Donnerstag, 29. März 2012

Es geht nicht um Sie, Herr Regener

Von Stefan Sasse

Der Musiker und Romanautor Sven Regener ist jüngst in die Schlagzeilen gekommen, als er gegen die Scharen von Urheberrechtsverletzern im Netz, vor allem YouTube-Downloader und Filesharing-Nutzer, einen ausführlichen Rant abließ. Das war natürlich eine Steilvorlage für alle, denen bei den Forderungen besonders der Piratenpartei für ein freies Internet und eine deutliche Schwächung des Urheberrechts immer ganz mulmig wird. Regener wurde zum Kronzeugen für diese Fraktion. Schaut her, hier ärgert sich ein direkt Betroffener! Ja, sicher. Aber der Herr Regener und seine Kollegen sind doch gar nicht gemeint. Niemand will, dass Künstler künftig nicht mehr von ihrer Arbeit leben können. Ich persönlich habe auch nichts gegen das Prinzip von GEMA oder VG Wort. Problematisch werden viel mehr die Auswüchse, etwa wenn man nicht einmal mehr Ausschnitte verwenden oder editieren kann, wenn Videos gesperrt werden, weil im Hintergrund etwas entfernt einem geschützten Produkt Ähnelndes laufen könnte. Das ist das Eine, aber das ist hauptsächlich nervig. Eine gänzlich andere Perversion jedes Urheberrechtsschutzes erlebe ich gerade im Alltag hautnah. 

Die Landesregierung Baden-Württemberg hat mit den ansässigen Schulbuchverlagen ein bindendes Abkommen geschlossen, das klare Richtlinien für das Verfielfältigen von Material vorsieht. Und das hat es in sich. Hatte man früher auf die Arbeitsblätter für Schüler noch vergleichsweise munter draufloskopiert, so sieht man davon inzwischen im Angesichts des ständigen Damoklesschwerts einer strafbewehrten Unterlassungserklärung lieber ab. Insgesamt dürfen aus einem Schulbuch für den Unterrichtsgebrauch nur noch 12% kopiert werden, aber maximal 20 Seiten. Scans jeglicher Art sind vollkommen verboten. Trotz vergleichsweise breiter und intensiver Informationspolitik der Landesregierung zum Thema Copyright ist hier eine gigantische Rechtsunsicherheit entstanden, die vor allem dazu führt, dass die Lehrer im Zweifel lieber auf Material verzichten und, vor allem, nichts mehr weitergeben, da das im Zweifel wesentlich schlimmere Konsequenzen als das Weitergeben im Unterricht hätte.

Diese Unsicherheit kommt den Schulbuchverlagen sicherlich zupass. Diese fielen erst vor Kurzem negativ dadurch auf, dass sie den "Schultrojaner" auf allen Schulrechnern installieren lassen wollten, der die Computer auf unerlaubte Scans abgesucht hätte - Computer, auf denen so unwichtige und unsensible Daten wie die Noten von Schülern gespeichert werden. Diese Idee ist rechtlich überhaupt nicht umsetzbar und würde den Schulbuchverlagen praktisch mehr Kompetenzen zugestehen als dem BKA. Entweder hatten die Verantwortlichen bei Klett, Cornelsen&Co einen völligen Blackout, als sie diese Idee kolportierten, oder die dadurch entstehende generelle Verunsicherung gehört zum Plan. 

