Freitag, 28. September 2012

Peer Review

Von Stefan Sasse

Glaubt man den aktuell kursierenden Vorabmeldungen, so hat die SPD-Führung sich entschieden: Steinbrück ist Kanzlerkandidat. Man fragt sich jetzt schon, über was die armen Journalisten künftig berichten sollen, wo die Troika keine mehr ist - Inhalte etwa? An dieser Stelle kann man ein Lachen aus dem Hintergrund einblenden. Tatsächlich hat die Partei das Maximale aus der Ankündigung herausgeholt, indem sie ihn noch flugs ein scharfes Bankenpapier veröffentlichen ließ, das ihn als "the brain" etablierte. Es war ein Versuch, die Deutungshoheit zurückzuerobern, und man kann es als taktischen Erfolg werten. Es verdeckt für einen Moment, dass die SPD in der Debatte lange Zeit die Getriebene war. Ursprünglich hatte die Partei die Entscheidung bis 2013 aufschieben und so lange die Bälle in der Troika hin- und herschieben wollen, was auch eine clevere Idee war. Nur, der mediale Blätterwald sagte kollektiv "Nö!" und berichtete in einem atemberaubend selbstreferentiellen Karussell nur noch über selbst geschaffene Gerüchte darüber, wer denn nun SPD-Kanzlerkandidat werden würde - eine Personalie, die ultimativ so viel Eintrittswahrscheinlichkeit wie ein SPD-Kandidat für den Papststuhl haben wird, denn wenn nicht ein Wunder geschieht, wird die SPD als Juniorpartner in eine Große Koalition gehen. Was also ist von dieser Entscheidung zu halten, und welche Folgen hält sie bereit?

Zuerst einmal ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Kandidatur natürlich für den Wahlkampf große Bedeutung besitzt, denn der muss ja für den Kandidaten maßgeschneidert werden. Sowohl Steinmeier als auch Steinbrück aber, die einzig realistischen Kandidaten für die sichere Wahlniederlage (der eine unempfindlich und der andere im Dauergrößenwahn), sind Protagonisten der Agenda-Politik. Mit ihnen ist eine Revision nicht zu machen; Armutsbericht hin oder her. Die SPD ist damit thematisch und programmatisch auf ein "Weiter so, aber anders" festgenagelt. Sie wird ständig die unpopulären Agenda-Politiken verteidigen müssen und nur ein mageres "aber die anderen sind noch schlimmer" zur Verteidigung haben. Das funktioniert als Strategie aber nicht; man muss nur über den Großen Teich blicken, wo Obamas Wahlkampftaktik anfangs ähnlich aussah und ihm furchtbare Umfragewerte bescherte. Peer Steinbrück wird nicht Kanzler werden. Seine einzige Chance ist ein Wunder, ein dramatisches Ereignis, das Merkel völlig desavouiert. Wahrscheinlich ist das, man muss sagen: glücklicherweise, nicht. Man kann Steinbrück und Steinmeier aber unterstellen, dass ihnen das nicht viel ausmacht. Sie sind glücklich damit, in der Großen Koalition die Fäden ziehen zu dürfen. Gabriel indessen wartet vermutlich auf 2017 - bis dahin dürften die Stones endgültig aus dem Rennen sein.

Die Nominierung Steinbrücks bietet allerdings auch Chancen. Sein Verhältnis zur Wahrheit von kausalen Zusammenhängen war schon immer eher lose, und im Gegensatz zu Steinmeier ist ihm problemlos zuzutrauen, seine eigene Bankenregulierungspolitik von 2005 in Bausch und Bogen zu verdammen und dem politischen Gegner vor die Füße zu werfen - in seinem Bankenpapier hat er etwas Ähnliches ja bereits getan. Einfach so zu tun, als sei die SPD von 2005 eine andere als die SPD von 2013 und Kanzlerkandidat Steinbrück eine völlig andere Person als Finanzminister Steinbrück - das sollte ihm nicht schwerfallen. Es ist außerdem durchaus wahrscheinlich, dass Steinbrück mit der Tradition bricht, das Außenministeramt zu besetzen und stattdessen das Finanzministerium fordert. Das Außenministerium ist ohnehin spätestens seit Westerwelle zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken, während das Finanzministerium entscheidende Kompetenzen gerade auch für die Außenpolitik besitzt, ESM sei Dank. Insgesamt aber kann man kaum damit rechnen, dass die Nominierung Steinbrücks für eine Abwendung von der bisherigen Politik stehen wird; allenfalls kleine, dem Wahlkalkül geschuldete Korrekturen dürften drin sein. Steinbrück wird sich hauptsächlich auf das eigene Genie verlassen, dem er bekanntlich kaum Grenzen setzt. Ob der Wähler das genauso sieht, bleibt abzuwarten.

