Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
Das von Bundesverkehrsminister Volker Wissing in Auftrag gegebene Gutachten zur gescheiterten Pkw-Maut seines Vorgängers Andreas Scheuer bewegt sich juristisch auf neuem Terrain. Wissing lenkt dabei nicht nur die Aufmerksamkeit auf den finanziellen Schaden in Höhe von 243 Millionen Euro, den die CSU mit dem Mautprojekt verursachte, sondern auch auf die von der CSU vernachlässigten Bereiche wie die Deutsche Bahn und die digitale Infrastruktur. Diese Versäumnisse verursachen langfristig weit größere volkswirtschaftliche Schäden. Ein Vergleich der politischen Verantwortlichkeit mit der Haftung von Unternehmensmanagern hinkt jedoch, da Politiker dem Volk und nicht Eigentümern Rechenschaft schuldig sind. Wissing könnte damit einen politischen Coup gelandet haben, da er kurz vor der bayerischen Landtagswahl die Versäumnisse der CSU ins Rampenlicht rückt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob Koalitionsverträge, die oft Prestigeprojekte einzelner Parteien durchsetzen, überdacht werden sollten, um ähnliche Misserfolge zu vermeiden. (Daniel Deckers, FAZ)
Relevanter Hinweis, dass die wohl schlimmsten Minister der letzten zwanzig Jahre beide von der CSU waren und das Verkehrsministerium innehatten. Das wurde damals schon viel zu wenig thematisiert und wird es auch immer noch. Es ist leider ein Schema, dass vor allem persöhnliche Verfehlungen (siehe Anne Spiegel oder Christine Lamprecht) Grund für Rücktritte sind, nicht aber die wirklich großen Fuck-Ups wie das Mautdebakel, der Maskenskandal oder der ganze Cum-Ex-Kram. Dass jemand wie Olaf Scholz problemlos Kanzler sein kann, aber Baerbock durch den Lebenslauf oder Armin Laschet durch einen Lacher disqualifiziert ist, ist blanker Irrsinn, wenn man sich mal anschaut, was da jeweils auf dem Kerbholz ist. Ich halte allerdings gar nichts von der Idee, Politiker*innen persönlich für Entscheidungen im Amt haftbar zu machen. Das ist ein Weg ins sichere Desaster. Sie sollten von der Öffentlichkeit haftbar gemacht werden, aber das ist ein politischer, kein juristischer Prozess.
2) Trump’s Diabolical Plan for the Federal Workforce
Der Artikel behandelt die potenziellen Folgen von Donald Trumps Plänen für eine zweite Amtszeit, insbesondere seine Absicht, die Bundesverwaltung in ein Werkzeug für politische Loyalität und Vergeltung zu verwandeln. Ein Vorfall auf dem Arlington Nationalfriedhof, bei dem Trumps Kampagne die Regeln missachtete, dient als Beispiel dafür, wie Trump in Zukunft regieren könnte: durch Missachtung von Normen, Einschüchterung von Beamten und den Missbrauch des Staates, um Gegner zu bestrafen. Ein zentrales Thema ist Trumps „Schedule F“-Exekutivanordnung, die während seiner ersten Amtszeit vorgeschlagen wurde. Diese hätte es ihm ermöglicht, unliebsame Beamte zu entlassen und durch loyale Gefolgsleute zu ersetzen, wodurch die Kontrollmechanismen innerhalb der Regierung untergraben würden. Besonders Anwälte und Beamte, die Gesetze und Regeln durchsetzen, wären durch solche Veränderungen gefährdet, da sie durch Personen ersetzt werden könnten, die nur Trumps persönlichen Interessen dienen. Der Artikel betont, dass diese Pläne in der Öffentlichkeit noch nicht ausreichend verstanden werden, obwohl sie das Potenzial für Korruption und Machtmissbrauch bergen. Er fordert die Demokraten auf, diese Bedrohung stärker ins Bewusstsein zu rücken, wie sie es bereits mit „Project 2025“ erfolgreich getan haben. Wenn Trumps Pläne nicht aufgehalten werden, könnte seine Regierung demokratische Institutionen weiter aushöhlen und schwerwiegende Folgen für die Rechtsstaatlichkeit und bürgerliche Rechte haben. (Jason Linkins, New Republic)
