Dienstag, 21. Februar 2012

Der Bundespräsident als Spiegel des deutschen Parteienhasses

Von Stefan Sasse

Meine Verteidigung Wulffs hat einige Leute etwas ratlos zurückgelassen. Sie war aber ernst gemeint. Es gibt etwas an der beständigen Kritik, das mich zutiefst verstört zurücklässt. Es ist die permanente Forderung an den Bundespräsidenten, sich über die Parteien und ihre "Parteitaktik", gerne noch mit dem Attribut "kleinlich" versehen, zu erheben. Und das Schlimmste ist, dass diese Forderung von den großen Exponenten der Parteien selbst vorgetragen wird. Man muss sich das klar machen: die Vorsitzenden der beiden größten Parteien Deutschlands fordern von ihrem Staatsoberhaupt, doch bitte, bitte, nicht so zu sein wie sie. Meinen sie das ernst? Die Sehnsucht nach einer integren Person, völlig unbeeinflusst vom politischen Betrieb und doch darin zu Hause, ist die Sehnsucht nach der eierlegenden Wollmilchsau, und noch zudem noch einer, die den Politikbetrieb zu Tode trampelt. Wie aber soll die Politik jemals die Menschen in diesem Land repräsentieren, wenn sie schon selbst völlig aufgegeben hat? Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht und wird verwechselt, was man besser nicht verwechseln sollte. 

Ja, der Bundespräsident muss in einem gewissen Maße unparteiisch und der Bundespräsident aller Deutschen sein. Er kann schon alleine wegen der Verantwortung seines Amtes nicht mehr Parteipolitik betreiben, denn er muss im Zweifel in der Lage sein, grundgesetzwidrige Gesetze auch seiner eigenen Partei zu stoppen. Aber warum ausgerechnet jemand, der nicht Politiker war und ist, diesen Job besser ausfüllen können sollte als jemand, der vorher Politiker war, erschließt sich überhaupt nicht und ist lediglich mit dem traditionellen Parteienhass der Deutschen zu erklären, mit der ständigen Sehnsucht nach dem Konsens und dem Verabscheuen des Streits und des Kompromisses. Die Nominierung Gaucks ist Ausdruck dieser tiefen Abneigung gegenüber dem, was den demokratischen Prozess ausmacht. In den Worten von Deniz Yücel:  
Deswegen merkt auch kaum jemand, wie viel antidemokratisches Ressentiment im Gerede vom "Konsenskandidaten" steckt, das Gauck ins Amt tragen wird; wie viel von der autoritären Sehnsucht wenn nicht nach dem Führer, so doch wenigstens nach dem Kaiser, der mit sonorer Stimme und nachdenklicher Miene vermeintlich tabubrecherische, in Wahrheit aber gefällige Ansichten zum Besten gibt. 
Dabei hatten wir in der Vergangenheit viele Bundespräsidenten mit parteipolitischem Hintergrund, die ihren Job trotzdem problemlos ausführen konnten. Theodor Heuss war Politiker, Heinrich Lübke, Gustav Heinemann. Walter Scheel war sogar Vizekanzler, Carl Carstens und Richard von Weizsäcker konnten auf Abgeordnetenkarrieren zurückblicken; Johannes Rau war Ministerpräsident und Kanzlerkandidat. Keiner von ihnen machte Probleme, weil er aus den Parteien heraus gekommen wäre; sie alle konnten ihre Erfahrungen dagegen nutzen, um Fettnäpchen zu vermeiden, in die der Seiteneinsteiger Horst Köhler etwa mit Freude tappte. 

Es ist zutiefst verstörend, die ständige Selbstkasteiung und den Verriss der Parteien von außen bei der Bundespräsidentennominierung erneut zu sehen. Ohne die historische Analogie zu weit treiben zu wollen, aber dieselbe Welle von Anti-Parteien-Resentiments brachte bereits Hindenburg ins Amt. Bereits damals sehnte man sich nach einem altväterlichen Präsidenten, der über den Parteien steht. Nicht, dass Gauck allzuviel mit Hindenburg verbinden würde; die Analogie trifft auf die Wähler zu, nicht auf den Kandidaten. Hier hat sich erschreckend wenig verändert. Die tief empfundene Abneigung gegenüber Parteientaktik und Parteienstreit hat sich in 60 Jahren Bundesrepublik nicht wesentlich verändert, und die Parteien selbst haben sie inzwischen zum Teil ihrer eigenen Identität gemacht. Gesund sein kann das nicht, denn wer von sich nichts erwartet und von wem nichts erwartet wird, der braucht auch nichts zu leisten. Wir sollten endlich anfangen, die blödsinnige Vorstellung von der einen richtigen Lösung in die Mülltonne zu treten und uns über Themen zu streiten und am Ende zu einem Kompromiss kommen, wie man das in der Demokratie eben so tut. Die Suche nach der Heilsgestalt, die sich nicht in den Pfuhl des Meinungsstreits hinablassen muss, ist Gift für die Demokratie. 

