Donnerstag, 31. August 2023

Der Economist plädiert für den Bürgerkrieg zwischen Lizzo und Sahra Wagenknecht im Kabelfernsehen - Vermischtes 31.08.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) The Problem With Fox News Goes Way, Way Back

Die heutige US-Kabelnachrichtenbranche ist ein warnendes Beispiel dafür, was passiert, wenn Demokratie auf Konsumismus trifft. CNN, MSNBC und Fox News erzielten jahrelang Gewinne, während sie auf unterschiedliche Weise parteiische Zwietracht schürten. CNN setzte ab 2015 auf Donald Trump, dessen Präsidentschaft alle drei Sender unterstützte. Nun erlebt CNN eine Krise nach einem Besitzerwechsel und dem Abgang von Präsident Chris Licht. Fox News verstärkte nach der Wahl 2020 falsche Behauptungen über Wahlunregelmäßigkeiten und beglich eine Verleumdungsklage von Dominion Voting Systems über 700 Millionen Dollar. Mit dem Anstieg von Kabelfernsehabonnenten entfällt die Einnahmequelle der Kabelunternehmen für die Sender. Die Suche nach Geld gefährdet die Investition in tiefgründigen, faktischen Journalismus. Die Krise der Kabelnachrichten ist nicht neu. Bereits vor Gründung von Fox News oder CNN gab es Entscheidungen zur Medienentwicklung: Sollte die Regierung strikte Regulierung zur Förderung informierter Bürger verfolgen oder Kabel als profitgetriebene Industrie gestalten? Richard Nixon entschied sich für Letzteres. Die Medienlandschaft unterlag stets den Vorgaben der Regulierer. Nixon förderte Kabel, um Netzwerk-Nachrichten zu unterminieren. Sein Motiv war neben freiem Wettbewerb die Kontrolle seines Medienimages. Kabellobbyisten beeinflussten die Gesetzgebung wenig zugunsten der Gemeinschaftsbildung. Technologien wie C-SPAN und Fox News zeigten unterschiedliche Auswirkungen. C-SPAN ermöglichte Bürgern Einblick in die Politik, während Fox News auf Unterhaltung und Konservatismus setzte. Trotz Rückschlägen behält Fox eine zahlungskräftige Zuschauerschaft. C-SPAN hingegen steht durch sinkende Kabelfernsehabonnenten vor einer Krise. Die Geschichte der Kabelindustrie verdeutlicht die Folgen fehlender demokratischer Aufsicht über mächtige Medien. Gewinnstreben führte zu parteiischen Nachrichten und untergrub Bemühungen zur Bildung guter Bürger. Die Technologie und öffentliche Politik schufen die Medienumgebung und können sie auch zum Besseren verändern. (Kathrin Cramer Brownell, The Atlantic)

Letztlich präsentiert Brownell ein nicht uninteressantes „Was wäre wenn“. Tatsächlich wäre ja vorstellbar gewesen, eine wesentliche strengere Regulierung auf der Inhaltsebene bei den Fernsehsendern durchzubringen. Ich muss ehrlich sagen, der sich sehr unsicher bin, inwieweit das geholfen hätte. Die Abschaffung der sogenannten fairnes doctrine unter Reagan war die Grundvoraussetzung für den Aufstieg von Talk Radio und später FOX News, aber ich bin genuin im Unklaren darüber, ob die Abschaffung der Doktrin kausal oder nur korrelierend zu diesem Aufstieg ist, sprich, ob diese Polarisierung nicht ohnehin stattgefunden hätte, weil ein Weg gefunden worden wäre. Ich neige zwar zu nein, aber sicher bin ich mir darin nicht.

Was mir ebenfalls unklar ist, ist, inwieweit die mythische Vergangenheit der öffentlich-rechtlichen Sender tatsächlich jemals existiert hat. es wird gerne betont, wieviel höher die Qualität der Informationssendungen gewesen sei, aber ich bin bei solcher Nostalgie immer sehr skeptisch. Natürlich gibt es die eine oder andere beeindruckende Sendung mit Günter Gaus, aber auch heute produzieren die ÖRR immer wieder irgendwelche Perlen. Man erinnert sich nur an den ganzen anderen Mist normalerweise nicht.

