ersetzen, allerdings sind noch keine konkreten Pläne bekannt.

Etwa ein Drittel der Bürgergeldempfänger sind Kinder und somit nicht erwerbsfähig. Von den verbleibenden 3,9 Millionen erwerbsfähigen Empfängern stehen 2,2 Millionen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, beispielsweise aufgrund von Studium, Kinderbetreuung oder Pflege. Die restlichen 1,7 Millionen sind arbeitslos. Dabei wird angemerkt, dass viele keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und oft nicht die erforderlichen Qualifikationen für verfügbare Jobs besitzen.

Die Situation von Flüchtlingen, die einen großen Teil der Bürgergeldempfänger ausmachen, zeigt, dass die Integration in den Arbeitsmarkt Zeit braucht. Während die Beschäftigungsquote der 2015 nach Deutschland gekommenen Geflüchteten mittlerweile über 60 Prozent beträgt, liegt sie bei Ukrainern aktuell bei 19 Prozent. Untersuchungen zeigen, dass Bürgergeldempfänger öfter krank sind, und es wird darauf hingewiesen, dass viele aufgrund "multipler sozialer Problemlagen" nicht arbeitsfähig sind.

Die Studie des Ifo-Instituts hebt hervor, dass Bürgergeldempfänger sich finanziell besserstellen würden, wenn sie arbeiten würden. Trotzdem arbeiten mehr Menschen in Deutschland als je zuvor, und es gibt keine Hinweise darauf, dass das Bürgergeld die Zahl der Grundsicherungsempfänger signifikant erhöht hat. (Anna Mayr und Mark Schieritz, ZEIT)

CDU will Sozialreform der Ampelkoalition zurücknehmen

Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, hat angekündigt, dass die CDU im Falle einer Regierungsbeteiligung das Bürgergeld in seiner jetzigen Form abschaffen will. Er schlägt vor, die Sanktionen für Bürgergeldempfänger zu verschärfen, insbesondere für diejenigen, die sich weigern, Arbeit anzunehmen. Diese Position steht im Einklang mit früheren Äußerungen Linnemanns und spiegelt eine grundsätzliche Kritik der CDU am aktuellen System wider.

Das Bürgergeld, welches Anfang 2023 als Nachfolger von Hartz IV eingeführt wurde, bestimmt die Höhe der Grundsicherung nach denselben Regeln wie zuvor Hartz IV. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2014 die Berechnung der Regelsätze knapp gebilligt, wobei betont wurde, dass verfassungsrechtlich kaum weniger möglich sei.

Die Ampelkoalition plant ebenfalls Verschärfungen der Sanktionen, die Anfang Februar 2024 mit dem Haushaltsentwurf beschlossen werden sollen. Laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sollen Personen, die wiederholt Jobangebote ablehnen, zeitweise keine Geldleistungen erhalten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 den Spielraum für Sanktionen eingeschränkt, indem es festlegte, dass der Regelsatz höchstens um 30 Prozent gekürzt werden darf. Ob die geplanten schärferen Sanktionen verfassungsrechtlich haltbar sind, ist unklar.

Die CDU plant zudem, die Vermögensprüfung ab dem ersten Tag des Sozialgeldbezugs wieder einzuführen. Aktuell wird das Vermögen im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs nicht geprüft, da Vermögen bis zu einem gewissen Betrag geschont wird. Laut Linnemann soll sich soziale Hilfe in Zukunft wieder auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren.(Spiegel)

Totalverweigerung des Existenzminimums?

Der aktuelle Entwurf des Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024 sieht vor, die Sanktionen für Empfänger des Bürgergeldes bei nachhaltiger Weigerung, zumutbare Arbeit anzunehmen, zu verschärfen. Konkret sollen die Regelungen die Streichung des Regelsatzes für zwei Monate umfassen, während Kosten für Unterkunft und Heizung weiterhin übernommen werden. Diese geplante Regelung wirft jedoch verfassungsrechtliche Bedenken auf.

Erstens basiert die Regelung auf einer Interpretation des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus 2019, wonach bei willentlicher Ablehnung einer existenzsichernden und zumutbaren Erwerbstätigkeit ein vollständiger Leistungsentzug gerechtfertigt sein kann. Allerdings ist fraglich, ob der Gesetzentwurf korrekt zwischen Personen unterscheidet, die ein solches Jobangebot tatsächlich ablehnen, und solchen, die aufgrund von psychischen Belastungen oder anderen Hürden nicht in der Lage sind, eine angebotene Arbeit anzunehmen.

Zweitens ist umstritten, ob die geplante Regelung Personen berücksichtigt, die zwar einen Job ablehnen, aber weiterhin bedürftig sind, weil das Arbeitsangebot nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt vollständig zu sichern. Ein zentrales Problem ist, dass die Regelung keine klaren Vorgaben für Jobcenter enthält, um sicherzustellen, dass nur wirklich „autonom handelnde Totalverweigerer“ sanktioniert werden.

Drittens beinhaltet der Entwurf keinen Anspruch auf ergänzende Sachleistungen im Notfall, was ebenfalls verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. Ein solcher Anspruch könnte helfen, Notlagen abzufangen, die durch die Sanktionen entstehen könnten.

Insgesamt ist die Verfassungsmäßigkeit der geplanten Regelungen zweifelhaft, und eine differenzierte Regelung, die nur diejenigen trifft, die tatsächlich ein existenzsicherndes und zumutbares Arbeitsangebot ablehnen, wäre notwendig. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob durch die Regelung tatsächlich signifikante Einsparungen erzielt werden können. (Andrea Kießling, Verfassungsblog)

Gutschein statt Geld: Top-Ökonom Raffelhüschen fordert radikale Bürgergeld-Wende

Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat eine Reform des Bürgergeldes angekündigt, sollte die CDU an die Regierung kommen. Ziel sei es, das Bürgergeld wieder stärker auf die wirklich Bedürftigen zu konzentrieren. Konkret sollen Sanktionen für Jobverweigerer verschärft und die Vermögensprüfung vor Beginn der Bürgergeldzahlung wiedereingeführt werden. Aktuell wird im ersten Jahr des Bürgergeldbezuges das Vermögen kaum überprüft.

Der Ökonom Bernd Raffelhüschen unterstützt diese Vorschläge und plädiert für eine Rückkehr zum Prinzip des Förderns und Forderns, wie es bereits in den Hartz-Reformen der Regierung Schröder angewendet wurde. Er betont die Wichtigkeit eines subsidiären Sozialstaates, in dem der Staat nur denen hilft, die sich selbst nicht helfen können. Raffelhüschen schlägt vor, anstelle von Sanktionen für Totalverweigerer eine aktivierende Sozialhilfe einzuführen, die Menschen für die Aufnahme von Arbeit belohnt. Wer jedoch nicht arbeitet, sollte seiner Meinung nach nur Sachleistungen anstelle von Geld erhalten.

Trotz der Unterstützung für diese Vorschläge sieht Raffelhüschen jedoch kaum Chancen für eine Umsetzung dieser Reformen. Das Bürgergeld, das seit Januar 2023 das frühere Hartz IV ersetzt, umfasst staatliche Hilfen für ein würdevolles Leben trotz geringen oder fehlenden Einkommens. Es wurden zum 1. Januar 2024 deutliche Erhöhungen des Bürgergeldes vorgenommen, was zu Irritationen unter Bürgern geführt hat. (Focus)

Transkript:

0.913
stefansasse
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von den Bohrleuten. Wie immer bin ich euer Host, der Stefan, und ich habe mir heute einen neuen Gast herzugeholt. Hallo, hallo, wer bist du denn?

10.299
FB
Hallo, ich bin Florian Blank. Ich arbeite als Wissenschaftler zum Thema Sozialpolitik.

22.432
stefansasse
Das klingt nach einem spannenden Thema. Und wie ist denn zufällig ist das Thema, über das wir heute reden wollen. Und zwar habe ich aktiv nach dir gesucht, im Endeffekt. Weil ich habe mir jemanden heranholen wollen, der sich auskennt mit dem Thema Bürgergeld und Grundsicherung. Also mit diesem ganzen Sozialstaatsapparatus, Sozialhilfe und welche Begrifflichkeiten da auch immer noch in der Luft herumschweben.

47.995
stefansasse
und der einerseits dann mal ein bisschen Licht in das Dunkel bringen kann, rein auf der Informationsebene und wo wir dann auch näher schauen können, was genau gibt es da eigentlich aktuell für Debatten und versuchen, die so ein bisschen in realen Strukturen, realen Kenngrößen und so weiter etwas zu erden. Das Bürgergeld ist ja so ein großes Projekt der Ampelkoalition gewesen und der Nachfolger von Hartz IV und Hartz IV wiederum ist ja der Nachfolger vom Arbeitslosengeld und von der Sozialhilfe.

77.073
stefansasse
Kannst du mal ganz kurz die Genesis skizzieren? Warum haben wir diese großen Reformen gehabt? Einmal 2004 dieser Umstieg auf das Arbeitslosengeld II und einmal dann jetzt auf das Bürgergeld. Das hat ja jeweils auf wahrgenommene Defizite reagiert. Was waren denn diese Defizite jeweils?

96.049
FB
Ja, also es war tatsächlich so, dass 2004 und dann umgesetzt 2005 große Arbeitsmarktreformen umgesetzt worden sind, damals unter der rot-grünen Koalition. Das war der Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sein zuständiger Minister war Walter Riester. Und diese Reformen sind bekannt geworden als Hartz-Reformen. Es gab vier Gesetzespakete.

122.534
FB
offiziell die Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt Nummer 1 bis 4. Bekannt geworden sind sie eigentlich als Hartz 1 bis 4. Der Name kommt von einem Mann namens Peter Hartz, der tatsächlich eine Kommission für die Regierung geleitet hat.

145.06
FB
In dem Zuge sind eine ganze Menge Vorschläge entwickelt worden, die allerdings nicht eins zu eins umgesetzt worden sind, sondern nur teilweise. Und später wurde dann von der Regierung auch im Zuge von einer zweiten Kommission der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen dieses Gesamtpaket dann entwickelt und durchs Parlament und auch durch den Bundesrat gebracht.

170.845
FB
Was war Teil dieses Paketes? Ein Teil des Paketes bezog sich tatsächlich auf die Leistungen für Arbeitslose und nicht nur auf die Leistungen, also was ihnen als Geld gegeben wird, sondern auch das Drumherum, zu welchen Bedingungen wird es ihnen gegeben, welche Unterstützung bekommen sie im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik. Dieses Paket ist das, was dann als Hartz IV bekannt geworden ist und es empfasste

199.616
FB
letztendlich eine Neuordnung der Leistungen für Arbeitslose. Es gab bis dahin

207.824
FB
Erstens das Arbeitslosengeld 1, damals einfach nur Arbeitslosengeld, als die Leistung der Arbeitslosenversicherung für diejenigen, die Beiträge gezahlt haben. Daran anschließend für diejenigen, die entweder nicht genug Ansprüche mitgebracht haben oder deren Anspruch auf das Arbeitslosengeld ausgelaufen war, weil sie es in einem bestimmten Zeitraum bezogen hatten, wurde Arbeitslosenhilfe gezahlt. Diese Arbeitslosenhilfe

234.462
FB
war niedriger als das Arbeitslosengeld. Da wurde auch schon ein bisschen nach geguckt, aber sehr milde, wer denn wirklich noch Unterstützung nötig hat. Aber sie orientierte sich auch weiter an dem vorherigen Einkommen.

251.544
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Für diejenigen, für die das nicht reichte, gab es darüber hinaus noch die Sozialhilfe, also ein wirklich bedürftigkeitsgeprüftes System, das wirklich geguckt hat, welche Einkommen, welches Vermögen sind im Haushalt vorhanden.

