Dienstag, 12. November 2024

Netanyahu wird von durch Trickle-Down reich gewordenen Milliardären kritisiert und beendet die progressive Ära - Vermischtes 07.11.2024

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) How Republican Billionaires Learned to Love Trump Again

Der Artikel beleuchtet die Bemühungen von Donald Trump, reiche republikanische Spender für seine Präsidentschaftskampagne 2024 zu gewinnen, nachdem er in den Vorwahlen auf Widerstand gestoßen war. Nach dem Sturm auf das Kapitol hatten viele wohlhabende Republikaner, darunter Nelson Peltz, ihre Unterstützung zurückgezogen, doch angesichts von Bidens Präsidentschaft und der wirtschaftlichen Lage haben sich viele reiche Spender, wenn auch widerwillig, erneut hinter Trump versammelt. Trump hat sich als transaktionaler Kandidat erwiesen, der den Spendern verspricht, politische Entscheidungen zu ihrem Vorteil zu treffen. Die Unterstützung von milliardenschweren Unternehmern wie Elon Musk und Steve Wynn zeigt, dass viele Spender trotz persönlicher Bedenken den pragmatischen Nutzen einer Trump-Präsidentschaft höher bewerten als die Unterstützung alternativer Kandidaten. Trumps Wandel in der Haltung zu Themen wie Kryptowährungen und Unternehmensinteressen zeigt seine Bereitschaft, die Interessen der Superreichen in den Mittelpunkt seiner Kampagne zu stellen. (Susan Glasser, New York Magazine)

Warum genau sollte man von diesen Leuten auch irgendeine Art commitment zur Demokratie erwarten? Bei allen proto-faschistischen Tendenzen Trumps ist nicht zu erwarten, dass in nächster Zeit Milliardäre aus den Fenstern des 10. Stocks fallen werden. Und ein Trump wird besser für die Geldbörse dieser Leute sein als eine Harris. Das ist keine ernsthafte Frage. Ja, sie lehnen Trump als Person ab, weil er ein Prolet ist und sie sich für etwas Besseres halten. Aber sie können trotzdem die Nase zuhalten um zu verhindern, dass sie künftig nur noch 1,15 statt 1,2 Milliarden haben. Das ist es schon wert, dass das restliche Land vor die Hunde geht. Dazu gibt es noch die kleine Gruppe von Leuten wie Musk oder Thiel, die Trump aus Überzeugung helfen - und weil sie sich davon politische Macht erhoffen. Wir hatten das im letzten Vermischten.

2) 50 years of tax cuts for the rich failed to trickle down, economics study says

Eine Studie der London School of Economics zeigt, dass Steuersenkungen für Reiche in den letzten 50 Jahren vor allem den Wohlhabenden zugutekamen, ohne signifikante wirtschaftliche Vorteile für den Rest der Bevölkerung zu bringen. Die Analyse von 18 entwickelten Ländern zwischen 1965 und 2015 ergab, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und die Arbeitslosenquoten in Ländern mit und ohne Steuersenkungen für Reiche nach fünf Jahren ähnlich blieben. Allerdings stiegen die Einkommen der Reichen in Ländern mit gesenkten Steuern deutlich stärker. Die Forschung deutet darauf hin, dass diese Maßnahmen die Einkommensungleichheit verschärfen, anstatt Wohlstand breiter zu verteilen. Der Ko-Autor Julian Limberg argumentiert, dass das wirtschaftliche Argument für niedrige Steuern auf Reiche schwach sei, besonders im Vergleich zur Nachkriegszeit, als hohe Steuern mit starkem Wirtschaftswachstum und niedriger Arbeitslosigkeit einhergingen. Er schlägt vor, Steuererhöhungen für Reiche nach der Pandemie ernsthaft in Betracht zu ziehen, um die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen. (Aimee Picchi, CBS)

Nun...das ist nun wahrlich nicht überraschend. Trickle Down war schon immer eine Lüge. Das ist aber auch nicht die relevante Frage, wenn es um die Steuerkürzungen geht. Die Debatte ist von ihrer eigenen Werbung so sehr verschlungen worden, dass es praktisch gar nicht möglich ist, darüber zu reden, was die Policy eigentlich wirklich ist. Wenn der Staat die Steuern für die Reichen senkt, sorgt er im Endeffekt für einen Kapitalüberhang. Der wird üblicherweise irgendwo investiert. Die Frage ist, ob dieses Investment für die Volkswirtschaft gut ist oder nicht - oder ob eben die Abschöpfung die besseren beziehungsweise relevanteren volkswirtschaftlichen Effekte hat. Das kann sein oder nicht, und die Überlegungen dazu sollten die Steuerpolitik mit beeinflussen, nicht irgendwelche moralistischen Behauptungen, die ohnehin nichts mit der Realität zu tun haben.

