Mittwoch, 2. Dezember 2009

Die große Bedrohung

In der Zeit findet sich ein sehr langer und ausführlicher Artikel zum Thema Zeitungssterben, in dem auf das beunruhigende Blättersterben besonders auch 2009 hingewiesen und kein Blatt vor den Mund genommen wird, was die Beschreibung der Folgen angeht, vor allem das Lesern dieses Blogs wahrscheinlich bereits hinlänglich bekannte Problem des direkten Übernehmens von Agenturmeldungen und Pressesprechererzeugnissen, so dass der investigative Journalismus auf der Strecke bleibt.
So überraschend brutal ehrlich der Artikel in der Beschreibung der Umstände und Folgen ist - ein wahrer Weckruf, der hoffentlich nicht gänzlich ungehört verhallt -, so fehlt es doch auch an der genauen Ursachenanalyse für dieses Problem. Kein Artikel über die Zukunft des Journalismus kommt mehr ohne den Verweis auf "das Internet" und Web 2.0 aus. So auch hier, wenngleich sich zwischen den Zeilen eine gewisse Beunruhigung herauslesen lässt. Es scheint Autor Jens Koehler aufzufallen, dass seine Berichte von neuen Journalismusformen wie Regionalbloggern und Ähnlichem zwar schön klingen, aber gleichzeitig auch verdächtig an Lobhudeleien erinnern, wie man sie in den letzten Jahren ständig zu irgendwelchen Themen gehört hat, die kurz darauf in der Versenkung verschwanden, weil sie ein tragfähiges Geschäftsmodell dann doch nicht waren - die New Economy lässt grüßen. Dieses spürbare Unbehagen Koehlers ist begründet.
Sicher gibt es Menschen, die in ihrer Freizeit tolle Aufnahmen machen und gute Berichte über lokale Ereignisse schreiben. Sicher ergänzen die auf die Art Nachrichtenlücken, die durch das Blättersterben entstanden sind. Aber wenn wir ehrlich sind, wird solch freiwilliger Content niemals ein Ersatz für echte Zeitungsarbeit, für echten Journalismus sein können, egal wie modisch es klingt, auch die Leser für Content sorgen zu lassen. Wer tatsächlich Content liefert, der dann auch gedruckt und redaktionell genutzt werden kann, will auch dafür bezahlt werden. Niemand lässt sich gerne als Cashcow missbrauchen; mich erinnert das an das Gespräch mit dem Freitag vor einem Jahr, als dort die neue Onlineplattform diskutiert wurde, an dem ich mit Spiegelfechter und Feynsinn teilgenommen habe. Die Idee, dass Benutzer fertigen Content zur Verfügung stellen ist verführerisch, aber unrealistisch. Das dürfte auch der Freitag inzwischen verstanden haben. Dieser Weg führt also in die Sackgasse, ist nichts mehr als eine weitere der vielen Modeüberlegungen rund um das Web 2.0, das die Initiatoren solcher illusionärer Bewegungen oftmals ohnehin nicht wirklich verstehen.
Es ist aber unzweifelhaft, dass das Internet einen starken Einfluss auf den Rückgang der Zeitungsverkäufe hat. Ob er ursächlich dafür ist darf jedoch bezweifelt werden. Die Zeitungen befinden sich in einer Spirale aus immer schlechter werdendem Inhalt und weniger Verkäufen, die durch Entlassungen kompensiert werden aus denen dann schlechterer Inhalt und weniger Verkäufe resultieren. Der Niedergang des SPIEGEL unter der Ägide Stefan Austs zeigt deutlich genug dass es nicht das Internet braucht, um ein einstmals renommiertes Nachrichtenmedium zu ruinieren; das können die Medienleute ganz alleine. Für mies recherchierte Artikel, die oft genug die Intelligenz des Lesers deutlich beleidigen, will niemand Geld ausgeben, ob in Print oder im Internet, wo bisher noch jedes Bezahlmodell gescheitert ist. Warum jeden Tag eine Zeitung kaufen, wenn ich zwei Drittel davon nicht lesen will?