12 Kommentare:

  1. Was willst du - passt doch. Der Rest erinnert ja auch an Brüning ...

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  2. Ich gebe dir Recht, dass in Deutschland ein tiefes Misstrauen gegen die Parteien herrscht.
    Aber ich finde, auch zurecht.

    Ich glaube nicht, dass dieses Phänomen so extrem wäre, wenn wir nicht eine so ... vereinheitlichte "bürgerliche" Parteienlandschaft hätten, die sich weitgehend angenähert hat und nur noch in Nuancen unterscheidet.

    Die Politiker der deutschen Parteien haben sich nunmal in den letzten Jahren nicht durch Charakter und Integrität hervorgetan. Und, gerade wenn man die Präsidenten beobachtet, die Angie ins Amt gehievt hat - der allgemein eher unbekannte Horst Köhler und Wulff, was ein so offensichtlich parteipolitisches Manöver war - wie soll ich diesen Knallchargen an der Spitze da noch trauen?

    Auch jetzt muss ich sagen, dass die Feigheit und Ideenlosigkeit der Parteien bei der Präsidentenwahl mich eher abstößt als mir Vertrauen einflößt.

    Gauck ist doch für keine der Parteien ein Wunschkandidat. Ist es nicht peinlich, dass Gauck der einzige ist, der den Politikern einfällt?

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  3. Wie wärs wenn wir das Präsidentenamt einfach abschaffen? Wozu brauchen wir das heute noch? "Tolle Reden", ein "paar Unterschriften" und ein paar Staatsempfänge? Ich kenne die Argumente, die für dieses Amt sprechen (moralische Instanz, Repräsentation, letzte Gesetz-Instanz etc.). Nach Köhler, Wulff und jetzt Gauck sind diese Argumente aber wenig überzeugend, oder?

    Abgesehen davon, sollten wir Blogger nicht dieses Personalisierungsspiel der bürgerlichen Presse mitmachen. So, als wenn alles von einer Person abhängen würde. Es ist ja okay, wenn wir das kommentieren, in meiner Blog-Linkliste schreiben aber derzeit fast alle täglich über Gauck. Soviel Aufmerksamkeit hat der nicht verdient und es gibt wichtigere Themen. Ich bin stark dafür, dass wir selbst mal Themen setzen und nicht ständig die der Presse aufgreifen.

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  4. Wenn es mit dem Präsi politisch sch**ße läuft, ist Entpolitisierung (Präsi für alle Deutschen) keine Lösung!

    @epikur (Präsi-Amt abschaffen):
    Das wäre dann die radikalste Entpolitisierung einer Institution!

    Ich möchte nicht v. Weizsäcker oder Rau missen. Herzog und Wulff jedoch schon. Das liegt aber an meiner politischen Brille und meinen politischen Ansprüchen, durch die ich das sehe. Ich wüßte keinen Grund, warum ich darauf verzichten sollte.

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  5. Ich finde das auch etwas unheimlich. Aber was erwartest du? Die Politiker werden ja nicht aus streitfreudigeren Ländern importiert, sondern kommen aus der parteiskeptischen Bevölkerung, was sich wahrscheinlich nicht so einfach ablegen lässt.
    Es passt aber auch ins Bild, weil es perfekt ins neoliberale Bild passt, dass der Staat (=die Politiker) eh nichts auf die Reihe kriegen und deswegen lieber nichts anfassen sollten. Wenn selbst Politiker dieser Meinung sind, ist das ebenfalls eine Selbstaufgabe und nebenbei völlig absurd.

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  6. Wer, außer Christoph Butterwegge, wäre denn euch linken Sozialromantikern ein ernsthafter und genehmer Vorschlag fürs Präsidentenamt? Ein von Ahnungslosigkeit getriebener Drauf-los-Polterer wie Georg Schramm ist schließlich nicht diskutabel. Schramm gleicht in Provokationsgehabe Sarrazin und in Inhaltsleere jedem spätpubertierenden Soziologiestudenten. Und Verschwörungstheorien lassen wieder mal grüßen. Das, was Schramm im vom SF verlinkten Video vom Stapel gelassen hatte, wurde natürlich begeistert in linken Blogs aufgegriffen. Sorry, geht mir weg mit eurem Mist.

