Von Marc Schanz
Der Markt ist eine Arena des Kampfes. Es wirkt harmlos, wenn die anonymen Massen zum Einkauf in die Konsumtempel strömen, aber in Wahrheit sind es Krieger auf dem Weg zur Front. Gekämpft wird mit allen Mitteln, bis zum bitteren Ende, bis Liquidität fließt. In den glitzernden Shops stehen sich die Kontrahenten gegenüber: die Händler, die mit kalter Skrupellosigkeit und unbarmherziger Brutalität ihren Gewinn maximieren, und die Kunden, die ihr teures Geld mit Zähnen und Klauen verteidigen. Ein Kauf auf dem Markt ist ein darwinistischer Kampf um das Geld, bei dem der Stärkere gewinnt.
Dieser martialische Kampf lässt sich sehr schön am altertümlichen Feilschen beobachten. Es wird gekämpft, getrickst und getäuscht. Die Kontrahenten feilschen solange, bis der Verlierer endgültig fest steht und in seine Niederlage einwilligt.
Die Frage ist, wer von beiden kann sein Ziel durchsetzen? In einer eins zu eins Situation, wie dies typischerweise beim Feilschen der Fall ist, gewinnt tatsächlich derjenige mit dem besseren Verhandlungsgeschick. Die Situation ändert sich jedoch, wenn es auf einem Markt mehrere Anbieter des gleichen Produkts oder Dienstleistung gibt, oder wenn mehrere Kunden das gleiche Produkt haben wollen. Die Daumenregel ist einfach: ist das Angebot knapp und die Nachfrage riesig, liegt die Marktmacht bei den Anbietern, der Preis ist entsprechend hoch. Entsprechend gilt das Gegenteil: ist das Angebot riesig und die Nachfrage knapp, liegt die Marktmacht beim Kunden und der Preis ist demnach niedrig.
Die Knappheit ist nichts anderes als das Verhältnis von Angebot zur Nachfrage und bestimmt daher den Wert eines Gutes.
Die Regeln in einer modernen, arbeitsteiligen Wirtschaft sind weitaus komplexer. Die Massenproduktion, die unsere aktuelle Wirtschaftsweise bestimmt, führt zu einer Überflussgesellschaft. Anbieter verlieren aufgrund des endlos erscheinenden Produktangebots ihre Marktmacht, sie können ihre Gewinne nur noch durch hohe Verkaufszahl erzielen, wodurch die Knappheit der Produkte weiterhin verringert wird. Der Preis der Produkte wird daher im Wesentlichen durch die Herstellungskosten bestimmt. Dieser erbarmungslose Konkurrenzkampf, dem die Anbieter auf dem Massenmarkt ausgesetzt sind, drückt die Herstellungskosten. Der Einsatz von Finanzmitteln für die Produktion muss immer weiter reduziert werden, um auf den Märkten bestehen zu können. Die Kostensenkungen führen auch zu einem geringerem Ressourcenverbrauch. Es ist ein ungemein effizientes System.
Auf dem Markt geht es heute viel ruhiger zu. Der Händler macht sein Angebot, wobei sein Spielraum der Preisgestaltung äußerst begrenzt ist, und der Kunde wählt aus der enormen Vielzahl das für ihn passende aus. Die Kämpfe, die früher auf dem Markt tobten, haben sich verlagert: in einer modernen Gesellschaft finden sie zwischen den verschiedenen Institutionen statt. Investoren kämpfen um das rentabelste Investment, Arbeitgeber um die billigsten Arbeitnehmer und der Staat ist in der schizophrenen Situation gefangen, effizient eine Vollversorgung gewährleisten zu müssen. In den Kämpfen, die zwischen den verschiedenen Institutionen ausgetragen werden, geht weiterhin um Liquidität, um die Verteilung des Geldes. Die Differenzen werden überwiegend im stillen Kämmerlein ausgehandelt und bleiben daher meist im Verborgenen. Nur wenn es zu keiner Einigungen kommt, werden die Kämpfe in sichtbarer Form wie bspw. Streiks ausgetragen. Die derzeitige Krise kann daher problemlos als ein angestautes Ausbleiben eines Verteilungskampfes interpretiert werden.
