Donnerstag, 14. Mai 2020

Wenn Welten aufeinander prallen

Online-Deutschland nimmt sich gerade eine Auszeit vom Streit über die Frage, ob Covid-19 nun zum Anlass der Einführung einer neuen Diktatur wird oder nicht und begibt sich stattdessen in die altbekannten Gefilde des Kulturkampfs. Konkreter Anlass, die #MeToo-Debatte erneut durchzufechten, ist ein Video des Komödiantenduos Joko und Klaas. Die beiden gewannen eine Wette mit ihrem Arbeitgeber Pro7, eine Viertelstunde mit Inhalt ihrer Wahl ohne jegliche redaktionelle Kontrolle füllen zu dürfen. Anstatt das für gezielte Tabubrüche auf komödiantischem Feld zu nutzen, rekrutierten die beiden eine Reihe von Moderatorinnen und überließen diesen die Bühne, um unter dem Titel "Männerwelten" auf das grassierende Problem sexueller Belästigung in Deutschland aufmerksam zu machen. Das Resultat war ein mittlerer Shitstorm.

In dem Video führt Sophie Paßmann durch eine Ausstellung mit dem Namen "Männerwelten", die von Dick-Pics über sexuelle Belästigung bis zu Vergewaltigung die Alltagsrealität vieler Frauen darstellt. Neues findet sich in dem Video nicht; seine Wirkung entsteht eher dadurch, dass es so offen und drastisch ausgesprochen wird. Chatverläufe werden vorgelesen, Bilder gezeigt, YouTube-Kommentare nachgestellt. Die wohl eindrücklichste Sequenz ist am Ende das Einspielen von Testimonials, was Frauen bei ihrer Vergewaltigung trugen. Das Video ist schwer erträglich, und das ist sicher Absicht. Aber seine eigentliche Wirkung stammt von seinen Absendern. Und auch die folgende Kontroverse.

Berechenbares und Überraschendes

Sind wir ehrlich - wäre das Video von Terre des Femmes produziert und ins Netz gestellt worden (die es unterstützt haben), würde es niemals die Kontroverse generieren, die es mit dem Label von Joko und Klaas hat. Das liegt daran, dass Joko und Klaas ein Publikum mit dem Thema in Berührung bringen, das sich bisher in seiner überwältigenden Mehrheit nicht damit beschäftigt haben dürfte. Das trifft auf Terre des Femmes sicher nicht zu, so sehr deren Engagement auch gewürdigt werden muss.

Der erste, ebenso berechenbare wie vernachlässigbare Teil der Kontroverse ist jener Teil der toxischen Männlichkeit, der sich nun rageerfüllt auf die Brust trommelt und Joko und Klaas als Verräter verflucht. Diese Leute gibt es zur Genüge, aber sie sind glücklicherweise trotz allem eine deutliche Minderheit. Nichts wird diese Typen überzeugen, dass eine Frau das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Autonomie hat und dass das Universum ihnen nicht per Geburtsrecht in die Wiege gelegt wurde. Sie haben die gesellschaftliche Debatte längst verloren und sollten bei jeder Gelegenheit ausgeschlossen werden, damit sie ihr Gift nicht weitertragen können. Wohlgemerkt, es geht mir nur um die Überzeugungstäter, also diejenigen, die es als akzeptable Antwort auf ein solches Video empfinden, Vergewaltigungs- und Gewaltdrohungen zu posten. Solche Leute gibt es hier im Blog aus guten Gründen ohnehin nicht.

Bislang zumindest komplett stumm sind diejenigen Teile des normalitären Spektrums, die noch zur #MeToo-Debatte die Spalten des bürgerlichen Feuilletons füllten. Davon haben wir genug im Blog, aber auch um die soll es mir hier nicht gehen. Denn der eigentlich auffällige Teil der Kontroverse um das Joko&Klaas-Video ist, dass herbe Kritik aus dem feministischen und linken Spektrums kommt. Woran liegt das?

