Teil 1 findet sich hier.
Besonders beeindruckend ist in diesem
Zusammenhang auch die in der zweiten Folge dargestellte Schlacht um
Kursk, die für Friedhelm und Wilhelm zu einer Wasserscheide wird.
Wilhelm, von einer Panzerfaust temporär außer Gefecht gesetzt, zerbricht
innerlich unter dem Druck, seine Männer für völlig sinnlose Ziele in
den Tod führen zu müssen und desertiert, während Friedhelm den letzten
Rest seiner einstigen Ideale über Bord wirft und schreiend, angetrieben
vom scheinbaren Tod seines Bruders, das Ziel mit der Maschinenpistole in
der Hand faktisch im Alleingang erobert - um dort weinend
zusammenzubrechen, als er erkennt, für welch sinnloses Ziel die
Kameraden um ihn herum gefallen sind. Seine Konsequenz ist genau das
Gegenteil von Wilhelm. Wo der einstige Karrieresoldat, stets seine
Pflicht tun, nun von Zweifeln völlig übermannt ist und den Entschluss
fasst, aus dem Krieg auszusteigen (auch um den Preis seiner eigenen
Vernichtung), wandelt sich Friedhelm zum "perfekten Soldaten", der tut
was man ihm sagt und nicht darüber nachdenkt, ob es nun das Erschießen
von Bauernmädchen oder Hängen ihrer Mütter und Väter ist. Ohne mit der
Wimper zu zucken arbeitet er mit dem SS-Mann zusammen, den er in der
ersten Folge am liebsten noch umgebracht hätte, als er mit der
ukrainischen Hilfspolizei Juden tötete. Seine völlige Entmenschlichung
wird offenkundig, als er bei der Partisanenbekämpfung plötzlich Auge in
Auge Viktor gegenübersteht und man nicht sicher sein kann, ob er
schießen wird oder nicht.
Greta und Viktor |
Während
die Männer dem Grauen der Front direkt ausgesetzt sind, zeigt es sich
für die beiden Frauen indirekter. Greta prostituiert sich mit einem
Gestapo-Mann, um Viktor falsche Papiere zu besorgen und zerstört darüber
die Beziehung. Im Gegenzug wird sie der Star, der sie so lange werden
wollte. Sie wird arrogant und eingebildet und verliert jeden Blick für
die Realitäten, bis sie zurückgelassen im selben Feldlazarett strandet
in dem ihre Freundin Charlotte ihre Illusionen längst verloren hat.
Charlotte, das Nesthäkchen der Gruppe, denunziert in ersten Folge noch
willig eine jüdische Hilfsärztin, ohne nachzudenken, weil es genau das
ist, was die angeblich aus dem Film ausgesparte Nazi-Sozialisation mit
den Menschen gemacht hat. Am Ende des Films riskiert sie ihr Leben für
die Rettung einer anderen russischen Hilfsschwester, wird beinahe von
russischen Soldaten vergewaltigt und arbeitet für die Rote Armee, ehe
sie nach Deutschland zurückkehrt. In beiden Frauen bringt der Krieg das
schlechteste hervor, und beide reifen über die Erfahrung und riskieren
ihr Leben, um den Fehler nicht zu wiederholen. Greta wird es darüber
verlieren, ein letztes Kriegsopfer, erschossen nur Tage vor der
Kapitulation wegen Defätismus. Das Frauengefängnis, in dem sie sich befindet, ist eine wahre Hölle der Eintönigkeit und Hoffnungslosigkeit. Monate gehen ins Land ohne eine Nachricht von außen, ohne zu wissen was passieren wird, ohne Urteil und ohne Strafe. Irgendwann geht die Zellentür auf, man wird hinausgebracht und erschossen.
