Donnerstag, 30. Juli 2009

Die SPD im Wahlkampf

Die SPD steht derzeit in den Umfragen so schlecht da, dass es kaum lebende Zeitgenossen gibt die sich an eine Zeit schlechterer Ergebnisse erinnern können. Obwohl ich glaube, dass die SPD um 25% liegen wird im September wäre ich nicht übermäßig überrascht, wenn sie die 20%-Marke unterschreiten würde. Dies hat viele Gründe, die bereits 2005 vorhanden waren - nur raffte sich die SPD unter einem übermächtigen Schröder noch einmal und schmiss einen bewundernswerten Wahlkampf. Etwas Vergleichbares ist, gelinde gesagt, unwahrscheinlich.
Die SPD ist derzeit auf ein programmatisches Niemandsland festgelegt. Aus wahlkampftaktischen und parteimentalen Gründen hat man im Parteiprogramm Dinge festgeschrieben, die man niemals machen will und wird (Mindestlohn, Börsenumsatzsteuer und vieles mehr). Gleichzeitig wird das Erreichen einer imaginären "Neuen Mitte" propagiert und eine wirtschaftshörige Politik betrieben. Dieser Widerspruch wird nicht mehr wie 2005 von einer markigen Führungspersönlichkeit à la Schröder überdeckt. Steinmeier ist ein Funktionär, der dem echten Politikalltag so fremd ist wie kaum jemand in Berlin. Er kann weder Themen setzen, noch Wahlkampf führen, noch Visionen entwickeln, noch Reden halten. Er ist Administrator und Arbeiter, und obgleich er seit seiner Nominierung einiges gelernt hat schätzt ihn niemand übermäßig. Er ist nicht willens und in der Lage wie Schröder alle seine Grundsätze über Bord zu werfen und einen linken Lagerwahlkampf zu entfesseln. Er will, so behauptet er, die Ampel, und sein Adlat Peer Steinbrück wünscht die Fortsetzung der GroKo. Eine der beiden Varianten ist unrealistisch und beide stehen vollkommen im Widerspruch zu den lustlos heruntergeratterten Wahlversprechen, die mehr wie hohle Pflichtübungen erscheinen.
Viel deutlicher als dies bei der CDU der Fall ist spielen die Personen eine große Rolle. Gleichzeitig ist die Mentalität, die gefühlte (Nicht-)Programmatik der Partei ebenfalls deutlich wichtiger als bei der CDU. Dieses scheinbare Paradox löst sich, wenn man die simple Wahrheit erkennt, dass über den SPD-Wahlkampf deutlich mehr gesprochen wird. Dies allerdings ist kein Vorteil für eine sonst von der medialen Aufmerksamkeit so stiefmütterlich behandelte Partei. Das alltägliche Regierungsgeschäft ist der Wahlkampf, den die CDU treibt, denn sie geriert sich dabei als staatsmännisch und verantwortungsbewusst. Die SPD tut das nicht. Sie wirkt wie ein Hühnerstall, ein besonders ruhiger und langweiliger, aber nichtsdestotrotz chaotischer Hühnerstall. In einem Land wie Deutschland, wo divergierende Meinungen und Richtungsstreits so gering geschätzt werden wie sonst nirgends, ist dies ein gewaltiger Nachteil.
Was ich oben unter Mentalität und gefühlter (Nicht-)Programmatik subsumiert habe ist dabei ein diffuses Gefühl, das über die SPD vorzuherrschen scheint. Trotz anderslautender Versuche wird sie eigentlich nicht als "links" identifiziert, sie ist stattdessen im schlechtesten Sinn eine Partei der Mitte. Als marktliberal wird sie aber auch nicht empfunden, dafür ist sie zu unzuverlässig in ihren Äußerungen (dass die Tatsache. dass ihre Handlungen eigentlich eine eindeutige Sprache sprechen ignoriert wird spricht für einen deutlichen Realitätssinn der anderen Seite. Es ist nicht zu erwarten, dass die SPD ein verlässlicher Bündnispartner für weiteren neoliberalen Raubbau bleibt). So bewegt sich die SPD irgendwo im "eigentlich aber". Eigentlich ist sie für Sozialstaat, aber dann auch wieder Hartz-IV. Eigentlich sind bedeutende Nachbesserungen an Hartz-IV notwendig, aber dann ist es auch das tolle Jahrhundertwerk. Eigentlich kann mit der LINKEn auf Länderebene zusammenarbeiten, aber im Westen nicht. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Die Hauptpersonen der SPD sind nicht in der Lage ihre eigentliche Agenda offenzulegen und manövrieren sich von Widerspruch zu Widerspruch. Es lohnt sich deswegen, sich mit ihnen zu befassen.