Es ist alles offen und liegt da. Die Wünsche hatte Trump bereits in seiner Amtszeit; es haperte nur an der Umsetzung, weil er und sein Personal so inkompetent waren und das kompetente Personal generisch rechts war. Dieses Mal wissen die Extremisten, was sie tun müssen. Ihnen eine zweite Chance zu geben, die Grundlagen von Demokratie und Rechtsstaat zu beseitigen, ist blanker Wahnsinn, und nichtsdestotrotz ist es genau das, was sich gerade anschickt. Natürlich wird das alles seine Zeit brauchen. Aber das Beispiel der PiS in Polen oder Fidesz in Ungarn zeigt, dass es so lange dann auch wieder nicht braucht. Die vier Jahre reichen, wenn kompetente und entschlossene Rechtsextremisten da rangehen. Und anders als beim letzten Mal gibt es die dieses Mal, und anders als beim letzten Mal kommt Trump nicht noch einmal völlig unvorbereitet ins Amt und muss auf die Ersatzbank der Partei zurückgreifen. Die Partei existiert nicht mehr; sie ist eine Bewegung. Da steht einiges düsteres ins Haus. Man kann nur hoffen, dass Harris gewinnt, und alle demokratisch gesinnten Menschen müssten zusammenstehen, um genau das zu erreichen.
3) The NHS is in critical condition – but with the right care, it can make a recovery
Lord Darzi bewertet den Zustand des NHS in England als „kritisch“ und macht in seinem Bericht die jahrelange Unterfinanzierung durch die konservative Regierung verantwortlich. Die tiefen Narben, die durch Andrew Lansleys Gesundheitsreformen 2012 und die Folgen der Covid-19-Pandemie entstanden, haben den NHS anfällig gemacht. Darzi betont, dass die Finanzierungsprobleme nicht durch das öffentliche Finanzierungssystem selbst, sondern durch mangelnde Investitionen in die Infrastruktur verursacht wurden. Die Labour-Partei plant, den NHS durch ein 10-Jahres-Programm zu reformieren, das den Schwerpunkt auf Prävention und den Ausbau von Gemeindediensten legen soll, um Krankenhausaufenthalte zu reduzieren. Allerdings wird der Mangel an Betten und die Überlastung der Krankenhäuser thematisiert. Richard Meddings fordert eine öffentliche Debatte über den Zweck von Krankenhäusern und den Umgang mit dem Lebensende, da viele ältere Patienten unnötig in Krankenhäusern verbleiben. Darzi plädiert dafür, Sozialpflege zu stärken, da dies dem NHS mehr helfen würde als zusätzliche Krankenhausbetten. Gleichzeitig wird betont, dass gesellschaftliche Faktoren wie Armut und ungesunde Ernährung die Gesundheit der Nation stärker beeinflussen als das Gesundheitssystem selbst. Eine Rückkehr zu Präventionsprogrammen wie Sure Start könnte langfristig eine bessere Investition sein. (Polly Toynbee, Guardian)
Der NHS in Großbritannien ist immer ein super Thema für beide Seiten. Die Rechten können argumentieren, dass er eine ineffiziente Verwaltung mit hohen Kosten und niedriger Effizienz ist, was sicherlich seine Berechtigung hat, und die Linken können argumentieren, dass die Rechten ihn kaputtgespart haben, was definitiv richtig ist. Die Kürzungen der Tories waren ohne Sinn und Verstand, geradezu eine Karikatur dessen, was man den Bürgerlichen gerne vorwirft. Dazu kommt in Großbritannien die große Legitimationswirkung des NHS: er ist (ob berechtigt oder nicht) ein nationaler Schatz. Die Tories selbst feierten ihn 2012 bei der Olympiade an zentraler Stelle! Die Zerstörung des NHS durch die Tories war ein zentraler Grund für die massive Wahlniederlage 2024. Genauso spielte der NHS und die angeblich für die EU aufgewendeten Gelder eine zentrale Rolle im Brexit-Wahlkampf; diese Lüge dürfte als entscheidend für das Ergebnis angesehen werden. Für die neue Labour-Regierung ist die Reparatur des NHS daher ein Make-or-Break-Moment.
