Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Trump’s transition is happening over private emails. Federal officials are nervous.
Der Artikel beleuchtet erhebliche Bedenken hinsichtlich der Cybersicherheitspraktiken von Donald Trumps Übergangsteam, das sich auf die Amtsübernahme vorbereitet. Im Gegensatz zu früheren Übergängen verzichtet das Team auf von der Regierung bereitgestellte Technologien und Sicherheitsprotokolle und nutzt stattdessen private E-Mail-Server und Geräte. Dies hat bei Bundesbeamten Besorgnis ausgelöst, dass sensible Regierungsdaten durch Hackerangriffe, insbesondere aus Ländern wie China und Iran, gefährdet werden könnten. Bundesbehörden wurden angewiesen, zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, darunter persönliche Briefings und Sicherheitsbestätigungen für den Datenaustausch. Der Einsatz privater Infrastruktur hat jedoch nicht nur Verzögerungen in der Informationsweitergabe verursacht, sondern erhöht auch das Risiko von Sicherheitsverletzungen. Experten warnen, dass diese Praktiken nicht nur die nationale Sicherheit während der Übergangszeit gefährden, sondern auch die zukünftige Regierung anfällig für Cyberangriffe machen könnten. Die Ablehnung staatlicher Unterstützung, einschließlich der Hilfe durch die General Services Administration, verschärft diese Risiken. Kritiker argumentieren, dass dieser unkonventionelle Ansatz den Übergangsprozess untergräbt und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die neue Regierung ähnliche Sicherheitsprobleme erlebt wie bei historischen Krisen, die durch schlechte Zusammenarbeit zwischen scheidenden und neuen Administrationen verschärft wurden. (Alice Miranda Ollstein, Politico)
Ich erinnere mich noch daran, wie mit heiligem Ernst erklärt wurde, Hillary Clintons Emails seien ein riesiger Skandal und unbedingtes Argument dafür, dass sie als Präsidentin nicht qualifiziert sei. Der Doppelstandard, der bis heute hier gefahren wird, ist einfach atemberaubend. Es war von Anfang an eine Lüge. Die Unfähigkeit, mit Trumps permanenten Skandalen, Verbrechen und Ethikverstößen umzugehen, ist und bleibt ein Schandfleck der Medienlandschaft und entscheidender Grund dafür, dass dieser Mann überhaupt im Weißen Haus sitzen kann.
2) Politik als sportifiziertes Medien-Spektakel
Der Artikel greift die anstehende Bundestagswahl und die mediale Inszenierung von TV-Duellen kritisch auf. Er zieht Parallelen zu Theodor Adornos "Minima Moralia", insbesondere dessen Analyse der Oberflächlichkeit öffentlicher Debatten. Adornos Begriff der "Taubstummenanstalt" beschreibt präzise die Dynamik von politischem Gespräch, das zum Austausch einstudierter Floskeln und Phrasen verkommt. Statt echter Diskussion erleben Zuschauer ein Machtspiel, das eher auf rhetorische Siege als auf inhaltliche Substanz abzielt. Die Kritik richtet sich auch gegen die Sender ARD und ZDF, die mit dem Duell zwischen Scholz und Merz eine überholte Zweiparteienlogik zementieren und andere Parteien ausklammern. Dies ignoriere nicht nur die realen Machtverhältnisse, sondern verschärfe auch den Vorwurf der medialen Voreingenommenheit. Parallel dazu wird Elon Musks Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung thematisiert. Seine Plattform „X“ wird als Instrument beschrieben, das gezielt Ressentiments und Hass fördert, um politische und wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Dies stellt eine Bedrohung für den demokratischen Diskurs dar, der ohnehin schon durch oberflächliche Medialisierung geschwächt ist. Der Artikel schließt mit einer düsteren Prognose, dass die Macht des Algorithmus zunehmend die demokratischen Strukturen verdrängt. (Dieter Schnaas, Wirtschaftswoche)
Schnaas macht hier in meinen Augen gleich zwei klassische Fehler. Der eine ist ein völliges Missverständnis von Politik, der andere eine Berufsblindheit. Fangen wir beim ersten an. Wenn Adorno vor 80 Jahren schon bemängelte, dass in der Politik "nicht mehr" ernsthaft gesprochen wird, sondern alle nur Sprechpuppen seien, ist das eher ein Beleg, dass man die These nochmal überprüfen sollte. Nichts gegen Adorno, aber hier redet er wie Schnaas Unsinn. Die Aufgabe eines Wahlkampfs ist es nicht, Gespräche zu führen. Habeck und Weidel, Scholz und Merz müssen nicht über ihre Haltungen "sprechen". Sie müssen diese den Wähler*innen möglichst klar verdeutlichen. Dazu dient der Wahlkampf. Gespräche über Politik führen nicht Politiker*innen auf der Bühne, sondern Wählende und Journalist*innen. Wahlkampf dient der Hervorhebung von Positionen, dem Aufzeigen von Optionen. Da ist es notwendig, klare, einfache und oft wiederholte Botschaften zu haben.