20 Kommentare:

  1. Für mich das worst case Szenario:
    Kanzlerin Angela Merkel und Co-Kanzler und Finanzminister Peer Steinbrück.

    Neoliberaler geht es nicht mehr. Dann lieber die Spielverderber der FDP, die Äingie wenigstens durch ihren Narzismus und ihre Unfähigkeit noch wenigstens etwas bremsen.

    Wer auf die Wahlkampftricks von Steinbrück hereinfällt und meint er würde sich ändern ist ganz schön naiv. Oder wie der Spiegelfechter so richtig schrieb: Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me!

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  2. Public Relations Agenturen werden dafür bezahlt, Politikern Äußerungen mitzugeben, die sich in beliebige Richtungen interpretieren lassen. Steinbrücks Bankenpapier, ist zwar nicht beliebig, seine Umsetzung hängen aber äußeren Umständen (In Europa umzusetzen, ...), dass nach der Wahl sich Steinbrück hinsetzen kann ohne irgendetwas wirklich umsetzen zu wollen.

    Steinbrück hat Volkswirtschaft studiert, und er saß in den Aufsichtsräten verschiedener Banken.

    Diese Banken haben genau GEWUßT, was die spanischen, griechischen, ... Banken mit den ihnen von deutschen Banken überlassenen Geldern taten!

    So jemand darf nicht mehr in den deutschen Bundestag!

    Panik - und Angstmache sind Herrschaftsinstrumente.

    Nur so lassen sich weitere Einschnitte in den Sozialstaat bei geringstem Widerstand durchsetzen.

    Herr Steinbrück hat oft sehr oft Panik und Angst via Medien verbreitet.

    So ist er der Schachspieler.

    Bei der Post werden gerade körperlich belastbare Arbeitnehmer gesucht. Wochenarbeitszeit 20 STUNDEN , 9,80 Euro STundenlohn.

    Das Jobwunder geht weiter.

    Wenn mehr nach oben umverteilt werden soll, muß man mehr UNTEN teilen.

    Es widert einen nur noch an!

    Unsere Medien versagen völlig!

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  3. Steinbrück wird sich seinen Vortragsbezahlern erknntlich zeigen.

    Er rettet ohne mit der Wimper zu zucken die Anteilseigner und privaten Gläubiger.

    Das war seine reale Politik!

    Schaden Multimilliarden.

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  4. Auch wenn es auf allen möglichen Kanälen ständig wiederholt wird, verstehe ich es nicht.
    Einerseits wird behauptet "...sind Protagonisten der Agenda-Politik. Mit ihnen ist eine Revision nicht zu machen...", andererseits "...ist ihm problemlos zuzutrauen, seine eigene Bankenregulierungspolitik von 2005 in Bausch und Bogen zu verdammen..."
    Sind Politiker intelligent genug, ihre Fehler zu korrigieren, oder nicht?

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  5. Selbstverständlich! Nur, Steinmeier und Steinbrück sind beide von der Richtigkeit überzeugt und sehen es nicht als Fehler.

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  6. eine Personalie, die ultimativ so viel Eintrittswahrscheinlichkeit wie ein SPD-Kandidat für den Papststuhl haben wird, denn wenn nicht ein Wunder geschieht, wird die SPD als Juniorpartner in eine Große Koalition gehen.

    Wieso?

    Ein ziemlich schlechter Artikel. Er begründet nichts, was er behauptet und greift lediglich alte, sattsam bekannte Vorurteile und Wunschkonzerte auf. Enttäuschend, aber Linke sind, wie man überall lesen kann, mit so etwas glücklich.

