Donnerstag, 3. August 2023

Militaristische Kleinstädter aus Saudi-Arabien kippen den Nordatlantik auf superreiche Amerikaner - Vermischtes 03.08.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde. 

Fundstücke

1) How Saudi Arabia is buying the world

Der Artikel beschäftigt sich mit Saudi-Arabiens ehrgeizigem Zukunftsplan "Vision 2030", der darauf abzielt, die Wirtschaft des Landes zu diversifizieren und von der Abhängigkeit vom Öl wegzukommen. Im Vergleich zu dem fiktiven afrikanischen Land Wakanda aus dem Film "Black Panther" wird die Frage aufgeworfen, ob Saudi-Arabien eine ähnliche Rolle als wirtschaftliche Führungsmacht in der Region übernehmen könnte. Saudi-Arabiens "Vision 2030" sieht massive Investitionen in verschiedene Sektoren vor, darunter Tourismus, grünen Wasserstoff, erneuerbare Energien und die Schaffung von Mega-Städten wie Neom. Das Land möchte seine Wirtschaft diversifizieren und sich auf eine post-öl-Ära vorbereiten. Ein wichtiges Instrument für die Umsetzung dieses Plans ist der Staatsfonds Public Investment Fund (PIF), der eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung von Großprojekten spielt. PIF soll in den kommenden Jahren massiv erweitert werden, um das Ziel zu erreichen, die größte Sovereign-Wealth-Fund der Welt zu werden. Der Artikel betont auch die Rolle von China in dieser Entwicklung, da Saudi-Arabien versucht, zwischen den USA und China zu navigieren und von der wachsenden wirtschaftlichen Macht Chinas zu profitieren. Chinesische Unternehmen sind an einer Reihe von Projekten in Saudi-Arabien beteiligt, darunter im Bereich erneuerbare Energien und grüner Wasserstoff. Der Autor weist darauf hin, dass Saudi-Arabien immer noch mit Menschenrechtsverletzungen und anderen Herausforderungen konfrontiert ist, aber das Land arbeitet daran, seine Wirtschaft zu modernisieren und eine Vorreiterrolle in der Region einzunehmen. Obwohl es noch viele Unsicherheiten gibt, könnten die großen Investitionen und die vielfältigen Projekte Saudi-Arabien zu einer einflussreichen wirtschaftlichen Kraft in einer Welt im Wandel machen. (Quinn Slobodian, The New Statesman)

Es ist natürlich durchaus möglich, dass Slobodians Einschätzungen korrekt sind und wer is mit einer durch autokratische Regime vorbereiteten staatskapitalistischen Herausforderung ungeahnten Ausmaßes zu tun haben werden. Genauso ist aber möglich, das das alles, mein entschuldige das billige Wortspiel, auf Sand gebaut ist. Gerade der Klimawandel könnte den Saudis einen ordentlichen Strich durch die Rechnung machen. Nur wenige Regionen sind so sehr von Hitzewellen und einer generellen Unbewohnbarkeit bedroht wie die Wüste. Und selbst die saudische Megalomanie geht nicht so weit, das komplette Königreich überdachen und voll klimatisieren zu wollen. dazu kommt, dass ich immer noch eine Grundskepsis habe, was das volle wirtschaftliche Potential autokratischer Regierungen anbelangt. Natürlich mögen Länder wie Saudi Arabien, China und andere in den kommenden beiden Jahrzehnten die bisherige Regel brechen, dass nachhaltige wirtschaftlicher Wohlstand nur in einem liberalen Rechtsstaat möglich ist. Aber ausgemacht ist das beileibe nicht.

2) Steht der Nordatlantik vor dem Kipppunkt?

