Dienstag, 7. Juni 2011

Ein-Parteien-Staat?

Von Stefan Sasse

Veit Medick und Philipp Wittrock haben im Spiegel die These aufgestellt, dass der neue Atomkonsens den Ein-Parteien-Staat begründe, da die letzte große ideologische Barriere weggefallen ist. Die vier etablierten Parteien würden sich auf einen gemeinsamen Nenner berufen können, was die wichtigsten Politikfelder angeht (Auslandseinsätze, Sozialpolitik, Energiepolitik, Familienpolitik). Unterschiede bestünden nur in Details. Diese Beobachtung ist keineswegs neu, und sie ist sicher nicht erst seit dem Ausstiegsausstiegausstieg Merkels valide. Das Ende der ideologischen Konflikte ausgerechnet am Atomstreit auszurufen, hat aber eine perverse Logik und innere Gerechtigkeit in sich, legt es doch offen, dass der Aussteigsausstieg von 2010 nur eines war, Ideologie, und dass das Gerede von der drohenden Energiearmut Quatsch war. Medick und Wittrock zitieren im Artikel auch gleich einen Politikwissenschaftler, der diese Verwischung von Konturen für keine allzu schlechte Sache hält. Tatsächlich reduziert sich auf diese Art und Weise das Potential für politisch motivierten Hass; andererseits aber steigt die Gleichgültigkeit gegenüber politischen Entwicklungen und öffnet allen möglichen Extremismen innerhalb und, vor allem, außerhalb des etablierten Parteiensystems Raum.

Dass der SpOn-Artikel nur am Rande, in den letzten beiden Sätzen, überhaupt auf die Existenz der LINKEn als Gegenpartei eingeht, ist nur konsequent. Seit der Wahl 2009 hat sich die LINKE ebenso selbst zerlegt wie die FDP, nur dass die FDP mehr im Scheinwerferlicht stand. Wäre 2009 eine rot-rot-grüne Koalition gebildet worden - mittlerweile wäre sie wohl Geschichte, oder zumindest eine ähnlich lahme Ente wie Schwarz-Gelb es gerade ist. Glücklicherweise ist die Entideologisierung und Vertauschbarkeit der Parteien nicht ganz so weit vorgedrungen, wie es Medick und Wittrock überspitzt darstellen. Zwar ist es richtig, dass sich alle Parteien der Haushaltskonsolidierung verschrieben haben - aber die Vorstellung, dass je eine Partei öffentlich gefordert hätte, den Haushalt NICHT zu konsolidieren und stattdessen einfach permanent Schulden zu machen ist absurd. Wichtig ist eigentlich nur, welche Priorität der Konsolidierung im Vergleich zur Konjunkturpolitik beigemessen wird und mit welchen Mitteln die Konsolidierung erreicht werden soll. So sind Sparmaßnahmen und höhere Steuern zwei völlig andere Konzepte.

Gleiches gilt für die Energiewende und die Sozialpolitik. Ja, alle vier etablierten Parteien stehen inzwischen mehr oder weniger hinter dem Atomausstieg, aber was soll danach folgen? Hier besteht überhaupt kein Konsens und viel Raum für Profilierung. Gleiches gilt für die Sozialpolitik. Die Parteien stehen alle irgendwie hinter Hartz-IV und mäkeln nur an Details, und auch die Teilprivatisierung des Rentensystems ist eigentlich unumstritten. Hier sind die Überschneidungen in der Tat am Größten, aber mit einem geschickten Parteistrategen und einer klareren Linie ließen sich auch hier Unterschiede ausmachen, ohne dass man von diesem Gemeinschaftskonsens abrücken müsse. Noch einmal: damit ist keine Aussage gemacht, ob dieser Vier-Parteien-Konsens gut oder schlecht ist. Er ist unzweifelhaft in verschiedenen Ausprägungen vorhanden und von allen Parteiführungen derzeit auch gewünscht. Die Strategie der LINKEn dagegen scheint es zu sein, diesen Konsens auf möglichst breiter Front anzugreifen. Auch hier ist keine Wertung enthalten.

Es gibt aber, und dies übersehen Medick und Wittrock, auch andere Politikfelder, auf denen ein solcher Konsens noch überhaupt nicht besteht. Dummerweise sind es gerade diese Felder, die nur bedingt wahlkampftauglich sind. Darunter fällt etwa die Integrationspolitik, die Innere Sicherheit oder die Verkehrspolitik (Stichwort Stuttgart21). Auch die Neuordnung der Finanzmärkte fiele darunter; eine CDU-FDP-Zustimmung zu Finanztransaktionssteuern jedenfalls ist bisher nicht bekannt geworden. Auch die Ordnung des Arbeitsmarkts beinhaltet, besonders um die Streitfrage des Mindestlohns, noch zahlreiche offene Fragen, in denen sich die Parteien keineswegs einig sind.

