Mittwoch, 28. August 2024

Die Aufkündigung eines Konsens - die Medien und der US-Wahlkampf

 

In den meisten westlichen Medien gibt es einen Grundkonsens zwischen Medien und Politik. Die Politik weiß, dass sie sich zumindest in einem gewissen Maß den Fragen und Nachforschungen der Presse zu stellen hat. Die Presse weiß, dass sie eine gewisse Objektitvität bewahren muss, die nicht mit Neutralität verwechselt werden sollte; vielmehr ist eine Fairness, alle unter denselben Prämissen zu behandeln: die Politik findet in einem geteilten Wirklichkeitsraum statt. Interpretationen und Analysen, Framings und Narrative haben ihre Verankerung in diesem gemeinsamen Wirklichkeitsraum. Dieser Grundkonsens ist in den USA schon lange unter Beschuss gewesen. Inzwischen ist er weitgehend aufgekündigt. Das hat komplexe Gründe.

Die erste Aufkündigung des Konsens' war die Erkenntnis einiger hervorgehobener Exponenten der amerikanischen politischen Rechten, die in der Abschaffung der so genannten "Fairness Doctrine" im Rahmen der Privatisierung des Rundfunks in den 1980er Jahren ihre Chance erkannten. Ausgehend vom "Talk Radio", untrennbar verbunden mit dem Namen Rush Limbaugh, schufen sie einen eigenen Kosmos, der seine höchste Form im in den 1990er Jahren gegründeten Sender FOX News fand. Besonders ab George W. Bushs Präsidentschaft (2001-2009) schwang sich FOX zu einer beherrschenden Stellung im Meinungsmarkt auf. Die entsprechenden Versuche der amerikanischen Linken, mit MSNBC ein vergleichbares Format zu entwickeln, scheiterten. Der Sender hat bis heute nur marginale Anteile; im Talk Radio kommt die Linke überhaupt nicht vor. Tatsächlich beziehen die meisten Mitte-Links-Wählenden ihre Informationen immer noch aus den Quellen des moderat-mittigen Nachrichtenspektrums, etwa CNN oder NBC im Fernsehbereich, der New York Times, L.A. Times oder Washington Post im Printbereich.

In diesem ist die Idee einer gewissen Objektivität und Neutralität prävelent. Das äußert sich in Fact Checks, in "he said, she said"-Darstellungen, der Trennung von Kommentar und Nachricht und so weiter. Gerade bei der New York Times ist das mittlerweile zu einem eigenen Comedy-Genre geworden. Und hier findet die aktuelle Aufkündigung des Konsens statt. Während die conservatives seit den 1990er Jahren zunehmend gegen die Leitmedien ankämpften und sich immer mehr in ihre eigene Blase verzogen, blieben sowohl independents als auch liberals bei den Leitmedien und unterwarfen sich ihren Regeln. Ob Obama, ob Clinton, ob Biden, sie alle akzeptierten das Regelwerk, egal wie unfair es auch war. Und dass es unfair war - und ist -, ist im Umgang mit Trump offensichtlich.

Kamala Harris tut das nicht mehr. Sie traf die bewusste Entscheidung, die Presse deutlich auf Abstand zu halten. Keine Pressekonferenzen, wenig Interviews und keine Bereitschaft, sich der Arbitration der Leitmedien zu unterwerfen. Es ist bei weitem nicht die offene Feindschaft, mit der das rechte Lager der Presse begegnet, aber man lebt quasi in Trennung. Die Reaktionen kamen prompt: es gibt eine Litanei von Artikeln, in denen Harris' Weigerung, sich den Regeln der Leitmedien zu unterwerfen, in bittersten Tönen kritisiert wird. Wie John Stoer schreibt, ist das nur folgerichtig:

Even if I agreed that candidates who want to be president should be regularly subjected to media scrutiny, I don’t think this press corps, as it is currently organized, is able to. There are exceptions, of course, but this press corps is generally not equipped to scrutinize candidates on matters of fact and substance. I say this because this press corps has conspicuously traded matters of fact and substance for vibes.

