Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) The Oligarchs Who Came to Regret Supporting Hitler
Der Artikel beschreibt die entscheidende Rolle von Alfred Hugenberg, einem einflussreichen Industriellen und Medienmogul, bei der Machtübernahme Adolf Hitlers im Jahr 1933. Trotz ideologischer Gemeinsamkeiten zwischen Hugenberg und Hitler – beide waren antidemokratisch, antikommunistisch und antisemitisch – war ihr Verhältnis von Rivalität geprägt. Hugenberg wollte Hitler als politischen Werkzeug nutzen, um seine eigene Macht zu sichern, unterschätzte jedoch dessen Fähigkeit, sich durchzusetzen. Hugenbergs Unterstützung war entscheidend, weil er über die Stimmen im Reichstag verfügte, die Hitler zum Kanzler machten. Er wurde dafür als Wirtschaftsminister belohnt, doch seine chaotische Wirtschaftspolitik und diplomatische Fehltritte führten zu seiner schnellen Entmachtung im Juni 1933. Während Hitler immer mehr Unterstützung von Großindustriellen wie Fritz Thyssen und Gustav Krupp erhielt, verlor Hugenberg seine wirtschaftlichen und politischen Einflussmöglichkeiten. Der Artikel beleuchtet zudem, wie sich deutsche Konzerne wie I.G. Farben, Krupp und Siemens aktiv am Nazi-Regime beteiligten – durch Finanzierung, Rüstungsproduktion und sogar den Einsatz von Zwangsarbeitern. Besonders verstörend ist die Rolle von I.G. Farben bei den medizinischen Experimenten in Auschwitz und der Produktion des Zyklon B-Gases. Nach dem Krieg wurde Hugenberg nur als "Mitläufer" eingestuft und entging schwerwiegenden Konsequenzen. Er wurde zwar kurzzeitig interniert, konnte jedoch sein Vermögen zurückerlangen und blieb bis zu seinem Tod unreumütig. In einem seltenen Moment der Einsicht soll er 1933 zu einem Kollegen gesagt haben: „Ich habe mich mit dem größten Demagogen der Welt verbündet.“ (Timothy W. Ryback, The Atlantic)
Es ist das, was ich auch zum Thema Elon Musk und Donald Trump sage: pure Hybris seitens der Milliardäre. Einerseits glauben sie, alles zu können, weil sie reich sind, und mischen sich deswegen in lauter Bereiche ein, von denen sie keine Ahnung haben, mit erwartbaren Konsequenzen. Aber viel wichtiger, andererseits, verstehen sie die Natur von Macht nicht. Ja, Milliarden zu haben gibt eine gewisse Macht. Aber die ist komplett abhängig davon, dass sie gegeben wird. Sie existiert nur in einem liberalen Rechtsstaat. Aber die Quelle von Macht liegt in der Kontrolle der Institutionen und damit im Politischen. Elon Musk ist nur noch drei Schlagzeilen vom heimlichen Präsidenten davon entfernt, ein falling out mit Trump zu haben - und dann ist nichts mehr mit ungewaschenen 20jährigen Praktikanten im Ministerium und Herumhüpfen auf Bühnen. Übrigens hat auch Trumps großes Vorbild Putin deutlich gezeigt, ob Oligarchen oder KGB und Militär die Macht im Staat haben. Diese Probe geht immer auf die gleiche Art aus.