3) Netanjahu wird für Israel zunehmend gefährlich

Der Artikel beschreibt die aktuelle Eskalation der Gewalt in Israel und den palästinensischen Gebieten. Während Israel die Hisbollah im Libanon bekämpft, verstärken sich auch Angriffe auf den Gazastreifen, wo es zu zahlreichen Toten und Verletzten kommt. Israel rechtfertigt die Angriffe mit der Zerstörung von Hamas-Kommandozentralen, obwohl Berichte darauf hindeuten, dass die Offensive ohne klaren militärischen Grund begann. Stattdessen scheint der Druck auf die Zivilbevölkerung erhöht werden zu sollen. Die USA kritisieren die unzureichenden humanitären Hilfen und drohen mit Kürzungen militärischer Unterstützung. Zudem wird Israel für den Angriff auf ein Krankenhaus zur Rechenschaft gezogen. Die internationale Kritik an Israels Taktik wächst, da diplomatische Lösungen vernachlässigt werden. Politische Radikalisierung innerhalb der israelischen Regierung sowie zunehmende internationale Spannungen verschärfen die Situation weiter. Israel riskiert einen politischen Bruch mit den USA, die für seine militärische Sicherheit essenziell sind. (Steffi Hentschke, ZEIT)

Ich würde auch betonen, dass Netanyahus Politik für Israel eine zunehmende Gefahr darstellt. Seine extremistischen Koalitionspartner stellen permanent Forderungen auf, die den Vorwurf des "Genozids" bestätigen, der Israel derzeit so beständig an den Kopf geworfen wird. Die Aktionen der IDF überschreiten immer mehr ein Maß, das auch Verteidiger*innen Israels akzeptieren können oder das sich mit militärischer Notwendigkeit erklären ließe. Das Land ist aber letztlich von der Unterstützung der USA (und in weit geringerem Ausmaß der EU) abhängig. Ein Bruch steht zwar aktuell nicht zur Debatte, könnte aber durchaus - vergleichbar mit Suez 1956 - in der Zukunft winken. Das Problem im deutschen Kontext scheint mir zu sein, dass die Debatte sehr stark den Vorwurf bestätigt, bestimmte Dinge nicht sagen zu dürfen oder zu können, aus Furcht, gleich als Antisemit gebrandmarkt zu werden. Damit leistet man sich auch einen Bärendienst, denn wenn sich dieses Gefühl als Mehrheitsmeinung durchsetzt, werden Tabus fallen, die einen deutlich größeren Antisemitismus auslösen werden, weil da dann mit Sicherheit keine nuancierte sicherheitspolitische Debatte stattfinden wird.

4) The progressive era is over. Again.

Der Artikel argumentiert, dass der jüngste Rückgang des Progressivismus in der amerikanischen Politik einem historischen Muster folgt, bei dem progressive Bewegungen zunächst an Einfluss gewinnen, aber später auf Widerstand und Rückzug stoßen. Dieses zyklische Phänomen habe sich mehrfach gezeigt, etwa beim New Deal, der nach dem Zweiten Weltkrieg auf Widerstand stieß, und der Gegenkultur der 1960er Jahre, die aufgrund radikaler Maßnahmen wie des Bus-Transports zur Rassentrennung und steigender Kriminalität an Unterstützung verlor. Der aktuelle Wandel spiegele die Unzufriedenheit der Öffentlichkeit mit Themen wie "Wokeness", extremem Trans-Aktivismus und einer zu offenen Einwanderungspolitik wider. Trotz dieses Rückgangs bleiben viele Errungenschaften des Progressivismus – wie Obamacare, die Ehe für alle und die Legalisierung von Marihuana – bestehen. Die Demokraten stehen nun vor der Wahl, sich entweder dem Rechtsruck entgegenzustellen oder sich anzupassen. Letzteres könnte nur geringfügige Anpassungen erfordern, da die zunehmende Radikalisierung der Republikaner die Demokraten moderater erscheinen lässt. Diese Entscheidung ist jedoch selten einfach. (Kevin Drum, Jabberwocking)

Die von Drum beschriebene Dynamik halte ich absolut für korrekt. Ich erinnere mich bei der Thematik immer an Sebastian Haffners "Überlegungen eines Wechselwählers" (auch wegen der völlig unzutreffenden Prognose einer Entwicklung zum Zwei-Parteien-System, bei dem die FDP mit der SPD fusioniert), der beschrieb, dass die rechte Hand diejenige ist, die für das Machen, Tun und den Alltag zuständig ist und es daher nur natürlich ist, dass die meiste Zeit die Konservativen an der Macht sind, weil das genau ihr Ding ist. Er endete mit dem Hinweis, dass es auch Linkshänger gebe. Der Ausnahmeeffekt erfolgreicher progressiver Regierungen ist demgegenüber augenfällig; einen Obama oder Schröder kriegt man nicht allzu oft, während auf konservativer Seite die Anforderungen andere sind - die Erhaltung des Status Quo ist einfach leichter als seine Veränderung. Ich bin auch völlig bei Drum, was den "overreach" angeht, den darauf folgenden backlash und die Dauerhaftigkeit der Veränderungen angeht. Gleichwohl scheint es mir, als würde eine gewisse "Müdigkeit" auch ohne den Overreach eintreten. Irgendwann ist einfach genug Veränderung und es braucht eine (meist längere) Phase der Stabilität.