Egal welche der beiden Optionen es letztlich ist, die Folgen sind schlecht, und sie haben ganz massiv mit überrestriktiven, aus der Zeit gefallenen und nutzlosen Urheberrechtsrichtlinien zu tun. Wir reden hier von Schule, also dem Ort, wo Kinder lernen sollen. Anstatt aber die bestmöglichen Unterrichtsmaterialien nutzen zu können, müssen Lehrer mehr und mehr auf Zweitlösungen verfallen, weil sich niemand der Gefahr eines Prozesses oder irgendwelchen Strafzahlungen aussetzen will - verständlicherweise. Die Motivation der Schulbuchverlage ist ziemlich verständlich. Sie müssen eines Morgens aufgewacht sein und festgestellt haben, dass sie die Entwicklung des Internets und der Digitalisierung verschlafen haben, ganz ähnlich der Musikindustrie. Während sie an ihren eigenen entsprechenden Projekten arbeiten, wollen sie natürlich jegliche mögliche Konkurrenz unterbinden. Das ist verständlich, wenngleich kaum gutzuheißen. Dass die Landesregierung sich hier zum Gehilfen hat machen lassen und den Profitinteressen der Verlage die Bildungsinteressen der Kinder geopfert hat, ist nicht zu entschuldigen. Es hätte an ihr liegen müssen, die Verlage für eine Regelung à la "Die Regelungen des Urheberrechts greifen in öffentlichen Schulen nicht" zu gewinnen und gegebenenfalls zu entschädigen. Und hier geht es nicht darum, bequem irgendein Lied aus dem Netz zu saugen. Hier geht es um die Zukunft unserer Kinder.

11 Kommentare:

  1. Es gibt eigentlich nur eine richtige Option aus dem Verhalten der Schulbuchverlage. Open Source Schulbücher. Tatsächlich gibt es überhaupt keinen Grund, die Privatwirtschaft an der Bildung verdienen zu lassen.

    AntwortenLöschen
  2. Fragen, die bei interessieren, sind doch: warum gibt es eine abweichende Regelung zur Privatkopie? Was und warum wurde der entsprechende $53 UrhG 2008 geändert? Wie ist die Rechtslage etwa in Schweiz und Österreich? Gibt es denn nicht doch einen relevanten Unterschied zwischen seit jeher digitalisierten / leicht digitalisierbaren Music-Files und eben umständlich digitalisierbaren Büchern? Während der Download-Markt von illegalen Filesharern angetrieben wurde, waren es Verlage und Investoren, die ebooks voran brachten und bringen. Ist es dann wirklich so, dass Schulbuchverlage die Entwicklung verschlafen hätten? Was hätten sie besser machen sollen und können? Hätten sie dazu überhaupt die Mittel gehabt? Im Jura-Bereich war es bislang auch nur der größte und beste Verlag (Beck), der sich hier engagierte. Der Ebook-Hype begann überhaupt erst in den letzten 2-3 Jahren. Ist es bei Schulbüchern überhaupt gewünscht und vorstellbar sie digital anzubieten? Ich glaube nicht. Man kopiert nicht zuletzt deswegen, weil man in Büchern nicht immer rumkritzeln kann. Bei digitalen Werken würde dann ausgedruckt und wir sind wieder am Anfang. Welche Folgen für Verlage und die "Zukunft der Kinder" hätte langfristig grenzenloses Kopieren in Schulen? Auf linken Blogs muss man da sicher gleich dazusagen: offensichtlich negative. Kann man bei Music-Downloads vielleicht noch sagen, das Abendland würde nicht untergehen, weil sich neue Chancen durch moderne Entwicklungen ergeben (Steigern von Popularität, Reichweite etc.), sieht es da bei Schulbüchern nicht ganz anders aus? Welcher begeisterte Fünftklässler wird von Kopien so angetan sein, dass er sich gleich das ganze Buch kaufen möchte und darauf brennt schnellstens zu einer Lesung des Autoren zu gelangen? Und ist es wirklich so, dass massive Rechtsunsicherheit herrscht und im Zweifel dann gar nicht kopiert wird? Oder vielmehr so: "Es gibt wahrscheinlich deutschlandweit keine einzige Lehrperson, die wegen ihrer Kopieraktivität ein schlechtes Gewissen hat." http://www.lehrerfreund.de/in/schule/1s/kopien-schulbuecher-lehrer/

    AntwortenLöschen
  3. "Hier geht es um die Zukunft unserer Kinder" schreiben Sie. Haben Sie KINDER?

    AntwortenLöschen
  4. "Haben Sie Kinder?"