266.783
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hat diese Person tatsächlich Unterstützung nötig. Da geht es nicht mehr darum, was man vorher sich als Anspruch erarbeitet hat, sondern es geht um eine andere Art von Logik der Sozialleistungen. Und dass auch dazu kam, dass manche Menschen so eine geringe Arbeitslosenhilfe bezogen haben, dass sie zusätzlich noch Sozialhilfe bezogen haben, da es dann aber zwischendurch auch zwischen den Ämtern hin und her ging,

291.493
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war einer der Vorschläge in der Debatte, die dann auch umgesetzt wurden, tatsächlich Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzuführen, als eine einheitliche Leistung, die dann eben im Sozialgesetzbuch als neues SGB II, Sozialgesetzbuch II, Grundsicherung für Arbeitssuchende umgesetzt worden ist. Und was damals eben beschlossen wurde und was viele empört hat, ist, dass die neue Leistung

319.804
FB
im Grunde tatsächlich eine bedürftigkeitsorientierte Leistung auf dem Level der Sozialhilfe ist. Diese alte Lohnersatzfunktion ist damit abgeschafft worden. Für einen kurzen Zeitraum gab es noch eine Art Übergangsaufstockung des SGB II.

339.019
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Das ist aber auch beendet worden. Seitdem ist dieses SGB II die Grundsicherung für Arbeitssuchende und für den jeweiligen Haushalt auch dann das Sozialgeld.

357.841
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Das Sicherungssystem für all diejenigen, die entweder nicht genug Ansprüche auf Arbeitslosengeld eins gesammelt haben oder denen für die diese Leistung ausgelaufen ist. Und was viele empört hat, war halt dieser dieser Bruch aus Arbeit.

373.234
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direkt auf Sozialhilfenniveau, aus Arbeit ins Arbeitslosengeld 1 und dann nach einer gewissen Zeit auf Sozialhilfenniveau, verbunden tatsächlich auch mit Verhaltensaufforderungen, mit dem Ziel die Leute in Arbeit zu integrieren und zwar nicht unbedingt danach zu gucken, was wollen sie jetzt machen, mit welchem Job

394.275
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Können diese Menschen auch glücklich werden? Welche Unterstützung brauchen sie? Welche Weiterbildungsmaßnahmen? Sondern eine Aktivierung in Arbeit nach der Maßgabe. Jede Arbeit ist besser als keine. Das Fördern und Fordern hatte eine deutliche Schlagseite Richtung Fordern. Das hat immer wieder für Diskussionen gesorgt. Diese Diskussionen waren teilweise sehr lautstark. Es gibt auch Forschung dazu, wie diese

425.657
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ja diese Reformen in der Bevölkerung eigentlich angekommen sind und letztendlich sind

434.48
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ist die Kritik an dieser Reform zwar etwas leiser geworden im Laufe der Jahre, was auch daran lag, dass die Arbeitsmarktsituation sich ja über Jahre hinweg in Deutschland deutlich verbessert hat, aber diese Kritik war auch nie komplett weg. Und letztendlich hat sich dann irgendwann die SPD, sicher auch unterstützt von den Grünen,

460.486
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überlegt, nein, Moment mal, vielleicht war das doch nicht der Weisheit letzter Schluss. Da müsste man jetzt Sozialdemokraten fragen, wie sozusagen die eigentliche, ja, auch interne Diskussion war. Und das Ziel war dann letztendlich jetzt in der Koalition, in der Ampelkoalition, das SGB II zu reformieren. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten die Grünen sogar gefordert Hartz IV zu überwinden.

490.486
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Und so kam es zu einer neuen Reform. Zwar eine letztendlich Reform der Reform, aber das ist in der Sozialpolitik ja letztendlich ein bisschen ein Klischee, weil wir immer mit dem weiterarbeiten, was wir vorgefunden haben. Es gibt kaum mal etwas, wo wir tatsächlich komplett von neuem starten. So und damit sind wir jetzt in der Jetzt-Zeit sozusagen gelandet. Die Koalition hat da tatsächlich Nägel mit Köpfen gemacht und hat

519.768
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als Reform des SGB II das neue Bürgergeld eingeführt. Und da müssen wir jetzt ganz genau hingucken, was da wirklich reformiert worden ist und was nicht. Wir können beim SGB II letztendlich

536.852
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sagen, das hat eine sozialpolitische Seite, wo es darum geht, wie viel Geld Menschen bekommen, und es hat eine arbeitsmarktpolitische Seite. Ein Forscher, der sich damit viel beschäftigt hat, hat das als ein hybrides System genannt, weil es einerseits die Grundsicherungslogik hat, andersrum hat es aber auch eben die Arbeitsmarktlogik. Was ist jetzt also passiert? Auf der Seite der Arbeitsmarktlogik ist ein bisschen was passiert, vor allen Dingen ist dieser

566.698
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Vermittlungsvorrang aufgehoben worden.

570.725
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dass es wichtiger ist, Leute in Arbeit zu vermitteln, also ihnen einen neuen Job, sie in einen neuen Job zu bringen, als sie beispielsweise weiter zu qualifizieren oder sie zu befähigen, tatsächlich einen Job, den sie vielleicht auch für sich anstreben wollen, der vielleicht auch besser bezahlt ist, sie dazu unterstützen. Es wurde grundsätzlich auch gesagt, dass mit den Leuten jetzt auf Augenhöhe

597.514
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umgegangen werden soll also nicht mehr von oben herab.

601.544
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Es ist das Sanktionssystem, also die Strafen, wenn Arbeitslose beispielsweise Jobangebote ausschlagen oder sich auch einfach beim Amt nicht melden, obwohl es eigentlich ein Treffen beim Jobcenter oder der Arbeitsagentur gibt. Die sind deutlich entschärft worden. Einige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wurden entfristet bzw. verbessert. Auf der Seite müssen wir sagen, da hat sich was getan.

631.63
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Und da wird jetzt allerdings auch die Zeit erst wirklich zeigen, ob dieser Anspruch, dass wir jetzt auf Augenhöhe mit den Leuten umgehen, auch wirklich vor Ort eingelöst wird. Die Menschen, die letztendlich dafür ausgebildet sind, mit Arbeitslosen umzugehen, sie zu unterstützen, sie neue Arbeit zu vermitteln, diesen neuen Anspruch

662.056
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tatsächlich auch umsetzen. Also letztendlich, ich will die jetzt auch gar nicht schlecht machen. Ich denke, dass die auch vorher schon gute Arbeit geleistet haben, aber letztendlich diese Attitüde, die in dem Gesetz steckt, dass die auch tatsächlich dann in der Verwaltung realisiert wird. Das ist so die eine Brille. Da sind wir jetzt die Forscherinnen und Forscher, mit denen ich mich mit diesem Thema beschäftige, etwas hoffnungsvoll gestimmt, dass das besser wird.

690.828
FB
Dann gibt es aber eben die zweite Seite. Die zweite Seite ist letztendlich die sozialpolitische Seite, wo es um Grundsicherung geht. Also um die Frage, wie viele Ressourcen, genauer gesagt Geld, brauchen Haushalte in diesem Land, um ein menschenwürdiges Existenzminimum damit abgesichert zu haben, wie viel

709.991
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Geld brauchen sie, um das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum zu sichern. Also nicht nur materiell zu überleben und irgendwie durchzukommen, sondern wirklich an der Gesellschaft teilhaben zu können. Und da müssen wir einfach sagen, da ist durch die Bürgergeldreform eigentlich nichts passiert. Es gab zwar einen deutlichen Anstieg der Leistungen, aber im Grunde ist das eine schnellere Anpassung an die Inflation gewesen.

739.462
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die tendenziell irgendwann gekommen wäre. Aber es ist keine grundlegende Neuberechnung der Leistungen. Es gibt viel Kritik. Nicht nur aus der Ecke, was ist jetzt fair und gerecht, sondern auch methodische Kritik an der Berechnung der Regelbedarfe. Das ist der technische Begriff für die Grundleistung in der Grundsicherung, auch jetzt im Bürgergeld. Und da wurde eigentlich die Chance verpasst, diese Kritik einfach mal ernst zu nehmen und sich dann

767.807
FB
Erstens einen methodischen, sauberen Weg zu überlegen, wie man diese Leistungen bestimmen kann und darin anknüpfend dann auch die letztendlich Gerechtigkeitsfrage nochmal neu zu klären, wie viel Geld Menschen in diesem Land haben sollen, um an der Gesellschaft wirklich teilhaben zu können. Das war sozusagen der erste Mal der Rundumschlag, weil er nun schon nicht knapp war.

786.442
stefansasse
Vielen Dank für diese Übung. Ja, das ist sehr lieb von dir. Ich bin ein bisschen geflasht quasi von der Masse an Informationen hier gerade in dieser Prägnanz. Vielen Dank dafür.

801.305
stefansasse
Ich bin ja, also meine eigene politische Bewusstseinswertung, die liegt ja ziemlich genau um diesen Aspekt von 2004. Die Hartz-Reform auf der einen Seite, die sind so ein bisschen der Endpunkt da davon und 9-11, also meinen biografischen Hintergrund so ein bisschen rein zu werfen. Deswegen, ich hab das damals mitbekommen, aus der Perspektive zuerst eines Schülers und dann eines jungen Studenten.

822.807
stefansasse
Das heißt, ich war nie vollständig in die, also ich kenne das alte System quasi gar nicht und ich kenne das Hartz IV System nur durch zwei sehr, sehr kurze Begegnungen. Also ich war tatsächlich zweimal in Hartz IV drin, einmal für drei Monate, einmal für einen Monat, am Ende vom Studium und am Ende vom Referendariat.

841.576
stefansasse
Und meine Erfahrung anekdotisch quasi, um das kurz beizusteuern, weil du diese Haltungsfrage auf dem Amt angesprochen hast. Also das war eine ganz so reale, schon fast kafkasker Erfahrung, weil ich kam dahin damals, ich hatte meinen Arbeitsvertrag quasi, für in drei Monaten hier habe ich eine Stelle,

862.91
stefansasse
Und die Mitarbeiterin hat dann darüber gemeckert, dass meine Unterlagen ihr nicht passen. Warum? Weil ich nur sehr provisorisch eine Bewerbungsschreiben beigelegt hatte, weil ich brauchte ja keine Bewerbungsschreiben, ich hatte ja eine Stelle. Und dann hat sie mich gezwungen, einen Bewerbungstrainingskurs zu machen für zwei Wochen.

884.309
stefansasse
Ich gehe davon aus, dass der Hauptzweck davon war, mich aus der Statistik rauszunehmen für diese zwei Wochen. Aber dieser ganze Umgang, also dieses von oben herab, mir völlig egal, was deine Situation ist, ich mache jetzt hier was völlig Absurdes und verknacke dich zu einem Bewerbungstraining, das du nicht brauchst.

902.602
stefansasse
Einfach weil ich kann. Und ich kann mir vorstellen, dass das für Leute, die nicht in meiner komfortablen Situation damals waren mit ich bin in drei Monaten eh wieder raus aus diesem Blödsinn, dass das für die echt schrecklich sein muss, teilweise wie man das Ganze da abkriegt.

919.531
stefansasse
Also von daher aus anekdotischer Evidenz kann ich quasi bestätigen, dass das ein ernsthaftes Problem ist, was diese Struktur des Gesetzes und des Anreizsystems, das dieses System gibt, was das dann den Mitarbeitenden da auf den Arbeitsagenturen sozusagen abverlangt.

937.12
stefansasse
Und ich denke, deswegen ist jede Reform, die in die Richtung geht, diesen Förderungsaspekt stärker zu betonen, für mich erstmal grundsätzlich vernünftig. Und deswegen wäre jetzt meine Frage logischerweise, erfüllt denn das Bürgergeld das? Du sagst gerade schon, wir brauchen natürlich noch mehr Zeit quasi, das ist logisch, dafür gibt es das Ding einfach noch nicht genug, aber einfach so die ersten Anzeichen.

960.136
stefansasse
Funktioniert diese Förderung oder ist es im Endeffekt eine Schönwetterreform, die jetzt hauptsächlich mal davon profitiert hat, dass die Arbeitslosenraten über Jahre in Deutschland sehr niedrig waren und die jetzt im Endeffekt unter Umständen in die Kritik wiederum gerät, hauptsächlich deswegen, weil wegen exogener Faktoren die Arbeitslosenzahlen steigen.