2) FDP verspricht: Geld zurück für Krankenversicherte
Die FDP schlägt zwei Wochen vor der Bundestagswahl eine Reform vor, die gesetzlich Krankenversicherte entlasten soll. Wer keinen Arzt besucht oder seine Rechnung selbst zahlt, soll eine Beitragsrückerstattung erhalten. Dies soll Eigenverantwortung stärken und unnötige Arztbesuche reduzieren. Der Vorschlag steht im Gegensatz zu Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck, der Kapitalerträge für die Finanzierung der Krankenkassen nutzen will. Neben der Gesundheitsreform positioniert sich die FDP auch wirtschaftspolitisch: Sie fordert eine Verschiebung des Klimaneutralitätsziels auf 2050, die Abschaffung des Umweltbundesamtes und den Erhalt des Verbrennungsmotors. Auch in der Migrationspolitik will die Partei Geschlossenheit demonstrieren, nachdem 23 Abgeordnete gegen das Unionsgesetz zur Begrenzung des Zustroms gestimmt hatten. Parteivize Johannes Vogel betonte jedoch die Notwendigkeit einer strikteren Migrationspolitik. Mit diesen Themen hofft die FDP, die Fünfprozenthürde zu überwinden und sich von einer möglichen schwarz-grünen Koalition abzugrenzen. (Dietrich Creutzburg/Heike Göbel/Johannes Pennekamp, FAZ)
Ich verstehe einfach nicht, wie man immer wieder dasselbe versuchen kann, das schon einmal gescheitert ist. Das ist so eine rattige Idee. Wir hatten das bereits einmal als Experiment mit der Praxisgebühr. Die Folge ist, dass vor allem arme Leute nicht zum Arzt gehen, auch wenn sie müssten. Dadurch werden später Folgekosten entstehen. (Und mal ehrlich, wissen wir nicht alle, dass am Ende dieses Vorschlags keine Rückerstattung stehen wird, sondern Zusatzkosten, wie damals mit der Praxisgebühr?) Ob ein Arztbesuch unnötig ist oder nicht, weiß ich außerdem vorher ja meistens nicht. Schließlich sagen die wenigsten Leute "lass mal unnötig zum Arzt gehen" (und die nehmen die Gebühr/ausfallende Rückerstattung sowieso hin). Ich gehe ja zum Arzt, WEIL ich nicht weiß, was los ist, und zu Expert*innen muss. Ich halte diesen Mechanismus übrigens bei den Privaten aus den gleichen Gründen für eine dumme Idee.
3) Democrats need a billionaire strategy
Der Artikel kritisiert die strategische Orientierung der Demokratischen Partei in den USA und wirft die Frage auf, ob sie einen klareren populistischen Kurs gegen die zunehmende Einflussnahme von Milliardären einschlagen sollte. Der neue Vorsitzende des Democratic National Committee (DNC), Ken Martin, habe sich gegen einen als zu wirtschaftsnah geltenden Rivalen durchgesetzt, vertrete jedoch eine ambivalente Haltung gegenüber wohlhabenden Spendern: Er wolle Geld von „guten Milliardären“, nicht aber von „schlechten“ annehmen – eine Botschaft, die kaum über Parteikreise hinaus Resonanz finde. Die Partei befinde sich in einer langfristigen Entwicklung hin zu einer politischen Kraft der Wohlhabenden. Trotz Trumps finanzieller Unterstützung durch Elon Musk habe auch Kamala Harris im letzten Wahlkampf erhebliche Summen von wohlhabenden Spendern erhalten und bei Wählern mit einem Jahreseinkommen über 100.000 Dollar gut abgeschnitten. Dies stelle die Demokraten vor ein strategisches Dilemma: Sollen sie sich offen gegen den Einfluss von Milliardären stellen oder deren Unterstützung aktiv suchen? Gleichzeitig steige der politische Einfluss von Tech-Milliardären wie Elon Musk, der faktisch als „Co-Präsident“ neben Trump agiere. Während Kapitalismus in der Bevölkerung weiterhin beliebt sei, könne der Eindruck einer wirtschaftsfernen Linken, die „Gleichstellung“ über „Chancengleichheit“ stelle, viele potenzielle Wähler abschrecken. Die derzeitige Haltung der Demokraten gegenüber wirtschaftlicher Macht sei widersprüchlich – anstatt eine klare Linie zu fahren, lavierten sie zwischen vagen Abgrenzungen und pragmatischer Akzeptanz. (Nate Silver, Silver Bulletin)
Ich sehe das Dilemma durchaus. Gleichzeitig stimme ich aber Silver zu, dass die aktuelle Botschaft der Democrats mit einer Aufteilung von "guten" und "schlechten" Milliardär*innen wenig taugt. Es funktioniert auch nicht. Wenn ich ein Milliardär wäre, hätte ich wenig Vertrauen darin, sicher in der Kategorie der "Guten" zu sein. Früher waren die Republicans die Partei des Großen Geldes, aber mittlerweile sind sie die Partei all derer, die treu zu Trump stehen. Die Furcht vor Rache des Orangenen war wesentlich größer als alle Angebote der Democrats. Vermutlich ist angesichts der von Silver im Artikel angesprochenen Unbeliebtheit von Milliardär*innen selbst in den USA eine populistisch-aggressive Strategie besser; ich sehe die Partei jedenfalls nicht die frühere GOP-Position vertreten, dass Kapitalismus total dufte ist und man deswegen seine Gewinner*innen nicht kritisieren sollte. Da sind Konflikte mit der eigenen Basis auch vorprogrammiert.
