Montag, 19. August 2024

Rezension: Mary Robinette Kowal - The Fated Sky

 

Mary Robinette Kowal - The Fated Sky (Hörbuch) - Mary Robinette Kowal - Für die Sterne bestimmt

Nachdem im ersten Roman der "Lady Astronaut"-Serie, "The Calculating Stars" (hier rezensiert) die Protagonistin Elma York auf die erste Mondmission aufgebrochen war, setzt sich die Geschichte nach einem kleinen Zeitsprung in "The Fated Sky" fort. Kowal ändert wenig am Grundprinzip ihres Erstlingswerks: in personaler Erzählperspektive folgen wir Elma Yorks Verwicklungen mit dem Raumfahrtprogramm und ihrer Teilhabe am selbigen. Nach der erfolgreichen Etablierung einer Mondbasis und zahlreichen Missionen ist Routine eingekehrt. Elma pendelt zwischen Erde und Mond und sieht ihren Ehemann Nathaniel immer nur für ein halbes Jahr, was die Beziehung auf eine gewisse Probe stellt. Im Hintergrund laufen die Vorbereitungen für den ersten bemannten Marsflug, doch Elma hat kein Interesse: sie will sich ihrer Familie widmen. Dergestalt ist das Setup des zweiten Romans, und es dürfte schon vom Titelbild her klar sein, dass die Lady Astronaut sicherlich nicht allzulange earthbound bleiben wird.

Die Menschheit steht weiterhin vor der Bedrohung durch den Klimawandel, der durch den Meteoriteneinschlag ausgelöst wurde, der die Erde in „The Calculating Stars“ verwüstet hat. Um das Überleben der menschlichen Rasse zu sichern, arbeitet die Internationale Raumfahrtbehörde (International Aerospace Coalition, IAC) daran, den Mars zu besiedeln. Elma York hat durch ihre Beteiligung an der Mondmission großen Ruhm erlangt und wird jetzt als Kandidatin für die Marsmission in Betracht gezogen. Ihr Profil wird durch einen Terroranschlag der "Earth First"-Gruppe, die das Raumprojekt zugunsten der Investition der Mittel auf der Erde beenden wollen, noch erhöht, als sie als Geisel genommen wird.

Die Entscheidung, wer an der ersten Marsmission teilnehmen soll, sorgt für Spannungen innerhalb der IAC und der breiten Öffentlichkeit. Elma steht unter immensem Druck, da sie die Erwartungen der Welt, insbesondere in Bezug auf die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Raumfahrt, erfüllen muss. Gleichzeitig gibt es erhebliche interne Konflikte, da viele Männer in der IAC der Meinung sind, dass Frauen, insbesondere Elma, nicht in der Lage sind, den extremen Bedingungen des Raumflugs standzuhalten. Trotz dieser Vorurteile wird Elma schließlich als eine der Astronautinnen für die Marsmission ausgewählt. Dadurch muss allerdings eine andere Astronautin auf ihren Platz verzichten, was zu Spannungen innerhalb des Teams sorgt, das Elma nicht gerade aufgeschlossen gegenübersteht.

Die Vorbereitungen für die Marsmission sind intensiv und verlangen von Elma und ihren Kollegen körperliche und psychische Höchstleistungen. Der Abschied von der Erde fällt Elma schwer, da sie ihren Ehemann Nathaniel und ihre Familie zurücklassen muss. Dieser persönliche Konflikt wird im Laufe des Romans zu einem wiederkehrenden Thema, da Elma sich mit der Einsamkeit und den emotionalen Herausforderungen des Langzeitraumflugs auseinandersetzen muss.

Die Crew der Marsmission besteht aus einer vielfältigen Gruppe von Astronauten, darunter auch Menschen unterschiedlicher ethnischer Hintergründe und Geschlechter. Diese Diversität führt jedoch auch zu Spannungen und Konflikten an Bord, insbesondere zwischen Elma und dem Kommandanten Stetson Parker. Parker, ein ehemaliger Feind von Elma, mit dem sie in der Vergangenheit aneinandergeraten ist, wird als Missionskommandant ausgewählt. Die beiden müssen lernen, ihre Differenzen beiseitezulegen und zusammenzuarbeiten, um die Mission zum Erfolg zu führen. Dabei kommt es immer wieder zu Machtkämpfen und Missverständnissen, die die Moral der gesamten Crew belasten.