Die Leitmedien erfüllen ihre Aufgabe nicht mehr. Sie können das auch gar nicht. Man kann endlos darüber streiten, was Huhn und was Ei in diesr Dynamik ist, aber Fakt ist: sie können unmöglich einee solche Kontrolle bei beiden Seiten durchführen, weil die Republicans überhaupt nicht nach den Regeln spielen. Deswegen werden sie nur einseitig durchgesetzt. Es ist wie ein Fußballspiel, bei dem zwar ein Schiedsrichter auf dem Platz ist, aber ein Team dessen Anweisungen völlig ignoriert. Wenn aber nur ein Team ein Abseits akzeptiert oder eine gelbe Karte - wie lange genau macht das Team das? Es ist eher verwunderlich, wie lange die Democrats dieses Spiel mitgespielt haben.

Beispiele gibt es genug. Man nehme nur das Thema "Pressekonferenz". Harris wird viel dafür kritisiert, dass sie praktisch keine hält. Nur: das tut Trump auch nicht. Hat er auch nie. Tom Nichols beschreibt das in seinem Artikel "The Truth About Trump’s Press Conference" ziemlich gut (siehe auch Kevin Drum oder Jonathan Chait dazu). Berechtigte Kritik etwa an der Dünnheit von Harris' programmatischen Vorschlägen (die bewusste Strategie sind, wie wir gleich sehen werden) wird nur albern, wenn auf der anderen Seite Donald Trump auf dieser Basis überhaupt nicht ernstgenommen wird. Da ist natürlich auch nichts Ernstzunehmendes, aber die Tatsache, dass das mittlerweile einfach eingepreist ist macht es völlig unmöglich, objektiv und sachlich beide Seiten zu untersuchen und zu vergleichen: eine spielt einfach nicht nach den Regeln.

Ein anderes Beispiel ist das ernsthafte Behandeln offensichtlicher Lügengeschichten, das die Grenzen des Fact Checking deutlich aufzeigt. So verbreiteten die Republicans etwa die Lüge, in blauen Staaten würden an Schulen Tampons in Jugenklos ausgelegt. Das ist Teil des Hassfeldzugs gegen LGTBQ+-Menschen, die bereits seit einer Weile läuft. Es ist auch offensichtlicher Quatsch. Aber die Leitmedien schickten ernsthaft Reporter*innen los, die das überprüften (Kevin Drum kommentiert das hier, David Roberts hier). Wenig überraschend: der Fact Check kommt mit der Antwort, dass es nicht stimmt. Aber natürlich, weil es immer "both sides" ist und "fair" sein muss, wird irgendeine Qualifizierung gefunden. Oder sonstwie ein Artikel daraus gebastelt, weil man ja rechtfertigen muss, dass man Tinte dafür verschwendet. Und dann steht irgendwo "Democrats do not provide tampons for boy's bathrooms", was ungefähr genauso schädlich ist wie wenn man das "not" aus dem Satz herausnimmt, weil die Verbindung der Worte das ist, was hängen bleibt. Dass die Democrats keine Lust mehr haben, diesen Blödsinn mitzumachen, ist völlig in Ordnung.

Das letzte Beispiel wurde ebenfalls viel diskutiert; es geht um die Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft (siehe etwa die Bestandsaufnahme von Noah Smith). Obwohl die Inflation besiegt ist, werden Trumps bekloppte Kommentare von einer Vervierfachung des Schinkenpreises gefactchecked, als handle es sich um etwas, das auch nur eine Sekunde der Aufmerksamkeit verdient. Völliger Blödsinn wird so gleichberechtigt "übeerprüft" wie wenn Biden verkündet, dass die Arbeitslosigkeit im letzten Quartal um 0,4% gesenkt wurde. Und dann beweist man seine Unabhängigkeit, indem man dazuschreibt, dass Trumps Aussage zwar komplett falsch ist, aber Biden auch nicht ganz Recht hatte, weil es nur 0,396% waren.

