Von Stefan Sasse
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Inlandseinsätze der Bundeswehr im Falle einer Extremsituation, die den Bestand der BRD oder einer ihrer Bundesländer bedroht erlaubt, hat hohe Wellen geschlagen. Die Erlaubnis als solche wäre eine Katastrophe, denn das Schreckensszenario einer Bundeswehr, die à la Heiligendamm 2007 eingesetzt wird um unliebsame Prosteste im Inland zu unterdrücken verursacht Magenschmerzen der heftigsten Sorte. Allein, die Aufregung ist nicht angebracht. Das Urteil aus Karlsruhe hat für den politischen Alltag wenig verändert. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Aber die Richter haben mit ihrer Definition einer möglichen Einsatzsituation bereits klare Schranken eingezogen und auch befunden, dass eine Demonstration, selbst wenn sie außer Kontrolle geraten und von der Polizei nicht bewältigt können werden sollte, den Einsatz nicht rechtfertigt. Als politische Waffe ist die Bundeswehr damit nicht zu gebrauchen. Die einzige Situation, in der ich mir so etwas vorstellen könnte, wäre ein bewaffneter kommunistischer Umsturz oder etwas ähnliches - und das ist so irreal, dass man nicht einmal darüber nachdenken muss. "Wehret den Anfängen!" werden jetzt wahrscheinlich einige rufen. "Das ist ja erst der Anfang!" Und ist es nicht auch so, dass es im Ermessen der Bundesregierung liegt, diesen Einsatzfall festzustellen? Ja, sicher. Trotzdem ist das alles nicht dramatisch.
Zuerst einmal möchte ich eine Frage in den Raum stellen: glaubt jemand ernsthaft, dass wenn die Regierung entschlossen ist, die Armee gegen das eigene Volk einzusetzen, die Armee da mitmacht und das Parlament und der Bundesrat ebenso wie der Bundespräsident, dass dann ausgerechnet ein Richtspruch aus Karlsruhe sie davon abhalten würde? A la "Wir waren ja zum Putsch bereit, aber dieses Urteil..." Nein, ernsthaft - ein solcher Einsatz wäre weder mit einer Demokratie noch mit einem Rechtsstaat zu vereinbaren. Wer zu solch einem Mittel greift, der achtet auch das Bundesverfassungsgericht nicht, der braucht keine Abschätzungen irgendwelcher grundgesetzlicher Spielräume. Er putscht, simple as that. Und so sehr man mit der Politik der aktuellen Regierung auch hadern mag, es gibt niemanden darin, der tatsächlich zum bewaffneten Putsch bereit wäre - und dass die Bundeswehr da mitmacht, nur weil das Kabinett das beschließt, ist keinesfalls ausgemacht.
Welchen Sinn aber, wenn der Fall ohnehin nicht eintreten wird, hat dann dieses Urteil? Ich habe eingangs gesagt, dass ich mir aktuell nichts vorstellen kann, das tatsächlich die Bundeswehr erfordern würde. Wenn dies aber in Zukunft irgendwann einmal der Fall sein sollte, weil wirklich eine schlagkräftige bewaffnete Macht, die die Kräfte der Polizeiorgane überfordert (wer auch immer das sein sollte) die BRD umstürzen will - in dem Fall sollte tatsächlich eine Regelung verfügbar sein. In einem solchen, völlig hypothetischen Fall wäre es eine Katastrophe, wenn die Verantwortlichen mit Verweis auf die rechtliche Grauzone einfach gar nichts täten. Und außerhalb dieses hypothetischen und das auch absehbar bleibenden Falles wird die Regelung nicht benötigt.
