Montag, 13. August 2012

The man on the ticket

Von Stefan Sasse

Es muss eine gewisse Euphorie in den Wahlkampfzentralen der Demokraten geherrscht haben, als Mitt Romney an diesem Wochenende seinen Vizepräsidentschaftskandidaten verkündete. Vor der geschickt gewählten Bühne des alten Schlachtschiffs "Wisconsin" verkündete er erst fälschlich den "nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten" statt dem nächsten Vizepräsidenten, doch die Begeisterungsstürme kannten trotzdem kein Ende: der Mann, der in jugendlichem Elan auf die Bühne joggte war kein anderer als Paul Ryan. Das ist eine Wahl, die überrascht, und eine Wahl, die aller Wahrscheinlichkeit nach Obamas Wiederwahl einen guten Schritt nach vorne gebracht hat. Paul Ryan ist der Darling der Tea-Party-Bewegung und quasi eines ihrer seriöseren Aushängeschilder (in einem Sinne in dem Rainer Brüderle ein seriöses Aushängeschild der FDP ist). Auf ihn geht der berüchtigte Haushaltsplan zurück, der bereits während der Vorwahlen für Furore sorgte. Ryans Plan sieht gigantische Ausgabenkürzungen vor, vor allem im Bereich der in den USA ohnehin nicht sonderlich ausgebauten Sozialsysteme. So will er etwa Medicare effektiv abschaffen und durch eine nicht näher definierte private Einrichtung ersetzen, wodurch voraussichtlich Millionen Rentner ihre Krankenversorgung verlieren würden. Der einzige Bereich, in dem Ryan mehr ausgeben will als bisher ist, erwartungsgemäß, das Militär. Was bewog Romney, einen solchen Extremisten zu seinem Vizrepräsidentschaftskandidaten zu machen?

Die Theorie der Republikaner ist wohl folgende: Romneys blasses und unstetes Profil (hängt ihm doch zurecht der Ruf eines Opportunisten an) soll durch einen Überzeugungstäter wie Paul Ryan aufgebessert werden. Ryan ist mit Sicherheit kein Flip-Flopper, sondern ein radikaler Extremist. Bereits bei den Verhandlungen zur Erhöhung der Schuldenobergrenze gab er keinen Fußbreit Boden nach. Mit einem Schlag steht Romney nun für ein Thema, das der republikanischen Basis am Herzen liegt und hat den glaubwürdigsten Exponenten dieses Themas zu seinem Vize ernannt. Ryans Vorteil ist, dass er im Gegensatz zu Romney nicht als herzlos, sondern als charismatisch herüberkommt. Seine Kürzungen kommen nicht wie bei Romney in Gestalt von "I like to fire people" heran, sondern als Sorge vor dem drohenden Bankrott der USA, den es zu verhindern gelte. Das Lieblingsprojekt der Amerikaner, "small government", ist damit offizielle Agenda der Republikaner und vereint nicht nur die Basis hinter Romney und Ryan, sondern auch viele mit dieser Vorstellung sympathisierende Wechselwähler ("Independents"). Mit Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen würde man dann quasi im November ins Amt gleiten. 

Diesem feuchten Traum republikanischer Strategen steht mit der Wahl Ryans allerdings einiges entgegen. Die Idee, Obama als "tax and spend liberal" darzustellen und Romney/Ryan als Heilung dagegen ist nicht gerade neu; sie ist das Rezept praktisch jedes amerikanischen Wahlkampfs. Ryan ist lediglich ein extremerer Ausdruck davon. Den Demokraten liefert seine Wahl aber gewaltig Munition, um die ohnehin seit Wochen laufende Kampagne, Romney als herzlosen Kapitalisten zu brandmarken, erneut zu befeuern. Mit dem Ryan-Plan steht dazu das Material quasi schwarz auf weiß zur Verfügung (Ryan hat im März auch einen Plan "The Path to Prosperity: A Blueprint for an American Renewal" geschrieben). Und im Gegensatz zu Romney ist Ryan nicht gerade der Typ, solchen Angriffen zu begegnen, indem er sie im Ungefähren versanden lässt. Das sonst eher irrelevante TV-Duell der Vizepräsidentschaftskandidaten dürfte vor diesem Hintergrund einiges an Gewicht gewinnen und "juicy soundbites" für den Obama-Wahlkampf generieren.