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  7. "Gabriel indessen wartet vermutlich auf 2017 - bis dahin dürften die Stones endgültig aus dem Rennen sein."

    Dann ist Gabriel ein lustiger Optimist: Wenn Steinbrück ist der Sargnagel der SPD und wenn sich die SPD tatsächlich darauf einlässt, mit ihm in den Wahlkampf zu ziehen, vermute ich einfach, dass die SPD vom Zuspruch her in Richtung FDP-Niveau rutschen wird. Rip SPD.

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  8. Also, Dubio, siehst du ernsthaft eine realistische Perspektive auf einen Kanzler Steinbrück 2013?

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  9. Die Union liegt derzeit bei 36 - 39 Prozent. Die SPD wird mit 26 - 28 Prozent gehandelt, auf die Liberalen entfallen 4 - 6 Prozent (Tendenz: Wähler geben sich nicht zu erkennen), Grüne bei 11 - 14 Prozent, Linke 5 - 7 Prozent, Piraten ähnlich. Das wahrscheinlichste Ergebnis wird sein, dass es weder für Rot-Grün noch für die amtierende Regierungskoalition reichen wird. Wobei dies sehr von dem Ergebnis der Piraten abhängt.

    Wahrscheinlich ist jedoch, dass es für eine Ampel reichen wird, nachdem ein rotes Bündnis als auch eine Regierung mit Piraten als ausgeschlossen anzunehmen ist. Wie geht jetzt eigentlich das Argument? Weil keines der beiden Lager gewinnt, gibt es das, was immer geht? Oder? Die Liberalen machen seit Wochen Avancen zur SPD, Peer Steinbrück ist ihr erklärter Lieblingskandidat - und der ihrer Wähler. Nimmt man die politischen Aussagen ernst, dass die Sozialdemokraten eine Koalition mit Linken und Piraten ausschließen? Offensichtlich ja. Hat bisher ein führender SPD-Politiker oder zuletzt einer aus der FDP-Führungsebene eine Ampel ausgeschlossen, neben jenen, die dafür gesprochen haben? Nein. Kann man dieses Verhalten ernst nehmen? Siehe oben.

    Wenn die SPD vor der Frage steht, eine Ampel mit einem SPD-Kanzler zu machen oder erneut Gefahr zu laufen, unter Unionsführung marginalisiert zu werden - könnte da nicht zumindest ein praktischer Anreiz zu ersterem bestehen? Die Sozialdemokratie - das weiß eigentlich jeder vernünftige Kopf innerhalb und außerhalb der Partei - hat in einer Großen Koalition nichts zu gewinnen. Nur aus Verantwortung für das Land würde die SPD das machen. Aber ist eine Ampel verantwortungslos? Schließlich ist auch die regierende Koalition ein Bündnis dreier Parteien und ähnlich fragil.

    Das heißt alles nicht, dass es dazu kommt. Aber die Aussage des Artikels ist eine Schlagzeile ohne Begründung. Leider gilt das für den gesamten Text, auch zur praktischen Politik im Sozialen und Arbeitsmarkt.

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  10. Ich weiß, dass es Ampel-Flirts gab. Meine Prognose ist aber, dass sie genau das sind - Flirts, ähnlich der schwarz-grünen Anbandelei 2011. Folgender Vorschlag zur Güte: wenn sich tatsächlich was ernsthaft in Richtung Ampel bewegt, geb ich dir ein Bier aus.

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    1. Nee, nee, in linken Foren kommt man vielleicht so billig weg, echte Neoliberale setzen mehr. :-)

      Du hast behauptet, die Ampel wäre so wahrscheinlich SPD-Kandidat als Papst. Für so einen kecken Spruch fehlt jedes Argument.

      Okay, ich wette, dass entweder Steinbrück Kanzler wird oder die FDP an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein wird. Einsatz: 30€ in Dein Sparschwein. Sollte ich gewinnen, schreibst Du eine Eloge auf die Liberalen, nicht kürzer als obiger Artikel. Alternativ eine Flasche guten südamerikanischen Rotwein, nicht unter 20€. Top die Wette gilt?

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  11. Wenn Steinbrück sein Bankenpapier ernst meint (in möglichenKoalitionsverhandlungen machen will) wird das nichts mit der Ampel.

