Von Anti-Acta über den Arabischen Frühling, von Attac über Occupy bis hin zum #Aufschrei, die Protestbewegungen der letzten Dekade erreichten den Zenit ihres Erfolgs schnell und rutschten danach in den Verfall. Eine lang andauernde Protestbewegung wie etwa die Umwelt-oder Friedensbewegung der 1980er Jahre scheint es nicht mehr zu geben, so jedenfalls die These von Wolfgang Michal bei Carta. Er arbeitet acht Gründe für die Kurzlebigkeit aktueller Protestbewegungen heraus, die in sich alle stimmig sind und sicherlich dazu beitragen, übersieht jedoch den Wichtigsten und lässt sich etwas zu sehr von einem historischen Narrativ der Sieger mitreißen.
Zuerst der letzte Punkt. Dass früher alles besser war ist in der Betrachtung politischer Phänomene eine häufige Ansicht, die von vielen BRD-Nostalgikern links wie rechts gepflegt wird (ob man nun Kohl oder Brandt hinterhertrauert spielt für das zugrundeliegende Gefühl der Nostalgie keine echte Rolle). Allerdings sind die echten "Kampfzeiten" auch früher nicht so wesentlich länger gewesen: die Umweltbewegung erreicht eine breite Aufmerksamkeit nur für einen kurzen Zeitraum, der mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag fast schon wieder endete, während die Friedensbewegung vor allem zwei Hochphasen kennt: Adenauers Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren und den NATO-Doppelbeschluss 1979 und seine spätere Implementierung 1983 (wo man schon fast von zwei getrennten Protesten sprechen kann). Auch der heiße Herbst der DDR-Protestbewegungen währte kaum ein halbes Jahr; bereits im März 1990 war fast nichts mehr übrig. Dagegen ist die Piratenpartei geradezu ein Langzeitphänomen.
Kommen wir nun zu Michals eigentlichen acht Thesen. Sie sind, wie eingangs erwähnt, allesamt ehrenhaft und richtig. Richtig widersprechen möchte man nur wenig. Ja, der Medienkreislauf ist kurzfristiger und atemloser. Ja, anarchischer Pluralismus und Basisdemokratie-Utopien erschöpfen die Bewegungen schnell, siehe Piraten, die machen das in Reinkultur vor. Etwas fragwürdig ist nur die These, dass frühere Protestbewegungen eher ein Alternativ-Modell darstellten, eine andere Lebensform, als es heutige Protestformen tun. Ich halte das gleich doppelt für einen Irrtum. Denn einerseits war der Kern dieser Proteste zwar von einer alternativen Community getragen worden (wie etwa der grünen Klientel oder der sozialistischen/kommunistischen Zellen), aber Erfolg feierten sie nur in den kurzen Momenten, in denen sie breite Bewegungen wurden, weil die Bürger der Mittelschicht sich anschlossen (man denke nur an die hunderte von Kilometer langen Lichterketten oder die hunderttausend zählenden Ostermärsche). Als diese sich zurückzogen, starben auch die Protestbewegungen wieder ab. Zum anderen werden auch die heutigen Proteste von einer alternativen Community getragen. Nur, und das ist neu, von der gleichen: Es sind wie immer die Jungen, die gut vernetzten, die Gebildeten. Sie tragen alle diese Bewegungen gleichermaßen und entzünden sich je nach Lage und Interesse.
Zuletzt verkennt Michal meiner Meinung nach, dass noch ein wichtiger Faktor zwischen den "alten" und "neuen" Protestbewegungen liegt, der zur Kurzlebigkeit der modernen Bewegungen maßgeblich beiträgt: Es ist ihr eigener Erfolg. Die modernen Protestbewegungen erzielen wesentlich früher Erfolge, als dies ihre Vorgänger aus der "alten" BRD vermochten. Der #Aufschrei brauchte keinen Tag, um sein Habitat der kleinen Gemeinschaft zu verlassen, hitzig mit Pro und Contra in den Leitmedien diskutiert zu werden und massiven Druck auszuüben. Attacs Kapitalismuskritik ist in verschiedenen Abstufungen längst Mainstream. Der arabischen Frühling ließ die Autokratien zusammenstürzen wie morsche Bretterbuden (mit der Ausnahme Syriens). Die Acta-Proteste ließen das Gesetz sofort in der Schublade verschwinden. Die lange Dauer der alten Protestbewegungen, wenngleich in wesentlich kleineren Kernzellen als Michal dies anerkennt, lebte auch vom hartnäckigen, andauernden Widerstand der jeweiligen Gegenkräfte, vor allem der CDU/CSU. Wie lange bot diese eine eiserne Wand, gegen die jeder Atomprotest rannte! Vergleicht man das mit dem Einknicken 2011 wird deutlich, was sich verändert hat. Die Protestgruppen erreichen teils innerhalb von Tagesfrist ihre Ziele.
