Donnerstag, 15. November 2012

Der Ursprung des Anti-Amerikanismus

Von Stefan Sasse

Typische anti-amerikanische Darstellung
Der Anti-Amerikanismus ist in Deutschland tief verwurzelt. Wir schleppen ihn bereits seit langer Zeit in unserer historischen DNA mit herum. Man begegnet ihm in verschiedenen Formen, ob es in der pauschalen Aburteilung der Amerikaner als ein "kulturloses" Volk ist - Stichwort Hollywood - oder ob es die oftmals blutigen Interventionen in anderen Staaten ist. Obwohl die Deutschen bereits im 19. Jahrhundert eine Meinung zu den Amerikanern hatten (Friedrich Daniel Bassermann etwa zog die USA in seinem Aufruf zur Wahl einer Nationalversammlung 1848 ausführlich und explizit als Vorbild heran), entwickelte sich das eigentliche, spannungsgeladene Verhältnis zu Amerika erst in den 1920er Jahren. Die Amerikaner waren für Deutschland vorher keine echte Größe. Das ausgehende "lange 19. Jahrhundert" (1789-1914/18) war so eurozentristisch gewesen, dass der langsame Aufstieg der USA zur Großmacht eher unbemerkt vonstatten ging, noch dazu, da die Amerikaner dem Kolonialismus offen abschworen. Ihr entscheidender Eintritt in den Ersten Weltkrieg, ihr demokratisch-liberales Versprechen der "14 Punkte" und der von den Deutschen als Verrat empfundene Gang der Friedensverhandlungen in Versailles schleuderten die USA mit einem Mal jäh in die deutsche Aufmerksamkeit.

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Der Anti-Amerikanismus der 1920er Jahre war vornehmlich eine konservative Erscheinung. Nicht nur verübelten die Rechten den USA ihre Teilnahme am Weltkrieg gegen Deutschland. Der wirtschaftliche Erfolg Amerikas und seine wichtige Rolle für die Finanzierung Deutschlands, das mit amerikanischen Krediten die Reparationen aus dem Versailler Vertrag bediente, sorgten ebenfalls für Animositäten. Zum Teil aus einem Minderwertigkeitskomplex heraus, zum Teil auch einfach aus Chauvinismus entwickelten die Rechten einen Anti-Amerikanismus, der sich vor allem durch seinen konstruierten Gegensatz von Zivilisation und Kultur auszeichnete. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten deutsche Vordenker gerne einen solchen Gegensatz zwischen Deutschland und England gezeichnet, der nun nahtlos auf die USA übertragen wurde, wo er auf deutlich furchtbareren Boden fiel. 
Man beachte die Sprache.

Dieser Lesart zufolge habe Deutschland "Kultur" - man muss sich im Geiste dazu Goethe, Mozart und Hegel denken - während die USA zwar die Annehmlichkeiten der "Zivilisation" besitzen - also Kühlschränke, Autos und Telefone - aber eben jegliche geistige Entwicklung vermissen ließen. Verstärkt wurden diese Vorurteile durch Reiseberichte, die im Tenor negativ die neuen Entwicklungen und Trends aus den USA in den Fokus rückten, vor allem den Jazz, Radio und den aufkommenden Massenkonsum. Da diese Entwicklungen zeitverzögert auch in Deutschland ankamen und im konservativ und völkisch geprägten Rechts-Milieu auf Ablehnung stießen, konnte der Anti-Amerikanismus massentauglich werden, war man doch mit dem "amerikanischen Sittenverfall" bereits vor der eigenen Haustüre konfrontiert. Zusätzlich eigneten sich die USA mit ihrer schwarzen Bevölkerung und der vergleichsweise geringen Diskriminierung von Juden als Projektionsfläche für rassistische Ressentiments. Diese Entwicklung verstärkte sich in der Nazi-Diktatur natürlicherweise noch und fand ihren Höhepunkt während des Krieges.

