Freitag, 18. August 2023

Rezension: Christopher Leonard - Kochland. The Secret History of Koch Industries and Corporate Power in America (Teil 7)

 

Christopher Leonard - Kochland. The Secret History of Koch Industries and Corporate Power in America (Hörbuch)

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier.

Chase ging dann zum Studium nicht wie sein Vater und Großvater ans MIT, sondern an die Uni Texas, wo er einen eigenen Zirkel aufbaute und dann auch eine eigene Karriere zu starten versuchte. Die Klischees fliegen auch hier tief: mindestens siebenmal versichert uns Leonard auf ebenso vielen Seiten, dass Chase total bescheiden war und seinen Namen nie ausnutzte, alles aus eigener Kraft erreichte und so weiter und sofort. Schließlich wurde er dann doch ins Unternehmen zurückgeholt, wo er als Vorbereitung für die spätere Übernahme eine Reihe verschiedener Jobs übernahm, in denen er, man ahnt es schon, aus eigener Kraft und ohne Einfluss des Vaters brillierte - ich habe fast keine Kraft mehr weiterzuschreiben, so ermüdend ist das. Unklar ist an diesem Punkt des Narrativs, ob Chase die Nachfolge nun antreten möchte oder nicht.

Leonards Erzählung kehrt stattdessen in Kapitel 23, "Make the IBU Great Again",  wieder zu Georgia Pacific zurück. Dort nahmen die Arbeitsunfälle seit den frühen 2000er Jahren beständig zu. In der Firma wurde jedes Jahr eine dreistellige Anzahl Arbeitsunfälle gemeldet, die häufig schwerwiegender Natur waren und Amputationen und andere Gliedmaßen Verluste zur Folge hatten. Damit nicht genug starben jedes Jahr eine mittlere einstellige Zahl Menschen bei der Arbeit im Betrieb. Damit hat er sich seit der Übernahme durch Koch Industries ein Trend zu mehr Sicherheit komplett umgedreht. Das Management stand vor einem Rätsel: trotz der 10000%-Compliance-Regel nahmen die Unfälle immer mehr zu.

Für die Mitarbeitenden war die Lage immer noch aus einem anderen Grund furchtbar: die Verträge und das Labor Managment System hat man sich keinen Deut gebessert. Lohnsteigerungen blieben die Ausnahme, stattdessen gab es nur jährliche Bonuszahlungen, wodurch das Fundament der Bildung einer Mittelschicht – langsam, aber stetig wachsende Gehälter - komplett ausgehebelt war. Das war natürlich kein auf Koch Industries beschränktes, sondern ein global beobachtbares Phänomen, das zur Vertiefung der Ungleichheit massiv beitrug.

Was die Arbeitsunfälle anging, war eine für das Managment merkwürdige Kausalität zu beobachten: wenn mehr Aufträge herein kamen, nahm die Zahl der Unfälle zu, brachen die Aufträge wie in der Finanzkrise ein, sank auch die Zahl der Unfälle. Für das Management war dieses Rätsel praktisch unlösbar. Für die geneigten Lesenden sollte es ziemlich offensichtlich sein, wo das Problem lag. Die Reduzierung des Personals auf das absolute Minimum und oft genug noch weit darunter sorgte für eine permanente Überlastung, die bei Auftragsspitzen Katastrophen zur Folge haben musste. Dazu kam ironischerweise die Schwächung der Gewerkschaft: diese hatte früher darauf bestanden, das nur entsprechend ausgebildete Arbeiter*innen an den gefährlichen Maschinen arbeiten durften. unter Kochs MBM-Ideologie sollten die Arbeiter*innen flexibel und unternehmerisch jede mögliche Aufgabe übernehmen können.

Um trotzdem die Sicherheit und 10000% Compliance zu gewährleisten, hatte Koch sehr detaillierte und lange Regelwerke aufstellen lassen, die pro Maschine 20 Seiten und mehr umfassten, und die Mitarbeitenden angewiesen, diese (natürlich in ihrer Freizeit) zu erlernen. Auf diese Art und Weise schoben sie die Verantwortung auf die abhängig Beschäftigten ab, wuschen ihre Hände in Unschuld und konnten sich in künstlicher Naivität darüber wundern, warum trotz 10000% Compliance Menschen für ihre Quartalsgewinne starben. Meine Verachtung für diese Brut kennt kaum Grenzen.