Natürlich kommt hier Michals andere These zum Tragen: Die Protestbewegungen haben keine Chance gegen die organisierten und gut finanzierten Gegenbewegungen ihrer Gegner. Das erklärt nämlich ihr mittelfristiges Scheitern. Die gleichen Kräfte, die sie kurzfristig zu einem schnellen Sieg schwemmen sorgen dafür, dass ein nachhaltiger Erfolg umso schwerer zu erreichen ist. Frühere Protestbewegungen mussten Plattformen in den etablierten Parteien einrichten oder eigene gründen (was nur einmal gelang). Heutige müssen das nicht mehr, und der Erfolg ihrer eigenen Parteigründung, der Piraten, bleibt abzuwarten. Stattdessen übernehmen die etablierten Parteien die Positionen selbst und schwächen sie so ab oder neutralisieren sie. In dieser wechselseitigen Dynamik sind Erfolg, Misserfolg und Verweildauer moderner Protestbewegungen zu suchen.
Die Kurzlebigkeit der Empörungs-Bewegungen ergibt sich auch daraus, dass viele offenbar glauben, mit dem schnellen Erreichen von “primären Zielen” schon das Wichtigste erreicht zu haben. Das ist der Denkfehler in deiner Kritik. Mit dem Sturz Mubaraks war eben noch nicht viel erreicht. Mit dem Anschwellen des Twitterstroms für drei Tage beim #aufschrei war auch nichts außer Aufmerksamkeit erreicht (Brüderle wird übrigens heute gefeiert). Mit dem Auftritt Ponaders bei Jauch oder den Weisband-Elogen bei SpiegelOnline glaubten die Piraten, sie seien angekommen. Diesen Irrtum, mit dem Erreichen von ein paar Primärzielen sei schon alles erreicht, könnte man jetzt weiter durchdeklinieren…
AntwortenLöschenWir müssten jetzt wohl genauer definieren, was du unter "Erfolg" verstehst. Ich verstehe darunter politisch nachhaltige Veränderungen, nicht symbolische Rücktritte oder gesteigerte Wahrnehmung durch etablierte Institutionen.
Das ist genau was ich im Artikel mit kurz- und mittelfristig anspreche. Die Bewegungen erzielen einen schnellen Erfolg und werden von gutorganisierten Gegenkräften danach neutralisiert. Trotzdem, ich würde sagen dass die Protestbewegungen definitiv mehr Einfluss haben als dies noch vor 30 Jahren der Fall war.
Löschenstefan,
Löschenauch wenn ich jetzt die altherrenkarte ziehe: aus erfahrung und langjähriger beobachtung des landes heraus: wolfgang hat recht und du bist übereilt optimistisch.
wenn ich etwas in den letzten 20 jahren beobachtet habe, dann den triumph des "wind aus den segeln nehmens", gerade die merkelsche ist die gottkönigin dieses wüsten planeten des "so als ob". und das paradebeispiel nennst du selbst - fukushima.
jetzt können zwar alle cduler so tun, als sei man in der cdu gegen die akws, aber ... nun ja,im grunde sind können sie halt nur so tun und ungeniert weitermachen wie vorher ,,,
kommt es zum schwur, tja, dann gibt es leider, leider, leider technische probleme ...
mittlerweile sind die in der cdu sogar "für sie menschenrechte" (wenn man über china herziehen kann, prima sache), haben nix gegen schwule ("naja, schrille minderheit") etc etc
diese abwiegelstrategie funktioniert hervorragend. selbst du glaubst ja schon daran gewonnen zu haben, wenn sich "aufschrei" an tag2 prima medial zweit und drittverwerten läßt.
gewonnen? nope verarscht - den bewegungen wird vorgegauckelt, sie hätten gewonnen, ihr ziel erreicht ... dabei wird nur die AHDS des publikums ausgenutzt thema ist morgen durch, nächstes bitte.