    Verfassungsschutz abschaffen, weil es die "Falschen" verfolgt und die "Richtigen" nicht gleich verbietet? Präsidentenamt abschaffen, weil man es nicht schafft den "Richtigen" ins Amt zu hieven? Schafft die Machtfülle der Protagonisten ab und heult nicht rum, weil der vermeintlich "Falsche" am Rude ist.

    Just ranting.

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    1. @Tobias Fuentes

      du hast dich gut eingefügt in eine gesellschaft, die es nicht fertig bekommt ihre eigenen anspüche zu erfüllen .. und wenn dann einer darauf hinweist, ist er spätpupertierend und linker spinner

      so what - egalitäres gelaber ohne tiefsinn

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    2. Erstens hab ich mich nicht eingefügt, ich engagiere mich schießlich gegen den Mainstream - wer aber soweit links steht, dass für ihn alles andere eine Gemengenlage ist, zählt mich zwangsweise zum Establishment. Aber geschenkt, ich hab auch Mühe linke, sozialdemokratische und konservative Politik zu unterscheiden. Wer aufmuckt, muss selbstredend nicht spätpubertär sein. Dass trifft auf die in linker Hand befindliche Netz- und Bloggergemeinde zu (ahem). Für Schramm, Butterwegge, Wecker & co pflege ich von Inhaltsleere zu sprechen, aber entschuldige das doch bitte schön nicht mehr mit später Pubertät. Nein, da muss das Urteil härter ausfallen, wobei mich das deutsche Recht leider zum Schweigen zwingt. Und Kritiker wie Sarrazin, Broder & co sind mitunter links, aber da steckt etwas mehr Substanz dahinter. Und drittens, ich verbitte mir mich als "egalitär" beschimpfen zu lassen. Ich bin "elitär", merk dir das. Das kommt von Elite, also den geschröpften Großkapitalisten, und denen gilt meine ganze und ehrlich empfundene Sympathie. Und was wahr ist, muss wahr bleiben. Tzz.

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    3. "pflege ich von Inhaltsleere zu sprechen"

      Sprach Herr Fuentes, welcher mit Inhalten und stichhaltigen Argumenten glänzt.

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  7. Die Deutschen, aber auch andere, haben eben immer wieder das Problem, nach dem Besten suchen zu wollen, weil sie an diese einzige "Führungsperson" glauben, die alle anderen Alternativen zu toppen vermag. Dass es den Besten aber nicht gibt, wird beständig ignoriert. Das ist diese wohl zutiefst faschistoide Eigenschaft des Menschen bei seinen demokratischen Findungsprozessen, die Sir Karl R. Popper in seinem Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" exemplarisch herausgearbeitet hat.

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  8. @Tobias Fuentes: Da ich Verallgemeinerungen und Beschimpfungen (euch Sozialromantikern oder euer Mist) zutiefst verabscheue, habe ich lange überlegt ob ich darauf antworten soll, will es nun aber doch tun. Zunächst ist es absolut legitim den Kandidaten Gauck oder, wie hier geschehen, das Vorgehen bei dessen Nominierung, zu kritisieren ohne gleich einen eigenen Vorschlag aus dem Hut zu zaubern.
    Dann ist es halt so, dass die meisten die gemeinhin vorgeschlagen werden ihre Brötchen mit einer anderen Arbeit verdienen und diese vermutlich sogar mögen (also zum Beispiel Herr Butterwegge, Schramm, Margot Kässmann etc.). Was sollte also jemanden der seinen Job gerne macht und diesen auch gut ausfüllt dazu veranlassen ein solches Angebot anzunehmen. Schon deshalb bin ich inzwischen auch der Meinung dass ein Kandidat der schon zuvor Politik gemacht hat durchaus geeignet sein kann oder zumindest nicht schlechter ist als jeder andere.
    Und dann noch das Problem mit der Einigkeit... ich habe Volker Pispers gebraucht um das zu verstehen: es heißt Einigkeit und Recht und Freiheit, nicht Sachverstand. Und wenn man einen Kandidaten hat ist es eine Wahl, wenn es zwei sind eine Kampfkandidatur! Bin ich die einzige die das komisch findet?
    Und bei all diesen Überlegungen spielt die Personalie Gauck noch gar keine Rolle...

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