Der Artikel thematisiert die Gefahren eines möglichen Wahlsiegs von Donald Trump im Jahr 2024 und warnt vor schwerwiegenden Folgen für die amerikanische Demokratie. In seiner ersten Amtszeit wurde Trump noch von Beratern wie John Kelly und Mark Esper in seinen extremen Vorhaben eingeschränkt. Doch bei einem erneuten Wahlsieg könnte Trump ungebremst handeln, da er sich zunehmend mit treuen Anhängern umgibt, die bereit wären, seine radikalen Pläne umzusetzen. Zentral im Artikel ist Trumps Wunsch nach Vergeltung, der bereits in seiner ersten Amtszeit deutlich wurde. Er habe sich wiederholt für Massenhinrichtungen und brutale Maßnahmen gegen Kriminelle ausgesprochen, diese Ideen jedoch nicht durchsetzen können. In einer zweiten Amtszeit könnten solche Vorhaben realistischer werden, da die institutionellen Schutzmechanismen weitgehend fehlen würden. Zudem plant Trump, die Einwanderungspolitik drastisch zu verschärfen, einschließlich der Massendeportation von Millionen illegaler Migranten. Diese Pläne erinnern laut Experten an „ethnische Säuberungen“ und könnten zur Errichtung von „Konzentrationslagern“ an der Grenze führen. Der Artikel warnt auch vor Trumps Bestrebungen, das Militär gegen inländische Proteste einzusetzen, und zeichnet das Bild einer drohenden Gewalt gegen Zivilisten. Trump könnte auf rechtliche und institutionelle Unterstützung zählen, um oppositionelle Stimmen zu unterdrücken. Gleichzeitig wird betont, dass die Republikanische Partei mittlerweile vollständig hinter Trump stehe und keine internen Korrektive mehr existieren. Der Artikel beschreibt Trump als eine Bedrohung für die amerikanische Demokratie und betont, dass die USA bei einem Wahlsieg Trumps auf einen gefährlichen autoritären Kurs zusteuern könnten. Es wird infrage gestellt, ob die demokratischen Institutionen des Landes eine zweite Amtszeit Trumps überleben würden. (Tim Dickinson/Asawin Suebsaeng, Rolling Stone)
Wir haben bereits in Fundstück 2 detailliert die Folgen eines Trump-Siegs für den bürokratischen Apparat diskutiert. Aber natürlich hat das zahllose Folgeeffekte, die in diesem detaillierten Artikel sehr ausführlich erklärt werden. Die Rhetorik Trumps ist die eines bestenfalls autokratischen und teilweise ins Völkisch-Faschistoiden abrutschenden Extremisten. Ist es möglich, dass, wie so gebetsmühlenartig von viel zu vielen Leuten betont wird, das alles reine Rhetorik, Scherze, pointierte Übertreibungen sein könnten? Aber klar. Kann es sein, dass das System stark genug ist, vier weitere Jahre Trump zu überstehen? Aber klar! Könnte es sein, dass das nicht der Fall ist und ein solches Horrorregime in den USA etabliert wird? Aber klar! Das Ausmaß der Bedrohung wird glaube ich auch überschätzt, weil wir alle dank der im Kommentar zu Fundstück 2 beschriebenen Hemmnissen mit einem blauen Auge davongekommen sind. Es ist höchst fahrlässig anzunehmen, dass das noch einmal passieren wird.