Frank-Walter Steinmeier: Der Kanzlerkandidat der SPD. Er hat das Aussehen eines durchschnittlichen Beamten und das Charisma seines Bürostuhls. Wenn er jemals, wie das früher gebetsmühlenartig behauptet wurde, von der Bevölkerung für seine Sachkompetenz auf dem Feld der Außenpolitik geschätzt wurde, dann gibt es diesen Bonus schon lange nicht mehr. Steinmeier wird eigentlich mit überhaupt keinem Sachthema identifiziert, stattdessen versucht man ihm immer wieder unpassende Etiketten für den Wahlkampf aufzukleben, die "FWS" nur widerstrebend, wenn überhaupt, akzeptiert - und damit die Wahlkampfbestrebungen konterkariert. Er redet wie Schröder, nur dass er abliest, wo der eine Rede hielt. Er ist vollkommen seicht, ohne Fehl und Tadel, aber auch ohne irgendeine Leistung. Man verbindet ihn mit nichts und doch mit allem, denn in diesem Wahlkampf ist er das Gesicht der SPD. Ein passenderes hätte sie kaum finden können.
Peer Steinbrück: Der Finanzminister ist zusammen mit Guttenberg der populärste Politiker der BRD. Dies fußt weniger auf seiner (nicht vorhandenen) Sachkenntnis als der Tatsache, dass ihm diese von den Medien beharrlich zugeschrieben wurde - bis Guttenberg kam. Seither, und natürlich mit der Finanzkrise, wird er offen kritisiert. Er will die Fortsetzung der GroKo und steht mit jeder Faser für den alten Kurs. Eine Opposition wird er nicht überleben, denn er besitzt wie Steinmeier kein Redetalent, gleicht dies aber durch eine Rüpelei aus, die nie den Proll-Charme eines Schröders erreicht, sondern grob unhöflich ist und oft auch offensichtlich auch nur dazu dient, Kompetenzlücken und eigene Fehler zu überspielen. Das fällt zwar bislang kaum jemandem auf, aber sein Bild hat bereits Risse bekommen. Als Wahlkampflokomotive taugt er zwar nicht, aber als Aushängeschild einer antizipierten Kompetenz der SPD schon.
Franz Müntefering: Der Parteichef ist seltsam blass dieser Tage. Von ihm hört man fast nichts. Er hat alle Hoffnungen enttäuscht, die man in ihn gesetzt hat. Es gab nie einen "Beck-weg-Effekt", wie er vor allem von Forsa herbeigegüllnert wurde. Müntefering personifiziert nicht "beispielhaft, was in der Partei passieren muss" (Müntefering über Müntefering), sondern den alten, verbrauchten und verstaubten Führungsstab, der aus der programmatischen Sackgasse keinen Ausweg findet, weil er alle Brücken hinter sich verbrannt hat. Die Versuche der SPD ,im Wahlkampf einen auf linke Volkspartei zu machen kommen von Müntefering, dessen Abgleich mit Steinmeier offensichtlich mangelhaft ist; dilettantisch arbeiten Steinmeiers Leute mit Münteferings Kampa zusammen, die den magischen Glanz von einst längst verloren hat.
Ulla Schmidt: Vor einer Woche hätte ich nie gedacht, dass unsere Gesundheitsministerin ohne Kompetenznachweis außer ihrer großen Beharrungskraft ein Faktor im Wahlkampf wurde. In Steinmeiers Schattenkabinett war sie ein sicherer Posten. Bis ihr Dienstwagen geklaut wurde. Ein eigentlich völlig irrelevanter Vorgang wird im Sommerloch aufgebauscht, was von der Leyen in Schmidts Windschatten nutzt um ihre eigene kleine Dienstwagenaffäre zu vertuschen. Schmidt bringt so weitere schlechte Presse für die SPD und torpediert die Vorstellung des Schattenkabinetts - mithin der letzte Versuch, einen Führungsanspruch anzumelden.
Sigmar Gabriel: Dem Umweltminister ist im Wahlkampf eingefallen, dass die SPD einmal gegen Atomkraft war und pöbelt jetzt gegen die Atommeiler. Das ist so offensichtlich eine Wahlkampfgeste, dass er damit der Partei eher schaden als nützen dürfte.
Olaf Scholz: Für den Arbeitsminister gilt das Gleiche, er allerdings darf alleine die Krone der Ungeschicktheit beanspruchen. Sein Vorschlag der Ausweitung des Schonvermögens für Arbeitslose ist dermaßen unausgegorenes, offensichtliches Wahlkampfgetöse, dass er nur Hohn und Spott erntete.