984.462
FB
Ich kann dir tatsächlich zu den faktischen Folgen zum Umgang mit Arbeitslosen einfach bisher nichts sagen. Weiß ich nicht, also ob das wirklich verbessert ist. Ich kann dir halt erstmal nur sagen, dass die Rechtslage sich

1001.203
FB
ein bisschen verschoben hat und zugunsten letztendlich, wenn du möchtest, der Arbeitslosen, wo jetzt hoffentlich das Fördern stärker betont wird als das Fordern. Was ich ein bisschen in der Diskussion vermisst habe, schon damals ist eigentlich diese Frage, wenn wir dieses Fördern und Fordern eigentlich ernst nehmen. Das war schon 2005 ein Kritikpunkt und es ist jetzt wieder nicht wirklich aufgerufen worden. Müssen wir eigentlich die

1030.555
FB
die Institutionen, die sich um Arbeitslosigkeit kümmern, nicht auch wirklich besser ausstatten. Die Idee ist ja in dem ganzen Grundsicherungssystem, auch in der Sozialhilfe seit Anno Tobacco zurück, dass wir Menschen individuell unterstützen wollen, letztendlich an der Gesellschaft teilzuhaben. Da können wir uns jetzt immer noch lange darüber streiten, muss das jetzt eine Integration in Erwerbsarbeit sein?

1056.698
FB
Ich würde tendenziell sagen ja, aber da kommen ganz viele Folgefragen drumherum. Was aber diese ganzen Sozialhilfesysteme, Grundsicherungssysteme auszeichnet, ist ja eigentlich der Anspruch auf den Einzelfall reagieren zu wollen. Da ist diese Bedürftigkeitsprüfung die eine Seite, die andere Seite kann man mit dem Begriff Bedarfsorientierung umschreiben.

1076.8
FB
Also wir wollen auf den Einzelfall gucken, wir wollen gucken, was braucht diese Person. Das kann in manchen Stellen bis eben zu einer Art sozialarbeiterischen Begleitung gehen. In der Arbeitsverwaltung geht es aber erstmal darum zu gucken, was können diese Personen, was für Potenziale haben die, an welcher Stelle brauchen sie, welche Unterstützung, um sich fortzubilden. Vielleicht tatsächlich ein Bewerbungstraining, wie du es angesprochen hast, aber das muss dann eben auch zielgenau sein und passgenau.

1105.145
FB
eben das passen vielleicht auch was die person sich vorstellten wo man dann eben

1111.032
FB
eigentlich in einem offenen Gespräch abklären muss, was sind realistische Ziele, was kann diese Person umsetzen. So und das sollte ja eigentlich der Anspruch sein. Und da fehlt mir in der Diskussion eigentlich genau dieses, ja Moment mal, aber heißt das nicht vielleicht, dass wir wirklich auch investieren wollen in die Leute und Investitionen, würde jeder Kaufmann sagen, gehen nicht, ohne dass man Geld in die Hand nimmt. So und das ist was mir in der Diskussion fehlt, dass man irgendwie sagt, ja okay, wir machen jetzt

1138.336
FB
die Gesetze halt etwas milder, aber ich vermisse, vielleicht habe ich es auch nicht mitgekriegt, aber ich habe es nicht gesehen, eine ernsthafte Diskussion, wie die deutsche Arbeitsverwaltung so ausgestattet werden muss, dass sie auch so einem Ideal genügen darf. Das ist die eine Seite. Die zweite Seite ist, nur das Stichwort Schönwetterreform angestoßen. Das hat jetzt natürlich unterschiedliche

1166.971
FB
folgen. Was ich jetzt eher wahrnehme, sind jetzt weniger diese Fragen danach, wie eine gute Arbeitsmarktpolitik aussieht, sondern eben dieses schielen darauf letztlich, wie viel Geld bekommen sie und wie müssen wir die Leute wieder schubsen. Also doch wieder zurückfallen eigentlich in das fordern und sanktionieren und gleichzeitig so eine komische Debatte darum, ob das Geld nicht

1192.108
FB
zu großzügig ist. Da gab es auch eine über die Medien geführte Debatte, wo es durchaus auch nicht immer um saubere Zahlen ging. Aber das, was ich da aus dieser Debatte mitgenommen habe, aus den Studien und Berechnungen von verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist letztendlich, dass ich in dem ersten Schritt rein rechnerisch Arbeit

1216.596
FB
immer lohnt. Man hat hinterher mehr Geld, als wenn man nur im Grundsicherungsbezug bleibt. Und zu der Reform gehört in dem Beiauch, dass die Freibeträge, das ist der Geldbetrag, wenn man Geld verdient durch einen Job, der einem nicht auf Hartz, oder schon aufs Bürgergeld angerechnet wird, jetzt bin ich auch in die alte Sprache zurückgefallen, der nicht aufs Bürgergeld angerechnet wird, dass diese Freibeträge noch großzügiger geworden sind. Diese Diskussion, ob sich Arbeit lohnt oder nicht,

1246.101
FB
hat dann aber auch noch ganz komische ja neben aspekte eigentlich der erste neben aspekt ist dass man dann so versucht von außen zu gucken ab wann lohnt es sich denn ja wie viel euro pro stunde braucht man denn eigentlich mehr damit es sich lohnt und ich glaube

1264.138
FB
Erstens ist da manchmal so eine optische Verzerrung drin, wo Wissenschaftler sagen, das lohnt sich nicht, das lohnt sich vielleicht für Leute, die wenig Geld haben trotzdem. Und zweitens ist das so ein extrem rationales Bild, als ob die Menschen wirklich nur danach gucken,

1279.531
FB
wie viel Cent sie am Ende des Monats mehr oder weniger haben, als ob Arbeit nicht möglicherweise auch was mit sozialen Kontakten, mit Selbstbestätigung, mit Strukturierung des Tagesablaufs mit dazugehören zu tun hat. Damit will ich jetzt nicht sagen, dass jede Arbeit besser ist als keine auf keinen Fall. Aber ich glaube, dass so ein ganz einfaches Arbeit muss sich monetär hinterher um x Euro

1306.322
FB
rechnen. Das was eben auch zu kurz greift. Es ist beides. Es geht darum Geld zu verdienen, aber es geht auch um eine ganze Reihe von sozialen Komponenten.

1315.077
FB
Wenn nebenbei gesagt diese Logik stimmen würde, dass die Menschen wirklich nur auf den Euro schielen und ganz rational immer abwägen, nehme ich jetzt die Sozialleistungen, nehme ich nur Sozialleistungen, arbeite dazu oder arbeite ohne Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, dann hätten wir glaube ich auch diese große Dunkelziffer Problematik nicht, dass viele viele Menschen

1337.449
FB
da draußen sind, die Sozialleistungen und auch das Bürgergeld nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie eigentlich einen Anspruch darauf hätten. Also da kommen ja auch wieder soziale Komponenten ins Spiel, vielleicht Stolz, vielleicht auch Sorge darüber,

1352.278
FB
schlecht behandelt zu werden, vielleicht auch im Bekanntenkreis komisch angeguckt zu werden, weil zumindest mit dem alten Harz war ja auch immer eine Art von Stigma verbunden. Der latente Vorwurf ist nicht anders zu schaffen, was ja eigentlich mit Blick darauf, dass wir diese Grundsicherungsleistung haben, um Leute zu unterstützen, ja schon auch

1374.326
FB
ziemlich daneben ist eigentlich. Im Grunde ist ja der Anspruch, wir unterstützen Leute, die in Not sind. Wir unterstützen sie auch, diese Notlage zu überwinden. Da kommen wir dann Richtung Fördern und Fordern und nicht nur Richtung Transfers. Aber im Grunde

1390.179
FB
spielen verschiedene Gründe, übrigens auch nicht wissen, eine Rolle, dass solche Leistungen nicht in Anspruch genommen werden. Es geht also nicht darum, dass jeder Mensch in diesem Land, der arbeitslos ist oder nur einen geringen Verdienst hat, total rational durchkalkuliert, was bringt es mir jetzt zum Amt zu gehen oder bringt es mir was zur Arbeit zu gehen.

1410.026
FB
So, und diese Diskussion, die führt dann auch immer noch weiter. Ja, Lohnabstandsgebot, das kann aber keiner so exakt bestimmen, wie hoch jetzt das Lohnabstandsgebot sein muss, damit sich Arbeit nun wirklich lohnt, also nicht nur rechnerisch, sondern wirklich ein Impuls sitzt. Und zu der ganzen Debatte kann man eigentlich auch nur sagen, naja, man kann auf die Sozialleistungen gucken.

1432.005
FB
Man kann aber natürlich auch auf die Löhne gucken. Vielleicht haben wir ja auch ein Problem mit Löhnen und gerade im Niedriglohnbereich. Dieser Lohnabstand ist ja zumindest ein bisschen vergrößert worden durch die zwischenzeitlich deutliche Anhebung des Mindestlohns auf damals 12 Euro. Das ist vor einigen Jahren die letzte Anhebung, weil schon wieder nicht mehr so glorreich.

1442.23
stefansasse
Untertitel im Auftrag des ZDF, 2020

1458.439
stefansasse
Ich habe dann ein paar Anmerkungen wieder hauptsächlich, also ich steuere quasi so ein bisschen die Anekdoten bei ihr. Mich erinnert diese Debatte wahnsinnig an die in den 2000er Jahren. Und deswegen habe ich auch das Gefühl, dass das hauptsächlich so eine Schönwetter-Schlechtwetter-Problematik ist. Weil die Höhe des Hartz-IV-Satzes, du hast ja gesagt, die Diskussionen gehen nie wirklich weg.

1463.541
FB
Mh.

1480.691
stefansasse
Aber sie war schon ziemlich irrelevant seit die Wirtschaft sich im Aufschwung befand, so grob ab Ende der 2000er Jahre und ganz besonders dann in den 2010er Jahren. Da hat es einfach keine so große Rolle mehr gespielt. Und seit diesem Überfall auf die Ukraine durch Putin und seit dann eben die Inflation durch die Decke gegangen ist und die wirtschaftliche Situation sich wieder drastisch verschlechtert, ist diese Debatte mit einer Wucht zurückgekommen.

1507.329
stefansasse
Und mit wirklich den exakt selben Narrativen wie in den 2000er Jahren auch schon. Also ich kann mir wirklich vorstellen, ich nehme diese Spiegelartikel von damals und schreibe einfach nur 2023 oder 2024 drüber und du würdest den Unterschied abgesehen von den Namen natürlich kaum merken.

1525.009
stefansasse
Das ist eine Auffälligkeit, die sich für mich hier bietet. Und dann geht es mir genauso, auch schon immer, ich habe das schon in den 2000er Jahren damals immer geschrieben und gesagt, dass es auffällig ist, dass dieses Lohnabstandsgebot immer nur in eine Richtung gedacht wird.

1542.516
stefansasse
Dass da die Leute stehen und sagen, Arbeit muss sich lohnen, ergo muss die Sozialleistung sinken, anstatt dass du halt sagst, da müssen halt die Leute vernünftig bezahlt werden. Wie du schon sagst, das ist bei weitem nicht mehr so dramatisch wie damals. Und für die jüngergeborenen, wir erinnern uns da an diese Debatten, wo es um Stundenlöhne von 4 Euro ging.

1562.312
stefansasse
Ja, und so krass ist die Inflation nicht gewesen. Also diese, diese sittenwidrigen Stundenlöhne, die damals zum Beispiel eine Friseurbranche hat sich das ja damals wahnsinnig entzündet, weil ich glaube im Saarland war das, wo das so durchschnittliche Stundenlöhne von vier Euro gezahlt wurden. Und das hat sich dann natürlich tatsächlich wirtschaftlich nicht gelohnt. Und wenn du dann so ein, wenn man mir das Wort gestartet, wenn du so einen Drecksjob hast, wo du zehn Stunden am Tag mal hochst für

1591.271
stefansasse
vier Euro, dann ist natürlich der Gedanke nicht allzu fern. Und trotzdem haben das ja massenhaft Leute gemacht. Und dass quasi die Arbeitsämter einen gezwungen haben, solche Anstellungen anzunehmen zu solchen Löhnen und das dann in der Debatte auch ganz offen gesagt worden ist quasi, ja, wir müssen das machen, weil ansonsten haben diese Unternehmen ja kein Geschäftsmodell. Ja, erinnere dich mal zum Beispiel an PIN damals, dieser Postkonkurrent,

1619.155
stefansasse
der versucht hat, durch den Staat zu erreichen, dass er den Mindestlohn nicht zahlen muss. Und wo es dann hieß, ja sorry, aber wenn wir unsere Leute vernünftig bezahlen, dann können wir keine Konkurrenz zur Post machen. Wo ich dann auch nur dachte, ja, good riddance. Also ein Glück gibt's euch nicht sozusagen. Und diese Debatte haben wir jetzt wieder. Jetzt kommen sie wieder mit dem Lohnabstandsgebot und erzählen mir dann quasi, wir müssen das Bürgergeld senken.