5) Luke Mockridge: Nach ganz unten kommt peinlich
Der Artikel thematisiert die aktuelle Debatte um Humor, insbesondere im Kontext von politischer Korrektheit, Cancel Culture und moralischen Grenzen in der Comedy. Stephan Anpalagan reflektiert über den Humorwandel und die Herausforderung, in Zeiten von Social Media und öffentlichem Diskurs Witze zu machen, die über Minderheiten oder sensible Themen gehen, ohne in menschenverachtendes Verhalten abzurutschen. Er zitiert Otto Waalkes, der feststellt, dass der Humor sich nicht verengt habe, sondern manche Comedians auf Tabubrüche setzten, um erfolgreich zu sein. Beispiele wie Luke Mockridge und Chris Tall verdeutlichen, wie Witze über Behinderte, Frauen oder Schwarze genutzt werden, um Aufmerksamkeit zu erregen. Mockridge geriet wiederholt wegen geschmackloser Witze über behinderte Sportler in die Kritik. Der Artikel stellt fest, dass diese Art von Humor zwar monetären Erfolg bringt, aber oft handwerklich schlecht und intellektuell anspruchslos ist. Der Autor kritisiert insbesondere die Weinerlichkeit von Komikern wie Dieter Nuhr, die Tabubrüche feiern, aber nicht mit der Kritik umgehen können. Der Vergleich von Shitstorms mit Pogromen wird als unangemessen und überzogen dargestellt. Abschließend hebt Anpalagan hervor, dass viele der Witze keinen tieferen Sinn haben, sondern lediglich als leicht verdientes Geld dienen. Er betont, dass moralische und ethische Grenzen in der Comedy nicht endlos gedehnt werden können und irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem es nur noch unangenehm wird. Otto Waalkes' Feststellung, dass der Humor sich nicht verengt hat, sondern sich lediglich der Ton geändert habe, fasst die Kernbotschaft des Artikels treffend zusammen. (Stefan Anpalagn, Stern)
Anpalagan bringt hier einen zentralen Punkt, auf den ich auch immer wieder verwiesen habe, etwa im Zusammenhang mit der Aiwanger-Affäre: wer permanent die Regeln bricht und immer wieder versucht, die Grenzen auszutesten und den gesellschaftlichen Konsens anzugreifen, schlägt irgendwann fast automatisch zu tief, übertreibt irgendwann. Das ist eine eigene Dynamik. Wenn mein Humor zu guten Teilen daraus besteht, dass ich Tabus verletze, geht das oft sehr lange gut: das Spiel mit Tabus ist ja immer reizvoll, und das halb-erschrockene Auflachen über "der sagt das wirklich" ist ein guter Teil dessen, warum dieser Humor funktioniert. Die Balance zu wahren ist aber extrem schwer, und schon viele Leute sind auf dieser "slippery slope" ausgerutscht. Der zweite relevante Punkt ist die eigene Kritikunfähigkeit: austeilen, aber nicht einstecken können ist ein super unschöner Zug, der leider immer wieder auftaucht (Böhmermann etwa ist davor ja auch nicht gerade gefeiht).
Resterampe
a) Spannend zur Geschichte der Klimareporte in den 1990er Jahren und ihrer Prognosefähigkeit.
b) Anna Schneider dreht mal wieder hohl.
c) Guter Artikel zu russischer Einflussnahme auf den US-Wahlkampf.
d) Fact checking Kamala Harris. "Fact checking", my ass. Was für eine Seuche.
e) Zur Exklusion der Haitianer.
f) Stand der wissenschaftlichen Arbeit in der USA auch krass.
g) Großartiger Rant gegen Pläne zur Marskolonisierung.
h) Diese Flugtaxiobsession ist echt weird.
i) Spannender Thread zum Gewicht antiker Militärausrüstung.
j) Kritik aus China: Deutsche Kriegsschiffe nehmen Kurs auf Straße von Taiwan. Sehr gut.
k) Auch mal wieder guter Punkt beim Thema Deregulierung.
l) Zu VW.
m) Die Affäre um Stark-Watzinger brodelt auch so vor sich hin, mit scheibchenweise neuen Enthüllungen. Doppelstandard, wer gehen muss. Siehe auch FAZ.
n) Pete Buttigieg ist echt ziemlich gut.
p) Kubicki outet sich als Wagenknecht-Fan. Passt leider.
q) Direkte Demokratie ist eben nur cool, wenn sie die gewünschten Ergebnisse liefert. Sag ich immer wieder.
r) Trump startet Pogrome. Siehe auch hier.
Fertiggestellt am 15.09.2024
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