In einer tendenziell feindlichen gesinnten Umgebung - Medien, Wähler, Koalitionspartner, Wirtschaft, Opposition - und in der selbsthergestellten programmatischen Sackgasse gibt es kaum Auswege für die SPD. Niemand glaubt ihre verstaubten, zum Wahlkampf herausgeklaubten Parolen, ihr Personal zerlegt sich selbst und niemand mag sie. Für die SPD gibt es nur zwei Möglichkeiten im September: die Fortführung der Großen Koalition oder der Gang in die Opposition. Eine weitere Legislaturperiode mit der CDU wird für die Partei ein Desaster sein, die Opposition für ihr Spitzenpersonal. Beide werden ihr jeweiliges Scheitern nicht überleben.

6 Kommentare:

  1. Tja ja die SPD,

    nach der Europawahl hatte ich mir gesagt das sie Beck zu früh abgeschossen hatten. Auf einmal war der Sündenbock weg. Dank Ulla haben wir wieder einen Grund warum die SPD verlieren wird. Es ist nicht das Programm, das Gesagte und gegensätzlich Gemachte, nein es ist Ullas Dienstwagen. So wie es Beck war der in Hessen nicht intervenierte. Erst wenn diese alte verblendete Garde verschwunden ist wird sich etwas ändern. Die SPD kann nur hoffen, dass dies geschieht bevor die Linke bei ihren linken Parteiseite angekommen ist.

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  2. Eine schöne Sammlung detaillierter Gründe, wieso die SPD die nächste Wahl fundamental verliert. Es würde mich maßlos wundern, wenn die über 20% kommen.

    Aber der Hauptgrund ist und bleibt der inhaltliche Niedergang seit dem Schröder-Regime. Alles, wofür sie jemals stand, hat sie verraten.

    http://home.arcor.de/wolf-dieter.busch/html/Parteien/SPD.htm

    Was die SPD braucht, um wieder zu sich zu kommen? Opposition. Ob 4 Jahre reichen, weiß ich zwar nicht, aber es ist die Untergrenze.

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  3. Interessanter Blog!

    Warum findet man solche Seiten immer nur durch Zufall?

    Hier ein Link, der auch ein paar Artikel rund um die antidemokratische Entwicklung der EU gesammelt hat. Er ist etwas verspielt, aber die Artikel sind dennoch interessant, wie ich finde: www.indermezzo.de/_imf/viewtopic.php?f=5&t=569

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  4. Danke! Und wenn Sie erst einmal eine Weile durch die Blogosphäre gesurft sind, werden Sie noch mehr solcher Seiten finden :) Viel Spaß dabei!

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  5. Wieder einmal wunderschön zusammengefasste Gedanken, die mir aus der Seele sprechen. Warum steht so was nicht im Spiegel? Ach, ich weiss...
    Bezüglich des nur-zufällig-die-guten-Blogs finden: Wieso gibt es eigentlich keine großzügigen Spender, die für Seiten wie diese bereit wären, für ein paar Tausend Euro breite Internet-Werbung zu schalten? Ich mache das im kleineren Maßstab immer wieder mal auf eigene Kosten für meine eigene Seite, um auch Menschen jenseits dieses geschlossenen Glashauses anzusprechen. Und mit nachhaltigem Erfolg. Gibt da so eine Art Elfenbeinturm-reloaded-Ehrenkodex, der dagegen spricht?

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  6. wenn ich das geld haette, wuerd ichs machen. solange die leitmedien sich aber in neoliberaler geiselhaft befinden, wuesste ich nicht mal, wo die werbung sinnvollerweise plaziert werden koennte.

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