1644.104
stefansasse
anstatt dass die die Leute halt vernünftig bezahlen. Und ja, ich weiß schon, dass das zu einer Inflation und zu Lohndruck führt. Aber was willst du machen sozusagen? Und ein anderes Ding, was mir ebenfalls unglaublich vertraut vorkommt, ist dieser Aspekt, den du genannt hast, mit dem Fördern. Weil ja, da bin ich völlig bei dir, wenn man das ernst meinen würde.

1664.633
stefansasse
dann bräuchte man massenhaft qualifiziertes Personal in den Arbeitsagenturen, das sich individuell mit den Leuten beschäftigt. Dann reden wir davon, so Betreuungsschlüsseln von, was weiß ich, 1 zu 4 oder sowas. Und ich weiß jetzt nicht, was es an den Arbeitsagenturen in der Realität ist, aber ich glaube, ich habe auch schon Zahlen von 1 zu 100 gehört, zumindest damals. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das, wenn die Arbeitslosigkeit wieder steigt, dass das dann besser ist.

1690.981
stefansasse
Also aktuell ist das vermutlich wegen der niedrigen Arbeitslosenzahlen tatsächlich eine ganz akzeptable Geschichte, aber die Arbeitsämter expandieren ja nicht automatisch, wenn die Arbeitslosigkeit steigt. Das heißt, genau in der Zeit, in der man diese Qualifizierungsmaßnahmen am dringendsten brauchen würde, weil nämlich viele Leute arbeitslos werden, genau dann hat man die wenigsten Kapazitäten dafür. Aber das sind natürlich alles Aspekte.

1713.217
stefansasse
die ziemlich unsexy sind in der Debatte und die sich sehr schwer übersetzen in politische Slogans. Weil ich kann da natürlich wieder hinstehen und quasi meine klassischen Forderungen bringen mit, wir müssen investieren, wir brauchen mehr Leute, aber wir haben diese Leute ja erstens nicht. Und zweitens haben wir dann eben das Problem, dass wenn die erfolgreich sind und wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, dann schaffen die sich ja wieder selbst ab.

1736.561
stefansasse
Und dann brauche ich sie quasi wieder nicht. Also ich glaube, das ist echt so eine gewisse Grundperversität, die sich aus dem System gar nicht rausholen lässt, dass wir deswegen immer zu wenig Leute haben, weil wenn wir genügend hätten, dann hätten wir bald zu viele. Macht das Sinn, wie ich das gerade formuliere? Und ich wüsste nicht, mit welchem Rezept man aus dieser Falle rauskommt. Und deswegen fährt das System ja eigentlich immer mit zu wenig Leuten.

1760.503
stefansasse
Und mir kommt es halt so brutal bekannt vor aus dem Bildungssektor, aus dem ich ja komme. Weil da haben wir die gleichen Debatten ja auch immer, wir müssten eigentlich individuell fördern und dafür bräuchten wir mehr Leute. Aber die Leute haben wir nicht und das Geld haben wir nicht, die Häume haben wir nicht und so weiter. Und deswegen haben wir die Ergebnisse nicht, die wir haben möchten. Und das dreht sich quasi permanent im Kreis an der Stelle. Und diese Debatte fühlt sich für mich gerade wahnsinnig kreisförmig an.

1786.237
FB
Ja.

1789.415
FB
Du hattest auf dieses Gefühl, kennen wir alles schon in den Debatten hingewiesen. Das überkommt mich auch immer wieder mal. Auch diese Diskussion an anderer Stelle um Sozialversicherungsbeiträge, die nicht über X Prozent gehen, dass es irgendwie so gehen dürfen oder sollen. Das ist auch so ein Dauerbrenner. Es muss einfach effizienter sein. Die Kapitalmärkte werden schon richten. Am besten entscheidet jeder privat für sich, wie er sich absichert. Ja.

1821.861
FB
Irgendwie. Ja, manchmal habe ich das Gefühl, es nervt einfach. Können wir über was anderes sprechen. Ich will aber auf einen Unterschied hinweisen zu der Debatte in den frühen Tausendern. Wir haben eine völlig andere Arbeitsmarktlage. Wir haben natürlich auch von außen kommen, du hast es erwähnt, auch ganz andere Herausforderungen jetzt auch

1848.643
FB
Wir haben die Corona-Krise irgendwie so, haben wir sie überhaupt hinter uns gebracht? Es spricht zumindest keiner mehr so richtig darüber. Sie ist irgendwie ausgelaufen, weggekleckert. Wir haben den Krieg in der Ukraine mit der Zeitenwende. Wir haben die ganze Diskussion um sozialökologische Transformation etc. Aber wir haben nach wie vor einfach einen Arbeitsmarkt,

1881.664
FB
über lange, lange Jahre immer nur neue Rekorde eingefahren hat. Auch nach Corona haben wir sozusagen den Vor-Corona-Stand nochmal überholt. Es sind im Grunde mehr Leute in diesem Land beschäftigt als jemals vorher und auch sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das ist eigentlich eine völlig andere Ausgangssituation. Während man damals im Grunde

1906.408
FB
immer noch dabei war, den Nachwändeschock zu verdauen. Das ist ja das, wo Rot-Grün vielleicht auch dran gescheitert ist, wirklich die Arbeitslosigkeit runterzukriegen, zumindest in der eigenen Regierungszeit. Es wurde lange darüber gestritten, ob Hartz IV wirklich was dazu beigetragen hat, dass der Arbeitsmarkt hinterher sich besser entwickelt hat.

1931.988
FB
gute, renommierte Wissenschaftler, die sagen, das hat nicht dazu beigetragen. Das hat eher dazu geführt, dass der Arbeitsmarkt prekärer wurde, der Niedriglohnsektor gewachsen ist, aber es hat nicht den gesamten Wirtschaftsaufschwung auf einmal herbeigeführt. Ich habe ihn zumindest nicht gesehen, dass die Hartz-Reformen wirklich eindeutig in die eine Richtung gewirkt haben.

1946.476
stefansasse
Gibt's jetzt eigentlich einen Konsens dazu? Das wollte ich eh noch fragen. Das ist quasi immer noch umstritten.

1962.824
FB
Ich würde es immer noch als umstritten bezeichnen. Es ist irgendwie zwei, drei Jahre her, dass ich da das letzte Mal versucht habe, da den letzten Stand der Arbeitsmarktvorteil zu recherchieren. Was ja seitdem passiert ist, dass wirklich immer mehr Leute in Arbeit sind. Das heißt, wir haben jetzt eher eine Debatte um Fachkräftemangel. Ich weiß nicht, wenn wir jetzt den Bildungssektor oder eben auch den ganzen Bereich der

1984.923
FB
der Arbeitsmarktpolitik besser ausstatten wollten. Ich weiß auch nicht, wo wir die Leute herkriegen würden. Das ist ja eines der für mich auch großen Rätsel. Ich bin Sozialpolitik-Experte, kein Arbeitsmarkt-Experte, sodass ich da nicht immer jede Debatte im letzten Detail

2003.2
FB
nachvollziehen kann, aber dass wir gleichzeitig darüber klagen, dass an wichtigen Stellen in diesem Land Leute fehlen, auch im Gesundheitssektor, Pflegesektor. Als regelmäßiger Bahnfahrer hat man ja auch das Gefühl, dass da möglicherweise auch das Personalfahren fehlen könnte, um das ganze System am Laufen zu halten. In öffentlichen Behörden, Prüfprozesse und so weiter, das ist über Jahre abgebaut worden.

2030.026
FB
Und jetzt kommt man auf die Idee, vielleicht brauchen wir doch mehr Leute und jetzt ist der Arbeitsmarkt aber geräumt. Das hat natürlich was damit zu tun, dass wir Leute auch immer erst neu ausbilden müssen für solche Jobs. Das fällt nicht vom Himmel. Aber gleichzeitig ist es schon eine spannende Beobachtung, dass wir die Debatte auch jetzt über das Bürgergeld vor einem völlig anderen Arbeitsmarkthintergrund führen. Auch die Zahlen der Bezieherinnen und Bezieher

2066.558
FB
Die Zahlen der Bezieherinnen und Bezieher von ALG II, also erst Hartz IV, dann Bürgergeld, sind ja auch zurückgegangen.

2080.742
FB
Nachdenken immer noch in den gesamten Haushalten, die dann ja letztendlich unterstützt werden, immer noch über fünf Millionen. Aber das ist doch ein gutes Stück unter dem Höchstwert über sieben Millionen Personen, die wir in dem System hatten. Da ist die gleiche Diskussion, aber von einem anderen gesellschaftlichen Hintergrund gerade.

2109.241
stefansasse
Das heißt, wir haben immer noch jetzt quasi 5 Millionen von einem absoluten Höchststand von 7 Millionen, die das beziehen, aber die meisten nehmen quasi diese Lohn, wen heißen die Lohnzusatzleistungen, Lohnersatzleistungen in Anspruch, die Aufstocker hat man ja früher genannt. Ich weiß nicht, ob der Begriff immer noch gilt. Reden wir von denen oder was sind das für Deutsche?

2129.974
FB
Ne, also, sorry, das müssen wir vermutlich jetzt, kann ich dir jetzt nur so sagen, das würde ich glaube ich ungern dann hinterher im Podcast haben. Es gibt da Aufstellungen zu, ja, also die vom, ich weiß glaube vom IAB, das war auch letztens in der Zeit, wie sich das aufgliedert, dieser Blog der SGB II Bezieherinnen und Bezieher.

2149.002
FB
Das kann ich dir aber gar nicht schnell genug nebenher recherchieren. Das sind aber nicht alles die Aufstockerinnen, das ist eher ein kleinerer Teil. Du musst nur im Hinterkopf haben, dass in diesen Statistiken du eben auch die nicht erwerbstätigen Familienmitglieder drin hast, wenn wir jetzt nur die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten haben. Da sind wir schon deutlich drunter. Da sind wir schon von über 5 Millionen auf rund 4 Millionen runter.

2180.913
stefansasse
Da reden wir also von den Kindern, Pflegebedürftigen, lauter solchen Leuten, oder?

2186.7
FB
Leute, die jetzt gerade auch nicht dem Arbeitsmarkt unbedingt zur Verfügung stehen, aber eben auch Aufstockerinnen und Aufstocker, auch die fallen in diesen ganzen Block der erstmal der Leistungsberechtigten, also die Leute, die Leistungen bekommen. Und dann differenziert sich das einfach schrittweise aus. Dann hast du halt die Erwerbsfähigen, da sind die Nicht-Erwerbsfähigen schon raus, also beispielsweise die Kinder.

2208.831
FB
Bei den Erwerbsfähigen muss man dann gucken, sind die jetzt gerade in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, aus welchen Gründen haben die keine Arbeit, sind die momentan nicht vermittelbar, kriegen die halt zusätzlich eben die aufstockenden Leistungen. Da gibt es dann die Statistik, differenziert das sehr fein aus.

2232.841
stefansasse
Wir haben ja vorher festgestellt, dass die Debatte zentrale Unterschiede zu der in den 2000er Jahren hat. Und du hast ja schon den einen genannt, dass sich die Arbeitsmarktsituation massiv geändert hat. Ein anderer ist, glaube ich, auch die Zielrichtung, die diese Anti-Sozialleistungsrhetorik, wenn ich das mal so nennen darf, nimmt, weil wir jetzt auch noch zusätzlich diese Debatte haben von Flüchtlingen, die Bürgergeld kriegen.