Der Artikel beschäftigt sich mit der möglichen Bedrohung einer riesigen Umwälzbewegung des Atlantikwassers, die Europa warm hält. Forschende warnen davor, dass diese Strömung einen Kipppunkt erreichen könnte, wenn zu viel Süßwasser das Meerwasser verdünnt und das Absinken verhindert. Eine verminderte Umwälzbewegung könnte zu drastischen Folgen führen, wie einem rasanten Anstieg des Meeresspiegels, gewaltigen Stürmen und anderen Extremwetterereignissen. Neue Studien deuten darauf hin, dass der Kipppunkt deutlich näher sein könnte als bisher angenommen. Laut Forschern aus Dänemark könnte die Strömung bereits in den nächsten 30 Jahren, möglicherweise sogar ab 2025, zusammenbrechen. Klimamodelle zeigen bereits jetzt Veränderungen in der Strömung, wie eine Kälteblase westlich der Britischen Inseln, die sich abkühlt und auf eine Abschwächung der Umwälzbewegung hindeutet. Ein Zusammenbruch der Atlantikzirkulation würde nicht nur das Klima stark beeinflussen, sondern auch das Ökosystem bedrohen, da die Strömung die Tiefen der Meere mit Sauerstoff versorgt. Die Folgen könnten eine deutliche Abkühlung in Nordwesteuropa, ein erhöhter Meeresspiegel, stärkere Stürme und eine verminderte Kohlendioxid-Aufnahme im Ozean sein. Der Autor betont die Dringlichkeit, den Ausstoß von Treibhausgasen schnell zu reduzieren, um das Risiko eines solchen Kipppunkts zu minimieren. Die Bedrohung von Klimakipppunkten sollte ernst genommen werden, und ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen sind erforderlich, um die Risiken zu begrenzen. (Stefan Rahmstorf, Spiegel)

Die akuten Bedrohungen (die Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen etwa ist angeblich zehntausendfach erhöht) durch den Klimawandel werden immer deutlicher vernehmbar und werden unseren Alltag zunehmend bestimmen. Dabei ist letztlich unerheblich, ob sämtliche Szenarien eintreffen oder nicht. Die Furcht vor diesen Szenarien wird ein bestimmender Faktor unseres Lebens werden und die schiere Masse an Möglichkeiten garantiert beinahe, das irgendeines diese Szenarien in einer seiner Ausprägungen Wirklichkeit werden wird. Natürlich findet bereits jetzt ein Normalisierungs- und Gewöhnungsprozess statt, und sind die Zeiträume, von denen wir hier reden, so lang, das dieser Gewöhnungsprozess quasi garantiert ist. Auf wesentlich kleinerem Niveau haben wir das ja bereits erlebt: so gibt es bei uns effektiv keinen Schnee mehr. Schlittenfahren und Schneeballschlachten gehörten zu meiner Kindheit noch dazu, meine eigenen Kinder kennen es praktisch überhaupt nicht. Das ist aber eine Veränderung über zwei Jahrzehnte, die deswegen kaum wahrgenommen wurde. Stattdessen hat man unter riesigem Aufwand und zusätzliche Schädigung des Klimas den Reichensport durch Schneekanonen und ähnliches künstlich am Leben erhalten. Ähnlich wird es auf vielen anderen Ebenen auch ablaufen.

3) Jason Aldean? Please spare me the small-town nostalgia.

Der Artikel beschreibt die persönliche Erfahrung des Autors, der in einer kleinen Stadt in Ohio aufwuchs und von dort floh, um ein erfüllteres Leben zu finden. Der Autor erinnert sich an eine Kindheit, in der er draußen spielte und von Freunden umgeben war, aber auch an die rassistische und engstirnige Atmosphäre der Stadt. Als er älter wurde und realisierte, dass er homosexuell war, fühlte er sich in der kleinen Stadt nicht akzeptiert und anders als die anderen. Er sehnte sich nach neuen Erfahrungen und Menschen, die anders dachten. Der Autor betont, dass seine Geschichte nicht einzigartig ist und dass viele Menschen wie er ihre kleine Heimatstadt verlassen haben, um sich selbst zu finden und sich akzeptiert zu fühlen. Die romantisierte Vorstellung, dass Glück und Erfüllung nur in kleinen Städten zu finden seien, wird hinterfragt. Er ermutigt diejenigen, die ihre Heimatstadt verlassen haben, sich nicht als seltsam oder fehlerhaft zu betrachten, sondern als Menschen, die einfach dort geboren wurden, wo sie nicht hingehörten. Die Sehnsucht nach einer idealisierten Vergangenheit ändert nichts an den Gründen, warum man seine Heimatstadt verlassen hat und ein erfülltes Leben in der Fremde gefunden hat. (Brian Broom, Washington Post)

Ich verstehe die Kritik am small town America völlig. Gleichwohl scheint mir hier der soziale Wandel etwas unterschätzt zu werden. Ich komme selbst aus einer wenig großstädtischen Gegend und wohne mittlerweile in einem Ort, der wohl problemlos als small town Klassifizierbar wäre. Während ziemlich eindeutig ist, dass der Ort wesentlich weniger divers und fortschrittlich und deutlich homogener als die Großstadt ist, so hat der soziale Wandel doch auch vor ihm nicht Halt gemacht. Offener Rassismus, Sexismus oder Homophobie sind auch in der ländlichen Gegend verpönt. Natürlich ist das hier in Deutschland nicht so krass wie in den USA, wo die Polarisierung wesentlich heftiger ist und das von Broom beschriebene Milieu sich wesentlich deutlicher nach rechts entwickelt hat als hierzulande. Auch teile ich komplett die Kritik des Autors an der Romantisierung dieses Milieus, wie ich jede Romantisierung irgendeines Milieus ablehne.

