Montag, 14. August 2023

Rezension: Aus Politik und Zeitgeschichte - Deutsche Außenpolitik

 

Aus Politik und Zeitgeschichte - Deutsche Außenpolitik

Außenpolitik ist in Deutschland seit Beginn des Ukrainekrieges wieder ein wichtigeres Thema geworden, das in größeren Teilen der Öffentlichkeit Interesse findet. Der vorliegende Band von „Aus Politik und Zeitgeschichte“ versucht sich daher in einer Bestandsaufnahme der deutschen Außenpolitik. Dass sich die Außenpolitik mittlerweile vom Außenministerium in Richtung der Fachministerien und vor allem des Kanzleramts verschoben hat, ohne dass es darüber zu einer Neustrukturierung des Auswärtigen Dienstes gekommen wäre, trägt zu der unübersichtlichen Lage deutscher Außenpolitik bei. wie aber ist im Jahr 2023 die Situation generell?

Der erste Essay des Bandes besteht in Wirklichkeit aus vier kleinen Essays, die sich alle mit verschiedenen Sichten auf „Partner Deutschland“ beschäftigen, die zur Stunde besonders relevant sind. Alyona Getmanchuk beschreibt in „Partner im Krieg, Partner für Frieden - Das Deutschlandbild in der Ukraine“ die Sicht aus Kiew. Das dortige Deutschlandbild sei vor dem Krieg überragend positiv gewesen; vor allem in den Bereichen Wirtschaft, Rechtsstaat, Infrastruktur und Verwaltung - eigentlich alles außer dem Militär – habe man in Deutschland als Vorbild betrachtet. Inzwischen ist das Bild etwas komplexer geworden, weil deutsche Militärhilfe eine so große Bedeutung angenommen hat und man gleichzeitig über ihr geringes Ausmaß enttäuscht ist (egal, wie berechtigt diese Enttäuschung sein mag). Neben dieser Unterstützung im Krieg hofft man in Kiew natürlich besonders auf Hilfen ihm beim Wiederaufbau nach dem Krieg.

In „Im Zeichen historischer Traumata - Das Deutschlandbild in Polen“ beschreibt Jarosław Kuisz das schwierige Verhältnis mit Warschau. Die dortige Politik betrachtet Deutschland vor allem aus einem innenpolitischen Blickwinkel, und aus diesem heraus ist es immer lohnenswert, antideutsche Ressentiments zu schüren. Das ist völlig unabhängig von der außenpolitischen Bedeutung Deutschlands, die für Polen offensichtlich recht groß ist, wenngleich das Land unter anderem mit seinem Plan, größte konventionelle Militärmacht Europas zu werden, große Ambitionen verfolgt. die große Bedeutung Polens für Osteuropa lässt Kuisz fordern, das Land einerseits nicht zu vernachlässigen, ihnen andererseits aber auch befürchten, dass die Ressentiments und maximal fordernde Haltung Polens bei minimaler Kompromissbereitschaft für die Zukunft Probleme bereitstellen könnten.

Keine Betrachtung deutscher Außenpolitik kommt ohne Blick auf Frankreich aus. In „Das Ende des wohlwollenden Hegemons? Die Achse Paris-Berlin in Europa“ zeigt Eric-André Martin, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit nicht mehr das ist was sie einmal war - wenn Sie das denn je war, denn die Rede vom „deutsch-französischen Motor“ gehört fix zur Folklore der Beziehungen zwischen Berlin und Paris. Dass die ständige Betonung der europäischen Souveränität durch Präsident Macron in Berlin auf wenig Gegenliebe stößt, ob nun unter Angela Merkel oder Olaf Scholz, und das Paris diese europäische Souveränität hauptsächlich in Begriffen der eigenen nationalen Interessen denkt, hilft genauso wenig wie der Wandel sowohl der Europäischen Union als auch des Rests der Welt, der die Bedeutung Frankreichs immer weiter in den Hintergrund gedrängt hat, eine Tatsache, der man sich im Elyseepalast hartnäckig verschließt.

Im Gegensatz dazu stehen die USA. Die Fragestellung „Bester Freund oder Freerider? Deutschlands Image in den USA“, die Peter Sparding aufwirft, hängt zu einem nicht unerheblichen Teil am aktuellen Bewohner des Weißen Hauses. Unter Donald Trump waren die deutsch-amerikanischen Verhältnisse eher angespannt (ebenso wie unter seinem Vorvorgänger, was gewisse Trends bei der Parteiaffiliation erkennen lässt), während Joe Biden als bekennender Transatlantiker ihr ein guter Freund für Deutschland ist und die zentrale Rolle des Landes für die amerikanische Außenpolitik betont. Im deutschen Selbstbild mag dies selbstverständlich sein; Sparding betont aber klar, dass dies vor allem am aktuellen diplomatischen Spitzenpersonal Washingtons hängt. Ein Wahlsieg Trumps 2024 würde die Lage drastisch verändern, und selbst unter einem anderen demokratischen Präsidenten wäre mit einer Fokusverschiebung nach Asien zu rechnen.