2257.432
stefansasse
dieses übliche Pull-Faktoren, Zuwanderung in die Sozialsysteme und so weiter. Und ich muss ehrlich sagen, ich habe da den Überblick verloren. Können Flüchtlinge tatsächlich Bürgergeld beziehen? Oder ist das so ein Gerücht, der sich quasi in die Debatte eingenistet hat? So ungefähr auf dem Niveau von dem Florida-Roll früher. So nach dem Motto, du kannst im Ausland gigantische Summen Sozialhilfe beziehen, ganz regulär und dir dann faulen Lends machen.

2295.247
stefansasse
Du bist stumm.

2302.807
FB
Ich hatte versucht ganz schnell noch eine Sache nebenher zu gucken. Also, es ist so, wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, als Asylsuchender, als Asylsuchende, ist erstmal im Asylbewerberleistungsgesetz. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist damals in frühen 90ern

2328.541
FB
tatsächlich eingeführt worden, im Grunde, um diese Leistung unattraktiver zu machen. Also es gab die Sozialhilfe zum damaligen Zeitpunkt, das SGB II, also die Grundsicherung für Arbeitssuchende gab es nicht als spezielles System und das war letztendlich der erste Schritt, um die alte Sozialhilfe in verschiedene Teilsysteme aufzubliedern.

2349.718
FB
Und es wurde damals in der Gesetzesbegründung argumentiert, dass Asylbewerberinnen und Bewerber nur einen kurzen Aufenthalt regelmäßig in Deutschland haben und darum nicht die vollen Leistungen für eine gesellschaftliche Integration brauchen.

2366.084
FB
Wenn man sich aber die Bundestagsdebatten der damaligen Zeit anguckt, dann ging es nicht nur um so eine reine Sachlogik, die haben einfach andere Bedürfnisse und darum dürfen wir denen auch weniger Geld auszahlen, sondern es ging durchaus schon um diese ganzen immer wiederkehrenden Debatten um Sozialleistungsbezug als Impulfaktor, Asyltourismus, Sozialtourismus etc. Also auch so ein Dauerbrenner in der Diskussion. Und was tatsächlich

2395.145
FB
passiert ist, wenn Menschen längeren Bezug von Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes haben, dass sie dann irgendwann nach einer bestimmten Frist nach den Regeln des Sozialgesetzbuches behandelt werden. Diese Grundüberlegung, wenn die nur kurzfristig da sind, gibt es Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, also geringere Leistungen.

2424.701
FB
Und ab einem bestimmten Zeitpunkt sind Leistungen nach dem SGB II fällig. Das ist erstmal die Standardlogik. Und was es jetzt im Kontext der Flucht aus der Ukraine gegeben hat, ist, dass für diese Gruppe von Menschen tatsächlich ein schnellerer Zugang zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ermöglicht worden ist.

2455.435
FB
So, ist das so, dass Menschen, die aus dem Ausland kommen, unter bestimmten Bedingungen tatsächlich also Grundsicherungsleistungen bekommen. Das gilt aber eben beim besten Willen nicht für alle und zugleichen Bedingungen. Es ist beispielsweise so, dass Menschen, die aus dem EU-Ausland kommen oder aus dem europäischen Wirtschaftsraum im Grunde erstmal eine Sperrfrist haben, etwas vereinfacht gesagt von fünf Jahren. Also in der Zeit müssen sie zusehen, wie sie klarkommen.

2484.77
FB
Es sei denn, Sie finden hier einen Job, zahlen also auch hier Steuern und auch Sozialabgaben, dann können Sie tatsächlich schneller in den Grundsicherungsbezug kommen, aber dann müssen halt eben erst den Job haben. Also einfach nur als Arbeitssuchende aus dem europäischen Ausland hierher zu kommen funktioniert auch nicht. Und direkt die Leistung abzugreifen geht nicht. Es ist dann

2513.166
FB
Zudem überhaupt noch fraglich, ob die Menschen tatsächlich wegen unserer vermeintlich so großzügigen Leistungen hierher kommen. Oder ob es nicht eine ganze Reihe von anderen Gründen gibt, die einen dazu bringen, sein Heimatland zu verlassen und sich auf den Weg zu machen. Es sind im Grunde, ich hätte jetzt beinahe gesagt, gute Gründe sein Land zu verlassen, aber es sind eigentlich ziemlich beschissene Gründe. Also zum Beispiel Krieg, Hunger, Not, Elend.

2542.568
FB
Das sind letztendlich eine ganze Reihe von Aspekten, die die Leute einfach auf den Weg bringen. Es ist nicht sozusagen das Streben, danach hier Sozialleistungen abzugreifen, sondern es ist sicher auch die berechtigte Suche nach einem besseren Leben. Aber das ist nichts, was wir über die Höhe der Sozialleistungen hier realisieren oder regulieren können.

2571.544
stefansasse
Was mich immer stört an dieser Debatte ist die Prämisse, dass diese Leute, also vor allem wenn man das dann reduziert, der aktuell beispielsweise wieder mit diesen Bezahlkarten oder was vor ein paar Monaten war, mit diesem nur Sachleistungen oder was auch immer, da steckt ja immer so diese Prämisse drin, dass dann irgendjemand in Somalia

2595.674
stefansasse
gut genug Bescheid weiß über ein föderal gegliedertes Sozialsystem, wo wir hier in Deutschland, wie du selber vorher ja schon gesagt hast, massenhaft Leute haben, die aus Unwissen Leistungen, die ihnen zustehen, nicht in Anspruch nehmen. Also ich halte es einfach für eine völlig wirklichkeitsfremde Vorstellung, dass man, wenn diese Pull-Faktoren existieren, die über solche Reformen unter Kontrolle bringen könnte.

2619.718
stefansasse
Einfach weil ich die Informationen ja gar nicht an die Leute hinkriege. Also wenn es wahr ist, dass die die Vorstellung haben, hier quasi in ein Land von Milch und Honig zu kommen. Und ich bezweifle überhaupt nicht, dass es bei manchen der Fall ist. Einfach weil generell der Wissensstand über die Regularien von anderen Ländern halt bei vielen Leuten extrem schlecht ausgeprägt ist. Das sieht man hier umgekehrt, auch immer wenn sich Liberale über die Steuerbelastung in den USA unterhalten oder sowas.

2645.572
stefansasse
Da steckt ja auch häufig keine besonders tiefe Kenntnis des amerikanischen Steuer- und Sozialsystems drin. Und genauso ist es hier wahrscheinlich auch. Da erfährst du dann halt irgendwie, keine Ahnung, oh, hier in Deutschland zahlt man dir die Miete, aber zu welchen Bedingungen und wie genau das funktioniert und dass es logischerweise dann keine Villa mit Pool ist, ist den Leuten dann auch wieder nicht klar oder sowas. Von daher danke erst mal für die Aufklärung, wann diese Leute überhaupt da reinkommen.

2675.196
stefansasse
Ich denke, die meisten dieser Debatten, genauso wie die generelle Debatte über die Höhe und das Lohnabstandsgebot und so weiter, die sind ja auch gar nicht spezifisch über die Arbeitslosen per se, sozusagen, und befassen sich ja nicht mit denen, sondern die richten sich ja eigentlich eher an den inneren Gebrauch, sozusagen. Also man benutzt die

2697.961
stefansasse
als Virtue Signaling im Endeffekt. Man kommuniziert sozusagen, dass man für die eigene, die autochtone Bevölkerung da ist und die priorisiert, indem man die anderen trifft sozusagen. Und genauso kommuniziert man ja quasi mit dieser Anti-Bürgergeld-Rhetorik, mit diesem Betonen des Lohnabstandsgebots, betont man ja quasi hier, ihr die Fleißigen, wird dann immer der Gegensatz aufgemacht,

2725.708
stefansasse
Wir sind für euch da sozusagen. Wir machen Politik für euch und wir beweisen das euch, indem wir den Sozialleistungsempfängerinnen wehtun. Das ist unter politischen Gesichtspunkten eine sehr effektive politische Kommunikation. Ich glaube, das hat auch sehr gut funktioniert für beispielsweise die SPD dann in den 2000er Jahren. Da hatte glaube ich keiner mehr Zweifel daran, dass die nicht die Partei der Arbeitslosen sind.

2754.343
stefansasse
Nicht, dass es dir in den Umfragen und in den Wahlergebnissen gut getan hätte, aber es hat funktioniert, das zu kommunizieren. Und genauso habe ich das Gefühl, benutzt beispielsweise die CDU diese aktuelle Debatte dann auch wieder. Das ist hauptsächlich ein Mittel der internen politischen Kommunikation und hat wenig mit den Sachfragen zu tun. Wie du schon sagst,

2775.964
stefansasse
Dafür ist da viel zu wenig Bezug. Und gerade wenn man in die Medien schaut, sieht man ja dann auch, die meisten Leute haben ja gar keine Ahnung, wie der Kram eigentlich überhaupt funktioniert.

2790.009
FB
Du hast es jetzt intern Bezug genannt, ohne es jetzt rechtfertigen zu wollen. Muss man erstmal auch einfach zur Kenntnis nehmen, dass in einer Bevölkerung ja auch tatsächlich auch erstmal Unterschiede gemacht werden. Es gibt schon durchaus in der Wissenschaft einen Debattenstrang der Gerechtigkeitsvorstellung in Bevölkerungen

2818.422
FB
aus verschiedenen Ländern also analysiert und beispielsweise eben auch fragt nach bestimmten Bevölkerungsgruppen, wie sehr Personen sich um deren Lebensbedingungen Sorgen machen. Wie viel Solidarität sie für diese Gruppen empfinden oder ausdrücken. Und das englische Wort dazu ist Deservingness Perceptions, also eben die Wahrnehmung von

2848.336
FB
die Servingness, da steckt das Verdient haben, etwas verdient haben, Unterstützung verdient haben mit drin. Und da zeigt sich eigentlich, zumindest die Daten, die ich jetzt gerade so vor Augen habe, die ein bisschen älter sind, über alle europäischen Länder eigentlich eine Rangfolge von Bevölkerungsgruppen, wer unterstützt werden soll, wer es verdient hat. Am besten waren im Grunde immer die Alten, die Kranken und

2878.439
FB
Behinderten sind auch immer relativ weit oben. Also die sind ja letztendlich nicht selbst verschuldet. Oder die Alten, die haben ja auch was schon geleistet und dürfen darum unterstützt werden. Danach kommen die Arbeitslosen. Weil bei den Arbeitslosen schwingt halt immer mit in vielen politischen Debatten, aber auch in diesen Wahrnehmungen dieses

2900.776
FB
Vielleicht könnten die ja selber was dafür tun, ihr Schicksal zu überwinden. Und an vierter Stelle in diesen Abfragen kommen dann tatsächlich Migranten, die am wenigsten bisher beigetragen haben, die von außen kommen, die nicht dazugehören. Es ist so, dass europäische Sozialstaaten auch diese Art von Wertigkeiten reflektieren.

2929.718
FB
natürlich eine große Kritik dran. Auch von Juristen beispielsweise mit Blick auf eben menschenwürdiges Existenzminimum, warum es da eine Differenzierung gibt. Es gibt Verfassungsgerichtsurteile, was man gerade eben noch darf und nicht. Aber im Grunde ist es über, ich will nicht sagen über alle europäischen Staaten so, aber es gibt zumindest einen deutlichen Trend, Grundsicherungssysteme auszudifferenzieren. Das haben Forscher an der Uni Mannheim, also speziell Thomas Bahler, rausgearbeitet.

2960.998
FB
Und das sehen wir in Deutschland auch. Wir hatten am Anfang einen Bundessozialhilfe-Gesetz seit den 60er Jahren. Das war für all diejenigen da, die bedürftig sind und sollte bedarfsorientiert Leistungen liefern. Das erste, was dann passiert ist nach rund 30 Jahren, ist das Ausklammern des Asylbewerberleistungsgesetzes. Mit dem erklärten Ziel, dass diese Leistungen weniger attraktiv sein sollen. Dann unter Rot-Grün ist die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung neu geschaffen worden.

2990.725
FB
mit dem erklärten Ziel, verschämte Armut zu bekämpfen. Das war die Ansage, ihr sollt es einfacher haben. Wir wollen die unterstützen und die Leistung auch mit Blick auf Freibeträge attraktiver machen, damit Altersarmut effektiv bekämpft werden kann. Jetzt können wir immer noch darüber streiten, ob die Leistungen dafür ausreichen oder nicht. Aber die Attitüde war schon wieder eine andere.