5) Im Zentrum des Shitstorms

Der Artikel beschreibt die Kontroverse um die SPD-Politikerin Aydan Özoğuz, die durch das Teilen eines Beitrags der Organisation Jewish Voice for Peace auf Instagram in die Kritik geraten ist. Der Beitrag zeigte Bilder verbrannter Patienten in einem Krankenhaus in Gaza und war mit dem polemischen Kommentar „This is Zionism“ versehen. Özoğuz hat sich mehrmals für das Teilen entschuldigt und den Beitrag gelöscht, doch ihre Kritiker fordern weiterhin ihren Rücktritt, darunter die Union, die FDP und der Zentralrat der Juden. Özoğuz, eine etablierte Politikerin der SPD und Vizepräsidentin des Bundestages, sieht sich wiederholt Vorwürfen ausgesetzt, die teilweise mit ihrer türkischen Herkunft verknüpft sind. Obwohl sie für ihre bedächtige Art bekannt ist, wird ihr Handeln oft besonders kritisch beäugt. Der Vorwurf des Antisemitismus, der nun gegen sie erhoben wird, erscheint widersprüchlich, da der geteilte Beitrag von einer jüdischen Organisation stammt, die Israels Kriegspolitik kritisiert. Der Artikel betont, dass die Debatte in Deutschland mehr Empörung über missverständliche Äußerungen als über mögliche Kriegsverbrechen weckt. (Daniel Bax, taz)

Als Vertiefung von Fundstück 3 möchte ich hier noch einmal auf den Diskurs aufmerksam machen. Hier scheint mir nämlich von einer Art übergeordneten Koalition der demokratischen Parteien ein Konsens durchgedrückt zu werden, der immer wieder zu Problemen führt. In diesem Fall ist es die Neigung des außerisraelischen Diskurses, Israel als monolithisch zu betrachten und ihm keinen Pluralismus zuzugestehen. (Was man übrigen auch wieder als antisemitisch bezeichnen könnte...) Aber die Schärfe, mit der hier auf jede auch nur leicht abweichende Haltung reagiert wird, mit der alles in denselben Topf geworfen wird - irgendwelche Gebäude stürmende "From the River so the Sea"-Spackos und eben jemand wie Aydan Özoguz - ist genau der Mechanismus, den vor allem das rechtere Lager immer an die Progressiven geworfen hat, wo es um den Rassismus- oder Sexismusvorwurf ging. Und wie wir in Fundstück 4 gesehen haben, provoziert das immer einen Backlash.

Resterampe

a) The Democrats’ pro-union strategy has been a bust. Mag sein, but it's the right thing to do.

b) Die ZEIT hat was zur Änderung der Aufbewahrungsfristen, die wir letzthin diskutierten.

c) Guter Thread zu den EU-Fiskalverhandlungen.

d) Fuck Berlin.

e) Wer sich ein bisschen für Wirtschaftswissenschaft interessiert und den aktuellen Nobel.

f) Hintergründe zu John Roberts' Schutz Trumps.

g) Thread zu Nordkorea und Ukraine.

h) Bleibt eine dumme Entscheidung, ja.

i) Das ist leider auch Israel.

j) Die Nazis kommen immer offener raus.

k) Es ist so unendlich dumm.

l) Jupp, läuft super mit den Milliardären.

m) Donald Trump’s contempt for the military, quote by quote. And it doesn't matter one bit.

n) Yes, Kamala Harris really does have a clarity problem. Don't know if it's a problem tbh.

o) “Rufschädigend”: Familie entzieht Otfried-Preußler-Gymnasium das Namensrecht. Nur aus dem Artikel heraus klingt das nach einem echt dummen Streit seitens des Gymnasiums.

p) Trump fakes a stint at McDonald’s today. Warum verstehen so viele Progressive nicht, dass das gute Symbolpolitik für Trump ist? Es interessiert seine Wählenden keine Sekunde, dass das fake ist. Darum geht's doch gar nicht.

q) The free speech event that wasn't. Immer dasselbe bei dem Thema.

r) Dieses Interview mit Ricarda Lang ist durchaus spannend.

s) Zum Thema "dumme Regeln für den ÖRR". Ich find das als Gebührenzahler einfach krass.

t) FDP unterstellt Robert Habeck Wahlkampf mithilfe seines Ministeriums. Gott ist das nervig. Es war doof, als Lindner genau dasselbe gemacht hat, und es ist hier doof.

u) Die elektorale Logik, nicht über Klimawandel zu reden.

v) Kolumne in der Welt zu Ungarn. Siehe dazu auch hier.

w) Guter Thread zu Defiziten.


Fertiggestellt am 24.10.2024

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