funktioniert gerne im recycling.
ich denke, du bist da einfach auf einen seit 2 jahrzehnten gängigen tascchenspielertrick reingefallen, der "hartnäckige, andauernde Widerstand der jeweiligen Gegenkräfte" ist schlicht dem "ach, ihr habt ja sooooo recht, geht mal nach hause, wir regeln das schon" (und machen weiter wie bisher, blödi ,,,) gewichen.
aber: denkfehler von euch beiden - nur weil etwas aus den medien raus ist, ist es nicht weg. der arabische frühling, occupy etc. verändern a la longue lebenswelten, sozilalisieren menschen.
den rest macht die evolution ...
Du missverstehst mich. Meine Aussage ist, dass der hauptsächlich Faktor für die Kurzlebigkeit der scheinbare schnelle Erfolg ist, den es kurzfristig gibt, der aber langfristig oft fehlt - weil aus den von Wolfgang genannten Gründen keine langfristige Motivation möglich ist.
Löschenah, ich hatte so den eindruck, du kaprizierst dich auf dieses projezierte "schon klar in der g.a.z war alles besser" . war es - was die bewegungen angeht vor allem deshalb, weil es eben nichts anderes gab, keine compis, keine dvds. das hielt die leute länger beisammen, wie auch die tatsache, daß es mehr ein "DIE" und "WIR" gab.
Löschennach dem tribalism der 90er ist davon nicht mehr viel übrig. heute leiden jüngere ja eher unter so etwas wie einer postmodernen selbstverortungsschwäche- und es schwrirrt einem ja völkisches entgegen, macht auf hip und will nen echo.
ich wäre da auch desorientiert ... heute weiss ja im grunde niemand mehr, wer "DIE" sind - geschweige denn man selbst, klar man ist "gut", will das "richtige" und lebt mit der erkenntnis, daß das schon "der fehler " sein kann.
und wie gesagt; dieser "erfolg" existiert nur in der illusion. er ist nicht "nachhaltig", er ist die kirsche, die man rüberreicht, um ungeniert den kuchen futtern zu können.
ich hatte deinen text so verstanden, daß du den erfolg für einen solchen, wenn auch nur kurzfristigen hälst. dein aufschrei beispiel klang danach.
Danke euch beiden für diese Artikel - ein schöner Fall von Ideenaustausch im Netz.
AntwortenLöschenAber, wie schon Alexandra in den Carta-Kommentaren ( http://carta.info/55298/warum-sind-moderne-protestbewegungen-so-kurzatmig/#comment-38323 ) , frage ich: was können wir (z.B. "wir Piraten") anders und besser machen, damit auch aus unserem "Lebensabschnittprotest" mal irgendwann eine echte gesellschaftlich ernst zu nehmende Macht wird?
Das Gleiche wie die Grünen auch: erwachsen werden. Einige Ideen klingen auf dem Papier gut, sind aber in der Praxis einfach undurchführbar.
LöschenErwachsen werden sit auch so ein schön dehnbarer Begriff...^^ Die Piraten kranken u.s. daran, dass sie zu schnell groß geworden sind und typische Karrieremenschen - wie ein Fischer bei den Grünen - das Ruder übernommen haben. Leider hat die Basisdemokratie, welches eigentlich als Korrektiv gedacht war, versagt. Das liegt aber vor allem daran, dass die Piraten ihr Versprechen von der digitalen Basisdemkratie nicht einhalten konnten (es gibt immer noch kein akzeptiertes Abstimmungstool) und sich dann auf den analogenen Wegen verirrt haben (siehe Bochum).
LöschenWo siehst du denn die Karrieremenschen am Ruder? Ich würde eher sagen, ein Joschka fischer fehlt denen.
LöschenSchlömer und Nerz, die beide weg von der Basisdemokratie hin zu (ihren) "Köpfen" wollen.
LöschenDas Fischer die Grünen zu einer ethablierten Partei geführt hat, die auch heute - gemessen am Wählerzuspruch - Erfolg hat ist unumstritten. Aber worin unterscheiden sich die Grünen heute noch von den anderen Parteien? Insofern ist das ein Erfolg ohne Inhalt.
