Donnerstag, 14. November 2024

Maschmeyer bezweifelt das 1,5-Grad-Ziel und geht mit einer Kettensäge gegen die zu erfolgreichen Leitmedien vor - Vermischtes 14.11.2024

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Die Ket­ten­säge braucht es nicht

Der Artikel analysiert die Kritik an Deutschlands Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und den Wunsch führender Politiker, es in seiner aktuellen Form abzuschaffen. Bundesminister wie Robert Habeck und Marco Buschmann beklagen die bürokratischen Lasten des Gesetzes und plädieren für weniger Berichts- und Dokumentationspflichten. Trotz dieser Bedenken wird jedoch darauf hingewiesen, dass eine vollständige Abschaffung kaum möglich und kontraproduktiv wäre, da das LkSG als Grundlage für den Menschenrechtsschutz in Lieferketten dient und in naher Zukunft durch EU-Richtlinien ersetzt wird, die noch umfassendere Berichte verlangen. Der Artikel schlägt drei Reformansätze vor: Erstens soll ein stärker risikobasierter Ansatz Unternehmen dazu verpflichten, sich auf die gravierendsten Risiken zu konzentrieren. Zweitens sollten allgemeine Fragebögen an Zulieferer gezielt und angepasst werden, um die tatsächlichen Risiken besser zu erfassen. Drittens fordert der Artikel, dass Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten aktiv und kooperativ erfüllen, anstatt diese auf Zulieferer abzuwälzen. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass eine bürokratieärmere Umsetzung möglich ist, ohne das Gesetz abzuschaffen, und dass Unternehmen selbst zur effizienteren Einhaltung beitragen können. (Bastian Brunk, LTO)

Das ist das, was ich immer sage: das Problem sind nicht Regulierungen per se, sondern schlechte Regulierungen. Regulierungen sind ein Werkzeug. Weil jemand darin versagt, einen Nagel einzuhämmern, oder versucht, mittels eines Nagels ein Elektrogerät zu reparieren, heißt das ja noch lange nicht, dass der Hammer grundsätzlich ein ungeeignetes Werkzeug wäre. Im Umkehrschluss heißt das allerdings eben auch nicht, dass zu viel Regulierungen und Bürokratie kein Problem wären, dass nicht manches weg könnte oder dass die Antwort auf jedes Problem mehr Regulierung wäre. Es bräuchte aber einen weniger ideologischeren Blick auf das Ganze. Faszinierend finde ich in dem Zusammenhang übrigens, dass die Unternehmen die Bürokratie, die sie beklagen, teilweise selbst schaffen.

2) Why Are Liberals Infuriated with the Media?

Der Artikel beschreibt die wachsende Unzufriedenheit liberaler Journalistinnen und Leserinnen mit der politischen Berichterstattung führender US-Medien wie der New York Times und der Washington Post. Kritiker*innen beklagen insbesondere die „Bothsidesing“-Mentalität, also die Tendenz zur neutralen Berichterstattung trotz asymmetrischer politischer Bedrohungen, sowie die Vernachlässigung kontextbezogener Berichterstattung zu Trumps potenziell autoritären Tendenzen. Diese Kritiken spannen ein breites Spektrum: Von der Normalisierung radikaler Positionen („Sanewashing“) bis hin zur Betonung von Wahlanalysen statt politischer Inhalte („Horse-race coverage“). Die Frustration führt zu Abo-Kündigungen und schwindendem Vertrauen, während Medienhäuser wie die New York Times offenbar ihre Neutralität gegenüber rechten Stimmen betonen. Die Sorge: Eine zu vorsichtige Berichterstattung könnte den medialen Einfluss und das Vertrauen untergraben, insbesondere wenn Redaktionen zurückschrecken, drängende Themen wie den Aufstieg des Autoritarismus offen anzusprechen. (Jeff Jarvis, CJR)

Ich schreibe schon seit einer Weile über dieses Thema, und ich beobachte gerade dasselbe Phänomen wie Jarvis. Die Ränder haben sich ohnehin schon längst aus dem gemeinsamen Medienraum verabschiedet, wenn sie denn je drin waren. Das Misstrauen in die Leitmedien und das Bedürfnis nach einer "Gegenöffentlichkeit" kenne ich ja noch aus meiner eigenen Zeit bei und mit den NachDenkSeiten. In den USA ist seit gut 20 Jahren dank FOX News und der lokalen Sender die gesamte Rechte in eine Parallelwelt abgewandert. Die breite Mitte der Leitmedien wie CNN und Co wurde dadurch quasi automatisch nach links gerückt - wer selbst nach rechts wandert, für den sind alle anderen automatisch links, auch wenn die sich selbst nicht geändert haben. Die gegenläufige Bewegung nimmt auf der Linken langsam, aber sicher, auch immer mehr Fahrt auf. Das ist alles nicht gerade gesund, aber das Versagen der Leitmedien ist leider auch nicht wegzudiskutieren. Dieselbe Entwicklung sehen wir in wesentlich abgeschwächterer Form und mit Verzögerung auch in Deutschland.