Das Problem, dem sich die Zeitungen gegenüber sehen ist ein Ähnliches wie es auch die Musikindustrie hat: sie verkaufen ein Produkt in einer nicht mehr zeitgemäßen Form. Nur fehlen den Zeitungen die Mittel der Musikindustrie, mittels Massenabmahnungen und einer willfährigen Justiz das Geld anderweitig aus dem Kunden zu pressen. Wenn ich von meinem Beispiel als Leser ausgehe weiß ich, welches Problem die Zeitungen haben: ich interessiere mich null für den Sport, lese kein Feuilleton, keinen Regionalteil mit Todesanzeigen und Kleintierzüchtervereinjahresfestbericht. Ich will keine Börsenkurse wissen auch nicht, welcher Bürgermeister gerade welches Museum eingeweiht hat. Stattdessen lese ich gern Meinungsartikel und Analysen, und zwar aus möglichst vielen Quellen, um ein eigenes Bild entwerfen zu können. Dieses Befürfnis steht der Form einer Printzeitung diametral gegenüber, während es im Internet hervorragend erfüllt wird. Nur, damit verdienen die Verlage nichts. Ist ihr Angebot aber kostenpflichtig, kann ich es mit wieder nur leisten EIN Abonement zu kaufen und schalte mir damit auch gleichzeitig die Inhalte frei, die mich eigentlich nicht interessieren - dieses Modell ist also nutzlos; ich bezahle nicht für etwas, das ich nicht nutzen will.
Einen Ausweg aus dieser Sackgasse haben die Verlage bisher nicht gefunden. Vor einiger Zeit hat der Spiegelfechter einen Artikel über ein System gebracht, das aus dieser Sackgasse möglicherweise heraushelfen könnte, weil es genau das oben beschriebene Problem löst. Das Programm Kachingle registriert Klicks auf implementierte Seiten. Der User bezahlt monatlich einen bestimmten Betrag - etwa 5 Euro - der dann an über Kachingle an die entsprechenden Seiten passend zur Nutzungsfrequenz ausbezahlt wird. Das ist eigentlich ein einleuchtendes Modell, aber es hat einen Haken: es ist freiwillig. Denn der Leser ist der einzige, der bestimmt, welche Seiten er überhaupt mit Geld versieht. Möglicherweise ist sogar die Menge des Geldes freiwillig. Trotzdem wäre ein solches Modell vermutlich deutlich tragfähiger als alle Bezahlinhaltsideen, die die Verlage derzeit wälzen.
Der sicherste Weg zu mehr Kunden bzw. zur Rückgewinnung verlorener Kunden ist jedoch mehr Qualität. Jens Koehlers Artikel in der Zeit umgeht ein weiteres Problem elegant: die Zeitungen sind mehrheitlich nicht mehr in den Händen von Zeitungsmachern, sondern von Leuten, die Rendite wollen. Deswegen trimmen diese Leute die Zeitungen auf Effizienz, das heißt mit möglichst wenig Leuten möglichst viel Content produzieren. Das sagt jedoch über die Qualität noch nichts aus. Bevor man darüber nachdenken kann, wie die Kunden - also das Ende der Kette - wieder zu den Medien gebracht werden können, sollte man zuerst darüber nachdenken wie die Medien selbst wieder wert werden können, dass man für sie bezahlt. Das heißt kritischer, investigativer Journalismus. Pressemeldungen der Parteien und Unternehmen kann ich auch auf deren Webseiten lesen. Dass ich das nicht tue zeigt, dass ich sie nicht lesen will - und mit mir ein gewaltig großes Publikum da draußen.

1 Kommentar:

  1. Einen vielversprechenden Ansatz verfolgt die Zeitung niiu.

    Nachdem was ich gehört habe kann man da seine Inhalte selbst zusammenstellen.
    Leider wird die Zeitung derzeit nur in Berlin vertrieben.

    Das Modell klingt aber interessant.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.