Der Effizienzdruck gepaart mit dem rasanten technischen Fortschritt wollen die Knappheit beseitigen und erreichen dieses Ziel – fast. Es gibt leider ein Problem: es ist möglich, dass der Wert eines Produkts unter seine Herstellungskosten sinkt. Wie kann das sein? Herstellungskosten lassen sich nicht beliebig senken, der Wert eines Produktes schon: er kann – wenn das Produkt nicht mehr knapp ist – auf Null sinken. Der Markt ist somit nicht mehr in der Lage, die Herstellungskosten der Produkte zu decken. Ohne Knappheit bricht auch der Markt in sich zusammen: ist für jeden genügend vorhanden, stellt sich die Verteilungsfrage nicht mehr. Je effizienter und je erfolgreicher die Marktwirtschaft die Knappheit bekämpft, desto instabiler wird sie. Bevor der Markt ein Ende der Knappheit erreichen kann, bricht er in sich zusammen. Unser Wirtschaftssystem hat einen Defekt.
Das hört sich jetzt alles nach abstruser Theorie abseits jeglicher Realität an. Nein, dieser Defekt tritt bereits heute auf. Mit dem Internet ist der Wert vieler Produkte, wie Texte, Musik, Videos usw., auf Null gesunken. Das Internet sorgt für eine Verteilung ohne Knappheit, jeder kann theoretisch jederzeit auf alle Daten zugreifen. Der Markt kann jedoch nicht mehr, ohne künstliche Verknappung oder einer Querfinanzierung, die Produktionskosten der im Netz zur Verfügung gestellten Daten erwirtschaften.
Es ist verrückt, aber die Marktwirtschaft schafft sich selbst ab. Ihr immanentes Ziel ist es, ein Ende der Knappheit zu ermöglichen. Wenn dieser Zustand erreicht würde und alle würden über nahezu alle Ressourcen verfügen, wäre das ein wahrlich kommunistischer Zustand. Leider bricht die Marktwirtschaft kurz vor dem Ziel aufgrund der immer größer werdenden Instabilitäten in sich zusammen. Sie zerstört lieber das Erreichte, um die Knappheit, die sie wie die Luft zum Atmen benötigt, wiederherzustellen.
AntwortenLöschen...na ja.....
Dat ist jetzt wirklich VWL in Rohkostform. Es beginnt damit, dass von gleichen Kostenfunktionen bei allen Anbietern ausgegangen wird. Das ist schon nach dem ersten Semester eine Annahme für die Tonne. In einem polypolistischen Markt entscheidet der Grenzanbieter über die Preisuntergrenze mit. Hätte Marc Schanz diese Annahme in sein Modell eingebaut, wäre er zu einem anderen Ergebnis gekommen.
AntwortenLöschenDie Begrenzung des Modells auf Güter zur beliebigen Vervielfältigung führt auch nicht weit. Wir erleben gerade eine Knappheit an Rohstoffen und Nahrungsmitteln, die so gar nicht zu der These passen mag. Und im letzten Jahr entstanden bei den Automobilherstellern trotz bestehender Überkapazitäten lange Lieferzeiten, die sich auch nicht in das von Marc Schanz gezeichnete Bild einfügen mögen.
Außerdem neigen - Microökonomie für Fortgeschrittene - polypolistische Anbieter zur Entwicklung von Nischenprodukten, um eine Unterscheidbarkeit herzustellen. Unter Berücksichtigung dieser Annahme wird erklärlich, warum Apple für seine Notebooks einen deutlich höheren Preis verlangen kann als Acer, ohne dass sich die Leistungsfähigkeit wesentlich unterscheidet. Durch komplexere Preismodelle wird eine Intransparent geschaffen, die ein Produzieren an der Preisuntergrenze behindert.
