Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Isch Over
Der Artikel analysiert die geopolitischen Entwicklungen um den Ukraine-Krieg und prognostiziert ein Szenario, in dem Russland seine Kriegsziele weitgehend erreicht. Donald Trumps erneute US-Präsidentschaft könnte bedeuten, dass die USA die Ukraine fallen lassen, indem sie deren NATO-Mitgliedschaft ablehnen und Russland als Verhandlungspartner auf Augenhöhe akzeptieren. Dies käme einer impliziten Anerkennung der russischen Gebietsgewinne gleich. Europa stehe dem weitgehend machtlos gegenüber, da es an geschlossenem Widerstand und militärischer Durchsetzungsfähigkeit fehle. In Deutschland sei die Wahrnehmung des Konflikts von kognitiver Dissonanz geprägt: Viele Bürger glaubten, Frieden sei durch Passivität erreichbar, und übersähen dabei, dass Russland seinen Kriegskurs nicht ändern werde. Innenpolitisch werde dies den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, wieder wirtschaftliche Beziehungen zu Russland aufzunehmen, was insbesondere von AfD, BSW und Teilen der CDU/CSU forciert werde. Ein höherer Wehretat sei unter diesen Bedingungen kaum durchsetzbar, was langfristig neue Sicherheitsrisiken schaffe. Die Schlussfolgerung lautet, dass eine vermeintliche „Friedenspolitik“ in Wahrheit den nächsten Krieg vorbereite. (Richard Volkmann, Salonkolumnisten)
Ich teile den pessimistischen Grundton dieser Analysen. Mir ist auch diese Obsession mit den wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland nicht wirklich nachvollziehbar. Deren Volkswirtschaft ist kleiner als die Italiens, und mittlerweile hauen sie, was, 30% ihres BIP für den Krieg raus? Das einzige, was an wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland relevant ist, sind Rohstoffe, und hier vor allem die fossilen. Von denen sollten wir uns ohnehin aus so vielen Gründen so schnell wie möglich verabschieden. Hauptsächlich scheint es mir hier um eine Fortsetzung der Innenpolitik mit anderen Mitteln zu gehen - etwa die Aufgabe der Klimaziele und die identitätspolitische Abgrenzung vom "Westen". Auch diese wirre Vorstellung, dass wenn man nur selbst keinen Anlass gibt, die Gegenseite sich ruhig und friedlich verhalten möge, ist mir unerklärlich. "Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt", lautet das alte Sprichwort nicht zu Unrecht.
Nun - das ist sicherlich nicht falsch. Aber es zeigt eben die Radikalisierung dieser Teile des bürgerlichen Lagers. Die "Mitte" hat nämlich Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, in die genau entgegengesetzte Richtung funktioniert: als "künstlich verengte Definition", die eine "eher rechtslastige Exklusivität" darstellte. Ich bin alt genug um mich daran zu erinnern, wie mantraartig und voller triefendem Moralismus "die Mitte" in den 2000er Jahren gegen die aufstrebende LINKE in Stellung gebracht wurde. Was wurde da an Leitartikeln produziert, welche Gefahr der linke Populismus darstelle, wie außerhalb der grundgesetzlichen Ordnung die LINKE stehe und so weiter und so fort. Es ist, wie ich in den Kommentaren erst gestern Erwin sagte: ich habe das alles schon mal erlebt, nur von der anderen Seite. Ich kenne diese Radikalisierung. "Gleichgeschaltete" Medien, die Notwendigkeit der Etablierung einer "Gegenöffentlichkeit", die anderen sind alle nur gekauft, die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung wird von einer Kabale von mit dem Staat aufs engste verwobenen Nichtregierungsorganisationen und Lobbyverbänden unterdrückt...alles nichts Neues, alles schon dagewesen.
3) Missing Link: Kampf dem Online-Schrotthandel!