Würde ich so pauschal wie es hier steht bestreiten. Dieser nicht mehr so scharfe Unterschied ist ein gutes Zeichen: würden sich die Grünen immer noch so radikal von den anderen Parteien unterscheiden wären sie krass radikalisiert gegenüber 1983. Heute sind Umweltministerien und Umweltpolitik die Norm - ein Erfolg der Grünen. Die anderen sind auf die Grünen zugerückt, und die Grünen auf sie. Das ist ein normaler Prozess.
LöschenSchöner Artikel. Ich denke auch, dass gerade der arabische Frühling ein gutes Beispiel ist. Also zunächst mal kann man hier wohl kaum von einem Misserfolg sprechen, schließlich wurden innerhalb kürzester Zeit drei Regime gestürzt, Syrien in einen Bürgerkrieg gezogen und in vielen anderen Regimes soviel Panik verbreitet, dass schnell Reformen eingeleitet wurden. Klar ist in diesen Ländern nun nicht alles toll, aber ich würde hier sogar von einem durchschlagendem Erfolg sprechen. Das ging allerdings so schnell, dass vorher keine Strukturen ausgebildet werden konnten und nach dem Erreichen der Primärziele ist es nur logisch, dass der Protest zerfällt, weil einige zufrieden sind und der Rest in verschiedene teils konträre Richtungen driftet. Aber natürlich gibt es trotzdem nachhaltige politische Veränderungen, die gehen natürlich nicht so schnell und so aufsehenerregend wie ein Diktator, der sich in ein Flugzeug setzt. Deswegen würde ich dem arabischen Frühling aber keine Verpuffung andichten. Da würde ich denn schon eher nach den Erwartungen fragen.
AntwortenLöschen"Die modernen Protestbewegungen erzielen wesentlich früher Erfolge, als dies ihre Vorgänger aus der "alten" BRD vermochten. Der #Aufschrei brauchte keinen Tag, um sein Habitat der kleinen Gemeinschaft zu verlassen"
AntwortenLöschenSind twitter-shitstorms jetzt schon eine Protestbewegung?
Wolfgang Michal weist im ersten Kommentar auch auf die unklare Verwendung des Begriffes "Erfolg" hin. Hier geht doch einiges durcheinander.
Richtig ist eher, dass große Unternehmen, Konzerne und Ministerien heute professionelles Monitoring betreiben, PR-Soldaten beschäftigen und überall ihre "Wissens-Spione" haben und demzufolge schnell an neue Informationen gelangen, um adäquat reagieren zu können. Was hier geschieht ist die übliche verlogene "Umarmungsstrategie", ohne dabei die eigenen Interessen aus den Augen zu verlieren.
Was heißt denn erwachsen werden? Das was die Grünen attraktiv machte, zumindest für mich, waren Grundsätze wie gewaltfrei, basisnah etc.
AntwortenLöschenJetzt sind sie erwachsen und was war u.a. der Preis, dass ein "Realo" wie Fischer Jugoslawienkrieg rechtfertigte,mit übrigens verwerflicher Argumentation unter Rückgriff auf Ausschwitz. Dass wir heute einem Phänomen wie Herrn de Maiziere gegenüberstehen haben wir u.a. dem Erwachsenwerden der Grünen unter Fischer zu verdanken. Das kann´s ja wohl nicht sein.
Ja und Nein. Das Auschwitz-Argument war tatsächlich völliger Humbug, und dafür hat er auch völlig zurecht auf die Mütze bekommen. Und die Grünen haben eine größere Basisnähe als andere Parteien. Nichtsdestrotz sind viele Ideale selbstverständlich nicht in Reinform übrig geblieben. Das ist einem auf Kompromiss gebauten System auch nicht möglich. Dass die Grünen vom Pazifismus inzwischen reichlich wenig halten ist allgemein bekannt, aber es scheint die Wähler nicht wirklich zu stören.