3017.278
FB
Dieses Grundsicherungsgesetz ist dann hinterher auch wieder in das Sozialgesetzbuch neu integriert worden. Und der nächste Schritt war dann tatsächlich die Neuschaffung einer Grundsicherung für Arbeitssuchende, die es vorher ebenso nicht gegeben hat. Wiederum mit einer anderen Attitüde. Denn bei der Grundsicherung im Alter ist ja die Vorstellung, ja natürlich muss man nachweisen, dass man fürdürftig ist. Das muss man auch im Zweifelsfall ein weiteres Mal machen und ein weiteres Mal. Das wird auf Zeit bewegt.

3043.626
FB
Aber die Idee ist natürlich nicht, dass man seine Hilfebedürftigkeit aus eigener Kraft noch überwinden soll. Das ist natürlich im SGB II, also beim heutigen Bürgergeld, was anderes. Da ist die Grundhaltung, die Leute sollen mit daran arbeiten, dass sie nicht mehr angewiesen sind auf diese Leistungen. Was ich sagen würde, im Grunde nach

3068.933
FB
sogar unterstütze, aber das sind jetzt natürlich die Feinheiten, da haben wir ja am Anfang darüber gesprochen. Wie weit unterstützen wir die Leute aus einer Notlage herauszukommen oder wie weit schubsen wir sie, zwingen wir sie, nötigen sie, möglichst diese Leistung gar nicht als in Anspruch zu nehmen oder da irgendwie rauszufallen und machen ihnen den Leistungsbezug wirklich unangenehm. Also in dem Sinne haben wir jetzt schon ein gegliedertes System. Die alte Sozialhilfe haben wir als Restbestand auch immer noch.

3098.763
FB
Wir haben eine Spezialleistung für Migranten. Wir haben eine Spezialleistung für Leute, die dauerhaft im Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen oder nicht mehr zur Verfügung stehen müssen. Das heißt, wir haben da eben schon eine Hierarchisierung. Und das, was immer wieder passiert, ist mit Blick auf diese Grundsicherungsleistung, eben dieses nach unten schielen. Teils auch nach unten treten. Das scheint auch immer wieder zu verfangen.

3127.773
FB
anstatt dass aber eben mal anders geguckt wird. Naja, was können wir denn für die breite Mitte der Bevölkerung eigentlich tun? Wir haben ja, wir haben jetzt ganz viel über Grundsicherung im deutschen Sozialstaat gesprochen, aber eigentlich ist der Anspruch der Grundsicherung ja mal gewesen, das letzte Netz der sozialen Sicherung zu sein, das da dann individuell greift, wo die anderen Systeme nicht mehr greifen. Das heißt, auch wenn wir heute den Sozialstaat angucken und die Sozialausgaben,

3157.568
FB
Dann fließt sehr viel Geld nach wie vor erstmal in die Rentenversicherung, auch in die Krankenversicherung, in die Pflegeversicherung. Und im Alter, also oberhalb der Renten-Altersgrenze ist das Standardsystem zur Versorgung nach wie vor die deutsche Rentenversicherung. Manche Leute haben eine Beamtenpension, viele Leute haben auch noch Ersparnisse, vielleicht noch private Vorsorge oben drauf. Eine bunte Mischung.

3191.368
FB
Also wir haben eine bunte Mischung dann letztendlich aus Einkommensquellen. Aber es bleibt dabei, dass die Rentenversicherung erstmal zentral ist. Im Bereich der Arbeitslosenunterstützung ist das anders geworden. Da ist das Arbeitslosengeld I, die Versicherungsleistung, nicht mehr der Standardfall. Das ist für viele noch eine wichtige Unterstützung. Aber wir haben deutlich mehr Leute in Bezug von ALG II.

3221.308
FB
auch wenn wir nur auf die Arbeitslosen gucken, die Leute, die wirklich Arbeit suchen in diesem System, als im Arbeitslosengeld eins. Und jetzt ist ja eigentlich die Frage, wie kann es denn eigentlich sein, dass wir so sehr immer auf die Grundsicherung starren, dass das auch verfängt, dass die Leute dann nach unten gucken und denen das eigentlich noch neiden und dass die Union

3247.432
FB
Und auch andere Politikerinnen und Politiker immer dieses Gefühl haben, wir müssen aufpassen, dass die da unten nicht zu viel kriegen. Naja, eine Lösung wäre ja möglicherweise auch die Mitte, die gerade nicht darauf angewiesen sind, so abzusichern, dass sie auch großzügig sein können. Dass sie eine vernünftige Rente erwarten können. Dass sie wissen, im Arbeitslosengeld, im Fall der Arbeitslosigkeit,

3272.125
FB
bin ich nicht direkt im ALG 2 Bezug oder nach kurzer Zeit, sondern kann mich abgesichert fühlen, kann mich darauf verlassen, dass ich eine vernünftige meiner Qualifikation entsprechende Stelle wieder finde. Das hat auch was wieder, da sind wir auch wieder bei Tarifbindung und Löhnen und so weiter. Ich muss nicht aufstocken. Ich schaffe das aus eigener Kraft. Und dann kann man, wenn man das sozusagen als Regelsystem hat, ja,

3300.896
FB
Dann könnte man politische Debatten, glaube ich, über Grundsicherung auch viel rationaler und besser führen, weil dann klar ist, dass wir wirklich über die Bedürftigen sprechen und nicht permanent so eine Art Druck ist. Das System will ich aber vermeiden, aber das ist doch schon ganz schön nah dran an dem, was ich gerade verdiene, an dem, was ich aus anderen sozialen Sicherungssystemen beziehe.

3326.903
stefansasse
ist es nicht auch ein bisschen so, dass sich diese Debatte auch deswegen nicht vermeiden lässt, weil in der Ausgestaltung des Sozialstaats, gerade wie wir die jetzt auch durch Bundesverfassungsgerichts Rechtsprechung haben, du hast ja ganz am Anfang mal das Stichwort fallen lassen mit dem soziokulturellen Existenzminimum. Das macht es ja letzten Endes unmöglich, dass da jemals ein entsprechender Abstand ist oder weil wenn quasi

3352.073
stefansasse
nennen wir mal die die niedrigen 30-40 Prozent der Einkommensbeziehenden. Wenn die jetzt einen signifikanten Boost kriegen, also wir würden einfach mal überall 1000 Euro sozusagen draufschlagen im Monat, würde da nicht letzten Endes die Sozialleistungen nachziehen, weil sich die Maßstäbe verändern, was überhaupt Grundbedürfnisse sind oder verstehe ich das falsch und das würde sich gleich bleiben.

3376.973
FB
Es gibt zwei Antworten darauf. Die eine Antwort ist, wir haben ein System, das die Grundsicherungsleistung tatsächlich statistisch alle fünf Jahre neu bestimmt, zwischendurch dann weiter fortschreibt und

3393.729
FB
Da würde sich ein Anstieg des Lebensstandards letztendlich in den Grundsicherungsleistungen wieder niederschlagen. Die holen dann auch auf. Die zweite Antwort ist, dass wir natürlich bei einem steigenden Lebensstandard auch politisch immer darüber diskutieren können. Was wollen wir denn eigentlich wem wie garantieren?

3418.473
FB
Die Debatte ist letztendlich nie abgeschlossen und nicht abschließbar. Und ja, vermutlich ist es dann so, wir werden immer, wenn wir über bessere Arbeitsbedingungen sprechen, über bessere Löhne, in einem zweiten Schritt hinterher dann auch über eine vernünftige Existenzsicherung für die sprechen müssen und auch die Anpassung dieser Existenzsicherung für die, die eben nicht über den Arbeitsmarkt integriert sind.

3448.643
FB
Die Frage ist aber tatsächlich, an welcher Stelle setzen wir an und was sind eigentlich die ersten Schritte? Ich habe keine Probleme damit, auch darüber zu sprechen, über eine bessere Berechnung von Grundsicherungsleistungen und dann vermutlich auch eine höhere Leistung. Mir wäre aber sehr immer dran gelegen, wenn wir dann

3450.009
stefansasse
Okay.

3477.295
FB
diese Arten von Reformen wirklich auch immer an Gesellschaft zurückbinden und an den Rest des Sozialstaats, weil was ich nicht möchte, ist letztendlich eine Art von Reformen oder auch politische Forderungen, die dazu führen, dass sich diese Grundsicherungsleistungen, die eigentlich das letzte Netz der sozialen Sicherung sein sollen, sozusagen von unten in den Arbeitsmarkt und in den weiteren Sozialstaat reinfressen. Es gibt ja beispielsweise Berechnungen,

3507.483
FB
wie bei einem sinkenden Rentenniveau, wie lange ich arbeiten muss zu einem gegebenen Lohn, beispielsweise dem Durchschnittslohn, um eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu erhalten. Das sind Argumente, die vorgebracht werden oder Berechnungen, die auch verwendet werden, um für ein besseres Rentensystem zu kämpfen. Aber was solche Berechnungen eben auch zeigen, ist, dass wenn wir auf einmal anfangen, die Grundsicherungsschwelle anzuheben, dass wir dann natürlich auch wiederum

3535.947
FB
bei einem sonst nicht reformierten Rentensystem länger arbeiten müssen, um eine Rente über Grundsicherungsniveau zu bekommen. Das heißt, wenn wir großzügige Grundsicherung haben, dann führt das erst mal dazu, dass unter sonst gleichen Bedingungen mehr Leute Anspruch darauf haben. Da können wir auch sagen, soll so sein. Wir wollen großzügiger sein. Wir wollen, dass mehr Leute unterstützt werden. Aber es hat eben dann immer wieder Rückwirkungen auf den Rest des Sozialstaats, beispielsweise auch eben auf die Legitimität.

3565.196
FB
von Arbeitslosengeld 1 unter Rentenversicherung, weil die Leute sich dann möglicherweise irgendwann zurecht fragen, wofür zahle ich denn überhaupt hier noch Beiträge, wenn ich eh nicht über die Grundsicherung komme. Und es ist ein bisschen, kommen wir an der Stelle dann auch hintenrum doch wieder auf sowas wie Lohn und Lohnabstand, diese Frage, ja gut, was müssen wir dann bei verbesserten Grundsicherungsleistungen dann aber eben auch auf dem Arbeitsmarkt machen, bessere Löhne etc., etc., etc., damit wir eben auch

3594.514
FB
Vielleicht auch nur das Bild vermitteln. An manchen Stellen geht es vielleicht wirklich um Psychologie. Dass die Grundsicherung für diejenigen da ist, die wirklich Unterstützung brauchen.

3606.476
stefansasse
sehe deinen Punkt, was mir nicht klar ist, wofür du jetzt da eigentlich plädierst. Also wenn du sagst quasi, die Grundsicherung soll sich nicht in den Sozialstaat reinfressen, bedeutet das, wir brauchen sozusagen auch ein Rentenabstandsgebot, das dann quasi die Renten im Gleichklang mit der Grundsicherung anhebt, wie auch immer das dann jeweils finanziert wird, angesichts dessen, dass es jetzt zwei völlig unterschiedliche Finanzierungssysteme sind.

3629.906
stefansasse
wie du schon sagst, oder heißt es dann im Umkehrschluss, dass halt die Anstiege der Grundsicherung im Endeffekt begrenzt werden durch die Anstiege der Renten? Das ist mir gerade noch ein bisschen unglaublich.

3643.387
FB
Mir würde es tatsächlich darum gehen, dass wir über eine bessere Grundsicherung sprechen, aber gleichzeitig eben den Rest von Arbeitsmarkt und Sozialstaat nicht aus dem Blick lassen. Wir müssen das nicht technisch als ein Rentenabstandsgebot formulieren. Mir geht es darum, dass man mit dem Fokus

3672.654
FB
auf die Grundsicherung und der berechtigten Kritik an dem jetzigen System der Grundsicherung letztendlich auch Debatten in einer Art und Weise beeinflussen kann, dass man sich nur noch um Grundsicherung und ihre Verbesserung kümmert, dass aber die Systeme, die eigentlich den deutschen Sozialstaat auszeichnen, nämlich die Sozialversicherungssysteme, völlig aus dem Blick geraten und nicht mehr weiter reformiert werden. Also es ist so eine, jetzt außer Alterssicherung kommt,

3698.319
stefansasse
Ja.