Wieder mal stimmen Theorie und Empirie nicht überein.
@In Dubio
LöschenDanke, dass du mir immer den Fund des Stein der Weisen unterstellst. Ich muss dich leider enttäuschen, ich stelle weder hier noch in meinen anderen Artikeln Allgemeingültigkeiten auf. Natürlich gelten meine Ausführungen nicht für endliche Ressourcen, außer für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Nachfrage nach diesen Gütern entsprechend fallen würde.
Wir sind uns ja wohl darin einig, dass die Grenzkosten im Wesentlichen die Herstellungskosten pro Stück sind, darüber habe ich ja geschrieben. Was passiert aber, wenn der Wert eines Produktes unter die Grenzkosten fällt? Ich finde das eine legitime Frage.
Ich könnte auch die Ökonomen-Strategie anwenden, die kennst du ja sicherlich:
Ökonom: Krise? Defekt? Gibt es nicht!
*eine Krise bzw. ein Defekt tritt auf*
Ökonom: Huch, daran kann nur die Moral schuld sein!
Wenn der Preis unter die Grenzkosten fällt, scheiden die unteren Grenzanbieter aus. Spätestens bei einem Oligopol wechselt die Marktmacht wieder zu den Anbietern. Übrigens ist das, was Du auf dem Musikmarkt als Referenz herannimmst, eher das Problem von Trittbrettfahrertum und externer Effekte. Das ist ein altbekanntes Thema in der Ökonomie.
LöschenEs gibt eine neugegründete Partei, in der sich gerade die ökonomischen Interessen, der 'Kreativen' neu formiert.
AntwortenLöschenhttp://www.heise.de/tp/blogs/8/152576
Absurd, dass andere Interessen, die die Null Euroangebote im Internet ungestört nachfragen, diese Partei gewählt haben.
@anonym 14:55
AntwortenLöschenDas ist der altbekannte Versuch die Piraten als typische Partei erscheinen zu lassen, denen es nur darum geht, an die Fleischtöpfe zu gelangen.
Warum? Weil die Piraten die einzige Partei sind, die aufgrund der Tranzprarenz und Basisdemokratie eben nicht gekauft werden kann und man daher diese mit allen Mitteln bekämpfen muss, bevor sie tatsächlich - unabhängig - macht ausübem kann.
*gähn*
@15:24
AntwortenLöschenJa, die Partei ohne soziales Gewissen, geht an den Fleischtöpfen vorbei.
Nicht ein Gesetzesvorschlag bisher in NRW.
Nur der CD-Ankauf ist ja Schei...
Rein quantitatives Wachstum wirds nicht mehr richten können , ein nicht unwesentlicher Grund für die Krise ist die verschlafene Ökologisierung.
AntwortenLöschenZitat:
AntwortenLöschen"Ein Kauf auf dem Markt ist ein darwinistischer Kampf um das Geld, bei dem der Stärkere gewinnt."
Hier tust Du Darwin unrecht. Zwar wurde Darwins "survival of the fittest" von preussische Gelehrten der mentalität entsrechend als "Überleben des Stärkeren" übersetzt. Er meinte jedoch, wie aus dem Kontext seiner Schriften klar zu erkennen ist "Das Überleben des Angepassteren".
Vielleicht trifft das auch auf die Rolle von Käufer und Verkäufer zu, würde aber den schönen Metapher des Krieges und Kampfes ruinieren... :-)
Im Übrigen halte ich den Text für wirklich gut. Respekt!
Ups, das stimmt. Es wäre gemäß der Evolutionstheorie, wenn eine angepasstere Währung den Euro verdrängen würde - ein Vorgang, den ich überaus begrüßen würde.
Löschen"Das hört sich jetzt alles nach abstruser Theorie abseits jeglicher Realität an."
AntwortenLöschenAlso das ist der einzige Satz in dem Text, dem ich zustimmen kann ...!