2015 stand eine Neuverhandlung der Verträge an. Der uns bereits bekannte Gewerkschaftschef stand in seinem letzten Arbeitsjahr. Er war zutiefst frustriert: die einst große Gewerkschaft, die er von der Vätergeneration übernommen hatte, war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ohne die Möglichkeit zu streiken (die Koch unter anderem durch politische Einflussnahme mit einer Änderung der Gesetze deutlich beschnitten hatte) hatte die Gewerkschaft keinen Verhandlungsspielraum und musste jedes Diktat der Firma akzeptieren. Auf einer Abschlussveranstaltung warf der Gewerkschaftsboss den Mitgliedern genau diese unangenehme, stets verdrängte Wahrheit vor die Füße und sagte ihnen, dass sie mit dieser Einstellung auch Trump wählen könnten.

Dieser Satz sollte sich als prophetisch erweisen: Trump gewann die Wahl 2016, weil die gewerkschaftlich noch relativ stark organisierten starten des vielgerühmten blue wall wie Pennsylvania und Wisconsin knapp an Trump fielen. Für Koch allerdings war die Wahl des rechtsradikalen Populisten eine Hiobsbotschaft.

Kapitel 24, "Burning", macht klar, warum. Koch hatte in den Wahlkampf 2016 mit seinem Netzwerk neunhundert Millionen Dollar investiert, die vor allem an Jeb Bush, Marco Rubio, Ted Cruz und Scott Walker gegangen waren. Auf politischem Feld war Koch in anderen Worten kein besonderes Genie.

Trumps gesamte Wahlkampfplattformen war völlig konträr zu Kochs politischen Überzeugungen: anders als die klassischen republikanischen Kandidaten bekannte er sich explizit zum Sozialstaat und zu sozialen Leistungen - wenngleich nur für seine eigenen Wählenden. Der ökonomische Nationalismus bei einem Unternehmen wie Koch ebenso ein Dorn im Auge wie der beständige Kampf gegen „die Elite“, womit durchaus Koch und Konsorten gemeint waren.

Wie üblich allerdings verfiel Koch nicht in Panik und behielt einen langen Blick bei: er zog sich aus dem Wahlkampf zurück und konsolidierte sein Netzwerk in der richtigen Erkenntnis, dass er dieses 40 Jahre lang gehegt, gepflegt und ausgebaut hatte und dass Trump nichts dergleichen in der Hand hatte. Seine Strategie war daher die eines Blockieren und unterstützen: er würde Trump dort blockieren, wo er dies für nötig erachtete, und für dasselbe Hilfestellungen leisten. Es war nicht unwahrscheinlich, dass Trump nicht einmal verstehen würde, wer ihm da gegenüberstand und warum.

Das erste Schlachtfeld Trumps - und damit Kochs - war Obamacare. Das Ziel, dieses abzuschaffen, teilte Koch mit Trump. Trumps großartige Ankündigungen, es mit „etwas Großartigem“ zu ersetzen, das allen Amerikaner*innen eine Krankenversicherung geben würde, war ihm dagegen ein Gräuel (mir bleibt allerdings unklar, wie jemand nach vier Jahren Trump solche Ankündigungen immer noch unkritisch wiederholen kann, als ob sich dahinter ein echter Policy-Vorschlag und eine realistische Aussicht verbergen würden). daher befand sich Koch auf einem Gegenkurs zu Trumps Abschaffungsversuchen.

Sein Rezept war dasselbe wie beim Kampf gegen Cap and Trade. Er karrte bezahlte Aktivist*innen nach Washington, die für einen Tag Tourismus und einem freien Essen gerne für eine Stunde Plakate in die Luft hielten und Slogans riefen. Diese Slogans bemängelten absurderweise die mangelnde Qualität von Obamacare - die ideologische Konsistenz allerdings, das haben wir nun oft genug gesehen, war Koch ohnehin nie wichtig. Am Ende scheiterte der Repeal dann allerdings dann an John McCain im Senat, was den von Leonard bemühten Vergleich zum Ende von Cap and Trade eigentlich komplett widerlegt.

Das zweite große Schlachtfeld war die Steuerreform. Wie bereits bei Obamacare war nicht auf den ersten Blick ersichtlich, warum Koch Trumps Reformagenda blockierte. Der Steuerplan, der hauptsächlich von Ryan ausgeklügelt worden war, kombinierte klassische republikanische Prinzipien mit dem Trumpismus. Eine deutliche Senkung der Unternehmenssteuern sollte aufkommensneutral gestaltet werden und so keine neuen Schulden generieren, was durch ein Umschichtung auf die sogenannte Border Adjustment Tax (BAT) erreicht werden sollte, die die Verlagerung von wirtschaftlicher Aktivität ins Ausland unattraktiver gemacht hätte und dadurch tatsächlich das Potential hatte, wirtschaftliche Aktivität zu generieren.