Die gewaltige Unruhe, die das Urteil in Deutschland ausgelöst hat, ist eine dieser Altlasten aus der Zeit der Weimarer Republik, die sich tief in die historische DNA der Deutschen eingegraben haben. Die Hyperinflation von 1923 schwingt heute noch so stark nach, dass nur das Wort beim Durchschnittsdeutschen Angstschweiß ausbrechen lässt. Die Horrorvision instabiler, sich schnell abwechselnder Regierungen stammt aus der Zeit der Weimarer Kabinette. Unsere Vorstellung, es brauche die Wehrpflicht, damit die Bundeswehr sich nicht zum gleichen "Staat im Staate" entwickle wie die Reichswehr ist ebenso ein Echo jener Tage wie die Befürchtung, dass sie zu einem militärischen Putsch genutzt werden. Allein, keine dieser Ängste ist berechtigt. Die Inflation hat sich selbst in den Siebzigern nicht zur Hyperinflation gesteigert. Die Minderheitenregierung in NRW regierte stabil und problemlos. Die Wehrpflicht wurde abgeschafft, und die Bundeswehr wird eher besser in die Gesellschaft integriert als vorher.
Noch viel aussagekräftiger aber ist, dass ein ähnliches kategorisches Verbot wie in Deutschland in keiner anderen westlichen Demokratie besteht. Obwohl in diesen Ländern ein Einsatz der Armee durchaus im Inland möglich ist, wird das dort weder routinemäßig getan noch befürchtete jemand, dass es zum Putsch kommen könnte. Das einzige Mal etwa, dass in den USA Soldaten im Inland eingesetzt wurden, beschützten sie die ersten schwarzen Schüler der Little Rock Highschool. Das einzige Argument, warum gerade hier in Deutschland alle Dämme reißen sollten stammt aus der Gründungszeit der BRD und ist ebenfalls ein Echo, ein Nachhall aus Weimar: dass die Deutschen, als Volk, einfach Demokratie "nicht können" und sie deswegen vor allen Versuchungen abgeschirmt werden müssten. Wenn das aber der Fall ist, dann schützt uns - erneut - auch kein Richtspruch des Verfassungsgerichts. In diesem Fall haben wir eine Demokratie auf Abruf. Daran glaube ich nicht. Bonn ist nicht Weimar, Berlin ist nicht Bonn. Die Weimarer Republik ist seit über 80 Jahren Geschichte. Wir sollten sie als solche betrachten und nicht auf sie starren wie das Kaninchen auf die Schlange.
Links:
Auch die Sprache verrät das Ziel!
AntwortenLöschenRichtig ist erst einmal die Feststellung: „ Wenn das aber der Fall ist, dann schützt uns - erneut - auch kein Richtspruch des Verfassungsgerichts.“
An anderer Stelle (Feynsinn) habe ich schon auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum
Antrag im Organstreit "Bundeswehreinsatz in Heiligendamm" hingewiesen. Das war lange vor der jetzigen Entscheidung und wohl noch mit einer naiven Verbotsannahme belegt. Wo war damals die „Extremsituation“? Warum mussten Jagdflugzeuge im Tiefflug über das Lager der Demonstranten fliegen?
Zitat Spiegel:
„Big Brother im Tiefflug ...
Ein Tornado über dem Campingplatz - so ein Szenario hätte sich nicht mal der schwarze Block in seinen dunkelsten Träumen ausgemalt.“
Zurück zur Sprache:
Mit meinem Hinweis auf die „Fennek-Aufklärer“ habe ich das Auditorium bei Feynsinn aber offensichtlich überfordert.
Neuer Versuch: Fennek=Wüstenfuchs= Rommel!
Warum eigentlich werden die Waffensysteme der BW so oft von denen der Naziwehrmacht und seinen vermeintliche Helden abgeleitet?
Weiter unten ist hier unter „Artikelhinweis“ etwas zum schwachen Zustand unserer Demokratie verlinkt. Der steht offensichtlich im Widerspruch zu den Argumenten in diesem Beitrag. Auch wenn die Bundesregierung/Bundeswehr im Moment den Verfassungsbruch erst mal im Ausland übt (Syrien), sie wird dazu auch im Inland ohne Skrupel bereit sein und das Verfassungsgericht wird eine Begründung finden, das zu tolerieren (siehe Heiligendamm und oben).
