Mittwoch, 16. August 2023

Rezension: Christopher Leonard - Kochland. The Secret History of Koch Industries and Corporate Power in America (Teil 6)

 

Christopher Leonard - Kochland. The Secret History of Koch Industries and Corporate Power in America (Hörbuch)

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier.

Inglis machte eine Erfahrung, die ab 2009 für die meisten Abgeordneten typische werden sollte. Ihre Wahlkampfveranstaltungen waren urplötzlich von massenhaft ungeheuer wütenden, gut organisierten und gebrieften Aktivist*innen besucht, die allesamt die exakt gleichen Formulierungen verwendeten und dieselben Fragen stellten. Unter dem Aufwand von zig Millionen Dollar hatte Koch Industries eine künstliche Protestbewegung schaffen geholfen, die die Abgeordneten massiv unter Druck setzte.

Dieser Druck richtete sich dezidiert weniger gegen die Democrats, sieht man von einigen Ausnahmen von mit der Fossilindustrie verbandelten Abgeordneten ab, weil Koch diese ohnehin als Feinde betrachtete. Stattdessen attackierte er über seine künstlichen Bewegungen, die in altbewährter Manier durch zahlreiche Vernebelungsschichten so von seinem Unternehmen getrennt wurden, dass der Zusammenhang fast nicht mehr sichtbar, mit Sicherheit nicht juristisch zu belegen und daher für die Gesetze zur Wahlkampffinanzierung irrelevant war, Republicans. das Ziel war nicht so sehr, ihre Wiederwahl zu verhindern, als Exempel zu statuieren und die Abgeordneten auf Linie zu bringen.

Kochs Erkenntnis, die Leonard wie üblich in den höchsten Tönen als strategisches Genie lobt (was in einer perversen Weise sicher richtig ist), dass er davon profitieren würde, wenn die Partei ein monolithischer Block war, der auf seine Ideologie hin eingeschworen war, fand ihren Niederschlag in der erwähnten massiven Lobbying-Kampagne, die solche Art noch nie dagewesen war. Sie erhöhte die Betriebstemperatur der amerikanischen Politik deutlich, indem sie auf blanken Hass und Wut setzte, die leicht zu mobilisieren waren. Dabei knüpfte Koch ohne jede Berührungsangst an allerlei radikale Milieus voller Verschwörungstheoretiker*innen an. Der Feind seines Feindes war sein Freund, mit all den schrecklichen Folgen für die Innenpolitik, die dies mit sich bringen würde.

Diese Lobbying-Maßnahmen waren hochgradig erfolgreich: Cap and Trade starb einen langsamen Tod im Senat und kam niemals zur Abstimmung. Koch war damit jedoch nicht am Ende. Seine Dachorganisation Americans for Progress (AFP), die diese Lobbyorganisationen koordinierte, verfasste einen pledge, niemals irgendeine Klimaschutzgesetzgebung, egal welche, zu unterstützen, wenn man in irgendeiner Art und Weise von Koch unterstützt beziehungsweise nicht aktiv bekämpft werden wollte. Allein von den 80 neugewählten Abgeordneten der Tea Party hatten 76 diesen pledge unterschrieben, was im Endeffekt garantierte, dass auf mindestens ein Jahrzehnt keine Klimaschutzgesetzgebung verabschiedet werden würde. Auffällig an Leonards Schilderung finde ich, dass er den Filibuster, wie ihn die Republicans etabliert hatten, als vollkommen normal betrachtet. Er spricht immer wieder von 60 Stimmen, die zur Verabschiedung von Gesetzen notwendig seien. Die Übernahme dieses konservativen Narrativs ist ein Dauerproblem moderater Beobachtender. Für Koch jedenfalls hatten sich die Lobbyingmaßnahmen mehr als ausgezahlt: sein Vermögen verdoppelte sich seit dem Ende von Cap and Trade.

Die Gründe dafür werden in Kapitel 21, "The War for American BTUs", dargelegt. Die Grundlage dafür bietet der Boom im Fracking ab 2009. Die Frackingtechnologie war grundsätzlich seit den 1970er Jahren bekannt, allerdings immer unwirtschaftlich und war nur dank massiver Subventionen am Leben gehalten wurden. mit den großen Preissteigerungskosten beim Öl mit dem Beginn der 2000er Jahre wurde die Technologie plötzlich wieder interessant und die Unternehmen begannen zu investieren, was die Preise noch einmal senkte und Fracking plötzlich wettbewerbsfähig machte. Wieder einmal ist auffällig, wie sehr Koch Industries (pars pro toto) von Subventionen profitiert, die in hohen Tönen und moralistischer Überlegenheit rhetorisch abgelehnt werden.