Nach dem Krieg jedoch war Anti-Amerikanismus auf Seiten der Rechten ein Randphänomen der Extremisten, vor allem der Neo-Nazis. Die Konservativen und Bürgerlichen warfen sich dem neuen Freund, der ihren bürgerlichen Staat gegen den drohenden Kommunismus zu garantieren schien, um den Hals. Zwar lebten die Ressentiments gegen die "Zivilisation" fort, blieben jedoch auf die heimischen Wohnzimmer begrenzt, wo man den Nachwuchs möglichst lange von der aufkommenden amerikanischen Popkultur von James Dean bis Elvis fernzuhalten gedachte. Da die deutsche Kulturszene aber kein eigenständiges Angebot machen konnte, war der Siegeszug der amerikanischen Unterhaltungsindustrie nicht aufzuhalten, und das Meckern verkam zu einer reinen Symbolgeste, mit der man seine eigene Intellektualität unterstrich. 

Anti-amerikanische Demo 1984
Stattdessen entwickelte sich auf der Linken in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein gänzlich anderer Strang deutschen Anti-Amerikanismus. Für sie war Amerika bisher weder Urquell alles Bösen noch großer Magnet der Hoffnungen gewesen. Der Ost-West-Konflikt aber schleuderte sich als links begreifende Menschen fast automatisch in eine antagonistische Position zu den USA (und eine freundliche zur Sowjetunion). Die sowjetische Propaganda verstand dies geschickt auszunutzen, indem sie den USA einen neo-kolonialen "Imperialismus" vorwarf (der sich nicht von ungefähr noch heute im linken Standardrepertoire findet) und sich selbst quasi per sozialistischer Selbstzuschreibung für immun erklärte. Dies ist, nebenbei bemerkt, praktisch eine Umkehrung der amerikanischen Position aus dem 19. Jahrhundert, in der man wohlfeil den europäischen Mächten Kolonialismus vorwarf, während man sich selbst im Pazifik ein Kolonialreich zusammeneroberte und dies mit Verweis auf seine demokratische Verfassung heftig bestritt. 

Diese Frontstellung der Linken gegen die USA zog sich durch die gesamte Zeit des Ost-West-Konflikts hindurch. Sie ist auch die Hauptwurzel des linken Anti-Israelismus, der praktisch nichts mit Anti-Semitismus zu tun hat, wie es seine rechte Spielart tut. Auch die Frontstellung gegen Israel ist ein eher zufälliges Produkt des Ost-West-Konflikts, denn die USA unterstützten Israel, die Sowjetunion seine Gegner. Dieser Frontstellung konnte sich praktisch niemand entziehen, weder auf der einen Seite (wo Kritik an den USA lange Zeit Vaterlandsverrat fast gleichgestellt war) noch auf der anderen Seite (wo die USA spätestens seit Vietnam der Feind Nr. 1 waren). 

Anti-amerikanisches Graffiti in Venezuela
Der konservative Anti-Amerikanismus hat sich im Gedächtnis der Bevölkerung besser gehalten, weil er unpolitisch ist. Ein Verweis auf die mangelnde Bildung und Kultur der Amerikaner ist schnell gemacht, wird praktisch überall goutiert und verlangt keine tiefer gehende Beschäftigung mit dem Gegenstand. Der linke Anti-Amerikanismus dagegen ist zutiefst politisch und stigmatisiert die USA als Inbegriff des verhassten radikal-kapitalistischen Systems und des "Imperialismus". Er erfordert einen größeren Grad an politischem Bewusstsein, ist aber in diesen Kreisen dafür umso wirkmächtiger. Seine oftmals radikale und ultimative Ablehnung der USA korrespondiert mit der gleichermaßen emphatischen Ablehnung der USA durch die extreme Rechte, die in alter Tradition ebenfalls den Radikallapitalismus ablehnt (der freilich so auch an der Wallstreet nicht existiert), die "Vernegerung" des Landes beschreit und die USA als "Besatzungsmacht" ablehnt. Die Kritikflächen scheinen zwischen linkem und rechtsradikalem Anti-Amerikanismus ähnlich, insbesondere in der Ablehnung der Unterstützung für Israel und der Ablehnung des Kapitalismus, aber das ist reiner Zufall. Linke und Rechte werden fundamental unterschiedlichen Motivationen in ihre Ablehnung gegen die USA getrieben. Trotzdem oder gerade deshalb ist es ihren Gegnern aber ein leichtes, sie in denselben Topf zu werfen und damit in der breiten Bevölkerungsmehrheit zu disavouieren, damals wie heute.