Harris' scheint demgegenüber eine neue Strategie einzuschlagen. Sie versucht, deutlich mehr Kontrolle über ihr eigenes Narrativ zu bewahren. Leitmedien filtern Kommunikation, und für Politik ist es sehr wünschenswert, dass ihre Kommunikation ungefiltert ist. Das erfordert, auch an der Presse vorbeizukommunizieren. Dazu gehört, sich nicht Pressekonferenzen zu stellen, in denen ohnehin keine sinnvollen Fragen kommen (erneut: der Konsens war eine Grundsatzehrlichkeit und ein Spielen nach den Regeln aller Seiten, und das ist einfach nicht mehr gegeben, weswegen die Presse ihre Funktion nur noch eingeschränkt ausübt und ausüben kann). Dazu gehört, Konflikte nur intern auszutragen. Und dazu gehört, keine ausführlichen Policy-Vorschläge zu machen.

Ich habe das bereits 2017 (!) im Zusammenhang mit der SPD beschrieben. Meine beiden Ratschläge 3 und 4 waren: "Ignoriert die BILD" und "Scheiß auf Zahlen und Programme". Ich zitiere mich selbst:

Wisst ihr was eure schlimmste Obsession ist? Wunderbar ausgefeilte Programme, mit 150 Seiten, voller detaillierter policy-Vorschläge und Bezahlbarkeitsrechnungen. Und warum? Weil’s keinen interessiert. Niemand liest Parteiprogramme, außer beim politischen Gegner. Die suchen irgendeinen obskuren Mist von Seite 134 und führen eine Kampagne damit. Remember Veggie-Day! Eine Zehn-Punkte-Liste tut’s auch. True Story: ich habe versucht auf eurer Homepage eine Zusammenfassung in einem Absatz zu finden, wofür die SPD steht. Das gibt es nicht. Dafür 21 verschiedene Seiten, die eure Kernthemen erklären. Einundzwanzig! Die. liest. keine. Sau. Wisst ihr, was im CDU-Wahlprogramm steht? Ich auch nicht. Und auch sonst niemand. Weil’s keinen interessiert. Und das gilt für euer Programm auch. Stattdessen braucht ihr Narrative, aber dazu kommen wir gleich.

Vorher gibt es nämlich noch was Wichtigeres: Vergesst Zahlen. Ihr habt diese echt süße Idee, dass die Vorschläge aus eurem Wahlprogramm bezahlbar sein müssen. Das ist völliger Blödsinn. Niemand interessiert, ob etwas aufkommensneutral finanziert wird oder nicht, die tun alle nur so. Habt ihr jemals erlebt, dass in der BILD die Frage thematisiert wird, wie die Steuerkürzungen der FDP eigentlich gegenfinanziert werden? Da steht dann ein Hokuspokus vom sich selbst tragenden Aufschwung, mit ein paar erfundenen Zahlen. Das könnt ihr auch. Wer kriegt was? Die 99%. Wer zahlt? Die Bonzen. Fertig. Eure Vorschläge sind so oder so hinfällig, weil ihr einen Partner braucht. Rechnen kann man immer noch in den Koalitionsverhandlungen. Schaut euch Schäuble an: der verspricht Hilfspakete für Griechenland, Steuerkürzungen für alle, aber besonders für die Mittelschicht, und die Renten bleiben stabil. Und das kostet keinen Cent! Und niemand zieht auch nur eine Augenbraue hoch, denn die CDU ist bekanntlich die Partei wirtschaftspolitischer Seriosität. Egal wie sehr ihr euch bemüht, das Handelsblatt wird euch nie liebhaben. Die Leute nehmen immer an, dass ihr Geld ausgebt. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert. Das klingt zynisch. Aber die anderen machen es auch, ihr merkt das nur nicht, und ihr schießt euch selbst in den Fuß.

Dasselbe gilt für die Democrats. Deren Fiskalprogramme sind wesentlich "seriöser" als die der Republicans, aber das interessiert niemanden. Noch nie. Deswegen gilt auch, dass Harris' Vorschlag von Höchstpreisen für Lebensmittel "Economically Dumb but Politically Smart" ist. Es ist auch wieder ein super Beispiel für den medialen Zirkus, den sie sich in dem Fall zynisch zunutzezumachen versucht. Denn "Harris’s price gouging proposal looks pretty modest", aber es wird als ein Riesending diskutiert. Substanz und Vibes passen einmal mehr nicht zusammen. Wie Tom Nichols schreibt: "Policy Isn’t Going to Win This Election". Das Thema ist ein völlig anderes. Und die Democrats reagieren darauf.