Und damit der zweite Punkt: die Vorstellung, dass "wir" schon komplett gesättigt von den Narrativen, Auftritten und Phrasen der Politiker*innen sind, ist eine völlige Verkennung der Situation. Menschen wie Schnaas sind Politikjunkies. Der Mann macht das beruflich. Klar hat er das über. Aber 90% der Wahlberechtigten im Land beschäftigen sich bisher praktisch nicht mit dem Wahlkampf. Entsprechend kennen sie die Positionen auch nicht auswendig. Sie erinnern sich halb an eine an der Tankstelle überflogene BILD-Schlagzeile und ein Soundbite aus der Tagesschau, und ansonsten vor allem an inkohärentes und oft falsches Hörensagen. Die Politiker*innen sind gut beraten, die Schnaas' dieser Welt zu ignorieren und stattdessen ihren Job zu machen.
3) Warum der FDP-Vorschlag sein Ziel verfehlt – und Risiken birgt
Die FDP schlägt im Wahlprogramm vor, das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland von 2045 auf 2050 zu verschieben. Dieser Vorstoß soll der energieintensiven Industrie mehr Zeit für die Umstellung geben und wirtschaftliche Belastungen verringern. Kritiker sehen diese Argumentation jedoch als irreführend an. Das zentrale Instrument, der Europäische Emissionshandel, würde der Industrie ohnehin keine zusätzliche Zeit gewähren, da die Obergrenze für Emissionen bis spätestens 2045 ausläuft. Zudem müsste die Industrie ihre Emissionen unabhängig vom Zieljahr weiter drastisch senken, da sie derzeit noch weit von der Klimaneutralität entfernt ist. Nationale Klimaziele spielen eine wichtige Rolle, da sie Emissionen regulieren, die nicht vom Emissionshandel erfasst werden, wie in der Landwirtschaft. Eine Verschiebung des deutschen Ziels würde also tatsächlich zu mehr Treibhausgasen führen. Besonders besorgniserregend ist das Signal, das diese Änderung an die EU senden könnte. Sie könnte die Glaubwürdigkeit der deutschen Klimapolitik untergraben und andere Mitgliedstaaten dazu ermutigen, ebenfalls ihre Ziele zu lockern. Die Risiken für die europäischen Klimaziele, einschließlich geplanter Reduktionen bis 2040, sind erheblich. Kritiker warnen, dass die FDP mit diesem Vorstoß langfristig den europäischen Klimaschutz gefährdet. (Jonas Schaible, Spiegel)
Ich sehe mich in meiner Skepsis zu den segensreichen Effekten des Emissionshandels einmal mehr bestätigt. Dahinter steckt immer die Idee, dass man die ganze Chose dem politischen Raum, den Aushandlungsprozessen, den Partikularinteressen und Kompromissen entzieht und eine rein ökonomische Logik walten lässt. Nur: das funktioniert nicht. Nicht, weil die ökonomische Logik nicht funktionierte, sondern weil sie sich nicht dem politischen Raum entziehen lässt. Wenn nicht einmal die FDP, also DIE Partei, die für diese Prozesse steht, Subventionen kritisiert und gegen Staatseingriffe ist, diese Positionen angesichts von Gegenwind durchhält - wer dann? Und die FDP ist eine Splitterpartei. Das hat man bereits beim Tankrabatt gesehen, als auch alle hehren Prinzipien aus dem Fenster geworfen wurden. Das ist hier wieder dasselbe.
4) Warum ich diesen Beitrag nicht gedruckt hätte
In einem kontroversen Gastbeitrag in der Welt am Sonntag hat Elon Musk die AfD als "den letzten Funken Hoffnung" für Deutschland bezeichnet. Der Text löste heftige Reaktionen aus, da er wenig fundierte Argumente enthält und stattdessen auf stark vereinfachten und polemischen Aussagen basiert. Musk, der eine Verbindung zwischen der AfD und Progressivität herstellt, indem er auf Alice Weidels gleichgeschlechtliche Partnerschaft verweist, zeigt dabei eine auffällige Ignoranz gegenüber der politischen Realität der Partei. Die Kritik richtet sich jedoch nicht nur gegen Musk, sondern auch gegen die Entscheidung der Zeitung, den Beitrag zu veröffentlichen. Es wird argumentiert, dass Wahlaufrufe – insbesondere für eine Partei mit rechtsextremen Tendenzen – in unabhängigen Medien nichts zu suchen haben. Der Fall wird als symptomatisch für ein tieferes Problem im Journalismus gesehen: die mangelnde kritische Distanz zu mächtigen Persönlichkeiten. Musk nutze die Plattform, um sich selbst zu inszenieren, und führe gleichzeitig die Journalisten vor, die seiner impulsiven Rhetorik eine Bühne bieten. Diese Entwicklung wird als alarmierendes Zeichen für die Verantwortung der Medien im Umgang mit populistischen und kontroversen Figuren interpretiert. (Franziska Zimmerer, Welt)
Man muss Springer deutlich zugute halten, dass der journalistische Binnenpluralismus in diesem Falle gut funktioniert. Nicht nur setzen sich die Autor*innen auf der Metaebene mit der Entscheidung außeinander; auch inhaltlich finden sich Kritiken (etwa "Warum Elon Musk auf die AfD setzt – und warum er dabei irrt"). Auch andere Medien kritisieren die Geschichte, etwa der Spiegel: "AfD-Wahlaufruf in der »Welt«: Elon Musk weiß nicht, wovon er schreibt". Nur: der Beitrag hätte tatsächlich nicht veröffentlicht werden sollen. Er ist effektiv eine Bankrotterklärung der Idee, dass man eine Kontroverse um der Kontroverse willen anstoßen sollte. Dass es einen inhärenten Wert hätte. Aber den hat es nicht. "Machtergreifung Pro oder Contra" ist eine blödsinnige Fragestellung für eine Institution, die auf Freiheitsrechten aufbaut. Elon Musk als Champion der Meinungsfreiheit zu sehen war schon immer blödsinnig; wie man angesichts der aktuellen Geschehnisse in den USA und auf Twitter immer noch diesen Fehler begehen kann, ist mir schleierhaft.