Auffällig ist zuletzt, dass die Privatisierung des Fernsehens sowohl in den USA als auch hier in Deutschland von konservativen Regierungen betrieben wurde, die sich davon explizit einen politischen Vorteil erhofften, weil sie davon ausgingen, eine private Medienlandschaft besser zu ihrem Vorteil nutzen zu können als eine öffentlich-rechtliche. In Deutschland ging diese Rechnung überhaupt nicht auf, weil die Privaten hier völlig entpolitisiert sind. In den USA ist das Bild etwas gemischter, und es scheint, als ob wir mit über 20 Jahren Verspätung mit dem Aufstieg von MSNBC tatsächlich ein linkes kommerzielles Gegenstück zu FOX bekommen könnten. So oder so allerdings scheint mir der Aufstieg des Kabelfernsehens ein Nettoverlust zu sein.

2) Eine Frau mobbt andere Frauen? Warum sein kann, was nicht sein darf

Die Sängerin Lizzo, eine Ikone des modernen Feminismus und der Body-Positivity-Bewegung, wird von Ex-Tänzerinnen beschuldigt, sie gemobbt und diskriminiert zu haben. Lizzo weist die Vorwürfe zurück, doch die Klage weitet sich aus. Der Fall wirft Fragen zur Beziehung zwischen Frauen auf und thematisiert internalisierte weibliche Misogynie. Die Autorin betont, dass Frauen trotz Bemühungen um Gleichberechtigung ebenfalls Konkurrenz und Abwertung untereinander praktizieren können. Sie erklärt, dass Frauen in einer von männlicher Dominanz geprägten Gesellschaft gelernt haben, Männer ernster zu nehmen und andere Frauen abzuwerten. Sie betont die Bedeutung weiblicher Solidarität und plädiert dafür, die Bruchstellen dieser Solidarität anzuerkennen, um sie zu überwinden. Der Fall Lizzo zeigt, dass solche Verhaltensweisen möglicherweise vorhanden sind, auch wenn sie überraschend und empörend sind. Die Autorin betont, dass bewusste Auseinandersetzung mit diesen Mustern notwendig ist, um einen Wandel zu ermöglichen. (Susanne Beyer, Spiegel)

Ich verstehe diese Art von Artikeln einfach überhaupt nicht. Frauen sind keine besseren Menschen. Selbstverständlich können auch Sie diskriminieren, unterdrücken und andere schlimme Dinge tun. Daher ist die Überschrift von „nicht sein dürfen“ auch so fehl am Platz. Dieses Verhalten darf nicht sein, weil es schlecht ist und schädliches Verhalten ist, nicht, weil es irgendeiner Ideologie widersprechen würde. Was wir hier sehen ist eher der typische Effekt von Machtgefällen und Hierarchien. In diesen Kategorien muss das diskutiert werden. Natürlich gibt es Dimensionen in diesem Kontext, die spezifische Genderdynamiken aufweisen. Aber die schlechte Behandlung prekär beschäftigten Hilfspersonals gehört sicher nicht dazu, sondern ist universell.

3) The Looming Supreme Court Nullification Crisis

In seiner Antrittsrede 1963 erklärte der Gouverneur von Alabama, George Wallace, seine Entschlossenheit zur Aufrechterhaltung der Rassentrennung. Später versuchte er, den Zutritt von schwarzen Studenten zur Universität Alabama zu verhindern, was jedoch scheiterte. Trotzdem wurde Wallace beliebt und war mehrfach Gouverneur sowie Präsidentschaftskandidat. In jüngerer Zeit weigert sich der Staat Alabama, einem Gerichtsbeschluss zur Wahlkreisneugliederung zu folgen. Andere Staaten zeigen ebenfalls Widerstand gegen Supreme-Court-Entscheidungen. Die politische Einflussnahme auf das Gericht hat es verändert, und Widerstand kommt nun sowohl von links als auch von rechts. Dies könnte zu einer Konfrontation mit dem Präsidenten führen. Texas hat bereits Gerichtsentscheidungen ignoriert und konservative Staatsanwälte könnten künftig mehr Widerstand leisten. Dies könnte zu einem Machtverlust des Obersten Gerichtshofs führen. Die Geschichte zeigt ähnliche Fälle von Staatsunabhängigkeit. Die Spannungen könnten zunehmen, wenn der Oberste Gerichtshof unpopuläre Entscheidungen trifft. Es ist möglich, dass Präsidenten in der Zukunft auf Konfrontationskurs gehen. Die gegenwärtige politische Umgebung ermutigt solche Tendenzen. Staatsanwälte könnten sich mehr Widerstand entgegenstellen, um eigene Interessen zu schützen. Die Möglichkeit einer Konfrontation mit dem Gericht bleibt bestehen. (Garrett Epps, Washington Monthly)