Einzig Viktor geht ohne psychische Narben
aus seinen Taten hervor, aber auch er hat alles verloren: in einer
ungeheuer sensiblen Darstellung des Holocaust muss er feststellen, dass
seine alte Wohnung mittlerweile von ausgebombten Deutschen bewohnt wird;
von seinen Eltern gibt es keine Spur mehr. Die neuen Bewohner dagegen, die sich noch darüber beklagen, dass die Juden nicht ordentlich geputzt haben, bevor sie "weggezogen" sind und bemerken, dass immerhin die Möbel brauchbar waren, stellen das Gesicht der hässlichen Deutschen in ihrem Alltags-Antisemitismus dar, ohne dass es dazu der Karikatur bedürfte, die solche Gestalten in anderen Filmen allzuoft werden. Als Viktor seiner Familie nachspüren
will, sitzt am Behördenschreibtisch jener Gestapo-Mann, der ihn in den
Zug nach Auschwitz brachte und seine Freundin hinrichten ließ, und die
Amerikaner wissen es und belassen ihn doch dort, weil seine Expertise
brauchen. Alles ist anders, und doch nichts, und als er in das Trümmerfeld der Bar zurückkehrt, in der 1941 mit seinen vier Freunden Abschied feierte, scheint er ein gebrochener Mann.
Ambivalenzen
wie diese durchziehen den gesamten Film und regen zum Nachdenken und
zur Reflexion an. Leider, und hier kommen wir zum Scheitern des Films,
war den Produzenten beim ZDf, vielleicht auch dem Regisseur und
Drehbuchschreiber selbst, das Konzept schon risikoreich genug, so dass
das Drehbuch an vielen Stellen bewusst harmlos und auf der sicheren
Schiene gestaltet wurde. Viele Nebencharaktere sind bestenfalls
holzschnittartig dargestellt (hier finden sich endlich die karikaturesk
bösen Nazis, die alle nur schlechten Sex haben und/oder dumm sind), und
vor allem die Dialoggestaltung ist wesentlich zu explizit geraten. Es
gibt ein wichtiges Prinzip beim Geschichtenerzählen: show,don't tell. Sachverhalte müssen durch die Geschehnisse deutlich werden. Wann immer ein Schauspieler in character etwas erklären muss, wird man aus der Immersion der Geschehnisse herausgerissen, die mit so viel Aufwand angestrebt wird.
Wilhelm Winter im Schützengraben |
Mindestens
einmal pro Episode spricht ein Charakter das Motto des Films direkt an
die Zuschauer gerichtet aus: "Der Krieg bringt nur das schlechteste im
Menschen hervor". Es hätte dem Zuschauer durchaus zugetraut werden
dürfen, diesen Schluss für sich selbst zu ziehen, denn die Handlung und
die Bilder geben es problemlos her. Solche Situationen finden sich immer
wieder. Selbst in den Gefechten verzichten Soldaten immer wieder auf
Zeichensprache um eindeutige Befehle zu brüllen, damit der Zuschauer
weiß als nächstes passiert (im Häuserkampf ein an Selbstmord grenzendes
Verhalten), anstatt es einfach zu zeigen und darauf zu vertrauen, dass
der Zuschauer es schon verstehen wird. Die auf den
direkt-dabei-sein-Effekt ausgelegte Wackelkamera macht das
Nachvollziehen der taktischen Situation ohnehin obsolet, und die
Soldaten haben den Einblick ja selbst nicht. Warum also überhaupt
versuchen, ihn dem Zuschauer zu geben? Auch die Dialoge leiden unter
diesem Problem. Viel zu häufig reden die Charaktere viel zu viel über
das, was sie tun, anstatt es einfach zu machen. In den gleichen Problemkomplex gehört die Druckreife, die die Dialoge öfter erreichen und sie steif und unnatürlich erscheinen lassen. Es ist ein plötzliches Aufblitzen einer geschliffen formulierten Reflexionsreife, die sonst überhaupt nicht zu finden ist und wie ein Fremdkörper wohnt, offensichtlich ans Publikum und nicht an andere Charaktere gerichtet.