Keine neuen Schulden, eine Senkung der Unternehmenssteuern und eine Reduzierung von Abhängigkeiten vom Ausland sollten nun eigentlich keine Probleme für Charles Koch sein. tatsächlich aber hätte diese Steuerreform die Profite der seit 40 Jahren leistungslos arbeitenden Raffinerien beschnitten - und das konnte Koch nicht haben. Er log natürlich und behauptete, dass die Steuerreform ihm sogar helfen würde und dass er ihr aus rein prinzipiellen Gründen Widerstand leistete. Das allerdings war so eindeutig Unfug, dass sogar Leonard dies anerkennt. Kochs Blockade dieser Steuerreform basierte dagegen neben dem Offensichtlichen Profitmotiv auf derselben Idee, die Grover Norquist bereits 20 Jahre vorher formuliert hatte den: hohe Staatsschulden waren nämlich tatsächlich überhaupt kein Problem, wenn man diese mit einer Senkung der Steuern koppelte, weil der Staat dadurch handlungsunfähig wurde und nicht in der Lage war, seinen Kerntätigkeiten nachzugehen. Für vulgärlibertäre Nihilisten wie Koch eine attraktive Aussicht.

Den Abschluss des Kapitels macht eine Betrachtung der Übernahme des Umweltministeriums (EPA). Da Trump kein eigenes Netzwerk und damit auch keine geeigneten Kandidaten*innen für die Besetzung der vielen vielen Posten in Washington besaß, fiel er automatisch (und es ist nicht auszuschließen, dass er keine Ahnung davon hatte) auf das Personal von Koch zurück. Dadurch gerieten, völlig unabhängig vom Gewinner des Vorwahlkampfs 2016, automatisch Leute mit Kochs ideologischen Präferenzen in Entscheidungspositionen. Das traf nicht zwingend auf das Führungspersonal zu, wie wir an den Kämpfen zu Obamacare und der Steuerreform gesehen haben. Trumps Kandidat für die EPA war Scott Pruitt. Der Vorgang der Machtübernahme wurde allgemein gültig für die Trump-Regierung bereits von Michael Lewis in seinem Buch „The Fifth Risk“ (hier rezensiert) beschrieben: die Trumpleute sie hatten weder Ahnung von irgendetwas noch besondere Ambitionen, jenseits ihrer persönlichen Ziele im Amt irgendetwas zu erreichen.

Pruitt war selbst für Trump-Maßstäbe ungewöhnlich idiosynkratisch und korrupt: so war er überzeugt, dass die Beamt*innen im Ministerium versuchen würden ihn zu ermorden und es gab Hunderttausende von Steuerzahler*innendollar für absurde Sicherheitsmaßnahmen aus, während er in entwaffnender Offenheit sein Amt für persönliche Bereicherung und Profilierung nutzte, ohne die Agenda gezielt voranzutreiben. Die Agenda bestand unter einem sehr oberflächlichen Blick aus dem Abbau von Regulierungen. Es ging jedoch nicht um solche Regulierungen, die tatsächlich wirtschaftliche Aktivität der Volkswirtschaft als Ganzes behinderten, sondern Regulierungen der fossilen Industrie, die deren Profite schmälerte. In anderen Worten: die von Koch ausgebildeten und bezahlten Spezialist*innen, die unter Trump in die Ministerien einzogen, erledigten indirekt sein Geheiß.

Zuletzt wagt Leonard in Kapitel 25, "Control", einen Ausblick auf Koch 2018. Im Midtermwahlkampf gelang es ihm wieder, sein Netzwerk - dessen in der neueren amerikanischen Wirtschaftsgeschichte einzigartiges Ausmaß und Schlagkraft Leonhard an dieser Stelle noch einmal betont - zur Anwendung zu bringen und ihm genehme Leute, die kaum mehr als Befehlsempfänger waren, an die Macht zu bringen - auch wenn Leonard es fertig bringt, den für Koch nicht gerade idealen Ausgang der Wahlen komplett zu verschweigen.

Weiter geht es im letzten Teil.

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