3) Democrats fixed many of the problems of the early 2020s

In den letzten vier Jahren hat die Biden-Regierung durch zielgerichtete Politik substanzielle Fortschritte in wichtigen Bereichen erzielt, insbesondere in Bezug auf Arbeitslosigkeit, Inflation, Kriminalität und die Stärkung der heimischen Produktion. Trotz einer unauffälligen Kommunikation der Erfolge konnte Biden wirtschaftliche Stabilität herstellen und die Beschäftigung auf hohem Niveau sichern. Dank umfangreicher staatlicher Ausgaben zur Krisenbewältigung und der schnellen Anhebung der Zinssätze durch die Federal Reserve sank die Inflation sogar schneller als in anderen Ländern. Ein bemerkenswerter Erfolg der Regierung war die Reduzierung der Kriminalität nach den turbulenten Jahren 2020 und 2021. Biden setzte sich früh gegen Forderungen zur Polizeifinanzkürzung ein und unterstützte durch Fördergelder eine stärkere Polizeipräsenz. Auch das Thema Migration wurde schließlich mit einer Verschärfung der Grenzpolitik angegangen, was zu einem deutlichen Rückgang der Grenzübertritte führte. In der Industriepolitik legte Biden durch Gesetze wie den CHIPS Act den Grundstein für eine Wiederbelebung der US-Fertigung, besonders im Halbleiterbereich. Dies hebt ihn von bisherigen Präsidenten ab, die zwar die heimische Produktion ankurbelten, aber selten nachhaltige Erfolge erzielten. In der Zukunft bleiben Herausforderungen wie das Haushaltsdefizit, das Wohnungsproblem und der Ausbau der Rüstungsindustrie bestehen. Bidens Nachfolgerin Kamala Harris zeigt Interesse am Wohnungsbau, während ihre Strategie zum Abbau der Staatsschulden und der militärischen Produktion noch offen ist. (Noah Smith, Noahpinion)

Zum zweiten Mal nach Obama, der die Trümmer der Bush-Regierung wegräumen musste, haben die Democrats im Endeffekt den Schweinestall aufräumen dürfen, den die republikanische Vorgängerregierung hinterlassen hat. Jedes Mal gab es wirtschaftliche Flurschäden (Subprimekrise hier, Covid-Politik da), zerstörtes Vertrauen (Irak/Katrina, Covid) und institutionelle Verheerungen (in beiden Fällen Sabotage der Behörden). Bemerkenswert ist der wesentlich größere Erfolg der Regierung Biden, die die Lektionen von Obamas viel zu zögerlicher Reaktion verinnerlicht und die USA mit klugen Maßnahmen schnell zurück auf Wachstumskurs gebracht haben, die zudem ein strategisches Konzept (wenngleich kein überragend brillantes) beinhalteten. Nicht, dass Obama die Mehrheiten für eine andere Politik gehabt hätte; aber er hat es auch gar nicht versucht und gewollt. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass es gerade die Biden-Regierung ist, die die Politik macht, von der Trump behauptet, dass er sie macht (während seine reale Politik völlig kontraproduktiv ist): eine Belebung des produzierenden Gewerbes und eine Reduzierung von internationalen Abhängigkeiten.

4) Genosse Maschmeyer, bitte übernehmen!

In einem aktuellen Kommentar wird der Zustand der SPD kritisch beleuchtet. Die Partei, einst Verfechterin der Arbeiterinteressen, scheint den Bezug zu ihrer traditionellen Wählerschaft verloren zu haben und sich mehr auf den Kampf gegen Reichtum zu konzentrieren. Juso-Chef Philipp Türmer äußert beispielsweise seine Ablehnung gegenüber Milliardären, was eine ideologische Linie in der SPD unterstreicht. Die Autorin ironisiert, dass ausgerechnet Carsten Maschmeyer, ein Versicherungs-Milliardär mit Arbeitsklassen-Rhetorik auf LinkedIn, eine erfrischende Stimme für Arbeiterinteressen darstellen könnte. Maschmeyer, der sich selbst als Fürsprecher der „hart arbeitenden Menschen“ positioniert, spricht Themen wie die Notwendigkeit von Handwerkern und die Belastung durch überbordende Bürokratie an. Er kritisiert die SPD dafür, sich in akademischer Identitätspolitik zu verlieren und den arbeitenden Teil der Bevölkerung zu vernachlässigen. Der Artikel illustriert, wie die sozialdemokratischen Prinzipien der Partei zunehmend durch populistische Anti-Reichtums-Ansätze ersetzt werden und konstatiert, dass dies den Niedergang der SPD in den Umfragen erklären könnte. (Franziska Zimmerer, Welt)

Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass jemand wie Maschmeyer sich sozialdemokratischer gebärdet als es die SPD oft tut. Die deutsche Linke ist sehr handzahm, was ökonomische Themen angeht. Zimmerers Framing ist natürlich typisch für die Welt, indem sie sich gleich auf die Bürokratielastigkeit und Identitätspolitik (ausgerechnet bei der SPD...) kapriziert, aber das ändert wenig an der zugrundeliegenden Richtigkeit. Die SPD hat völlig verlernt, eine kämpferische Sprache zu sprechen. Ich will nicht gleich das Wort vom "Klassenkampf" in den Mund nehmen, aber etwas in die Richtung fehlt letzten Endes im demokratischen Spektrum, weswegen das Feld ja auch den Bauernfängern von BSW und AfD überlassen wird. Die übrigens auch mit identitätspolitischen Themen agieren statt sich um die Substanz zu kümmern, aber das unterscheidet sie nicht von den anderen.

5) Warum das 1,5-Grad-Ziel eine Schnapsidee war

Die anstehende UNO-Klimakonferenz in Baku wird laut Experten wie Mojib Latif voraussichtlich wieder kaum Fortschritte bringen, insbesondere in Bezug auf das 1,5-Grad-Ziel, das als längst unrealistisch gilt. Latif kritisiert offen, dass die Politik an einem „überholten“ Ziel festhalte, das bereits „gerissen“ sei, und fordert mehr Ehrlichkeit und Pragmatismus. Ullrich Fichtner, der als SPIEGEL-Reporter ebenfalls skeptisch auf die Klimaziele blickt, erinnert daran, dass das 1,5-Grad-Ziel ursprünglich eine ambitionierte, aber nicht wissenschaftlich fundierte Zahl war – hinzugefügt in einer Art Euphorie auf der Pariser Klimakonferenz 2015. Fichtner fordert, dass die Konferenz in Baku ein Zeichen für mehr Realismus setzt und die zwei Grad als realistischeres Ziel betont. Ein klares Eingeständnis der bisherigen Überschätzung würde nicht nur Glaubwürdigkeit schaffen, sondern auch eine Neuausrichtung ermöglichen. Er plädiert dafür, dass die Klimapolitik sich nicht auf starre Temperaturziele versteifen, sondern flexibel auf die bestmögliche Kühlung des Klimas setzen sollte. (Ulrich Fichtner, Spiegel)

Es mag ja sein, dass die konkrete Zielmarke nicht übermäßig realistisch war, aber ich halte Fichtners Kritik insofern für verfehlt, als dass es eine Zielmarke braucht. Man kann ja schlecht irgendwie internationale Klimaabkommen schließen, die einfach nur wohlige Absichtserklärungen beinhalten. Das haben wir in den 1990er Jahren ja schon durchexerziert, und letztlich auch in den Abkommen vor Paris. Ideal ist das natürlich nicht, aber ich sehe auch keine viel bessere Alternative. Auch halte ich es für reichlich verfehlt anzunehmen, dass wenn man eine andere Zahl ausgegeben hätte, dies die Skeptiker*innen und Kritiker*innen abgehalten hätte, das ganze Unternehmen Klimaschutz in Bausch und Bogen zu verdammen.

Resterampe

a) Milliardäre und...ach ihr wisst schon. Siehe auch hier.

b) How Netflix’s Remarkable Life of Ibelin pulled off its World of Warcraft scenes without Blizzard’s knowledge. Heartwarming.

c) Warum gibt es in Städten mehr Abiturienten als auf dem Land? Ziemlich dramatisch.

d) Zur wirtschaftlichen Lage. Und noch einer. Und noch einer. Und noch einer. Und noch einer. Und noch einer.

e) Richtig zum Thema Wagenknecht.

f) Richtig zum Thema Merkel. Siehe auch hier.

g) Venezuela ist echt krass. Dass ich das mal verteidigt habe...brrrrr.

h) Guter Punkt zu Söder und den Grünen.

i) Autsch.

j) Juli Zeh ist so eine Dampfplauderin.

k) Ja.

l) Auch ja.

m) Blome sagt das! Blome!

n) Zum Thema Biodiversität.

o) The Regressive Era.

p) Why They Reign Supreme.

q) Das Unwissen der Migranten ist erschreckend. Korrekt. Genau deswegen taugen ja auch diese Strafreformen wie Bürgergeldkürzung oder Bezahlkarte nichts.

r) Bürokratieabbau wäre schon was Feines.

s) Bei den offenen Lügen von FOX News besteht zu Deutschland echt keine Äquivalenz.

t) Is fluoridated water safe? Auch dieser Blödsinn...

u) Corona: Virologe Streeck kritisiert »Ausgrenzung« von Ungeimpften mit Juden. Was für ein Idiot.

v) The right lessons from Trump 1.0. Interessante Thesen.

w) Fortschrittskoalition!


Fertiggestellt am 04.11.2024

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