Alle vier dieser Mini-Aufsätze gib mir einen guten Überblick über die jeweilige Sicht auf Deutschland zu Beginn der 2020er Jahre, kommen aber kaum über gröbste Konturen hinaus. wer einen kompletten Neueinstieg in die Thematik macht, dürfte allerdings von den Fachbegrifflichkeiten und Andeutungen eher verwirrt sein; wer sich schon etwas mehr auskennt mehr Tiefe wünschen. Zumindest für mich ist klar, dass ich nicht Zielgruppe bin.

Angela Mehrer und Jana Puglierin betrachten dann Deutschland in Europa etwas näher. Die Autorinnen wagen dafür zuerst einen Rückblick in die Merkel-Ära. Unter der Kanzlerin spielte die Bundeswehr für die deutsche Außenpolitik keine große Rolle, um es milde auszudrücken. Stattdessen war Soft Power das Gebot der Stunde. Während ihr vermittelnder und oft kompromissbereiter Politikstil bei der Krisenbewältigung durchaus hilfreich war, schuf die deutsche Außenpolitik an anderer Stelle Irritationen, vor allem in Südeuropa in der Euro-Krisenpolitik und in Osteuropa bezüglich des Umgangs mit Russland. In beiden Fällen sind diese Irritationen mit Sicherheit nicht unbegründet gewesen.

Zu Beginn der Ampelkoalition hatte Olaf Scholz eine Kontinuität mit dieser Außenpolitik angekündigt, die mit Beginn des Ukrainekrieges schlagartig hinfällig geworden war. Die Marginalisierung des Auswärtigen Amtes, wo die grüne Amtsinhaberin andere Ansätze verfolgt hätte, geriet jetzt zu einem schweren Nachteil: die Krise überraschte die deutsche Außenpolitik und ließ sie ohne ernsthafte Alternative dastehen. Der radikale Kurswechsel der Zeitenwende kam abrupt und ohne Koordination mit den europäischen Partnern, ein Trend, den Scholz in Zukunft immer wieder bestätigen sollte und der Deutschland immer wieder isoliert dastehen ließ. Die vollmundige Ankündigung, eine stärker an deutschen Interessen ausgerichtete Europapolitik betreiben zu wollen, war nicht durch Substanz gedeckt und sorgte deswegen immer wieder für Verstimmungen in Europa.

Der Aufsatz enthält viele relevante Punkte zum Verhältnis Deutschlands mit Frankreich, China, den USA, Russland, der Europäischen Union als Ganzem und so weiter. Gleichzeitig allerdings kommt er über extrem konsensfähige Allgemeinplätze kaum hinaus.

Ein ähnliches Problem hat „Über die Zeitenwende hinaus. Für eine neue deutsche Sicherheitspolitik“ von Claudia Major und Christian Mölling. In der Bubble der Sicherheitsexpert*innen sind die Defizite deutsche Sicherheitspolitik, vor allem ihre mangelnde strategische Unterfütterung und das „Fahren auf Sicht“ schon lange Thema und unumstritten, weswegen der Essay vor allem eine Auflistung von Desideraten der Sicherheitspolitiker*innen darstellt - unabhängig davon, wie notwendig und berechtigt diese sein mögen (und ich denke: sehr).

Der Artikel steckt voller Stilblüten wie „Die äußere Zeitenwende erfordert also auch eine innere Zeitenwende, und nur eine erfolgreiche deutsche Zeitenwende ermöglicht eine erfolgreiche europäische Zeitenwende“ und enthält zahlreiche Wortwolken, die den unangenehmen Eindruck hinterlassen, das hier vor allem Bedeutungsschwere simuliert werden soll, was umso merkwürdiger ist, als dass das eigentlich gar nicht notwendig ist. Majors und Möllings Forderungen und Analysen sind absolut stichhaltig und können auch alleine stehen.

Thorsten Brenner indessen beschreibt in „Von "umfassender strategischer Partnerschaft" zu Systemrivalität - Für eine Chinapolitik ohne Illusionen“ einen wesentlich umstritteneren Gegenstand: die deutsche Chinapolitik. Brenner argumentiert klar gegen den Strohmann, dass jemand eine vollständige Entkopplung von China fordern würde, setzt sich aber deutlich dafür ein, das Land eher als Rivalen zu betrachten. Er macht sich dabei die Formel zu eigen, dass China gleichzeitig „Partner, Konkurrent und Rivale“ sei und erteilt Vorstellungen davon, eine strategische Partnerschaft mit China eingehen zu können (etwa im Bereich Klimawandel) eine klare Absage. Xi Xinping habe daran kein Interesse, was man seit 2013 gut beobachten könne, und verstoße zudem mit seiner Politik allzu oft gegen zentrale Menschenrechte (Stichwort Uiguren) und Abmachungen (wie etwa der Zwei-System-Status Hongkongs). Auch seine Aspirationen bezüglich Militärmacht und Taiwans sowie die offene Konkurrenz zu den USA unterstützten diese Sicht.