Ich halte die Vorstellung, dass die Entideologisierung eine gute Sache per se sei, für falsch. Die Parteien müssen verschiedene Meinungen und Positionen abdecken, andererseits machen sie sich nicht nur teilweise überflüssig, sie machen auch Raum für möglicherweise schädliche Einflüsse, sei es in extremistischer Form, sei es in Form von One-Issue-Parteien, die letzten Endes die Politikfindung zu einem Roulettespiel werden lassen und eine Große Koalition der Etablierten geradezu erzwingen. So sehr ich auch begrüße, dass die CDU inzwischen eine halbwegs moderne Familienpolitik vertritt, dass sie große Schritte zum Islam gemacht hat - vermutlich sind Ausfälle wie der Friedrichs irgendwo notwendig, um Aufstiege von Parteien wie der von Geert Wilders oder der Wahren Finnen zu verhindern. Es ist ein kleines Wunder, dass wir noch keinen Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland hatten, und wenn der Preis dafür einige Stammtischausfälle von CDU-Granden sind, ist das vielleicht nicht einmal das Schlimmste. Der Aufstieg einer solchen Partei, die dann mit CDU und FDP ein Bündnis eingeht und beide scharf nach rechts drückt wäre wesentlich schlimmer und erschreckenderweise wahrscheinlich sogar mehrheitsfähig.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Vernunft und Toleranz herrschen. Eine Gesellschaft, die in der Lage ist, ohne solche Dinge miteinander auszukommen und eine gemeinsame Republik zu bilden. Leider haben wir eine solche Gesellschaft nicht. Stattdessen scheint der Trend zu sein, Intoleranz zu fördern, Abgrenzung und Hass. Liberale und sozialdemokratische Bewegungen danken überall in Europa und Nordamerika ab, werden ersetzt durch konservative oder rechtspopulistische Regierungen. Bisher ist uns dieses Schicksal weitgehend erspart geblieben. Vielleicht hat die Entideologisierung der Politik dabei geholfen, vielleicht bereitet sie erst den Weg. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir nicht sicher bin. Eines aber weiß ich: Merkels Wunsch, die "Kanzlerin aller Deutschen" zu sein, ist irreal. Eine solche Einigkeit unter der Führung gab es nicht einmal zu den Glanzzeiten der Monarchie. Eine Kanzlerin ist meist entweder für bestimmte Themen gewählt, polarisiert und wird von einem Teil der Bevölkerung genauso leidenschaftlich gehasst wie vom anderen geliebt. Oder aber sie laviert sich so in eine "pragmatische"  Beliebigkeit, dass sie den meisten Deutschen einfach gleichgültig ist. Gleichgültigkeit aber ist eine gefährliche Haltung. Gleichgültig waren die Deutschen gegenüber den Verwerfungen und Kabinettsumbildungen ihrer Republik bereits einmal, und damals bewahrheitete sich das alte Sprichwort, dass diejenigen, die sich nicht für Politik interessieren von denen regiert werden, die sich für Politik interessieren. Ich stehe lieber für etwas und verliere im Zweifel einen Kampf, als für nichts zu stehen und am Ende alles an die zu verlieren, die für das Falsche stehen.

12 Kommentare:

  1. Schöner Artikel!

    Vielleicht brauchen wir einen(n) Kanzler(in), der wieder ein wenig für irgendetwas steht und nicht für leere Worte. Was die nächste Wahl wohl bringen wird?

    Allerdings etwas OT: Deine Seite stürzt bei mir neuerdings dauernd im Firefox (und gerade auch in meinem Alternativbrowser K-Meleon) ab, wenn ich Dich über meine Feed-Liste besuchen will, oder wenn ich einen Link zu einem Artikel anklicken möchte!

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  2. Danke!

    Dein Problem ist merkwürdig; ich benutze auch Firefox und habe keine solchen Probleme.

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  3. in chrome läuft sie gut bei mir

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  4. Die Linke hat sich selbst zerlegt.


    Könntest du drei vier Punkte nennen?

    Also ich habe immer gedacht, viele haben die Linke aus Angst gewählt, Angst vor Arbeitslosigkeit und Hartz IV.

    Jetzt hat diese Angst nachgelassen.

    Und die die schon Arbeitslos sind gehen nicht zur Wahl. Sonst hätte die Linke 20% der Stimmen.

    Und es gibt natürlich viele andere Themen, Kriegseinsätze der Bundeswehr.