5) Alles Gute zum Geburtstag, Greta!
Greta Thunberg, die am Dienstag ihren 21. Geburtstag feiert, hat die globale Wahrnehmung des Klimawandels entscheidend geprägt. Mit ihrem Schulstreik 2018 brachte sie das Thema in den Mittelpunkt öffentlicher und politischer Debatten, was zuvor Wissenschaft und Politik nicht gelungen war. Ihre Ernsthaftigkeit und Unnachgiebigkeit inspirierten Millionen und trugen zur Entstehung der Fridays-for-Future-Bewegung bei, die den Klimaschutz weltweit vorantrieb. Obwohl Greta in letzter Zeit aufgrund umstrittener Aktionen Kritik einstecken musste, bleibt ihr Einfluss unbestritten. Sie schaffte es, das Klimathema emotional und greifbar zu machen, und beeindruckte selbst Experten durch ihr Wissen. Ihre Erfolge, darunter das Anstoßen gesellschaftlicher Dynamiken und das Mitprägen internationaler Klimadiskussionen, machen sie zu einer zentralen Figur im Kampf gegen die Klimakrise. Greta wird sowohl bewundert als auch angefeindet, doch ihr Beitrag zum Klimabewusstsein ist unbestreitbar. Sie hat gezeigt, wie viel ein einzelner Mensch bewegen kann, und verdient Dank und Anerkennung. (Ullrich Fichtner, Spiegel)
Der eigentliche Abstieg von "Fridays for Future" begann, abgesehen natürlich vom entscheidenden Grund der Corona-Pandemie, die sie komplett aus den Schlagzeilen verdrängte, bereits 2021, als die Bewegung sich von ihrem single-issue-Fokus löste und sich aktiv parteipolitisch zu positionieren begann. Ich habe seinerzeit darüber geschrieben. Thunbergs Engagement in der pro-palästinensischen Bewegung war da eher der Sargnagel, mit dem sie ihren Ruf nachhaltig (und zurecht) ruiniert hat. Aber Fichtner hat Recht damit, auf ihre gewaltige Auswirkung in den Jahren 2018 bis 2020 hinzuweisen. Es gab wohl keinen einzelnen Menschen, der so viel zur Bewusstseinsbildung über den Klimawandel beigetragen hat wie sie. Das kann man durchaus anerkennen. Es zeigt aber gleichzeitig die Grenzen des Aktivismus auf: einerseits muss die Überhöhung von Menschen scheitern, und andererseits kann das Interesse-Niveau nicht aufrechterhalten werden. Ohne Strukturen und Organisation wird das irgendwann verpuffen. Und hier hat FFF wenig Spuren hinterlassen.
Resterampe
a) Das Gegenteil dieser GOP-nahen Memes vom roten Amerika. (Bluesky)
b) Korrekt, was Trumps Geschmack angeht (Bluesky).
c) Wasserstoffzügen geht der Wasserstoff aus (Bluesky).
d) ChatGPT und Co verbrauchen so viel Energie, dass das Netz stellenweise Probleme bekommt. (Bloomberg)
e) Immer wieder faszinierend, welche anderen Standards vor Gericht gelten, wenn es um die Schwächsten geht (Gegen-Hartz).
f) Lindners Ranwanzen an Musk ist schon echt würdelos (Bluesky).
g) Marco Buschmann ist auch enttäuschend parteisoldatig (Bluesky). Siehe auch hier. Ich hoffe echt, dass diese ekelhafte Strategie scheitert.
h) Auswirkung der Deregulierung von Bussen im UK (Bluesky).
i) Die Autopolitik Paris' ist krass erfolgreich (Bluesky).
j) Ich sag es immer wieder, es geht beim Budget nicht um Prinzipien, sondern Prioritäten. (X)
k) Lesenswerter Artikel in der FAZ zur Klimakrise. (FAZ)
Fertiggestellt am 29.12.2024
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