LöschenProtestbewegungen sind heute überwiegend Strohfeuer, die in einer Zeit des Kampagnenjournalismus zur Simulation von Demokratie medial verheizt werden, bevor sie dann wieder in der Versenkung verschwinden. Meist kritisieren die durchaus ernst gemeinten Proteste bestimmte Symptome eines kranken Systems, auch wenn die einzelnen Teilnehmer eigentlich die zu Grunde liegenden Probleme kritisieren möchte. Die wenigen Proteste, die sich von vorne herein gegen Grundsätzliches wenden, werden vorsichtshalber durch Lächerlichmachung oder Ignorieren neutralisiert. In einer Zeit von privater Mediendominanz und den von karrierefixierten Kleinbürgern besetzten öffentlich-rechtlichen Medien werden Proteste niemals genug kritische Masse erreichen, um etwas zu bewegen. Selbst bei scheinbar wunderbaren Einzelfällen wie den Montagsdemos der DDR, dem arabischen Frühling oder den weisen Worten des Dalai Lama darf man getrost fragen, ob diese Widerstände ohne die Unterstützung durch fremde Geheimdienste überhaupt möglich gewesen wären oder sind.
AntwortenLöschenNaja, wenn Protestbewegungen den von dir scheinbar gewünschten durchschlagenden Erfolg hätten, würden sie demokratische Prozesse aushebeln. Das kann ja auch nicht im Sinne des Erfinders sein.
LöschenSelbstverständlich müssen sich auch Protestbewegungen im Rahmen demokratischer Vorgaben bewegen, es war keine Rede davon, dass dieses nicht so sein soll. Das Problem ist ein anderes, nämlich dass Proteste zunehmend weniger Einfluss auf die Meinungsbildung haben, weil verhindert wird, dass sich eine kritische Masse bildet, auch im wahrsten Sinne des Wortes. Dadurch laufen Protestbewegungen mittelfristig immer ins Leere und verkommen zur reinen Demokratiesimulation. Darum ging es.
LöschenDie Proteste haben sehr viel Einflus auf die Meinungsbildung, aber dieser Einfluss transferiert sich nicht auf einen Einfluss auf der Ebene praktischer Politik.
LöschenJa, da stimme ich zu. So ist es besser formuliert.
LöschenErfolgreiche Bewegungen sind nur möglich durch
AntwortenLöschen1) massive, langfristig angeleget und, politisch wie finanziell gesicherte externe Unterstützung (wie bei den vom US-Imperium durchgeführten "Blumen" und "Farb"-Revolutionen in Osteuropa) oder
2) durch den von Herrn Michal erwähnten ersten Punkt: das theoretische Rüstzeug. Lenins alter Spruch "Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis" besteht gerade an all den diskutierten Fällen den Praxistest: Alle Kräfte waren nicht willens oder in der Lage, gesellschaftliche Strukturen wahrzunehmen.
Ohne den Kompass dieser Struktur können aber neue Informationen oder Einflüsse nicht zielgerichtet aufgenommen und verarbeitet werden. Occupy hat auf einer Demo, auf der ich auch war, ebendie Ablehnung eines solchen Kompasses laut gefeiert - ohne zu verstehen, dass dies dem Todesurteil der Bewegung gleichkommt.
MfG, Stephan
"Occupy hat auf einer Demo, auf der ich auch war, ebendie Ablehnung eines solchen Kompasses laut gefeiert - ohne zu verstehen, dass dies dem Todesurteil der Bewegung gleichkommt."
LöschenDas finde ich sehr einleuchtend. Ohne Leitgedanke ist es nur Anarchie.
Das ist das Problem, wenn alles in Zweiergrüppchen aufgeteilt wird, wie links oder rechts, konservativ oder progressiv. Dann bleibt nämlich für manche Schlichtdenker nur Polizeistaat oder Anarchie, und sie entscheiden sich lieber für Anarchie. Das alte 68er-Problem sozusagen. Und in 20 Jahren sind dies dann oft genau die Nutznießer des kritisierten Staates, in teilweiser Analogie zur heutigen 68er-Generation. Der Shitstorm kann beginnen, danke.
Pardon, Herr Sasse, Sie irren.
AntwortenLöschen"Die modernen Protestbewegungen erzielen wesentlich früher Erfolge, als dies ihre Vorgänger aus der "alten" BRD vermochten. Der #Aufschrei brauchte keinen Tag, ... Attacs Kapitalismuskritik ist ... Der arabischen Frühling ließ ... Die Acta-Proteste ließen ..."
Man muss schon betriebsblind sein, um die Zustände zu verkennen. Ja, alle Beispiele erzielten Aufmerksamkeit. Mehr aber auch nicht.
Der #Aufschrei ist Schnee von gestern, mit Ausnahme des Umstands, dass sich die Männer mal wieder von Amazonen angegriffen und die Frauen von den Steinzeitkerlen missverstanden fühlen - und dass sogar selbstbewusste Frauen den #Aufschreienden einen Vogel zeigen.