Der Artikel analysiert die tiefgreifende Veränderung des politischen Systems in Deutschland infolge der Entscheidung der Unionsparteien, im Bundestag eine Mehrheit unter Einbeziehung der AfD zu suchen. Dies markiere einen historischen Bruch mit der bisherigen politischen Mitte, die sich durch die Abgrenzung zu den Extremen definiert habe. Durch die strategische Öffnung nach rechts sei die CDU/CSU nun Teil einer Dynamik aus Radikalisierung und Angsterzeugung, die in anderen europäischen Demokratien bereits konservative Parteien zerrissen habe. Die langfristigen Folgen dieser Entwicklung seien ungewiss, aber potenziell fatal für die Union selbst. Der rechte Rand bestimme zunehmend die politische Agenda, während sich die Unionsparteien politisch abhängig machten von einer Wirklichkeitsbeschreibung, die Migranten und Kriminalität obsessiv verknüpfe. Damit stehe bei der Bundestagswahl nicht nur die Regierung, sondern auch die künftige Basis des politischen Handelns insgesamt zur Abstimmung. Für SPD und Grüne stelle diese neue Lage eine existenzielle Herausforderung dar. Ihr bisheriger Kurs, sich als gemäßigte Mitte zu positionieren, werde angesichts des rechten Kurswechsels der Union zunehmend irrelevant. Zwei Strategien blieben: Entweder müsse die Mitte gegen die Union verteidigt werden, was nur durch einen klaren Ausschluss von Koalitionen mit einer Merz-geführten CDU gelingen könne. Oder die Parteien des progressiven Spektrums müssten ein breites linksliberales Bündnis nach französischem Vorbild schmieden, um der Politik der Angst eine demokratische Alternative entgegenzusetzen. Wer diesen Kampf erfolgreich führe, werde sich als Kanzler des gesamten nicht-rechten Lagers qualifizieren. (Florian Meinel/Maximilian Steinbeis, Verfassungsblog)
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie sinnvoll die Kategorie der "Mitte" als Analysewerkzeug ist. Letztlich ist ihre Standortbestimmung wahnsinnig abhängig davon, wo die Person steht, die sie verwendet. "Die Mitte bin ich", sozusagen. Ich muss da immer an dieses Reagan-Sprichwort denken: "Nicht ich habe die Democrats verlassen, die Democrats haben mich verlassen." Dieses Gefühl haben ja alle, um die herum politische Änderungen geschehen. Merkel war stets die Personifizierung der Mitte in Deutschland. Scholz ist es nicht gelungen, dieses Erbe anzutreten, und Merz lehnt es aktiv ab. Natürlich ist dieser Raum jetzt freigeworden. Nur wage ich zu bezweifeln, da gebe ich Meinel und Steinbeis Recht, dass die Leute dieses Raums da immer noch sind. Wir haben einen Rechtsruck in der Republik erlebt. Deswegen denke ich auch nicht, dass die Strategie, eine Rot-Rot-Grüne Alternative zu formulieren, sonderlich tragfähig ist. Ich sehe diese Mehrheit in Deutschland nicht. Die war ja schon zu Hochzeiten des Agenda2010-Backlashs hauchdünn und ist seither nicht mehr zustandegekommen. Die Deutschen sind kein Volk für linke Mehrheiten. Aber ich mag mich natürlich irren.