Während des Fluges zum Mars sieht sich die Crew einer Reihe von Herausforderungen gegenüber. Technische Probleme, Unfälle und gesundheitliche Gefahren machen den Langzeitraumflug extrem riskant. Elma muss sich in dieser feindlichen Umgebung beweisen und nutzt ihre mathematischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten, um lebensrettende Lösungen für die Probleme zu finden, die auftreten. Besonders kritisch wird die Situation, als die Crew auf unerwartete Schwierigkeiten stößt, die ihre Sicherheit und die gesamte Mission in Gefahr bringen.

Elma wird im Laufe der Mission mit einer Vielzahl persönlicher und emotionaler Konflikte konfrontiert. Der Druck, der auf ihr lastet, wächst, und sie beginnt, an ihren eigenen Fähigkeiten und ihrer Rolle in der Mission zu zweifeln. Gleichzeitig plagen sie Schuldgefühle, weil sie ihre Familie auf der Erde zurückgelassen hat. Diese inneren Konflikte spiegeln sich in ihrem Verhalten gegenüber ihren Kollegen wider und führen zu Spannungen in der Crew. Trotz dieser Herausforderungen wächst Elma jedoch über sich hinaus und beweist, dass sie sowohl mental als auch körperlich in der Lage ist, die Herausforderungen des Raumflugs zu meistern.

Als die Mission immer schwieriger und gefährlicher wird, erkennt die Crew, dass sie nur durch Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen überleben können. Eine Epidemie auf einem der Schiffe endet im Tod einer Astronautin; ein weiterer stirbt bei einem Unfall bei der Reparatur einer Ammoniakleitung. Der Umgang mit dem Tod auf der Mission und die Frage, wie man mit den Körpern verfahren soll, stellt die Crew auf eine harte Probe.

Der Höhepunkt des Romans ist die Ankunft am Mars. Die Landung auf dem Roten Planeten ist mit erheblichen Risiken verbunden, und die Crew muss sich auf ihre Fähigkeiten und das Vertrauen untereinander verlassen, um sicher zu landen. Nach vielen Rückschlägen und Herausforderungen gelingt es der Crew schließlich, den Mars zu erreichen und die ersten Schritte auf dem Planeten zu machen. Dieser historische Moment ist nicht nur ein Triumph für die Wissenschaft und die Raumfahrt, sondern auch für Elma persönlich, die ihre Zweifel und Ängste überwunden hat.

Nach der erfolgreichen Landung und Erkundung des Mars steht die Crew vor der ebenso riskanten Aufgabe, zur Erde zurückzukehren. Elma und ihre Kollegen sind erschöpft und emotional ausgelaugt, doch sie wissen, dass ihre Mission noch nicht vorbei ist. Die Rückkehr zur Erde ist mit neuen Herausforderungen verbunden, und die Crew muss weiterhin zusammenarbeiten, um sicher nach Hause zu kommen. Der Roman endet mit der Aussicht auf eine erfolgreiche Rückkehr, lässt aber auch die Tür für zukünftige Abenteuer offen, da die Menschheit nun auf dem Weg ist, den Mars dauerhaft zu besiedeln, als die erste Kolonie auf dem Roten Planeten aufgebaut wird.

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Der Beginn der Handlung mit der Geiselnahme durch die "Earth First"-Gruppe hatte mich erst etwas verwundert, weil er der Zurückhaltung Kowals bei politischen Themen zuwiderzulaufen schien. Tatsächlich spielt er für die weitere Handlung eine überraschend untergeordnete Rolle und dient vor allem der Handlungslogik: um ihrer Heldin nicht zu einer unlogischen Dauerpräsenz bei allen Missionen zu verhelfen (ein Phänomen, unter dem die späteren Staffeln von "For All Mankind" massiv leiden), befeuert der Konflikt um das Raumfahrtprogramm die Notwendigkeit positiver PR für die teure Marsmission. Den ersten Mann im All, Stetson Parker, und die "Lady Astronaut" Elma York auf diese Mission zu schicken macht unter diesen Gesichtspunkten eine Menge Sinn und ergibt eine schlüssige Handlungsgrundlage, die auch gleichzeitig Stoff für viele Charakterkonflikte bietet.