    Ja, WIR haben Kinder!
    Sonst keine Probleme?

    der Herr Karl

    AntwortenLöschen
  5. Ich sehe das anders. Künstler haben kein Anrecht darauf, von ihrer Arbeit zu leben. Ich war Musiker in einer Band und habe nichts daran verdient. Das hat mich aber nicht daran gehindert, weiterhin Musik zu machen.
    Was ich meine: wenn ein Künstler seine Werke nicht los wird, dann sollte er die Schuld nicht bei anderen suchen und vielleicht noch die Politik bitten, härtere Urheberrechtsgesetze zu verabschieden, sondern schauen, ob seine Kunst überhaupt noch interessant ist.

    Für mich daher: wenn jemand kein Geld machen kann mit seinen Werken, dann darf er sich nicht beschweren und eine andere Tätigkeit suchen, um nicht auf dem Trockenen zu sitzen.

    Als ich Musik gemacht habe, interessierte mich nur die Musik. Geld spielte dabei nie eine Rolle. Ich sehe leider in der heutigen Zeit Leute nur deswegen Musik machen, weil sie so richtig reich werden können (siehe DSDS und Konsorten). Ich vermisse das einfach. Deswegen ist Musik für mich nur noch Kommerz und keine Kunst mehr. Ich definiere Kunst einfach anders.

    Das alles heißt aber nicht, dass gute Künstler nicht entlohnt werden sollen. Ich habe schon viele Künstler mit meiner Anwesenheit auf Konzerten entlohnt. Und wenn mir mal ein Song gefällt, dann hole ich auch ein Album (auch wenn der Künstler nicht viel davon abbekommt). Und deswegen schwindet mein Anreiz Werke solcher Leute zu kaufen, die in der Öffentlichkeit heulen oder jammern, weil ihre Werke kaum Käufer finden.

    AntwortenLöschen
  6. @Tobias: An jeder Schule gibt es Schulbücher. Keine Sau kauft sich "privat" ein Schulbuch, dafür existiert ja kein Markt. Welcher Siebtklässler spart sich denn sein Taschengeld für das total coole Geschichtslehrbuch von Cornelsen?! Ein Buch im Klassensatz anzuschaffen ist eine extrem teure Angelegenheit, aber das passiert ja ständig. Natürlich hast du an einer Schule im Normalfall nicht mehrere Konkurrenzprodukte, sondern nur eines, das hauptsächlich verwendet wird.
    Schulbücher sind aber keine Bibeln. Ich brauche manchmal nur einen Teil, vielleicht nur einen einzigen Absatz oder eine Aufgabe. Den Rest der Stunde mache ich selber auf ein Arbeitsblatt. Da will ich natürlich alles auf einem Blatt haben - wie bescheuert ist es denn, mittendrin aufs Buch zu wechseln, das die Schüler dann nur dafür mitschleppen müssen? Es geht ja nicht darum, seitenweise aus Büchern zu kopieren, die die Schule nicht gekauft hat.

    @Anonym: Darum geht's grade nicht. Von irgendwas musste leben, und wer einen Schulbuchverlag hat braucht Leute, die die kaufen, sonst geht er unter. Das ist ja ok. Aber diese Politik hier ist sehr kontraproduktiv.

    AntwortenLöschen
  7. Dann gibt es doch kein Problem. Für diese Verwendung reicht die Rechtslage aus. In meiner Schulzeit hat es wohl auch ausgereicht. Sooviel hatten wir auch nie kopiert bekommen. Kopien kosten auch Geld, da wurde automatisch viel verkleinert und collagenartig zusammengestellt, teils ausgeschnitten und halbiert. 20 Seiten pro Buch sind evtl. mal auf Dauer zu wenig. Und ... ich habe in der Tat privat auch ausnahmsweise mal Schulbücher gekauft, sowohl in Schule als auch Ausbildung, wenn es sich wirklich gelohnt hat, manchmal war es unabdingbar, so katastrophal manche verwendete Lehrbücher waren ... und so verpeilt manche Lehrer waren. Manche Prüfungssachen haben wir dazu privat exzessiv kopiert .. hach, Erinnerungen. Sekundäre Bücher, damit man etwas Vorsprung hat vor anderen xD oder wenn man rausgefunden hatte, welche Bücher Lehrer für ihre Vorbereitung verwenden und um Prüfungsfragen zu kennen ... ich glaub da war ich der einzige, der so clever war ...