Das Gespenst der Nullification geistert immer wieder durch den amerikanischen Diskurs. Es ist eine Doktrin, die von erbitterten Sklavenhaltern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entworfen wurde. Die Idee war, dass die Bundesstaaten das Recht hätten, Bundesgesetzgebung, mit der sie nicht übereinstimmten, für ihren Bundesstaat außer Kraft zu setzen („nullifizieren“). Diese Idee war letztlich eine Art Staatsstreich, dessen permanente Drohung eines der vielen Mittel war, mit denen die Rassisten des Südens das bestehende System trotz der unvorteilhaften Demographie und politischen Machtverhältnisse zu bewahren versuchten. Den Höhepunkt fand diese Idee mit der Sezession von South Carolina 1860. Der Ausgang des amerikanischen Bürgerkrieges beschloss die Frage der Rechtmäßigkeit von Nullification auch endgültig: genauso wie Sezession war sie verfassungswidrig.

Wenn also radikale Republicans heute wieder mit ihr drohen, drohen sie damit mit dem Bürgerkrieg, ohne dies laut auszusprechen. Es ist letztlich Code und sollte auch als solcher verstanden werden. Gleichzeitig haben diese Extremist*innen aber mittlerweile so viel Macht und Einfluss, dass es durchaus vorstellbar ist, dass sie sich an einer Neuauflage versuchen werden. Wie das dann ausgeht ist völlig offen: beim letzten Versuch, als George Wallace in Alabama versuchte, afroamerikanischen Studierenden den Zugang zur Universität zu verwehren, erzwangen Bundestruppen die Durchsetzung des geltenden Rechts und stand die Nationalgarde beiseite. Bei den aktuellen Spinnern in dieser Partei ist bei weitem nicht sicher, wie das bei einer Wiederholung laufen würde.

4) Germany Might Soon Have a Far-Left Version of the AfD

Die zunehmende Unterstützung für die rechtsextreme AfD und die mögliche Entstehung einer populistischen Bewegung um Sahra Wagenknecht von der Linkspartei werfen Bedenken über die deutsche Demokratie auf. Wagenknecht's Mischung aus nationalem Konservatismus und Anti-Kapitalismus könnte unzufriedene Wähler ansprechen. Die Linkspartei hat jedoch interne Konflikte, hauptsächlich über ihre Haltung zu Migration und kulturellen Werten. Die AfD gewinnt in Ostdeutschland an Boden, indem sie anti-migrant, anti-LGBTQ+ und anti-EU/NATO Positionen vertritt. Beide Bewegungen nutzen Erinnerungslücken an autoritäre Regime, um ihre Botschaften zu verbreiten. Wenn Wagenknecht und die AfD um dieselben Wähler konkurrieren, könnten sie zusammen mehr als 30 Prozent der Stimmen erhalten und Deutschlands politische Landschaft destabilisieren. Die Verteidigung der Demokratie erfordert aktives Handeln, da ein zunehmendes Misstrauen gegenüber etablierten Parteien und autoritäre Stimmungen die deutsche politische Szene prägen. (Alexander Clarkson, World Politics Review)

Clarkson Hat hier den wichtigen Hinweis, das eine linkspopulistische Partei nicht nur der AfD und LINKEn Konkurrenz machen würde, sondern auch der SPD und den Grünen. Ich bin überzeugt, dass eine solche Parteigründung das Ende der LINKEn bedeuten würde. Es wäre allerdings tatsächlich nur wenig damit gewonnen, wenn wir zwei populistische Parteien hätten, die letztlich regierungsunfähig sind, aber genügend Stimmen auf sich vereinen, um letztlich Allparteienkoalitionen der etablierten Parteien zu erzwingen. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die Schwäche der LINKEn den Linkspopulismus effektiv unbesetzt gelassen hat. Wer also stets argumentierte, dass das Gute an der AfD die offene Debatte und der politische Meinungsstreit sei und dass man sich politisch mit ihr und ihren Positionen auseinandersetzen müsse, müsste sich konsequenterweise auch auf diese Aussicht freuen. Irgendetwas sagte mir, dass die Weltwoche und Springerpresse (pars pro toto) das nicht zu sehen werden.