Über Attacs Kapitalismuskritik wird geredet. Politische Paradigmen haben sich bisher nicht geändert - im Gegenteil, die Unterschicht säuft immer weiter ab und wird gleichzeitig immer breiter. Nicht nur in Deutschland.
Der arabische Frühling veränderte nur die Namen und den Freundschaftsgrad zu Israel und den USA. Für die Menschen in den betroffenen Ländern hat sich nichts geändert, was man am besten in Ägypten sieht. In Bahrain, im Jemen und in Saudi-Arabien wurden die Proteste gar niedergeknüppelt, und mindestens einem dieser Länder will Deutschland als Strafe dafür auch noch Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 verkaufen.
Und was Acta angeht: Das wurde beerdigt - dafür finden sich die Positionen von Acta jetzt aufgeteilt in IPRED, TPP und CETA wieder. WELCH EIN ERFOLG! (Kleiner Tipp: Bevor Sie über Netzpolitisches schreiben, lesen Sie lieber netzpolitik.org...)
Ja, die Proteste haben Aufmerksamkeit erreicht. Wirkung hatten sie nicht. Und das ist das Hauptproblem: Früher gab es zumindest eine Lobby für die großen Anliegen. Die Anti-Atomkraft-Bewegung schob die Grünen an, die Frauenbewegung fand Anerkennung und politische Unterstützung in der sozialliberalen Koalition. Das kann Attac nicht von sich behaupten. Das können auch die Netzpolitik-Affinen nicht von sich sagen - siehe IPRED, TPP, CETA oder auch das unsägliche Pseudogrüppchen namens "Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft", aus der außer heißer Luft nichts herauskam. Die Gegner von Stuttgart 21 haben keinen politischen "Arm". Und nein, die Kernanliegen der Proteste in Arabien sind auch in keinster Weise umgesetzt. Ich bezweifle auch, dass sie es je werden.
DARIN liegt der eigentliche Grund für die Kurzlebigkeit: Das Protestieren öffnet ein Ventil, aber der Schrei verpufft an der Ignoranz der Politik. Der Proteststurm zieht vorüber, und die Politik macht Business as usual. Vor allem deshalb, weil selbst die angebliche Opposition nicht mehr dafür empfänglich ist - die ist dafür zu konservativ. Oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Finanzwirtschaftsentfessler Steinbrück als politischer Arm von Attac oder sogar der Occupy-Bewegung? Oder Frank-Walter Steinmeier als letztes Gesicht der Agenda 2010 als Anwalt der Unterschicht? Wie viele Paralleluniversen muss man entdecken, um einen Ort zu finden, an dem diese Vorstellung nicht mehr lachhaft wirkt? Gibt es überhaupt genug Wasserstoffatome auf der Welt, um so viel Alkohol herstellen zu können?
Aufmerksamkeit ist nichts wert. Mit Aufmerksamkeit hat man noch nichts erreicht.
Wenn man mitten auf der Straße steht, ist es völlig egal, ob der heranrauschende Autofahrer einen sieht. Erst wenn er den Wagen vor einem zum Stillstand kommt, hat man etwas erreicht.
Die Politik hingegen - siehe Stuttgart 21, siehe Elbphilharmonie, siehe BER, siehe TPP, IPRED und CETA, siehe die Muslimbrüder in Ägypten, siehe Ahmed ibn Abd al-Aziz in Saudi-Arabien, siehe Dobrindt zum Thema Gleichstellung homosexueller Paare, siehe Leistungsschutzrecht für Presseverlage - tritt aufs Gaspedal und fährt alle, die im Weg stehen, über den Haufen...
DAS ist der Grund für die Kurzlebigkeit von Protestwellen: Weil sie irgendwann das Gefühl haben, ohnehin nichts erreichen zu können.
Das bringt es gut auf den Punkt!
LöschenIm Übrigen, nicht nur die Politik macht nach "Aufschreis", Kampagnen, shitstorms usw. business as usual, auch die Wirtschaft und die Medien. Ob Tierquälerei, Lebensmittelskandale, Betrug, Affären, Korruptionen etc. - solange Profit zu machen ist - und solange nach zwei Wochen wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, d.h. das alte Thema vergessen ist - wird weiter gemacht wie bisher.