Der Artikel thematisiert die zunehmenden Risiken für den Verbraucherschutz durch den Boom des Online-Direkthandels mit Billigimporten, insbesondere aus China. Traditionell konnten sich Verbraucher in Deutschland darauf verlassen, dass in der EU verkaufte Produkte sicher sind, da sie strenge regulatorische Prüfungen durchlaufen. Doch durch Plattformen wie Temu und Shein wird diese Sicherheit untergraben. Das Hauptproblem liegt darin, dass der Verbraucherschutz bisher darauf basiert, dass Importeure oder Händler für die Einhaltung der Standards verantwortlich sind. Beim Direktimport aus Nicht-EU-Ländern entfällt diese Instanz jedoch, und Zoll- sowie Marktüberwachungsbehörden sind angesichts der Flut an Kleinsendungen überfordert. Untersuchungen zeigen, dass ein Großteil der geprüften Produkte nicht den Sicherheitsstandards entspricht. Der Artikel fordert politische Maßnahmen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Vorschläge umfassen eine verpflichtende digitale Deklaration beim Zoll, eine Bearbeitungsgebühr pro Sendung oder eine Versicherungspflicht für Händler aus Drittstaaten. Letztlich müssten sich jedoch auch Verbraucher bewusst machen, dass extreme Billigpreise oft auf Kosten von Sicherheit und Qualität gehen. (Falk Steiner, Heise)
Ich finde es gut, wie Steiner die Verantwortung des Gesetzgebers herausstellt. Denn die Vorstellung, dass hier mit Aufklärung und der Verantwortung der Konsument*innen etwas erreichbar wäre, ist genauso unsinnig wie in vielen anderen Bereichen. Wir leben in einem marktwirtschaftlichen System, und in dem wird mit der Brieftasche abgestimmt. Das ist ja auch so gedacht. Deswegen wird es nie funktionieren, über Appelle an das moralische Gewissen der Konsument*innen riesige Verschiebungen zu produzieren, ob bei Klimaschutz, Tierschutz, Außenpolitik (was gibt es nicht alles an sinnlosen Boykottaufrufen...) oder eben bei Billiganbietern. Wie viele Appelle gab es schon, nicht bei Amazon zu kaufen, sondern im lokalen Handel? Hat irgendetwas davon den Untergang der Fußgängerzonen aufgehalten? Oft genug gibt es wahrlich genug gute Gründe, die unsichtbare Hand des Marktes ihre schöpferische Zerstörung walten zu lassen. Ob das klimaschädlich-einfliegende Unterlaufen von Sicherheits- und Umweltstandards dazugehört, sei mal dahingestellt.
4) Vance zeigt Europa den Mittelfinger
Es ist absolut faszinierend, wie Vance und der Rest der GOP genau das tun, was sie immer ihren Gegnern vorgeworfen haben. Die Warnungen vor den Folgen einer Machtübernahme Trumps bewahrheiten sich gerade nicht nur, sie werden von der Realität sogar übertroffen. Noch faszinierender ist, wie die USA sich dabei ins eigene Fleisch schneiden. Aber das ist Thema für einen eigenen Artikel. Ich wollte noch eine Bemerkung zu der jubelnden Begleitmusik zu dieser Entwicklung durch Ulf Poschardt, Julian Reichelt und Co loswerden: ich fühle mich in ihrer Sicht auf die USA (und in geringerem Maß Russlands) an die Sicht auf Venezuela durch Linke in den 2000er Jahren erinnert. Ich kann mich noch gut daran erinnern, ein Buch gelesen zu haben, das Venezuela als Speerspitze der Demokratie feierte und Chavez' "Reformen" als Vorbild für den viel undemokratischeren Westen. Die Idee, dass Venezuela ein leuchtendes Vorbild sein könnte, war damals in linken Kreisen weit verbreitet und völlig abstrus. Mir ist das wahnsinnig peinlich, darauf reingefallen zu sein. Ich glaube, Poschardt und Co haben denselben verzerrten Blick auf Trump und Vance und glauben, dass der Feind ihres Feindes ihr Freund sei. Dabei sind es nur autoritäre Spinner, die halt den gleichen Gegner haben. Das böse Erwachen kommt dann irgendwann. Nur dass die USA anders als Venezuela leider für uns ziemlich relevant sind.