Ich kann dem wenig hinzufügen. Für mich ist offensichtlich, dass China uns wertemäßig entgegengestellt ist und wir uns in einer gewissen Systemkonkurrenz befinden. Diese lässt sich nicht von den anderen Interessenkonflikten trennen, die eher in der „harten“ Sphäre traditioneller Außenpolitik liegen.

Das führt direkt zum nächsten Essay von Mareike Fröhlich und Anna Hausschild, „Feministische Außenpolitik - Hintergründe und Praxis“. Ich habe meine eigenen Schwierigkeiten mit diesem Begriff ja bereits in einem Artikel festgehalten. Auch in diesem Essay wird nicht wirklich offensichtlich, was man unter einer „feministischen Außenpolitik“ genau zu verstehen hat, was sich von einer wertebasierten oder wertegeleiteten Außenpolitik in den allgemeinen Werten, für die Bundesrepublik steht, unterscheiden würde.

Grundsätzlich umfasst das Konzept der feministischen Außenpolitik durch seinen intersektionellen Ansatz die Vorstellung einer Transformation bestehender Machtstrukturen, die aus unserer Wertesicht unerwünschtes Verhalten begünstigen oder hervorrufen. In dieser Lesart sind Unterdrückung, Krieg und Gewalt Ausfluss patriarchalischer Systeme, die durch die Ermächtigung von unterdrückten Minderheiten und ein auf Gleichheit und Gleichberechtigung basierendes System am wirkungsvollsten bekämpft werden können. Grundsätzlich teile ich diese Ansicht, habe allerdings meine Probleme damit, das Ganze zu sehr auf der feministischen Schiene unterzubringen. Mir scheint hier die Gefahr immer sehr groß, in eine monothematische Erklärung von Problemen zu kommen, die üblicherweise, ja eigentlich immer, extrem komplex und multikausal sind. Die Begrifflichkeit hat zudem den Nachteil, extrem große Widerstände zu mobilisieren.

Die feministische Theorie der internationalen Beziehungen hat zudem den Nachteil, stark von Fraktionskämpfen durchzogen zu sein, wie man sie im linken Spektrum leider häufig findet. Der vergleichsweise „realistische“ Ansatz der 3R (Rechte, Repräsentanz und Ressourcen, gerne ergänzt durch ein viertes R namens Realität), wie er von allen Regierungen verfolgt wird, die sich der feministischen Außenpolitik verschrieben haben, gilt den Purist*innen natürlich als Ausverkauf. Die Sektion des Essays, die sich mit der praktischen Implementierung der feministischen Außenpolitik seit 2021 beschäftigt, zeigt das ganze Dilemma unklare Definitionen und vor allem der fehlenden Gesamtstrategie deutlich auf.

Es fehle an einer Gesamtstrategie thematisiert dann auch der letzte Essay von Sarah Brockmeier, „Review 2024? Für eine Zeitenwende im Auswärtigen Amt“, das die Strukturen innerhalb des Auswärtigen Amtes unter die Lupe nimmt. Die schlechte und noch auf uralten Traditionen beruhende Gestaltung der Laufbahnen – oder, besser ausgedrückt das Fehlen von solchen - sorgt dafür, das die Diplomat*innen große Schwierigkeiten bei der Karriereplanung und die Institutionalisierung von Fachwissen haben. Ein mindestens ebenso großes Problem ist das Fehlen einer zentralen Koordinationsstelle deutscher Außenpolitik, in der Strategie formuliert werden könnte. Der viel zitierte und geforderte Nationale Sicherheitsrat ist und bleibt eine Totgeburt. Der Reformbedarf des Auswärtigen Amtes ist allen beteiligten Parteien grundsätzlich klar, wird aber immer in dem Moment ignoriert, da man das Amt selbst besitzt und versucht, die wenig vorhandene Macht soweit wie möglich zu behalten. Brockmeier Formuliert Reformvorschläge, die zwar mit Sicherheit nicht umgesetzt werden werden, aber einen Ausweg aus diesem Dilemma Bahnen könnten: kurz gesagt geht es darum, die Machtverschiebung auf das Kanzleramt und die Fachministerien als gegeben zur Kenntnis zu nehmen und dem auswärtigen Amt eine Explizitere Koordinations- und Beratungsrolle zu geben. Sinnvoll wäre das sicher, denn neben der problematischen Mentalität sind viele der heutigen Herausforderungen deutscher Außenpolitik hausgemacht und in den Strukturen begründet.

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