Ich würde vorschlagen, noch mal den Beitrag sortieren und überarbeiten Herr Sasse! Oder ist es ein Hilferuf als Hinweis auf alle real existierenden Gefahren für unsere Demokratie? Dann habe ich nichts auszusetzen. ;-)
Noch einmal Lübberding zum Thema:
AntwortenLöschenhttp://www.wiesaussieht.de/2012/08/20/der-ernstfall-und-die-politik/
Es geht nicht um den Bestand der von Ihnen alberner Weise terminologisch mit der DDR verglichenen Bundesrepublik, und auch nicht um den Verfassungsputsch. Zitat aus der abweichenden Stellungnahme des Verfassungsrichters Gaier:
AntwortenLöschen"Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Aufgabe allein der Polizei. Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische Bewaffnung notwendig macht. Beide Aufgaben sind strikt zu trennen."
Quelle: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/up20120703_2pbvu000111.html
Richtig; ich sehe in dem Urteil auch kein Abweichen von dieser Maxime.
LöschenHm, ich muss sagen ich bin da eher unentschlossen. Auf der einen Seite sehe ich es so wie Du, das Abendland wird wohl nicht untergehen und das meiste, was diese Regelung ist so hypothetisch, dass es wohl kaum eintreffen wird und wenn, scheint es mir auch fast unerheblich, ob es da nun ein Gesetz für gibt.
AntwortenLöschenAuf der anderen Seite war ich aber immer eine Befürworterin dieser strikten Trennung. Ein bisschen wie mit dem Bundespräsidenten: theorethisch braucht man ihn nicht mehr unbedingt, er könnte im Falle eines Falles aber mal wichtig für die Demokratie werden (Ha, ich glaube ein ähnliches Argument hattest du übrigens mal, als es um den Ehrensold ging^^)
Ich bin mir auch nicht wirklich sicher, ob es wirklich nur solche putschartigen Extremfälle tangiert. Lübberding hatte ja zb München 72 als Beispiel angeführt. Solche Fälle haben sich wohl mit der GSG9 erledigt.
Aber was wäre zb mit solchen Krawallen wie in London letztes Jahr oder Vorstadtkrawallen wie in Frankreich? Gilt das als außer Kontrolle geratene Demonstration? Oder dürfte im Zweifelsfall die Armee mit Panzern durch die Straßen gurken?
Klar, das steht auch nicht unmittelbar bevor, aber das sind schon so Fälle, wo ich das Gefühl habe, da könnten sich in Zukunft Grenzen verschieben und wenn es erstmal nur Hardliner betrifft, die das fordern.
Die Bezugnahme auf Heiligendamm ist vielleicht nicht verkehrt, es geht nicht darum, ob man wieder bei Adolf oder in Weimar landet, aber meine Befürchtung ist schon, dass sich dadurch die Grenzen weiter ausdehnen lassen und da bin ich auch ohne Horrorvisionen dagegen.
Bei so Krawallen wie in London ist die Polizei allenfalls personell überfordert und es entstehen Sachschäden, aber der Bestand des Landes ist keine Sekunde bedroht. Selbst wenn das noch weiter eskaliert - eine Bestandsbedrohung besteht da noch nicht, und wenn das wirklich so schlimm wird, dann will man vielleicht sogar so was in den Straßen...
AntwortenLöschenJa aber sowas meine ich. Wenn hier jemals Zustände wie in London oder Frankreich ausbrechen sollten (auch nicht wahrscheinlich, aber immerhin wahrscheinlich als ein bewaffneter kommunistischer Putsch) kannst du ziemlich sicher sein, dass einige - allen voran die BILD - nach Armee und Panzern und allem möglichen schreit. Gibt ja auch Leute, die dafür sind entführte Flugzeuge abzuschießen oder dass Düsenjäger über Heiligendamm fliegen.