Bildnachweise:
Teheran - Bertil Videt (GNU 1.2)
Demo -  Bundesarchiv, Bild 183-1984-0909-406 / Schindler, Karl-Heinz / CC-BY-SA
Venezuela -  Erik Cleves Kristensen (CC-BY-SA 2.0)

11 Kommentare:

  1. Mir ist die obige Beschreibung zu undifferenziert. Das Problem ist doch, dass der Anti-Amerikanismus, wie alle "erfolgreichen" Vorurteile, sich auf konkrete Tatsachen bezieht. Es ist nun mal so, dass der Mainstream in den USA nach Außen extrem militaristisch und nationalistisch wirkt. Vor jeder Schulsportveranstaltung die Nationalhymne zu singen, ist für Europäer Gott sei Dank (noch) befremdlich. Ganz undenkbar wäre in den USA ein Bundesligaspiel ohne National-Anthem-Geträller.
    Und wer einmal den mittleren Westen besucht hat, oder gar dort gelebt, kann auch die dortige Bildungsferne breiter Schichten nicht leugnen.
    Anti-Amerikanismus beginnt allerdings dort, wo die parallelen Strukturen im eigenen Land ausgeblendet werden. Konkret: Wer den Amerikanern Militarismus vorwirft, zu den Rüstungsexporten Deutschlands aber schweigt, geht den Weg aller Rassisten und sucht das Böse im Fremden.

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    1. @Satch
      "Das Problem ist doch, dass der Anti-Amerikanismus, wie alle "erfolgreichen" Vorurteile, sich auf konkrete Tatsachen bezieht"
      Sehe ich auch so. Wer Hass sät, wird Terror ernten...

      Trotzdem guter Artikel und gutes Thema. Man muss sich mit den USA auseinandersetzen. Zur Zeit ist es ein Imperium, das sich selbst demontiert.
      Leider zum Schaden von vielen anderen Ländern.

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    2. Nachtrag:
      Mann muss sich aber auch mit dem Iran oder mit Syrien auseinandersetzen.
      Aus vielen Gesprächen habe ich gelernt: Der Iran muss ein wunderschönes Land sein mit freundlichen und liebevollen Menschen. Wer zu sehr amerikafreundlich ist, findet dann den Iran als "Achse des Bösen".

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    3. Das Gedrön um die Flagge und Nationalhymne mag uns befremdlich vorkommen, wird aber erstens nicht von allen Amerikanern geteilt und sagt zweitens noch nichts wesentlich Negatives aus.
      Und bei uns gibt es auch Gebiete voller bildungsferner Schichten, und auch bei uns leben selbst da intelligente Leute.
      Dein Fazit ist auf jeden Fall schön formuliert!

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    4. @ Herr Karl:

      Außer unter rassistische Rechten gibt es auch keinen anti-iranismus, wie es einen anti-amerikanismus gibt. Kritisiert werden ausschlieslich, Amadinischad, der Revolutionsführer, der Klerus bzw. die Machtbasis der beiden und die Verfasunng, welche die absolute Macht des Revolutionsführers festschreibt (der laut iranischer Verfassung über dem Gesetz steht).

      Selten hört man Polemiken der Art "die Iraner sind ein bildungsfernes, verbödetes, verfettetes Volk". Und solche Polemik würde auch nicht stimmen, bei der Verfettung sowieso nicht. Aber auch Bildungsferne kann man den Iranern nicht vorwerfen, denn wenn es etwas gibt, das den totalitäeren Regimen des Irans und der SED nicht vorgeworfen werden kann, dann ist es ein schlechtes Bildungssystem zu haben.

      Im übrigen ist Bildung nicht mit Übernahme der eigenen, idealisierten Ideologie und Weltbildes zu verwechseln, umgekehrt ist jemand mit anderen Grundüberzeugungen nicht unbedingt bildungsfern.