Kochs Geschäftsphilosophie zeigte sich einmal mehr: er war bereit, Risiken einzugehen und große Investitionen vorzunehmen, wenn ein entsprechender Gewinn in Aussicht stand. Die Firma baut ihr Pipelinenetz an der Golfküste massiv aus. Das Risiko war wesentlich höher, als Koch dies gewöhnlich einzugehen bereit war. Die Logik allerdings war stabil: der Frackingboom würde Öl in den USA wesentlich billiger machen. Der Peak Oil wurde durch einen Peak Demand abgelöst. Da in dem fragmentierten amerikanischen Markt anders als im OPEC-Kartell keine Möglichkeit bestand, die Ölförderung künstlich zu begrenzen, lag der Flaschenhals in den USA an einer anderen Stelle: Es waren einmal mehr die Raffinerien.

Durch die Firmenzusammenschlüsse, die durch die Gesetzesänderungen unter Reagan, Bush und Clinton so gefördert worden waren, gab es unter den amerikanischen Raffinerien (wir erinnern uns) seit den 1970er Jahren keine Neugründungen. Die amerikanischen Raffinerien fuhren unter permanenter Vollauslastung. Selbst Routinereparaturen sorgten dafür, dass die Preise beim Benzin Schwankungen wie bei einem Hurricane aufwiesen. Für Koch und die anderen Großunternehmen war das seit nunmehr 40 Jahren eine zuverlässige, politisch geschützte Einnahmequelle.

Koch investierte in die Raffinerie von Corpus Christi in Texas. Diese Raffinerie bediente vor allem Leichtöl, während die meisten anderen Raffinerien Schweröl bedienten. Leonard erklärt die dahinter liegenden Mechanismen des Raffineriegeschäfts ausführlicher, für uns soll an dieser Stelle genügen, dass die Raffinerie von Corpus Christi neben der von Pine Bent zur zweiten zuverlässigen Cashcow von Koch Industries wurde.

Die erwähnte Verdoppelung des Vermögens Kochs ist zu weiten Teilen auf dieses Investment zurückzuführen (neben den Unzweifelhaften erfolgen auf dem Spekulationsmarkt). Für Koch war der Peak Demand jedoch sehr gefährlich. Der Klimaschutz war zwar gescheitert, aber Obama war ungleich erfolgreicher in der Förderung alternativer und regenerativer Energiequellen gewesen, die an Wichtigkeit im amerikanischen Energiemix immer mehr zunahmen. Diesen marktwirtschaftlichen Erfolg konnte Koch selbstverständlich nicht akzeptieren, so dass er politische Handlungen seitens der Regierung zur Beeinflussung des Marktgeschehens hervorrufen musste (ein weiterer der vielen offensichtlichen Widersprüche zu der offiziellen Ideologie, der Leonard überhaupt nicht aufzufallen scheint).

Dabei berichtet Leonhardt nun über genau ein solches Beispiel: in Kansas hatte die Windenergie einen großen Boom erlebt, da das flache Land für die Windenergiegewinnung ideal war und auf diese Art und Weise viele Jobs entstehen konnten. Selbst ein rechtsradikaler Gouverneur wie Sam Brownback unterstützte die Windenergie. Koch und seine AFP Vernetzen sich mit anderen rechtsradikalen Netzwerken wie der NRA und investierten massiv in die Lokalpolitik. Das war quasi für Kleingeld möglich: normale Wahlkämpfe in Kansas (wir reden in einem so tiefroten Staat natürlich von Vorwahlkämpfen) mobilisierten vielleicht 1000 wählende und kosteten maximal 10000 Dollar. Koch investierte in solche Wahlkämpfe Summen von 50000 Dollar und mehr, wobei er unbekannte Kandidat*innen auswählte, diesen sagte, dass sie einfach nur beiseitetreten sollten, und die Amtsinhabenden dann mit einer unglaublichen Masse an negative campaigning überzog. wie bereits bei der Tea Party 2010 schuf er sich damit eine Gruppe fanatischer Befehlsempfänger*innen ohne jegliche Qualifikation, die sich vor allem auf das Schüren von Hass und das Zerstören verstanden. Aber mehr brauchte Koch nicht.