Dramaturgisch
aber erweist sich die scheinbare Unsterblichkeit der Hauptfiguren als
größeres Problem. Dass Friedhelm an Ende der ersten Folge überleben
würde war noch relativ klar; der Cliffhanger eher Routine. Als er aber
den Brustschuss am Ende der zweiten Episode überlebte und Wilhelm
gleichzeitig aus dem Hexenkessel von Kursk entkam, wurde die
Glaubwürdigkeit bereits deutlich strapaziert. In der dritten Folge
häuften sich dann die Zufälle, die die Charaktere überleben ließen. Die
Ursache für diese Glaubwürdigkeitsprobleme liegen in zwei Ursachen
begründet. Die erste ist die im Verhältnis immer noch geringe Dauer des
Films mit dreimal 90 Minuten, die es angesichts des ambitionierten
Zeitrahmens - von den Eröffnungsschlachten 1941 bis zur Niederlage 1945 -
nicht erlauben, viele Nebenfiguren zu entwickeln. Deren Fehlen aber
macht es nicht möglich, Charaktere sterben zu lassen, die dem Zuschauer
etwas bedeuten, wodurch das Überleben der Hauptfiguren bis in die
letzten Filmminuten wenig glaubhaft erscheint. Man denke im Vergleich an
"Im Westen nichts Neues", wo eine ganze Reihe von Figuren am Ende auf
zwei herabschmilzt, oder "Band of Brothers", wo wesentlich mehr
Erzählzeit auf weniger erzählte Zeit kommt und so mehr Raum für
menschliche Dramen abseits der Hauptfiguren lässt, so dass wir ein
besseres Gefühl für das Ganze bekommen. Es wirkt deswegen etwas bemüht, wenn in den letzten zehn Filmminuten noch schnell Greta und Friedhelm sterben müssen, obwohl es für ihre Charakterentwicklung durchaus passend ist (dass überhaupt einer der Charaktere überlebt ist schon ein Wunder). Auch scheinen die Filmemacher vor manchem Grauen bisweilen zurückzuschrecken, wenn etwa Charlotte vor der drohenden Vergewaltigung durch eine russische Offizierin gerettet wird, die sie gut behandelt und dies vor Untergebenen damit begründet, ein "neues Deutschland" aufbauen zu wollen.
Greta und Charlotte bei einem Frontauftritt Gretas |
Aus
dieser Problemstellung resultiert das zweite Problem: da man beim ZDF
offensichtlich nicht risikobereit genug war, die insgesamt fünf
Handlungsstränge unabhängig voneinander zu entwickeln - was das Publikum
stark herausfordert - ließ man die Figuren sich immer wieder begegnen,
was relativ schnell ebenfalls zu Verrenkungen in der Glaubwürdigkeit
führt. Es sind diese dramaturgischen Probleme in der Serie, die "Unsere
Mütter, unsere Väter" das Ziel einer Vergleichbarkeit mit den
amerikanischen Vorbildern verfehlen lassen, aber sicherlich nicht die
grundsätzliche Struktur innerhalb der Geschichte. "Unsere Mütter, unsere
Väter" könnte, seiner moralischen Keule und seiner selbst auferlegten
dramaturgischen Beschränkungen entkleidet, noch wesentlich mehr sein als
es aktuell ist, und es ist bereits jetzt ein halbes Wunder, wenn man
die Produktionen der letzten Dekade auf diesem Feld bedenkt. Ich würde
gerne mehr solche Produktionen sehen und weniger "Die Flucht", "Die
Luftbrücke" und ähnliche Schmonzetten. Fernsehen kann spannend sein und
zum Nachdenken anregen, und "Unsere Mütter, unsere Väter" hat gezeigt,
dass auch Deutschland auf diesem Feld mitspielen kann. Wenn noch etwas
mehr Risikobereitschaft bei den Produzenten zu finden wäre, die sich
dank der Gebührengelder ohnehin nicht um die Quote sorgen müssen, dann
wäre viel auf dem Weg zu einer echten historischen
Vergangenheitsbewältigung im Fernsehen getan, ohne dass man das Projekt
künstlich zur Bühne einer Generationenverständigung erklären müsste.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.