    Wenn nicht, wird es nichts mit Steinbrück. Nochmal Münte geht nicht.

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    1. Schon mal darüber nachgedacht, wie alt Peer Steinbrück bei Amtsantritt sein würde? ;-)

      2002, als Deutschland noch reformerisch unterentwickelt war, besagte eine Theorie, wahrscheinlich könne ein gealterter Politiker, der keine Wiederwahl erwartet, das Land aus der Selbstfesselung befreien und die notwendigen Veränderungen einleiten. Wenn das Argument etwas gilt, dann auf den Kanzlerkandidaten der SPD. Ich habe sein Buch "Unterm Strich" genau gelesen.

      Er denkt zwar sozialdemokratisch, aber sein Denken wird von der Wirtschaftspolitik geprägt. Er hat einen klaren Blick auf das, was Fakt ist. Der fehlt vielen Linken. Ich denke, er würde eine sehr selbständige Regierungspolitik machen - was auch immer er als notwendig ausmacht. Da wird es Punkte geben, die Linken gefallen (Mindestlöhne, allerdings moderat; Erhöhung des Spitzensteuersatzes) und andere weniger.

      Jedenfalls werde ich nie diese Ablehnung aus dem linken Lager verstehen. Ein wirtschaftsliberaler Politiker ist der Hanseat nun auch nicht.

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    2. Mit dem Alter und "ich lasse mich nicht wiederwählen" hat schon Adenauer argumentiert :D
      Aber ernsthaft, ich wäre bereit, ihm den benefit of the doubt zu geben. Aber ich denke eh nicht dass er Kanzler wird, und wenn, dann schreibe ich ja vorher eine Euloge auf die FDP ;)

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    3. ... alleine dafür lohnt sich das Daumendrücken. :-)

      Große Koalition macht man in Deutschland, wenn gar nichts anderes geht. Schon 2005 haben die großen Parteien Alternativen ausgelotet und Schröders Kanzlerschaft ist nur an der Standfestigkeit der Liberalen gescheitert. Heute stände die FDP nicht als Umfallerpartei da.

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  12. Was immer "neoliberal" heute heißen mag: Wenn die FDP einem SPD-Kandidaten applaudiert, dann weiß man doch, woran man mit ihm ist.

    Übrigens, Stefan: "Peer Review" - schöner Titel. *Schmunzel*

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  13. Hallo Miteinander,

    bin ein relativ Politikdesinteressierter (wie wohl die Masse der Wahlberechtigen)...

    Aus der Troika ist doch ganz klar Steinbrück der, der es am ehesten versteht sich einigermaßen ordentlich zu verkaufen.
    Steinmeier & Gabriel sind doch Schlaftabletten, die schon sehr lange in der Öffentlichkeit stehen, aber wofür stehen die Beiden eigentlich?
    Der breiten Masse scheint das wenig klar...
    Seine Nominierung ist doch die einzig logische Konsequenz, zumal er auch in den Massenmedien meißt gut wegkommt und am ehesten Politikverdrossene anspricht.
    Wer möchte heutzutage bitteschön Politiker wie Sigmar und Walter sehen, die den Anschein erwecken mitschwimmen zu wollen, jedoch ohne eigene Identität?
    Spreche jetzt nicht für Politik bzw. Sozologiestudenten ^^
    ...aber in diversen Gesprächen mit (gebildeten) Politik-Halbinteressierten, habe ich selten Argumente für die SPD mitbekommen, da es denen einfach nicht zugetraut wird, es besser als die heutige Regierung zu machen.

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  14. Als Steinbrück sich auf der Bilderbergerkonferenz 2010
    befand, war klar, dass man mit Ihm als Kanzler rechnen muss. Mal sehen welche falschen Doktorarbeiten, oder ähnliches,in den nächsten Monaten zu tage treten.

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  15. AnonymSamstag, 29. September 2012 16:32:00 MESZ

    Aus der Troika ist doch ganz klar Steinbrück der, der es am ehesten versteht sich einigermaßen ordentlich zu verkaufen.


    Genau das hat er getan.
    Und nun versucht er es mit den deutsen Micheln.

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