5) "Es kostet 5000 Dollar, um ein Menschenleben zu retten" (Interview mit Axel Dreher)
Das Interview behandelt die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe und hinterfragt, ob sie tatsächlich zur Armutsbekämpfung beiträgt. Laut dem Entwicklungsökonomen Axel Dreher hängt der Erfolg stark von den politischen Rahmenbedingungen im Empfängerland ab. Hilfen an korrupte oder autokratische Staaten können sogar negative Effekte haben, indem sie autoritäre Regime stützen und Korruption fördern. Dreher plädiert daher für eine Neuausrichtung, die stärker auf humanitäre Hilfe und direkte Geldtransfers setzt. Er kritisiert Trumps vorübergehenden Stopp der US-Entwicklungshilfe, weil dieser auch dringend benötigte humanitäre Programme betrifft. Dennoch hält er Trumps Kritik an der Ineffizienz vieler Entwicklungshilfeprogramme für berechtigt. Ein großer Teil der Gelder fließe nicht direkt in Entwicklungsprojekte, sondern in administrative Kosten und politisch motivierte Programme. Auch in Deutschland werde Entwicklungshilfe oft für allgemeine politische Ziele wie Umweltschutz oder Frauenrechte genutzt, anstatt sich auf Armutsbekämpfung zu konzentrieren. Dreher fordert eine verstärkte direkte Unterstützung der Menschen vor Ort – etwa durch ungebundene Geldtransfers auf Mobiltelefone, um lokale Märkte zu stärken. Sachgüter sollten nur dann geliefert werden, wenn es vor Ort keine Alternativen gibt. Die langfristige Entwicklung müsse jedoch aus den Ländern selbst kommen, da wirtschaftliches Wachstum in Regionen wie China oder Indien primär durch Globalisierung und marktwirtschaftliche Reformen gefördert wurde. (Laura Thalmeyer, Wirtschaftswoche)
Ich stimme dem Artikel grundsätzlich völlig zu; eine Dimension, die er aber unterschlägt, ist die wirtschaftspolitische: Entwicklungshilfe wird ja auch eingesetzt, um Absatzmärkte für die heimische Wirtschaft zu erschließen (weswegen die amerikanische Obsession, Entwicklungshilfe einzustellen, auch so bekloppt ist). Insgesamt finde ich Drehers Ideen und Ansätze nicht blöd. So sehr ich die Ideen teile, unseren Werten auch durch Entwicklungshilfe zum Durchbruch zu verhelfen (es gibt ja keinen Grund, keine Bedingungen dran zu knüpfen), so sehr bezweifle ich die Wirksamkeit des Ganzen. Vermutlich würde man mehr für Frauenrechte tun, wenn man einfach Handybesitzerinnen Geld überweist. Aber vielleicht liege ich da auch falsch. Falls sich jemand mit dem Komplex mehr auskennt, wäre ich auf Wortmeldungen gespannt.
Resterampe
a) Mir wird auf ewig unklar bleiben, wie man CDU und FDP "Wirtschaftskompetenz" zusprechen kann. (Twitter)
b) Strombetreiber loben Habeck (Bluesky).
c) Opfer der linken Kirche – und wahre Helden (Welt). Was geht bei der Welt, echt...
d) Merz will Netanyahu »unbehelligt« einreisen lassen (Spiegel). Wie auch immer sich das mit dieser Recht&Ordnung-Idee verträgt.
e) Diese Welt-Analyse zur LINKEn stimmt ziemlich mit meiner und Arianes überein. (Welt)
f) Fireside Friday, February 14, 2025 (On Grant Funding) (ACOUP)
g) Der Doppelstandard bleibt atemberaubend. (Twitter) Siehe auch hier.
h) Jeder fünfte AfD-Wähler hat ein rechtsextremes Weltbild (NTV). Sehen wir es mal positiv; der Wert hat sich nicht verändert in den letzten Jahren.
i) So eine Idiotie. (Bluesky)
j) Mehr muss man eigentlich gar nicht mehr wissen. (Twitter)
k) Madness (Kevin Drum)
l) Versteh mal noch einer die EU. (Twitter)
m) Ganz spannender Blick auf das Verhältnis von Russland und EU (tl;dRussia).
Fertiggestellt am 19.02.2025
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