3701.578
FB
Gibt es eine Diskussion um Altersarmut und einen potenziellen Anstieg von Altersarmut in den kommenden Jahren? Das ist notwendig und sinnvoll, dass das diskutiert wird. Aber die Frage ist, an welcher Stelle wollen wir ansetzen? Wollen wir tatsächlich Altersarmut bekämpfen als ein zentrales Ziel des Alterssicherungssystems? Oder geht es erstmal um Lebensstandardsicherung für Leute, die

3728.541
FB
sowohl lange gearbeitet haben, aber auch möglicherweise Kindererziehungszeiten haben, die vielleicht kürzere Phasen von Arbeitslosigkeit hatten, ist das eigentlich nicht eher erstmal der Kern des Rentensystems. Und wenn wir den stabilisiert haben, dann können wir auch weiter über Altersarmut und zielgenaue Maßnahmen sprechen. Es ist so, es ist einerseits nötig, über Armut zu sprechen und über Grundsicherung und eine Verbesserung der Grundsicherung. Aber es kann eben auch davon wegführen,

3757.91
FB
zu sehen, dass der deutsche Sozialstaat noch deutlich mehr ist und mehr kann, als eben Grundsicherungsleistungen zu liefern. Da sehe ich manchmal auch eine politische, wirklich politische Gefahr drin einer Diskursverschiebung in Richtung eben Armut, was eben auch mit Abwertung möglicherweise von den Leistungsbeziehern dann immer wieder neu einhergehen kann. Wo eigentlich dem deutschen Sozialstaat auch, man dem deutschen Sozialstaat eigentlich auch nicht wirklich gerecht wird.

3767.381
stefansasse
Mh.

3789.024
FB
Weil Armutsbekämpfung und Grundsicherungsleistung sind ein wichtiger Teil. Aber sie sind möglicherweise, was heißt möglicherweise? Sie sollten eigentlich im Regelfall wirklich die Ausnahme sein. Wir wollen da nicht Millionen Leute drin haben, sondern wir wollen die Bedürftigen unterstützen, die Unterstützung brauchen. Und die anderen sollen ihre Unterstützung, ihre Sozialleistungen aus einer anderen Quelle bekommen.

3811.92
FB
Es geht nicht darum, denen nichts zu geben, sondern es geht darum zu sagen, Moment mal, die Sozialversicherung ist unser Standardsystem. Damit würden wir nämlich auch diese alte Logik des Unterstützens der Konzentration auf das Individu im Grundsicherungssystem vielleicht auch besser erfüllen können. Wir haben ja die Arbeitslosenversicherung und wir haben ja das

3832.995
stefansasse
Plädierst du damit effektiv für eine Zurückkehr zur Arbeitslosenversicherung? Weil die wurde ja letztendlich durch die Hartz-Reform und... Sorry.

3844.189
FB
Die Arbeitslosenversicherung gibt es ja und das ALG I gibt es. Wir können an der Stelle zumindest mal wieder darüber diskutieren, wie wir zum Beispiel die Bezugszeiten und die Vorversicherungszeiten gestalten wollen, denn das ist verschärft worden bzw. verkürzt worden. Das wäre ein so ein Punkt. Ein zweiter Punkt, gerade schon angesprochen, Stabilisierung der Rentenversicherung mit dem Ziel, dass wirklich klar ist nach einem langen Erwerbsleben. Und damit meine ich jetzt nicht Vollzeit 45 Jahre durch Chackern.

3870.094
stefansasse
Vielen Dank für's Zuschauen.

3872.619
FB
Aber letztendlich eine dauerhafte Arbeitsmarktnähe plus möglicherweise Familienarbeit, Sorgearbeit soll dafür sorgen, dass wir am Ende tatsächlich über Grundsicherungsniveau landen. Das wären so zwei Aspekte, auf die man dann mal fokussieren könnte. Der dritte Aspekt setzt dann eben am Arbeitsmarkt an, Leute gut in vernünftige Arbeit zu integrieren, damit sie beispielsweise gegenüber der Arbeitslosenversicherung und auch gegenüber der Rentenversicherung über vernünftig Ansprüche aufbauen können.

3903.285
stefansasse
Dann stelle ich jetzt mal so quasi die Frage des Advokatus Diabolis. Wie finanzieren wir das alles? Weil letzten Endes bedeutet das ja deutlich steigende Kosten für die Rentenversicherung einerseits und für die Arbeitslosenversicherung und die staatlichen Zuschüsse in dieselbe und vor allem natürlich eine Belastung für die Kommunen, die da damit einhergeht.

3924.633
stefansasse
Also was ist quasi die Idee? Wie kriegen wir das alles gestemmt? Weil ich höre ja quasi in der Debatte eigentlich immer, dass die Sozialversicherungsbeiträge jetzt schon so hoch sind, dass sie eine Belastung für den Standort Deutschland sind. Also wie kriegen wir das unter einen Hut?

3944.036
FB
Was ich zuletzt sagte, die Leute erstmal in gute Arbeit kriegen, produziert ja auch erstmal wieder Beitragseinnahmen. Es wird in ganz vielen Diskussionen so getan, als ob der Arbeitsmarkt einfach so fix wäre, wir nur sozusagen gerade innerhalb der Rentenversicherung in so einem autonomen System nur ein paar Knöpfe drücken können. Das ist die erste Sache. Die zweite Sache ist, was die Sozialabgaben angeht,

3977.637
FB
dass es da, sagen wir mal, keinen wissenschaftlichen Wert gibt, ab wann es zu viel ist. Es wird immer so eine magische Grenze von 40 Prozent Gesamtbeitragssatz besporen oder das Überschreiten dieser Grenze dann beklagt. Aber im Grunde ist eben nicht sicher, was passiert, wenn wir so eine Grenze überschreiten. Also die alte Logik war früher, ja mein Gott, dann entlassen die Unternehmen

4006.732
FB
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil Arbeit zu teuer wird und damit haben wir schon wieder weniger Beitragszahlen. Dann sind wir in so einem Teufelskreis gelandet. Aber letztendlich haben wir zum Beispiel in der Rentenversicherung jetzt über Jahre einen sehr nie vorhergesehenen geringen Beitragssatz. Viele Vorausberechnungen, die wir auch dringend immer brauchen, sind aber einfach erst mal nicht eingetroffen, haben sich nicht realisiert.

4034.087
FB
Das nächste ist die Frage, was passiert denn tatsächlich mit Sozialversicherungsbeiträgen? Haben Unternehmen nicht teilweise auch die Möglichkeit, die Preise zu überwälzen, an anderer Stelle zu sparen? Und diese ganz einfache Logik, Arbeitskosten gehen hoch, Unternehmen schmeißen Leute raus, stimmt nicht so eindeutig. Oder muss zumindest von Unternehmen und Unternehmen von Branche zu Branche überprüft werden?

4063.012
FB
Dann kommt noch ein weiteres hinzu. Die Frage nämlich, was passiert eigentlich in einem zweiten und dritten Schritt? Wenn wir höhere Sozialbeiträge einnehmen, dann werden die ja in einem Umlagesystem auch direkt wieder ausgeschüttet. Das heißt Rentnerinnen und Rentner haben Renten, die hoffentlich mit der Lohnentwicklung erstmal Schritt halten. Es geht ja jetzt nicht darum, irgendwie die Wundertüte aufzuschütten, sondern es geht darum, erstmal Rentnerinnen und Rentner am

4092.446
FB
Wirtschaftswachstum vermittelt über die Lohnentwicklung teilhaben zu lassen. Das ist das, was ein stabiles Rentenniveau ja im Grunde vereinfacht gesagt meint. Dieses Geld wird aber ja auch wieder ausgegeben. Es wird ja nicht dem Wirtschaftskreislauf komplett einfach entzogen, sondern es taucht einfach erstmal an anderer Stelle wieder auf. Und der Punkt ist gerade in der Alterssicherung, naja, Kosten für Alterssicherung fallen an. Wir müssen gucken, wer sie denn tatsächlich trägt. Dann sind wir ganz schnell

4119.633
FB
nicht bei Fragen von wegen, was können wir uns leisten, sondern wir sind bei Verteilungsfragen, wo man eben auch die Frage stellen muss, wer ist das wir, indem wir können uns dieses oder jenes nicht leisten und wer möchte da eigentlich welche Interessen auf wessen Kosten durchsetzen. Ich plädiere nicht dafür, das wäre ja auch naiv, jetzt das Füllhorn auszuschütten, für alle viel mehr gleichzeitig. Ich glaube aber, dass dieser Reflex, das können wir nicht finanzieren, auch manchmal sehr, sehr schnell kommt.

4149.923
FB
ohne mal genau hinzugucken, was kriegen wir denn für die Finanzierung auch? Vielleicht auch im positiven Sinne, wer hat sich denn da was verdient? Wofür gibt die Person auch das Geld wieder aus? Was macht das in einem zweiten Schritt mit der Wirtschaft? Denn Sozialausgaben nicht anzuheben oder nicht zu zahlen heißt schlicht und einfach auch Nachfrage zu Schwächen gesamtgesellschaftlich gesprochen und führt

4179.292
FB
dann auch noch dazu, dass Leute sich möglicherweise einfach nicht abgesichert fühlen. Also auch da kommt eine psychologische Komponente rein, dieses sagen, nicht berechnen können, nicht wissen, was mit einem passiert, wenn einen ein Schicksalsschlag trifft oder wenn man alt geworden ist. Da kommen eine ganze Reihe von Aspekten rein, häufig auch Verteilungsfragen, also diese Frage, wo man einfach mal überlegen muss,

4203.78
FB
Sagen wir, ist in diesem Land vielleicht nicht das Geld an manchen Stellen einfach da und wir schaffen es nicht, es abzugreifen? Ja, dann verlassen wir natürlich die harte Beitragslogik, ist klar, dann sind wir im Steuersystem. Aber an manchen Stellen will ich nicht sagen, bin ich entspannt, aber an manchen Stellen glaube ich, dass wir uns auch was versagen.

4227.756
stefansasse
Ja, ich gehe da auch tatsächlich grundsätzlich mit und ich will zum Abschluss noch einen Aspekt betonen, den du gerade so en passant angesprochen hast, nämlich diese Geschichte mit der Lebensstandardsicherung auf der einen Seite und was das mit den Leuten macht, mit diesem Absicherungsgefühl, weil das ist zumindest, vielleicht hast du da noch wissenschaftliche Empirie, die das stützt oder widerlegt,

4248.575
stefansasse
Aber mein Gefühl aus diesen ganzen Debatten, eben besonders um Hartz IV seiner Zeit, dass sich das ganz, ganz viel gedreht hat, weswegen ja jetzt auch so betont worden ist mit diesen Freibeträgen, dass da quasi die Gefährdung da ist, dass ich als verdienende Person, und ich bin ja in meiner Eigenwahrnehmung immer eine verdienende Person im Gegensatz zu all den anderen, die Sozialleistungen ungerechtfertigt kriegen,

4271.084
stefansasse
dass ich sozusagen bedroht bin, auf das Niveau der anderen sozusagen zu rutschen, also eben diese unverdienenden Leute, die doch bitte, bitte wenig kriegen sollen, sofort, wenn ich Arbeitslosigkeit habe. Also ich erinnere mich noch ganz massiv, dass zum Beispiel diese Kennzahlen von, du musst dein Auto verkaufen, wenn es nicht 10.000 Euro waren, glaube ich, damals oder weniger wert ist.

4278.08
FB
Ja. Ja. Ja.

4297.596
stefansasse
dieser Zwang sofort aus einer Wohnung ausziehen zu müssen, sofern die 70 Quadratmeter übersteigt und so weiter. Das hat, glaube ich, was gemacht mit den Leuten und mit der Furcht sozusagen, weil diese beständige Angst in der Mittelschicht abzurutschen, diesen Mittelschichtenstatus zu verlieren, der ja in Deutschland quasi als Norm gesehen wird. Und das ist ja sozusagen so eine Art persönliches Versagen, wenn du nicht zur Mittelschicht gehörst.