    Es ist eine Schande, dass man die Ärmsten zum Sterben schickt, als Soldat, als Leiharbeiter im Kernkraftwerk, als Schweißer, .....

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  5. Es ist IMHO ein Irrtum anzunehmen, dass Menschen nur nach ihrer wirtschaftlichen Situation wählen. Würden alle Arbeitslosen wählen, wäre keineswegs gesagt dass sie für die LINKE stimmten. Nein, vielmehr entscheidet über die Wahlentscheidung viel auch der Bauch. Fühle ich mich der Partei zugehörig? Fühlt sich die Wahlentscheidung richtig an? Vertritt diese Partei meine Vorstellungen?
    Obgleich die LINKE ein exzessives sozialpolitisches Forderungsprogramm hat, ist damit keine Aussage über ihre Glaubwürdigkeit bei potentiellen Wählern gemacht. Sie hat außerdem mit ihren Positionen, die in der Gesellschaftspolitik "links" zu verorten sind, bei der konservativen deutschen Grundeinstellung, die ja auch bei Arbeitslosen vorhanden ist, nicht zwingend die besten Karten.
    Die vollkommen schwachsinnigen PR-Desaster der letzten Zeit haben diese Probleme für die LINKE nur verschärft. Wege zum Kommunismus? Rechtfertigungen und Glorifizierungen der DDR? Nähe zur RAF? Viele Arbeitslose fallen leider auch in die Zielgruppe der BILD, und gerade bei diesen Themen sieht die LINKE immer sehr, sehr schlecht aus.

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  6. Die Linke hat sich nicht selbst zerlegt. Sie hat es nur nicht geschafft, einen alternativen Weg aufzuzeigen und gangbar zu machen. Stattdessen hört man von ihr nur, wenn mal wieder einer Porsche fährt, wenn Gleichstellungsbeauftragte abgesägt werden, weil sie ihren Beruf ernst nehmen, oder wenn die SPD in Berlin mal wieder die Lebenssituation verschärft und sie alles abnicken.

    Kurzum: Sie halten sich mit so vielen unwichtigen Kleinsbaustellen auf, dass das Große Ganze nicht mehr zum Tragen kommt.

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  7. Don’t confuse me with the facts.

    http://www.kof.ethz.ch/static_media/upload/filer/public/2011/04/11/abschiedsvorlesung_prof_schips.pdf

    Also ich würde schon gerne wissen, wer die Politik beratet.
    Welche Mittel dafür verwendet werden.
    Und welche Interessengruppen die Politikberatung finanzieren oder ist die Politikberatung unabhängig finanziert.

    Wenn Deutschland sich verpflichtet im rahmen der neuen europäischen Wirtschaftspolitik seinerseits Sozialleistungen und Löhne zu kürzen. Dann möchte ich doch wissen ob dies geeignete Instrumente sind die Ungleichgewichte in der EU abzubauen.

    So ist es mit dem gesunden Menschenverstand. Wer hätte gedacht das MEHR Wettbewerb zu weniger Wachstum führen kann.

    PR-Desaster. Wenn Politik sich völlig den Besitzern der Medien unterwerfen muß ist die Machtfrage doch entschieden. Warum dann also noch wählen?

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  8. @Anonym: man könnte auch sagen: wenn Medien sich völlig der Politik unterwerfen müssen...
    Mein Eindruck ist allerdings dass sich alle dem Kapital unterwerfen müssen. Was Deine Frage nach dem Sinn von Wahlen nicht beantwortet aber dennoch den Blickwinkel verändert.

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  9. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,763793,00.html

    Aus gegebenem Anlass möchte ich auf diesen Artikel hinweisen, dort kann man sehen, wer die Großspender von Parteien sind. Schöne interaktive Grafik. Sieht aus, als hätten die Quandts/von Klatten viel gespendet.

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  10. Dies alles treibt eben solche Parteien wie jetzt beispielsweise die Piratenpartei auf den Plan. Die Wahl in Berlin wird es jetzt zeigen, die werden es ganz bestimmt schaffen. Ich finde neue Ansätze klasse, allerdings was ich es zu bezweifeln das sie sich überhaupt vorstellen können wie die Umsetzung selbiger in Deutschland funktioniert. Nette Ideen haben sie ja schon. Ich würde auch gerne kostenlos öffentliche Verkehrsmittel nutzen, spart mir immerhin 500 Euro im Jahr.

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  11. Also ich denke auch, dass sich die Linke selbst zerschlagen hat und da nicht mehr viel kommen wird - vorerst jedoch. Was jedoch heftig in meinen Augen ist, ist die Piraten Partei...

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