Er bezahlte dafür allerdings auch einen persönlichen Preis: nach 30 Jahren Zurückhaltung und Vernebelung seines politischen Einflusses durch zahlreiche Tochterfirmen und legalistische Manöver hatte die massive Investition in Lobbying seit 2009 eine landesweite Bekanntheit Kochs und einen neuen Status als Hassobjekt der Linken zur Folge. Die Konsequenz bestand in Todesdrohungen und der Notwendigkeit von wesentlich mehr Sicherheitsmaßnahmen. leider zeigt sich hier einmal mehr, das radikale Aktivist*innen auf allen Seiten vorkommen und immer und zu allen Zeiten die gleichen kriminellen Vollidioten sind.

Kapitel 22, "The Education of Chase Koch", nimmt dann einen kleinen narrativen Umweg. Im Jahr 2015 wurde Charles Koch 80 Jahre alt, wodurch sich zumindest inoffiziell die Nachfolgefrage immer häufiger und drängender stellte. Die offizielle Version, die man von den ideologisch gedrillten Angestellten aller Ebenen hörte, war die, dass die Lehre von MBM so gut und erfolgreich implementiert war, dass sie von der Person unabhängig war und dass das Unternehmen unter jedem neuen CEO erfolgreich sein würde. Während MBM in seinem Lauf weder von Ochs und Esel aufgehalten werden mochte, war bei weitem nicht so klar, ob es den Großen Vorgesetzten tatsächlich überleben konnte.

Anders als bei Fred Koch, der vier Söhne als potenzielle Nachfolger gehabt hatte, hatte Charles Koch nur einen (er hatte zwar auch eine Tochter, aber die zählte offensichtlich von Anfang an nicht, was Leonard allerdings nur in einem Nebensatz erwähnt): Chase Koch. ob dieser das Unternehmen einmal übernehmen würde und wenn, ob er das dann auch gut tun würde, stand in den Sternen. Die Erziehung Chases bereitete ihn jedenfalls auf dieses Ziel vor: so bestanden seine Sonntage als Kind daraus, Hörbuchversionen von von Mises und Hayek zu hören und dann von seinem Vater über die Inhalte geprüft zu werden gut - wohlgemerkt im Alter von 8 Jahren.

Chase musste auch explizit eine Sportart betreiben, in der er Spitzenleistungen erbrachte. Nachdem er im Basketball nicht gut war, wechselte er zu Tennis, wo er auch tatsächlich brillierte, in einem solchen Ausmaß, dass er Burnout bekam. Charles stellte ihn dann vor die Wahl, entweder zum Leistungssport zurückzukehren oder für den Sommer einen Job im Unternehmen anzunehmen (dass Chase einfach einmal Freizeit haben könnte, stand offensichtlich in die zur Debatte). Chase entschied sich für den Job, für den er dann drei Monate in einem Trailer mitten im Nirgendwo leben musste, was ihm sein Vater bis zum Antritt dieses Jobs nicht gesagt hatte.

Die ganze Geschichte ist wie aus dem Lehrbuch der amerikanischen Unternehmerbiographien entnommen. Chase brilliert natürlich auch in diesem Job, er kennt den Wert harter Arbeit, Macht wichtige Erfahrungen mit hart arbeitenden Typen des mittleren Westens und so weiter.

Mit 16 Jahren überfuhr Chase mit einem hochmotorisierten Auto ein Kind und tötete es. Leonard versichert uns schnell, das seine Eltern ihn auf keinen Fall von den Konsequenzen abschirmen wollten, aber sie taten genau das: die Firmenanwälte und der örtliche, mit Koch vernetzte Richter beschützten Chase vor den rechtlichen Konsequenzen (für Leonard ist es völlig bewundernswert, dass Chase überhaupt vor Gericht steht und die Bewährungsstrafe mit Sozialstunden akzeptiert), und obwohl seine Eltern ihn zwangen, sich beim Vater des toten Kindes zu entschuldigen, belog Chase den Vater über den Tathergang (was sich vor Gericht herausstellte), bleibt völlig unklar, welche Lektion Chase genau gelernt haben soll. Leonard versichert uns zwar, wie tief diese Episode ihn geprägt hat, bis zu dem Punkt, das Chase als das wahre Opfer der ganzen Tragödie dasteht, aber auch das ist letztlich ein narratives Klischee: an keiner weiteren Stelle der Erzählung wird dieser angeblich schwerwiegende Einfluss noch einmal eine Rolle spielen.

Weiter geht es in Teil 7.

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