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    5. Außer unter rassistische Rechten gibt es auch keinen anti-iranismus, wie es einen anti-amerikanismus gibt. Kritisiert werden ausschlieslich Ahmadinischad, der Revolutionsführer, der Klerus bzw. die Machtbasis der beiden und die Verfasunng, welche die absolute Macht des Revolutionsführers festschreibt (der laut iranischer Verfassung über dem Gesetz steht) und die Geltung der Scharia, die anderen Gesetzen als höherangiges Recht vorgeht.

      Selten hört man Polemiken der Art "die Iraner sind ein bildungsfernes, verbödetes, verfettetes Volk". Und solche Polemik würde auch nicht stimmen, bei der Verfettung sowieso nicht. Aber auch Bildungsferne kann man den Iranern nicht vorwerfen, denn wenn es etwas gibt, das den totalitäeren Regimen des Irans und der SED nicht vorgeworfen werden kann, dann ist es ein schlechtes Bildungssystem zu haben.

      Bildungsferne kann man so auch den USA nicht vorwerfen. Die Polemiken gegen das bundesdeutsche und das amerikanische Bildungssystem sind stark übertrieben und eigentlich Kritik auf hohem Niveau. In der DDR und im Iran ist lediglich keine offene Kritik möglich gewesen bzw. noch nicht möglich. Zu Verbessern gibt es freilich immer etwas.

      Im übrigen ist Bildung nicht mit Übernahme der eigenen, idealisierten Ideologie und Weltbildes zu verwechseln, umgekehrt ist jemand mit anderen Grundüberzeugungen nicht unbedingt bildungsfern.

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  2. "Der linke Anti-Amerikanismus dagegen ist zutiefst politisch und stigmatisiert die USA als Inbegriff des verhassten radikal-kapitalistischen Systems und des "Imperialismus". "

    Diese Differenzierung ist schon wichtig, weil damit auf den Umstand hingewiesen wird , daß auch die Amerikaner selber sehr viel beitragen zu solchen Gegenreaktionen.

    In weiten Teilen der USA gibt es einen radikalen Anti-Intellektualismus , selber denkende Menschen aller Couleur müssen auf so eine Anmaßung mit einer Gegenhaltung reagieren , das geht gar nicht anders, zumal die Amerikaner selber immer den Hang haben , ihre Lebensweise als die beste an die Wand zu malen und aggressiv zu exportieren.

    Ob es sich um blinden und ideologischen Anti-Amerikanismus handelt , kann man ganz gut rausfinden , wenn man solchen potenziellen Leuten gegenüber mal was erwähnt , was man selber gut findet an den USA.
    Hollywood eignet sich da durchaus ,die Filmkultur würde ich z.B. durchaus als typisch amerikanische Kultur bezeichnen.

    Das Nachlassen eines wütenden Anti-Amerikanismus hat seinen Grund auch darin , daß wir selber selbstbewußter werden und uns damit nicht mehr so machtlos fühlen gegenüber den US-Amerikanern.

    Im Übrigen sollte gerade von links nicht übersehen werden , daß "occupy" aus den USA entstammt , genauso wie 68 und Punk.

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  3. Mein neuer Artikel (es ist nur eine Collage aus Zeiungsartikeln) befasst sich mit dem eigeleiteten Niedergang des Imperiums.
    http://flatterwatch.blogspot.ch/2012/11/selbstdemontage-eines-imperiums-oder.html

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  4. was wolltest du uns beim Bild der bombenwerfenden US-Flagge bitte mit der Unterschrift "man beachte die Sprache" sagen?

    wenn du den unteren Bildrand meinst - wirkt natürlich erstmal, als würde der Künstler der arabischen o. persischen (am Schriftbild nur schwer zu unterscheidenden) Sprache mächtig, was darauf schliessen läßt, daß die Hauswand irgendwo im Nahen / Mittleren Osten, oder in Berlin steht!

    wenn du aber auf das englisch-korrekte "Down With USA" anspielst - der Künstler wollte vermutlich nur sichergehn, nicht mit "Kill 'Em All" übersetzt zu werden ;-)

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    1. Dass die anti-amerikanische Graphik die Sprache des Gegners verwendet. Find ich interessant.

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