Auch hier ist die Antwort klar: Es sind die Absender. Joko und Klaas sind viele Dinge, aber weiblich sind sie nicht. Auch anderen Minderheiten gehören sie nicht an, weder Migrationshintergrund noch (nach allem was man weiß) eine LTBQT-Orientierung treffen auf sie zu. Selbst auf sozialistischen Kongressen oder feministischen Panels hat man sie bisher eher vergeblich gesucht. Für viele Vorkämpfer der Frauenbewegung ist das ein Affront.

Seit Jahren, oft Jahrzehnten, kämpfen sie um Anerkennung und Aufmerksamkeit für ihre Themen. Und dann kommen da zwei weiße cis-Männer, machen ein 15-Minuten-Video und ernten mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit innerhalb von drei Stunden als sie in 30 Jahren. Das ist, verständlicherweise, ärgerlich.

Es ist aber auch fehlgeleitet. Ich will kurz anhand der zentralen Argumente der Kritikerinnen erläutern, warum.

Von Latten und Hürden

Punkt eins ist, dass es sich bei "Männerwelten" um einen Ausdruck von male privilege handelt, also einen getarnten Anschlag des Patriarchats auf die Sache der Frau. Schließlich suggeriert gerade der Erfolg des Videos, dass es ohne einige weiße cis-Männer an der Spitze nicht geht. Der Erfolg entwertet somit das Engagement der beteiligten Frauen. So sehr ich dieses Argument auf der emotionalen und moralischen Ebene nachvollziehen kann, so sehr denke ich, dass es eine wichtige Dimension unterschätzt.

Wir hatten diese Dimension hier im Blog erst letzthin in völlig anderem Kontext diskutiert, nämlich in der Verurteilung rechtsradikaler Übergriffe. Kurz gefasst: Es ist ziemlich bedeutungslos, ob irgendwelche Linken einen Protestmarsch gegen Rechts veranstalten. Linke veranstalten immer Protestmärsche gegen Rechts, das ist eingepreist. Genauso ist irrelevant, ob irgendwelche konservativen Politiker die Regierung von Venezuela verdammen. Konservative kritisieren sozialistische Regierungen immer, egal ob es Diktatoren sind oder nicht. Das ist auch schon eingepreist.

Relevant ist daher für öffentliche Aufmerksamkeit, ob die "Nachbarn" reagieren. Mir fällt kein besseres Wort ein, ich hoffe das Konzept ist nachvollziehbar. Wenn es um sozialistische Diktaturen geht, sind die Sozialdemokraten die ideologischen Nachbarn. Wenn es um Rechtspopulismus der AfD geht, sind die PolitikerInnen der CDU ideologische Nachbarn. Wenn es um Rassismus gegen Afroamerikaner geht, sind Weiße ideologische Nachbarn. Wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, sind Männer ideologische Nachbarn. Ideologische Nachbarn äußern sich üblicherweise nicht. Gradmesser für die Unterstützung einer problematischen Gruppe - toxische Männlichkeit, sozialistische Diktatoren, Molotow-Cocktails werfende Pegida-Demonstranten, der Schwarze Block - ist, wie die ideologischen Nachbarn reagieren.

Deswegen ist es bedeutsam, wenn einE AußenpolitikerIn der LINKEn Menschenrechtsverletzungen in Caracas und eineR der CDU den Abbau des Rechtsstaats in Ungarn anprangern und nicht umgekehrt. Joko und Klaas haben eine solche Wirkung nicht erreicht, obwohl sie zu dem Thema bisher nichts gesagt haben, sondern WEIL sie zu dem Thema nichts gesagt haben. Und so unglaublich frustrierend das für die Aktivisten ist, so sehr ist es auch ein Zeichen ihres Erfolgs: Sie haben es geschafft, die ideologischen Nachbarn zu sensibilisieren, so dass diese sich ohne Impuls von außen entschlossen haben, ihre eigene Gruppe zu mobilisieren. Das ist quasi das Nonplus-Ultra jeden Aktivismus, auch wenn es äußerst unbefriedigend ist.