AntwortenLöschenDas sind ja alles keine Sachen, bei denen direkt die Demokratie gefährdet ist, aber meiner Meinung nach schon eine Ausdehnung der Grenzen, was zulässig und verhältnismäßig ist.
Mir persönlich wäre es daher schon lieber gelesen, man hätte die alte Regelung so gelassen. Denn wie du ja auch anführst, kann man die ganze Argumentation auch umkehren.
Genausowenig wie sich ein Putsch durch so ein Gesetz verhindern lässt, glaube ich nicht, dass sich eine Regierung ohne dieses Gesetz einfach niederputschen lassen würde. Das finde ich genauso unvorstellbar wie den gegenteiligen Fall. Und auch bei einem Putsch reicht es ja nicht, einfach mal eben den Bundestag zu besetzen und schon hat man zb eine funktionierende Militärregierung.
Der Vorteil der neuen Regelung ist aber, dass die Verantwortlichen hierfür klar benannt sind. Die Regierung muss nämlich über die Maßnahme abstimmen und kann nicht einfach die Verantwortung an einen Oberst Klein oder den Generalinspekteur abschieben. Und das ist eine großartige Abschreckung in und für sich.
AntwortenLöschenMöglicherweise ist das Unbehagen auch deshalb so groß , weil Viele spüren , daß es unter marktradikalen Kräften durchaus Leute gibt , die keine Hemmungen hätten , Panzer gegen Demonstranten zu schicken.
AntwortenLöschenRealistisch ist das jedoch nicht , da stimme ich zu , ich denke auch , daß die Zeit vorbei ist , wo sich die Macht auf die Gewehrläufe stützen konnte.
Wobei durchaus der Eindruck entsteht , daß so mancher Machtpolitiker das noch nicht so recht begriffen hat , so ein wenig wabert das schon noch herum in so manchem Hinterkopf.
Heiligendamm ist ein gutes Beispiel , wie die Mittel der Polizei durchaus "reichen" können , um die volle - und so manches Mal überzogene - Härte der Staatsmacht zu demonstrieren.
@Sterfan: "Wer zu solch einem Mittel greift, der achtet auch das Bundesverfassungsgericht nicht, der braucht keine Abschätzungen irgendwelcher grundgesetzlicher Spielräume. Er putscht, simple as that."
AntwortenLöschenIst es nicht viel wahrscheinlicher, dass sich die Gesellschaft in mehreren/vielen Einzelschritten auf diese Grenze zubewegt und damit ein Putsch nur ein mittelschwerer Schritt darstellt? So in wasweißich 97 jahren?
Tja und da jetzt der Einsatz grundsätzlich erlaubt ist, geht man zum nächsten Schritt über:
AntwortenLöschenhttp://www.spiegel.de/spiegel/vorab/bundeswehreinsaetze-im-innern-cdu-will-grundgesetz-aendern-a-850766.html
So wie man durch dauernden Beschuß den ersten Beschluß erreicht hat, wird auch dieses dann durchgesetzt und dann der nächste usw. Das Prinzip der kleinen Schritte halt.
Die Grenze - Bundeswehr im Innern mit Waffen - hätte nie fallen dürfen.
Wer hätte es für möglich gehalten, dass sich eine "bürgerliche Regierung" Urteile des BVerfG ignoriert wie beim Wahlrecht? Ein Urteilsspruch gegen einen BW-Einsatz aus KA käme auch erst - lange - nach dem Einsatz. Schon der Begriff "katastrophisches Ausmaß" - was soll das sein?
AntwortenLöschenUnd als Paradebeispiel einen kommunistischen (!) Umsturz - Warum nicht gleich eine von Marsmenschen unterwanderte Occupy-Bewegung?
"Liberty dies by inches". Stammt aus GB, soviel ich weiß. Stefan blickt aber wohl weiter nach Westen. Dort ist man nicht so zimperlich.