Die einzige Chance, die Romney durch die Wahl Ryans gewinnt ist tatsächlich der Appell an die Saite des amerikanischen Bewusstseins, die für die Idee des "small government" schlägt. Dafür ist er tatsächlich der richtige Mann, weil er an seine Ideen glaubt. Im Gegensatz zu Romney ist er Überzeugungstäter. Berichten zufolge überreicht er allen seinen Mitarbeitern ein Exemplar von Ayn Rands "Atlas Shrugged", der Bibel der Erzliberalen. Dazu ist er gläubiger Katholik und öffentlich bekennender Familienmensch, was bei den Amerikanern immer gut ankommt. Seine Aufgabe ist es, sein nicht unerhebliches Charisma einzusetzen, um die Realität seiner Streichungsvorschläge hinter der Rhetorik vom "small government" zurücktreten zu lassen. Denn jede Meinungsumfrage zeigt dasselbe Bild: während die Amerikaner die Idee in der Theorie mögen, so hassen sie doch Streichungen bei den Bereichen, bei denen Ryan die Axt anlegen will. Die Aufgabe von Obamas Team muss es daher sein, immer wieder zu betonen, dass Ryan Medicare für Alte abschaffen und die Steuern für Reiche senken will. Gelingt ihm das, so ist Obama die Wiederwahl kaum zu nehmen. Die Wahl Ryans, die Romney noch mehr nach rechts gerückt hat als er ohnehin wegen der Tea-Party-Bewegung bereits gerückt war, hat ein Loch in der Mitte gerissen, das Obama ausnutzen kann. Und wer weiß, wenn die Niederlage Romneys entsprechend krachend ausfällt kommt die GOP vielleicht auch wieder zu Bewusstsein.

4 Kommentare:

  1. Barack Obama wird in diesem Leben kein mittiger Präsident mehr. Unter seiner Präsidentschaft sind die Vereinigten Staaten von Amerika zerstrittener und polarisierender denn je. In vier Jahren Amtszeit hat es der erste Farbige im Oval Office nicht vermocht, die wichtigste Wirtschaftsnation der Erde aus der durch die Finanzkrise verschuldeten Rezession zu führen. Seine keynesianischen Konjunkturkonzepte, eingetrichtert von dem Nobelpreisträger Paul Krugman, haben außer riesigen Löchern in den staatlichen Haushalten keine nennenswerten Spuren hinterlassen. Eher überrascht, dass Obama angesichts der äußerst durchwachsenen Bilanz tatsächlich noch eine Chance auf Wiederwahl besitzt.

    Paul Ryan verkörpert da ein Amerika, nach dem sich viele Wähler zurücksehnen. Ein Blick in den amerikanischen Haushalt offenbart dabei, dass die USA mitnichten relativ wenig für Soziales aufwenden. Gemessen an den Wohlfahrtsstaaten in Europa, sich, aber die haben ja auch dadurch weitreichende Probleme. Verteidigung und Soziales teilen sich das Washingtoner Budget weitgehend schiedlich friedlich, ein Ausgleich des Haushalts kann daher niemals allein durch Zurückschneiden des Einen gelingen. Genau das suggerieren jedoch beide Parteien ihren Wählern, Obama ist in dieser Hinsicht genauso ein Blender wie die hierzulande verachtete GOP.

    Und obwohl die USA deutlich niedrigere Einkommensteuersätze von ihren Bürgern verlangen, zahlen diese höhere relative Beträge als ihre Vettern in Europa. Da ist nicht mehr viel Luft in einem Land, das so heterogen wie kein anderes auf dem Globus ist und der Leistungsgedanke zur DNA seiner Bürger gehört.

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  2. http://3.bp.blogspot.com/-73ll08GJzX8/UCbDAyE-hYI/AAAAAAAAASI/KlwHaG4XIVA/s1600/RR+dumb+and+dumber.jpg

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  3. "ein Ausgleich des Haushalts kann daher niemals allein durch Zurückschneiden des Einen gelingen."

    Warum muss man denn zurückschneiden? Man könnte doch einfach die Steuern wieder auf Werte der Vor-Reagan Ära erhöhen. Dann lösen sich die Probleme auf. Das will nur niemand. Der Vorschlag von Paul Ryan sieht Steuersenkungen in der Art vor, dass ein Herr Romney nur 0.82% Steuern auf ein zu versteuerndes Einkommen von 21 Millionen US Dollar zahlen müsste.

    http://acemaxx-analytics-dispinar.blogspot.de/2012/08/steuersatz-von-082-fur-reiche.html

    Diese Art der Politik wurde in den letzten Jahren bestritten und nun wundert man sich, dass kein Geld da ist.

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  4. Immer, wenn ich mir den US-amerikanischen Wahlkampf anschaue, denke ich:
    Was sind das alles für Comic-Figuren? Niemand wird so dumm sein und auf diese plakativen Ansichten, Weltbilder und Versprechen hereinfallen.

    Dann schaue ich nach Deutschland und werde ganz still.

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