Ich mache diese Erfahrung permanent selbst. Meine Frau bekommt von ihrem erweiterten Umfeld immer wieder gesagt, wie toll das doch sei, dass sie so einen modernen Mann habe, weil ich mal wieder in der Öffentlichkeit gesagt habe, dass Hausarbeit nicht nur Frauensache ist (ich lebe auf dem Dorf, fragt nicht). Nur, wie sie zurecht und zurecht bitter bemerkt kann sie sich wenig davon kaufen, wenn ich unsensibel mal wieder die Wäsche ignoriert habe, bis sie auf magische Weise von einer Putzfee (die nicht nur entfernt meiner Frau ähnelt) erledigt wurde.

Deswegen muss Mann (höhö) in diesem Zusammenhang natürlich extrem vorsichtig sein. Denn nicht umsonst reagieren viele feministische Aktivistinnen äußerst skeptisch bis ablehnend auf solche "Schützenhilfe" von männlicher Seite. Nicht nur bekommen wir teils Lorbeeren für Selbstverständlichkeiten ("Mann sagt, dass Frauen ungefragt an die Brüste grapschen nicht so cool ist"), wir senken dadurch auch die Latte unbotmäßig ab. Wenn solche Äußerungen als Erfolg deklariert werden, kommen wir praktisch nicht voran.

Diese Sorge, das sei in aller Deutlichkeit gesagt, ist völlig berechtigt. Ich bin selbst, wie beschrieben, schuldig im Sinne der Anklage und echt kein guter Botschafter für gleiche Verteilung der Lasten von Hausarbeit und Kinderbetreuung; was mich rettet ist der ungeheuerlich niedrige Standard, den meine ideologischen Nachbarn setzen, eine Latte, die so niedrig hängt, dass ich einfach drüber stolpern kann. Ich denke nur nicht, dass es im spezifischen Fall Joko und Klaas Anwendung findet. Aber ich lasse mich gerne eines besseren belehren.

Schatten der Vergangenheit

Es gibt jedoch noch einen zweiten Kritikpunkt an Joko und Klaas' Engagement, der mit dieser Problematik nichts zu tun hat. Und das hat damit zu tun, dass Joko und Klaas selbst schuldig im Sinne der Anklage sind, und das nicht nur, weil sie ihren Freundinnen die leeren Biergläser haben stehen lassen. Im Jahr 2012 stellte das Komödiantenduo das Begrapschen von Brüsten dar, machte sich darüber lustig und kommentierte die Abwehrreaktionen des weiblichen Opfers damit, dass es nun vermutlich sechs Stunden unter der Dusche heulen würde.

Gerade unter feministischen Aktivistinnen (wie etwa der Mädchenmannschaft) gab es damals entsprechend Kritik. Nur schrieben wir 2012. Es war noch fünf Jahre bis zu #MeToo und bevor dieses Thema zum ersten Mal breite Wellen schlug. Der Skandal ging über die üblichen Kreise daher nicht hinaus. Mir fiel er auch nicht auf. Bis zu meiner eigenen Epiphanie zum Thema sollten noch zwei Jahre vergehen. Umso verständlicher daher der Zorn, dass nun ausgerechnet diese beiden sich die Lorbeeren an den Hut stecken dürfen.

Aber auch hier würde ich Widerspruch anbieten wollen. Denn Joko und Klaas erklärten seinerzeit auf die Kritik, einen Fehler gemacht zu haben und gelobten, diesen nicht zu wiederholen. Daran haben sie sich gehalten. Eine Entschuldigung wurde abgegeben, Besserung gelobt, gebessert wurde sich. Ich halte es deswegen für einen schwerwiegenden Fehler, ihnen nun diesen Vorfall wieder anzuhängen. Denn wenn eine glaubwürdige Entschuldigung, Besserung und ein solcher Einsatz für das Thema nicht als Buße ausreichen - was tut es dann? Darf ich mich nach einem Irrtum nie wieder äußern? Ich war früher mal Maskulist, aber ich bilde mir doch ein, einen kleinen Beitrag zur feministischen Sache geleistet zu haben. Hätte ich wegen meiner früheren Sünden darauf verzichten sollen?

Dieser Exorzismus würde Leute davontreiben, die Verbündete werden können. Und Verbündete wie Joko und Klaas sind für den Erfolg der Bewegung, so nervig das auch sein mag, aus den dargelegten Gründen entscheidend.    

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