4) America's unhappy militarism - the $886 billion bone of contention

Der vorliegende Text ist ein ausführlicher Meinungsbeitrag, der verschiedene Aspekte des aktuellen Zustands des amerikanischen Militarismus behandelt. Die Vereinigten Staaten stehen kurz davor, den größten Verteidigungshaushalt in Friedenszeiten in der Geschichte zu verabschieden, aber es herrscht weit verbreitete Unzufriedenheit damit. Die Forderung, dass die USA in einer zunehmend multipolaren Welt jeden und überall besiegen können sollten, ist unrealistisch. Das innenpolitische Fundament des amerikanischen Militarismus bröckelt, da die Republikaner den Verteidigungshaushalt und wichtige Ernennungen als Geisel halten. Das Image des Militärs hat sich in der breiten amerikanischen Öffentlichkeit stark verschlechtert, und die 2019 von Präsident Trump ins Leben gerufene Space Force wird belächelt. Kongressabgeordnete der Republikaner, insbesondere die radikale Rechte, stehen im Konflikt mit der militärischen Führung der USA. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die militärische Führung hat aufgrund der Wahrnehmung von Politisierung und "woke"-Kultur  abgenommen. Das US-Militär hat Schwierigkeiten, junge Amerikaner zu rekrutieren, und viele erfüllen nicht die physischen und mentalen Fitnessstandards. Die Gründung der Space Force wurde mit Verwirrung und Skepsis aufgenommen, und ihre Markenidentität wurde kritisiert. Die Entscheidung, das Space Command nach Alabama zu verlegen, war eine kontroverse Angelegenheit, da der Staat eine rechtsgerichtete Politik und strenge Abtreibungsgesetze hat. Eine "unangreifbare Beziehung" zur amerikanischen Gesellschaft aufrechtzuerhalten, ist in einem gespaltenen Amerika eine Herausforderung für das Militär. Der Beitrag geht auf die Komplexität und die Herausforderungen des amerikanischen Militarismus ein, sowohl intern als auch extern, und hebt die Spannungen zwischen verschiedenen politischen Kräften und der Militärführung hervor. Der Autor wirft Fragen über die Zukunft des US-Militärs auf und seine Fähigkeit, die vielfältige Landschaft der amerikanischen Gesellschaft zu navigieren. (Adam Tooze, Chartbook)

Es ist faszinierend, wie schnell die Republicans es geschafft haben, ihre jahrzehntelange feste Bindung zum amerikanischen Militär unter den Zeichen des Kulturkampfs anzugreifen. Die von Tooze beschriebene Verschlechterung des Images des Militärs fand ja auch praktisch ausschließlich auf der amerikanischen Rechten statt, hatte das Militär doch spätestens seit Bush und dem Irak Krieg auf der amerikanischen Linken ohnehin keinen sonderlich guten Ruf mehr, so es ihn je besessen hatte. es zeigt sich einmal mehr, das Politisierung im Kulturkampf letzten Endes nur Verlierer kennt und riesige Flurschäden hinterlässt.

Was die Space Force angeht bin ich mir unsicher, inwieweit diese in der öffentlichen Debatte tatsächlich eine Rolle spielt. Unter einschlägig Interessierten gilt sie wenig überraschend als eine Witznummer, was angesichts ihrer Genese und ihre bisherigen Public-Relations-Desaster kaum wunder nimmt. Auffällig ist, das auch das Militär genauso wie die Privatwirtschaft in diesen Kulturkampf hineingezogen wird, schon allein, weil die jeweiligen Bundesstaaten, in denen das Leben der Menschen sich zwangsläufig abspielt, immer mehr zu hervorgehobenen Akteuren werden. Das ist in Deutschland auch noch nicht der Fall, könnte sich aber mit eventuellen Regierungsbeteiligung und der AfD in Ostdeutschland rapide ändern.