5) Germany is becoming expert at defeating itself

Wolfram Axthelm, Leiter des Bundesverbandes WindEnergie, kritisiert die übermäßige Bürokratie und die über 150 Genehmigungen, die von staatlichen Stellen wie der Autobahn GmbH für den Transport von Windturbinenkomponenten gefordert werden. Die frustrierende deutsche Bürokratie wird mit den Herausforderungen aus dem Film "Asterix gegen Cäsar" verglichen. Die Folge sind Verzögerungen und Rückstände in Genehmigungsverfahren. Deutschland neige dazu, sich selbst zu behindern. Die Schuldenbremse, die die Bundesregierung daran hinderte, in Zeiten niedrigeer Zinsen von 2012-2019 zu investieren, hat zu überfüllten Straßen, schlechter Pünktlichkeit bei der Bahn und niedriger Breitbandpenetration geführt. Dies hat auch die Reaktion auf die COVID-19-Krise, den Verteidigungsaufbau und die Klimaziele beeinflusst. Deutsche Beamte handeln nicht immer falsch, aber politische Rücksichtnahmen und eine überbordende Bürokratie führen oft zu ineffizienten Entscheidungen. Trotzdem investiert die aktuelle Regierung unter Olaf Scholz in Energie, Transport und Informationstechnologie und plant, die Bürokratie zu reduzieren. Die Tendenz zur Selbstsabotage bleibt jedoch bestehen.(The Economist)

Dieser Grundsatz Artikel aus dem Economist hat in der letzten Zeit für viel Aufsehen gesorgt, weil er eine bewusste Hommage an den berühmten Titel über den „Sick Man of Europe“ von 1999 ist. Auffällig finde ich, wie alle Seiten die Teile des Artikels rezipieren, die in ihr jeweiliges ideologisches Weltbild passen, und den Rest ignorieren. Das passiert auf der Linken wie rechten Seite. Während die Linken gerne betonen, dass der Economist die Schuldenbremse kritisiert, höhere Investitionen fordert und für einen Wandel der deutschen Volkswirtschaft von ihrer übermäßigen Exportorientierung zu stärkerer Binnennachfrage argumentiert, betonen die Rechten (wie etwa Alexander Dilger hier) die demografischen Probleme und die Belastung durch Transferzahlungen. Das war im Übrigen beim Artikel von 1999 auch schon der Fall, bei dem die deutsche Rezeption nur die Teile des Artikels besprach, die in den damaligen Reformdiskurs passten.

Resterampe

a) Englisch in Grundschulen ja oder nein? Ich habe keine Ahnung, aber wen's interessiert, hier eine Zusammenfassung.

b) Ich poste hier ja öfter über Clarence Thomas, ich will euch das Gegenbeispiel nicht vorenthalten.

c) Spannender Thread zu Steuern und öffentlicher Meinung.

d) Spannender Artikel zu den strukturellen Problemen Chinas in zwei Teilen.

e) Wer sich für die Details der grünen Steuertaxonomie in der EU interessiert.

f) Es gibt jemand bei den Grünen, die versteht, wie Politik funktioniert! Streicht euch den Tag rot grün im Kalender an! Lasst die Sektkorken knallen! Kommt so schnell nicht wieder. Benedikt Becker sieht das übrigens anders.

g) Zumindest manche in der CDU nutzen die Opposition.

h) Die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen arm und reich in den USA und Großbritannien sind jenseits aller Absurdität.

i) Russia and China are reinvigorating global democracy. Let's hope that's right.

j) Treffer, versenkt.

k) 2,2 Millionen Kinder sind armutsgefährdet. Ein Glück haben wir die Kindergrundsicherung gekürzt.

l) Einfach nur noch crazy.

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