Ich habe in meinen Rezensionen schon öfter die Tendenz von SciFi-Romanen kritisiert, wenig Gewicht auf glaubhafte oder spannende Charaktere zu legen, und das ist wirklich etwas, das man Kowal nicht vorwerfen kann. Trotz ihres Gewichts auf realistischen und technisch passenden Darstellungen der Raumfahrt wird die Handlung vor allem durch die Charaktere getrieben. Das ist auch wichtig, denn der Löwenanteil des Romans findet als eine Art Kammerspiel praktisch ausschließlich auf einem der drei Schiffe der Marsmission statt, wo sechs Charaktere auf engstem Raum unterwegs sind. Auch hier setzt sich Kowal sehr woltuend von Formaten wie "Away" ab, die völlig unrealistische Konflikte austragen (was leider auch "For All Mankind" plagt), sondern bleibt bei "The Martian": alle Charaktere sind Profis. Sie haben ihre persönlichen Konflikte, aber diese kommen niemals mit der Mission selbst in Konflikt.

Man könnte meinen, dass das Spannung tötet, aber dem ist nicht so. Vielmehr schafft es Kowal, diese persönlichen Konflikte und die Professionalität, in die die Charaktere immer wieder zurückschnappen wie Sprungfedern, reizvoll miteinander zu verbinden: immer wieder werden sowohl Konflikte als auch empathische Momente durch die Erfordernisse des Augenblicks unterbrochen, stehen die Bedürfnisse der Mission über denen der Menschen oder müssen wenigstens austariert werden. Die Spannung besteht weniger darin, ob Elma die Marsmission überleben wird (duh), sondern darin, ob sie ein nicht nur professionell, sondern auch menschliches Verhältnis zu ihren Mitaustronaut*innen findet.

Diese Balance erfordert Zurückhaltung, denn auch wenn die Charaktere sich über etwas ärgern, können sie ihren Emotionen nicht freien Lauf lassen. Ob das der Rassismus des südafrikanischen Second-in-command ist, der sich nicht einmal von der schwarzen Sanitäterin berühren lassen will, oder das angespannte Verhältnis zwischen York und Parker: Stets müssen alle Beteiligten über ihren Konflikten stehen, wenn es darum geht, gemeinsam im kalten Vakuum des Weltalls zu überleben. Diese Art von Geschichten sind die besten Geschichten, die man in diesem Genre erzählen kann, und abgesehen von "The Martian" kenne ich niemandem, dem dieser Spagat so gut gelingt wie Kowal.

Dabei behält sie auch die Tendenzen der Zeit immer noch schön im Hinterkopf. Die FBI-Nachforschungen zu der "Earth First"-Gruppe haben genug Elemente des "Red Scare", und dass sie vor allem die schwarzen Beschäftigten untersuchen und deren Verhältnisse zu Martin Luther King als besonders verdächtig einstufen, ist kaum unrealistisch zu nennen. Dass auf dem Raumschiff vor allem die Frauen die Küche und die Wäsche machen, während die Männer vor allem die Geräte überwachen, ist ein Dauerthema auf dem Flug. Auch die Statusunterschiede zwischen den farbigen und weißen Mitgliedern des Teams kommen immer wieder mal mehr, mal weniger subtil zum Vorschein. Kowal formuliert hier auch eine dem Genre inhärente optimistische These, nach der die neue Frontier des Weltraums und die Notwendigkeit professioneller Zusammenarbeit diese Unterschiede erodiert; in einer Art Star Trek light wird die Marsmission zu einer Art Versuchslabor der Moderne.

Auch ethische Fragestellungen tauchen auf, vor allem wenn es darum geht, was mit den Körpern der Toten passieren soll. Die von der Internationalen Raumfahrtbehörde angedachte Lösung jedenfalls besteht den Praxistest nicht und führt zu einer der heftigsten Szenen des Romans, die einen die Traumatisierung der Besatzungsmitglieder empfindlich nachfühlen lässt - und einmal mehr das Händchen Kowals für die Feinheiten menschlicher Emotionen und Beziehungen spüren lässt.

All das heißt übrigens nicht, dass es wenig Handlung gäbe. Auf der Mission läuft einiges schief, und immer wieder müssen die Besatzungen Notfälle überstehen. Nur stehen diese Handlungselemente nicht für sich, sondern werden von Kowal dazu genutzt, die Charakterbeziehungen und -entwicklungen voranzutreiben. Besonders deutlich wird dies beim Ausfall der Kommunikation mit der Erde, als die Mission für 51 Tage quasi blind fliegt. Der ständig wachsende Druck auf die Charaktere, die nicht wissen, was zuhause passiert ist, sorgt für mehr Fingernägelkauen als Weltraumschrott auf dem Spacewalk.

Beinahe noch mehr als den ersten Band, auf dessen Figurenzeichnungen der zweite aufbaut und der die Vorarbeit bravourös nutzt, kann ich daher "The Fated Sky" nur empfehlen.

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