    Jedenfalls, wenn du selber siehst wie relativ starr der Lehrbuchmarkt ist ... ist es leicht verständlich zu sehen wie schädlich wildes exzessives Kopieren ist. Ein Vergleich mit Musik ist schwer zu ziehen. Selbst wenn es tatsächlich eine Rechtsunsicherheit hinsichtlich erlaubten Kopierens gäbe ... was wäre die Alternative? Über den Umfang erlaubter Vervielfältigung lässt sich streiten. Und über die rechtliche Verfolgung. Damit ich nicht missverstanden werde ... ich finde sowohl das geltende strenge Urheberrecht als auch das Abmahnunwesen grds. für inakzeptabel. Die Konsequenz, Urheberrecht aus deinen persönlichen Interessen (vulgo "Zukunft der Kinder") gleich mal separat ganz zu vergessen, ist hanebüchen und ausgegoren. Das ist wie sich über Wulff aufzuregen, weil öffentlich-Beschäftigte nicht mal 10 Euro Geldwerte annehmen dürfen ... hallo, diese lächerliche Regelung ist das Beklagenswerte, aber doch nicht weil jemand sich nicht nach sowas Blödem richtet.

    AntwortenLöschen
  8. Ich stimme dir da durchaus zu. Das Problem ist auch weniger die konkrete Regel (keine Sau kopiert 20 Seiten aus nem Buch), sondern die durch die rigide Politik entstehende Unsicherheit. Wenn jeder Lehrer mit einem Bein in der Abmahnung steht traut man sich weniger, denn die Wenigsten kennen sich halbwegs mit dem Urheberrecht aus (ich notgedrungen inzwischen wegen den Blogs, aber da bin ich die Ausnahme). Daher wird auch in völlig anderen Bereichen oftmals aus Furcht nicht mehr kopiert und, vor allem, mit Kollegen geteilt und besprochen, weil man Angst vor der Abmahnung hat. Aktuelles Beispiel: in Geschichte wird das Thema "Amerikanische Revolution" besprochen. Keines der Originaldokumente von damals kann irgendeinem Urheberrecht unterliegen (die 70 Jahre sind mehr als um), aber die Leute haben Angst davor, wegen des den Deleware überquerenden George Washington abgemahnt zu werden...
    Oder was ist, wenn ich einen Ausschnitt aus den Muppets zeigen will, der die Thematik toll beleuchtet? Ist das dann eine öffentliche Aufführung, und die GEMA zerrt mich vor Gericht? Darf ich im Geschichtsunterricht beim Thema Hippies "If you're going to San Francisco" vorspielen? Solche Sachen müssten echt nicht sein.

    AntwortenLöschen
  9. Ja. Urheberrecht und neue Medien sind das Eine. Hier herrschen unhaltbare Zustände und tatsächliche Unsicherheit. Solange die FDP hier nicht aus den Puschen kommt, solange (und nur dazu) braucht man die Piraten. Das Abmahnwesen verschärft die Situation. Hier liegt alles im Argen und gehört komplett neu gedacht, Stichwort Lawrence Lessig. Ähnlich bei Blogs, Telemediengesetz, Fernabsatzhandel ... eine Farce. Ich würde nie einen Blog in Deutschland starten oder regulär als Deutscher Onlinehandel betreiben.

    Das Problem liegt im Grundsätzlichen ... welche Daten man wie verwenden darf. Dieses Dilemma speziell für den Unterricht auszuschalten greift zu kurz. Die perfekte und eindeutige Lösung bei Fragen geistigen Eigentums gibt es nicht. Eine Kulturflatrate gibt es bei Fotokopien ... und erkennbar ist sie gescheitert.

    AntwortenLöschen
  10. Ich wollte es auch gar nicht darauf beschränkt wissen, sondern nur ein Beispiel zeigen, wo es sich anders als bei raubkopierten MP3 verhält.

    AntwortenLöschen
  11. "Wir sind das Volk" wurde markenrechtlich geschützt. Rechteinhaber: die Stadt Leipzig, der Pastor Führmann und noch jemand.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.