Es wurde viel darüber gesprochen, dass die Partei mit dem Wechsel von Biden zu Harris die Freude als Emotion entdeckt hat und welche positiven Aspekte das hat. Der DNC war eine einzige, positive Feier, und - das wird Trump unendlich kränken - war auch noch ein Fernsehereignis. Die Partei sprüht vor Enthusiasmus und positiver Energie, und Wahlen werden im Normalfall immer noch von denen gewonnen, die eine positive Version haben. Der Doom and Gloom siegt dann, wenn er allgegenwärtig ist. Wie auch die Welt analysiert, ist Begeisterung und das richtige Timing dafür von großer Wichtigkeit.

Dazu kommt, dass die Democrats wie bereits 2016 versuchen, den Mantel des Patriotismus für sich in Anspruch zu nehmen. Dazu gehen sie tief in die Geschichte zurück und kanalisieren die Energien eines Abraham Lincoln und des "democratic Patriotism", mit kleinem "d". Einem Patriotismus, der effektiv Demokratie und Rechtsstaat mit der amerikanischen Idee verbindet und den Proto-Faschisten nicht das Feld überlässt.Jonas Schaible sieht auch den Erfolg von "weird", über den Ariane und ich im Podcast gesprochen haben, in diesem Kontext: der Normalitarismus, der normalerweise den Konservativen zugute kommt, wendet sich so gegen sie. Mittlerweile gibt es genügend Äußerungen und Handlungen Trumps, die das Ganze sich echter und richtiger anfühlen lassen als 2016. Man denke nur an "Trump’s Medal of Dishonor". So etwas wäre einem Mitt Romney, John McCain oder George W. Bush niemals über die Lippen gekommen. Die verstanden noch, was Amerika ist.

Dazu kommt die tiefe Bank der demokratischen Nachwuchstalente. Die Partei steht geschlossen hinter Harris und gibt ein einiges Bild ab. Sie ist dabei nicht reines Akklamationsorgan  wie die GOP, sondern hat eigene Akteure, die wie Alexandria Ocasio-Cortez ihre eigene politische Karriere mit der Harris' verknüpfen. Egal wie die Wahl ausgeht, die Partei ist nicht ausgehöhlt, sondern kann auf eine gewisse Zukunft zurückblicken. Die geänderte Strategie zeigt sich zudem in der Aggressivität der Attacken gegen Trump. Vorbei sind die Tage von "when they go low, we go high". In dieser medialen Umgebung ist das eine unmögliche Strategie, das haben 2016ff. deutlich gezeigt.

Der Trump-Zyklus - irre Sachen sagen, Aufmerksamkeit kriegen - indessen scheint sich ein wenig totzulaufen. Es wird langweilig. Das Verlangen der Mehrheit nach Normalität drückt sich auch hier aus. Ob Trump bei seinem Blödsinn bewusst lügt, keine Ahnung hat oder einfach nur langsam den Verstand verliert ist dabei völlig unklar, und das Versagen der Leitmedien zeigt sich einmal mehr darin, nicht einmal fähig zu sein, eine Äquivalenz zu Bidens Aussetzern herzustellen, geschweige denn, die manifeste Ungeeignetheit herauszuarbeiten, die dieser Kandidat so offensichtlich verkörpert wie noch nie ein Präsident.

Ob Harris' Strategie aufgehen wird, ist wie immer unklar. Das wird sich weisen. Ist sie besonders gut für die Demokratie? Das kann man auch kaum sagen, denn die Presse hat grundsätzlich wichtige Funktionen. Aber ich fürchte, sie ist angesichts der Lage alternativlos. Die Democrats haben acht Jahre lang versucht, nach den Regeln zu spielen und das Rennen nach unten nicht mitzumachen. Aber die Leitmedien haben versagt. Wer den Anspruch erhebt, Schiedsrichter im demokratischen Spiel zu sein, der muss auch in der Lage sein, die eigenen Regeln einzuhalten, und alle Beteiligten müssen sie einhalten. Ansonsten kann das nicht funktionieren.

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