5) Elon Musks feindliche Übernahme
Der Artikel beschreibt Elon Musk als eine ambivalente Figur, die zwischen wissenschaftlicher Faszination und radikaler politischer Provokation oszilliert. Während er sich mit Technologie, Raumfahrt und künstlicher Intelligenz beschäftigt, nutzt er seine immense Reichweite auf X, um rechte Narrative zu verbreiten und Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen. Seine jüngsten Kampagnen gegen den britischen Premierminister Keir Starmer oder seine Unterstützung der AfD zeigen, dass Musk nicht nur ein Unternehmer, sondern auch ein politischer Akteur geworden ist. Der Text identifiziert fünf Grundprinzipien, die Musks Handeln leiten: Erstens sieht er den Staat als Werkzeug für „Macher“, also Unternehmer, nicht für demokratische Prozesse. Zweitens glaubt er an technologische Lösungen für alle gesellschaftlichen Probleme, ohne demokratische Debatten. Drittens betrachtet er Online-Politik als überlegen gegenüber traditionellen politischen Institutionen. Viertens unterstützt er rechtslibertäre Parteien, die eine Kombination aus Marktliberalismus und autoritärer Abschottungspolitik verfolgen. Fünftens denkt Musk in langfristigen Dimensionen und sieht sich selbst als Retter der menschlichen Zivilisation. Der Artikel verknüpft Musks Radikalisierung mit persönlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen: Von seiner Abneigung gegen Covid-Restriktionen über seine transfeindlichen Äußerungen bis hin zur vollständigen Identifikation mit Trump und der globalen rechten Bewegung. Gleichzeitig unterscheidet sich Musk von klassischen Oligarchen wie Koch oder Soros, da er selbst im Mittelpunkt stehen will. Seine politische Strategie gleicht eher einem Videospiel: Er setzt auf Chaos, Provokation und kurzfristige Machtgewinne. Sein Einfluss wächst, und die Welt bleibt für ihn eine „Sandbox“ – ein Spielfeld, in dem er seine Macht erprobt. (Quinn Slobodian, Politische Ökonomie)
Ich habe letztlich immer die Hoffnung, dass solche Porträts letztlich irrelevant sein werden, weil Figuren wie Musk in der Bedeutungslosigkeit verschwinden und allenfalls eine Fußnote darstellen werden. Dass sie quasi in 30 Jahren zwar den geschichtswissenschaftlichen Expert*innen ein Begriff sind, aber kaum einem breiten Publikum. Ähnlich wie der in Fundstück 1 besprochene Hugenberg, der heute auch nur Leuten, die sich intensiver mit der Periode beschäftigt haben, bekannt ist. Aber es ist schon alleine deswegen interessant, weil Musk so anders geprägt ist als viele andere Personen. Sich mit der Ideologie oder Geisteswelt eines Trump zu beschäftigen ist völlig uninteressant - da ist wenig außer einem extrem ausgeprägten Es, das ihn antreibt. Und die meisten Politiker*innen sind letzten Endes recht ähnlich gestrickt. Aber Musk kommt aus einer Welt, die normalerweise nach anderen Regeln und in anderen Sphären operiert (superreiche Wirtschaftsbosse) und hat einen geistesgeschichtlichen Hintergrund und Vorlieben, die ihn hervorheben. Man sollte den Irrsinn Ernst nehmen, von dem er überzeugt ist - wie generell übrigens bei der Neuen Rechten, die geistesgeschichtlich noch viel zu wenig durchdrungen ist.
Resterampe
a) Lesenswertes Interview zum Rechtsruck (ZEIT).
b) NIUS versucht, eine Spaltung der CDU zu hypen (Twitter).
c) Zum letzten Vermischten Jan-Claas Behrends zum Thema Verrechtlichung (Twitter).
d) Mal eine historische Analogie zu Merz und der Brandmauer in die andere Richtung (Twitter).
e) Für mich ein weiterer Beweis, dass es nicht um Sachfragen geht (Twitter). Aber das kann auch nicht überraschen.
f) Joa... (Twitter)
g) Gute Idee aus Frankreich. (Twitter)
h) Es braucht Ehrlichkeit und Mut, Veränderungen anzugehen (Welt). Ach, immer die Ehrlichkeit, Dinge auszusprechen, von denen man überzeugt ist, und der Mut Dinge zu fordern, die man will.
i) Deutschlands Wirtschaft muss wieder wachsen (Welt). Radikale Ideen von Friedrich Merz. Die Wirtschaft muss wachsen! Da spricht der Experte. :D
j) Kriminologen warnen vor politischer Instrumentalisierung von Straftaten (News4Teachers).
k) Schon krass, mit was die ÖVP da koalieren will. (Twitter)
l) Thread zum Winkler-Essay im Spiegel (Twitter).
m) Lehrerverbands-Präsident Düll: „Wir sollten Online-Unterricht ein, zwei Mal im Schuljahr üben“ (News4Teachers). Mein erster Instinkt war, "Blödsinn" zu sagen, aber grundsätzlich ist das eigentlich echt nicht doof.
n) Migrantenkinder sprachlich fördern: Philologen schlagen “Stammschulen” dafür vor (News4Teachers). Auch hier ist mein Instinkt gerade vor den Erfahrungen des dreigliedrigen Schulsystems eher "Nein!" zu rufen, aber die Begründungen sind an und für sich nicht doof. Vielleicht kennt sich ja jemand mehr aus als ich...?
o) Spannende Rezension zu einem neuen Buch über Chinas Transformation (The Tangled Wolf).
Fertiggestellt am 11.02.2025
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