5) Should We Unite America Around Hatred of Rich Politicians? (Interview mit Matt K. Lewis)

Matt Lewis, ein konservativer Autor, diskutiert sein Buch "Too Dumb to Fail: Wie die GOP die Reagan-Revolution verraten hat, um Wahlen zu gewinnen (und wie sie ihre konservativen Wurzeln zurückgewinnen kann)". Er möchte das Thema Korruption und Vetternwirtschaft in Washington ansprechen und fordert Reformen, um das Vertrauen in Politiker und Institutionen wiederherzustellen. Lewis kritisiert sowohl Demokraten als auch Republikaner und glaubt, dass die gemeinsame Sorge über extrem reiche Politiker eine vereinigende Grundlage sein sollte. Er schlägt vor, den Handel mit Aktien durch Mitglieder des Kongresses vollständig zu verbieten, eine 10-jährige Sperrfrist für Lobbyarbeit nach dem Ausscheiden aus dem Amt einzuführen und Amtszeitbeschränkungen einzuführen. Obwohl einige argumentieren, dass Amtszeitbeschränkungen das Problem der "Drehtür" beschleunigen könnten, unterstützt Lewis sie als Mittel, um zu verhindern, dass Politiker durch öffentliche Ämter generationalen Reichtum erlangen. Er spricht auch über das Problem von Buchverträgen für Politiker und die Möglichkeit, dass Massenverkäufe zur Bereicherung beitragen. Letztendlich hofft Lewis, dass seine Reformen die negativen Auswirkungen von Korruption mildern und das Vertrauen in gewählte Beamte und die liberale Demokratie wieder aufbauen werden. (Bill Scher, Washington Monthly)

Auffällig mal wieder der Mangel an Empirie. Ein Beispiel ist dieser Satz: "If you’re a working-class person and see that imagery, I think it is a turn-off. I think it’s a sense that: These people are not like us. They’re not worried about paying the rent or getting by. They’re in a sense, cashing in on being a member of Congress. No, it may not be reflected in her bank account yet. But I think in terms of her lifestyle, she is cashing in." Ein wohlhabender Konservativer stellt sich vor, was ein Mitglied der links tickenden Arbeiter*innenklasse denken könnte, und leitet daraus ein ganzes Buch ab, das eigentlich nur die eigenen Präferenzen (die gar nicht falsch sein müssen!) auf andere projiziert.

Es ist außerdem auffällig, dass zwar diskutiert wird, dass Vertrauen erodiert, obwohl kein quid pro quo erkennbar ist, aber nie diskutiert wird, was das eigentliche Problem ist: das Mindset. Ein quid pro quo ist gar nicht nötig, weil diese Leute so DENKEN wie die reiche Elite, weil sie selbst TEIL DAVON SIND. Sie treffen automatisch Entscheidungen in ihrem Sinne, da ist gar kein Kuhhandel nötig. Das wird in diesen Debatten immer völlig ignoriert. Wenn Clarence Thomas sich von Milliardären herumkutschieren lässt, braucht es kein quid pro quo. Er trifft seine Entscheidungen auch so in ihrem Sinne.

Jonathan Chait hat da grundsätzlich auch was sehr Gutes dazu.

Resterampe

a) Ganz interessante Buchbesprechung.

b) Merz' Herumeiern mit der AfD ist echt was für sich.

c) Der sicher geglaubte Rechtsrutsch.

d) Here’s the real problem with Florida’s school standards for slavery. Sehr guter Kommentar. Und kein abstraktes Thema.

e) Fixing Social Security in two easy steps. Da besteht halt echt wenig Interesse dran.

f) Nachtrag zum Ernährungskompass.

g) Alter....

h) Wissing will Seilbahnen in Städten bauen. Sehe das wie Jonas. Ich hab außerdem manchmal echt das Gefühl, die setzen auf irgendwelche Fantasietechnologien, einfach nur um was anderes zu haben.

i) Speziell für Stefan Pietsch. Generell eigentlich die ganze Rubrik.

j) Rammstein-Sänger: Nun auch schwere Vorwürfe aus Österreich. Shocking: noch mehr unglaubwürdige Einzelfälle bei Rammstein!

k) Why Elite-College Admissions Matter.

l) Autoland: Autobesitzer beklagt sich, dass er einen Strafzettel bekommt, weil seine Parkvignette abgelaufen ist. Das Amt reagiert zum Glück gut.

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