4317.09
FB
Oh.

4326.476
stefansasse
Und das wurde eben durch Hartz IV quasi massiv befördert. Und ich glaube, das Bürgergeld dreht das grundsätzlich wieder ein bisschen zurück. Erneut deswegen glaube ich, dass diese Freibeträge so betont wurden. Und ich glaube, das ist auch der Aspekt, der es der FDP ermöglicht hat, dann überhaupt mitzugehen. Das ist auch noch so ein bisschen ein Mysterium für mich. Du hast es vorher so ein bisschen beschrieben, dass die SPD und die Grünen das wollten.

4352.022
stefansasse
Was war eigentlich das Argument der FDP, dass die mitgehen? Das ging ja schon in die Richtung, oder? Und natürlich die Entbürokratisierung und Vereinfachung dieser Leistungen. Also dass dieser Komplex sozusagen eine ganz große Rolle spielt, dass man dieses Gefühl von, wenn ich mir etwas verdient habe,

4369.377
stefansasse
dann kommt nicht das Amt und nimmt mir das gleich weg, sondern ich krieg da tatsächlich eine Stütze über auch einen nennenswerten Zeitraum, der es mir ermöglicht, so halbwegs über die Runden zu kommen und mich ein bisschen sicher zu fühlen. Weil diese ursprünglichen zwölf bis achtzehn Monate, ALG 1, bevor im Endeffekt ein ganzes Vermögen gefendet wird, das war ja ein Damoklesschwert über der Mittelschicht Jenseits von Gut und Böse.

4402.807
FB
Ja, zu deiner Frage, warum die FDP da mitgegangen ist, kann ich im Grunde nichts sagen, weil ich da auch die Dynamiken in der Koalition zu wenig überblicke, an welcher Stelle dann eben auch vielleicht zugestanden wurde, dass es das Projekt der anderen Koalitionspartner, dafür wird eines von unseren Projekten umgesetzt, das kann ich nicht beurteilen, an welcher Stelle da wer wie was aus Überzeugung mitgetragen hat oder eben

4431.22
FB
im Sinne von, ja, jeder hat halt seine Projekte und wir wollen Unterstützung für unsere Projekte, auch wenn sie den anderen nicht am Herzen liegen. Das müsste man im Nachhinein nochmal wirklich rekonstruieren, vielleicht auch mit Interviews etc. Ja, vielleicht ist das, was bleibt für die nächsten Jahre, dass die Vermögensfreigrenzen, also auch mit einer Karenzzeit für das erste Jahr,

4459.855
FB
deutlich verbessert worden sind, dass da dieser Druck rausgenommen wurde. Diese Vermögensgrenzen sind erheblich angehoben worden, genauso wie die Zuverdienstgrenzen. Ja, da steckt halt eine Verdienstlogik drin. Das ist richtig. Aber gleichzeitig ist natürlich die Frage, ob das eigentlich ausreicht, weil es bleibt dabei,

4489.855
FB
Du musst zum Amt nachweisen, was du hast, dann greifen eben die freien Beträge. Die Leistungen, die du direkt bekommst, sind eben die Leistungen auf dem Regelbedarfsniveau. Das ist nicht sonderlich großzügig. Von daher hast du einen stärkeren Schutz des Erarbeiteten.

4514.94
FB
Aber du hast diese alte Lebensstandardsicherung, die im Arbeitslosengeld 1 ja immer noch drin steckt, die ist nicht wiedergekommen. Zumindest was die direkte Transferseite angeht, was den Schutz angeht schon ein bisschen.

4531.374
stefansasse
Ja, das scheint mir auch das Relevante zu sein. Also diesen Anspruch, von dem hat sich in meinem Gefühl nach der Sozialstadt eh verabschiedet. Also ob jetzt bei der Rente oder bei der Grundsicherung und so weiter, die Vorstellung, dass da eine Lebensstandardsicherung drinsteckt, das trifft einfach nicht mehr zu und zwar schon lange nicht mehr.

4551.209
stefansasse
Aber ich glaube, das ist ein ganz anderes Thema, gerade weil das so stark in die Rente mit reinläuft, weil da ist es nicht explizit. Und bei dem Umschwung auf Hartz IV wurde das ja wirklich explizit gemacht. Das war ja auch Gerhard Schröder damals in der Regierungserklärung, dass die neue Sozialleistung auf dem Niveau der Sozialhilfe sein würde. Und damit war er wirklich

4562.602
FB
Hm. Hm.

4574.138
stefansasse
offen, klar, dass wir uns von dem Konzept der Lebensstandardsicherung verabschiedet haben. Und bei der Rente habe ich das Gefühl, haben wir das sehr schleichend getan und es ist immer noch nicht offiziell anerkannt, was nicht unbedingt dazu beiträgt, zu der Akzeptanz dieser ganzen Geschichte.

4591.067
FB
Ja, es ist schleichend, aber man muss an der Stelle sagen, die Politik war da zumindest offen. Also diese Ansage, dass wir vorsorgen sollen, privat vorsorgen, also riestern sollen, die war damals schon klar. Also das ist auch von Anfang an, muss man wirklich sagen, auch wenn man es nicht mag, inhaltlich verkommuniziert worden. Ihr soll dafür sorgen, wenn ihr Lebensstandards sichern wollt, müsst ihr selber Geld in die Hand nehmen. Dennoch war die Ansage, der Staat macht es nicht mehr alleine. Wir gehen von der Lebensstandardsicherung weg.

4621.732
FB
Und trotzdem ist glaube ich diese Lebensstandardsicherung als eine Norm und ein Ziel etwas, was wir immer noch hervorheben sollen. Diese Frage, was soll denn der Sozialstaat machen? Was ist unsere Leitidee? Da immer noch mit verknüpft ist. Das ist ein Ziel, glaube ich auch, dass sich viele einigen können. Wenn mir eine bestimmte soziale Lage droht oder wenn sie absehbar ist, dass ich das, was

4650.401
FB
ich jetzt schon geschaffen habe, zumindest das gesichert ist. Wenn wir das wollen, dann müssen wir eben dann entsprechend auch einen gesellschaftlichen Konsens finden, dass wir das auch finanzieren wollen.

4665.691
stefansasse
Ich finde es ganz spannend, wenn ich da mit liberalen Freunden drüber spreche und wenn die dann von Erfahrungen berichten, wo sie im Leben quasi zurückgeworfen wurden durch wirtschaftliche Krisen, dann betonen die auch immer dieses, ich habe mich selbst herausgearbeitet sozusagen. Aber die Leitlinie, die ich da drin finde, ist quasi diese traumatische Erfahrung darunter zu fallen.

4681.988
FB
Hm.

4692.108
stefansasse
Und ja klar, wenn man dann den Survivors Bias hat, weil man es geschafft hat, sich danach wieder hochzuarbeiten, dann kann ich auch verstehen, dass da ein gewisses Unverständnis gegenüber denjenigen drin ist und ein Unwille sozusagen, die diese Leistungen nicht erbracht haben.

4709.462
stefansasse
Und ich glaube, dass diese ganzen Fragen, die berühren halt einfach das Zentrale an unseren Identitäten, wer wir sind. Also da geht es ja nie nur um eine Frage von Leistungen des Staates und Policy-Entscheidungen oder so, sondern es berührt immer unser Menschenbild, unsere Vorstellung davon, was Gesellschaft sein soll.

4732.858
stefansasse
und wie wir uns da drin verorten letzten Endes. Und ich glaube, deswegen werden diese Debatten auch so ein bisschen aggressiv geführt letzten Endes, weil immer wenn diese Themen berührt sind, die Debatten vergleichsweise aggressiv sind.

4749.558
FB
Ja, und damit kommen wir auch nochmal wirklich zurück zu der Grundsicherung und auch damals den Hartz Reformen. In der Wissenschaft wird auch teilweise gesagt, dass mit dieser aktivierenden Sozialpolitik, diesem individuell Schauen aufs Fördern und Fordern,

4764.77
FB
letztendlich ein neues Verständnis von Arbeitslosigkeit zusammenhängen. Arbeitslosigkeit war letztendlich ein individuelles Schicksal, wo man sich rauskämpfen muss, wo man vielleicht Unterstützung kriegt. Aber es war eben kein soziales Schicksal mehr, das sich ergibt, weil in den neuen Ländern das Wirtschaftssystem komplett umgestülpt worden ist oder wo in Industrieregionen einfach ein Arbeitgeber dicht macht und einfach ein paar tausend Arbeitsplätze wegfallen. Das ist ein soziales Risiko. Da können die Personen nicht individuell was für.

4794.377
FB
Das ist eine komplett andere Herangehensweise, wenn man sagt, Arbeitslosigkeit ist ein soziales Problem, wo die einzelnen Personen einfach nichts für können, wo sie dann kompensiert werden müssen, wo wir als Gesellschaft dran arbeiten müssen, vielleicht auch neue Arbeitsplätze zu schaffen oder ein neues Arbeitsbild zu entwickeln. Das ist eine komplett andere Herangehensweise, als es zu individualisieren und zu sagen, jeder ist seines Glückes Schmied, wir geben dir das, was du zu überleben brauchst,

4821.169
FB
Wir geben dir vielleicht noch ein paar Dienstleistungen um Bewerbungstraining und und und, damit du wieder durchstarten kannst, aber mehr kriegst du nicht. Das ist eine Individualisierung des sozialen Risikos.

4833.831
stefansasse
Okay.

4838.217
stefansasse
Ja, das ist ja schon ein längerfristiger Prozess. Der Historiker Lutz Raphael hat es in seinem Buch beschrieben, Jenseits von Kohle und Stahl, hat ja diesen Punkt gemacht, dass quasi Arbeitslosigkeit zu so einer Art strukturellen Geschichte wurde, die aber eben gleichzeitig hoch individualisiert ist. Also jeder leidet sozusagen für sich alleine. Man hat nicht mehr so dieses Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse sozusagen, wo dann alle sagen, ah, der scheiß Kapitalismus oder sowas.

4858.865
FB
Ja.

4867.5
stefansasse
sondern man ist quasi damit so ein bisschen allein gelassen. Und ich glaube, dieses System spiegelt das so ein bisschen, diese Individualisierung. Und gleichzeitig hat die dann natürlich den Vorteil, dass man tatsächlich diese Förderung unterbringen kann. Das wäre ja quasi das Ganze ins Positive gewendet, was dann an den von uns diskutierten praktischen Umsetzungsmechanismen dann halt häufig hängen.

4895.196
FB
Jo.

4897.91
stefansasse
Kann man so stehen lassen. Ich glaube, wir sind dann auch am Ende dieser Debatte. Ich danke dir unglaublich für deine Einsichten. Das war sehr, sehr spannend. Ich habe das Gefühl, ich habe ein wesentlich besseres Verständnis für diese ganze Grundsicherungsapparatik und wie das alles zusammenhängt. Wer sich weiter für das Thema interessiert, wo kann man denn dir und deine Organisationen und einem Arbeitgeber weiter folgen und da zusätzliche Informationen kriegen?

4922.654
FB
Ja, wir hatten die Einleitung ja relativ knapp gehalten. Ich arbeite am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Das ist eine Forschungseinrichtung innerhalb einer gemeinnützigen Stiftung. Wir sind gewerkschaftsnah von der Ausrichtung her. Das WSI macht Forschung zu dem ganzen Komplex Grundsicherung, aber auch zum Arbeitsmarkt, dann darüber hinaus auch unser Schwesterinstitut, das IMK,

4951.357
FB
Da gibt es eine ganze Reihe von Studien, auch politischen Einschätzungen und Stellungnahmen, aber eben auch Forschung im engen Sinne, also Analysen zum Arbeitsmarkt, zu Armut, zu Grundsicherung. Das findet man auch auf unserer Homepage, entweder über böckler.de oder schneller www.wsi.de

4979.462
stefansasse
Dann vielen, vielen Dank. Ich hoffe, dass wir gute Nachrichten hören werden in Zukunft zum Thema Grundsicherung und dass einige deiner Vorschläge genauso umgesetzt werden und dann klappen. Das wäre ja gewissermaßen der absolut traumhafte Zustand an der Stelle. Noch einmal vielen Dank für die Zeit, die du dir genommen hast und vielleicht bis zum nächsten Mal.

5000.691
FB
Gern geschehen.

 

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