Donnerstag, 25. April 2013

Die direkte Konsequenz aus dem Rogoff-Reinhard-Desaster – eine Welt der Unsicherheit

Von Stefan Sasse

Dass Rogoff und Reinhards Studie einen vergleichsweise unbedeutenden Excel-Fehler und einen extrem bedeutenden Gewichtungsfehler enthält, dürfte inzwischen bekannt sein. Nicht ganz so klar ist, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Freunde der Austerität dürften nicht plötzlich zum Licht des Keynsianismus finden, genausowenig wie sich vorher Keynesianer von der scheinbaren Richtigkeit der Rogoff-Reinhard'schen Annahmen haben beeindrucken lassen. Der Wirtschaftswurm etwa geht in dieselbe Verteidigungsstellung, in die auch die Studienautoren gehen: Studie Blödsinn, aber Hypothese immer noch valide. Lassen wir den Wirtschaftswurm direkt sprechen:
Selbst Rogoff-Kritiker Paul Krugman (den die Nachdenkseiten dankenswerterweise ins Deutsche übersetzt haben), gibt zu: „Es gibt eine gewisse Korrelation von hoher Verschuldung und geringem Wachstum …“ Der grundsätzliche Zusammenhang kann also nicht geleugnet werden. Und wenn es keine allgemeinen Obergrenze für die Schuldenquote gibt, bedeutet das nur, dass der Schwellenwert stark von den konkreten Umständen abhängt. Zwar mag manchmal auch eine Schuldenquote von weit über 90 % unproblematisch sein, manchmal aber auch eine von weit unter 90 % zu Problemen führen. Diese neue Unsicherheit sollte die Finanzpolitiker eher zur Vorsicht gemahnen.
Diese Information ist in etwa so viel wert wie die alte Bauernregel, dass wenn der Hahn kräht, sich das Wetter entweder ändert oder gleichbleibt. Staatsschulden machen irgendwann irgendwie irgendwem Probleme, aber wir können keinerlei Aussage darüber machen, wie genau alles zusammenhängt, außer dass es manchmal funktioniert, mit hohen Staatsschulden Wachstum zu generieren, und manchmal selbst mit moderaten Staatsschulden kein Wachstum entsteht? Wahnsinn. Immerhin, vorsichtig müssen die Finanzpolitiker sein. Als ob da bisher Zockernaturen säßen!

Das sind Erkenntnisse, die geradezu einen Freifahrtschein für alle Ökonomen darstellen. Sie haben einfach immer Recht. Wenn der Staat trotz hoher Staatsschulden kein Wachstum hat wäre mehr Austerität notwendig gewesen. Wenn er mit hohen Staatsschulden Wachstum hat, wäre Austerität langsam angebracht, aber bisher haben die Staatsschulden das Wachstum noch nicht verhindert, werden es aber jeden Moment tun, ganz bestimmt. Und wenn der Staat bei wenig Schulden kein Wachstum hat, tja, dann zeigt sich wohl, dass Austerität sowieso eigentlich nie verkehrt wäre.

Für diejenigen, die allerdings Verantwortung für echte Entscheidungen übernehmen müssen und sich nicht auf Prinzipienreiterei im Elfenbeinturm zurückziehen können, ist das alles wenig hilfreich. Und so führen wir in Europa ein Austeritätsregime, wenden die USA eine etwas expansivere Finanzpolitik an, öffnet Japan alle Schleusen, und niemand hat auch nur die geringste Ahnung, was passieren wird.  Vielleicht trägt das dazu bei, wieder etwas Output-orientiertere Politik zu machen.

Anstatt absurde, hochtheoretische Prinzipien zu befriedigen, wie das besonders Austeritätsfanatiker fordern (aber nicht nur), sollte man einfach wieder genauer darauf schauen, was eine konkrete politische Maßnahme für konkrete Effekte hat. Daumenregeln à la “jede staatliche Verschuldung ist gut” oder “expansive Geldpolitik führt prinzipiell zu Wachstum” gehören auf den Misthaufen, und die zu Unrecht in Positionen der Deutungshoheit gehievten Ökonomen gehören wieder aufs rechte Maß zurückgestutzt. Ihre Modelle und Studien sind Grundlage von Politik, aber sie können sie nicht ersetzen.

20 Kommentare:

  1. Laut mehreren Untersuchungen von Professoren enthält der Großteil der Studien zugrundeliegenden Datenberechnungen Formelfehler. Das ist für Leute, die nicht nur über rudimentäre Mathematikkenntnisse verfügen, keineswegs peinlich. Das sind die Tücken der modernen Technik.

    In der Studie wurden die OECD-Länder mit den Buchstaben A-D ausgelassen. D.h. mit anderen Worten, dass beim Großteil der Staaten ein signifikanter Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Höhe der Staatsverschuldung nachgewiesen werden kann. Interessant ist auch, dass wenige Staaten diese Grundaussage zwar nicht ins Gegenteil verkehren, aber doch zum Teil aufheben können.

    Man darf das durchaus im Kontext der letzten 5-8 Jahre betrachten. Seit der Finanzkrise 2008 strengen die USA die konjunkturpolitischen Muskeln an, die Wachstumsschwäche ihres Landes zu bekämpfen. Unterstützung kommt kontinuierlich von der Geldpolitik, die unterstützend wirkt.

    Der Effekt ist marginal: dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit und ein Fortbestehen der Unterauslastung der Produktionskapazitäten. So fing Japans Abstieg Anfang der 1990er Jahre auch an: ein kostspieliges Konjunkturfeuerwerk nach dem anderen, dazu eine leichte Geldpolitik. Doch der starke Stimulus der Konjunkturpolitik ist immer nur kurzfristig gedacht. Langfristig führt er zur Abhängigkeit, Zerstörung von Strukturen, Niedergang.

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    1. Herr In Dubio,

      Excel ist ein Buchhaltungsprogramm, das selbst jede 1 €-Jobber Sekräterin besser bedienen kann als ein "Topökonom". Und das soll nicht peinlich sein?

      Ich habe einen Vorschlag: statt düstere Schauermärchen zu erzählen, könnten doch alle Ökonomen einfach Clowns werden. Die Welt würde zwar nicht lustiger, aber es ginge ihr einfach viel besser.

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    2. Sie haben natürlich Recht, allerdings habe ich Excel im Einsatz als "Buchhaltungsprogramm" ein einziges Mal, nämlich in China, erlebt. Da macht man so etwas. Für europäische und amerikanische Anforderungen des Steuer- und Handelsrechts genügt das nicht. Ansonsten wird Excel hauptsächlich als Tabellenkalkulationsprogramm verwandt.

      Viele nehmen es auch zum Verwalten von Datenbanken, obwohl dafür eigentlich Access das richtige Instrument wäre. Aber der Kreis derjenigen, die ACCESS beherrschen, ist noch übersichtlicher als der jener, die mit Excel mehr machen können als Zahlen reinschreiben. 1€-Jobber sind nach meiner Kenntnis eher so geübt wie Sie: gar nicht.

      So, warum die vielen Worte? Eventuell wäre es besser gewesen, die Auswertungen mit ACCESS vorzunehmen. Ein typischer Excel-Fehler der Anwender sind nämlich Verlinkungen und Summenabgrenzungen. Ist schon jedem häufig passiert, der das Office-Tool beruflich nutzt. Also nicht Ihnen. So gesehen war das eine wirkungsvolle Beweisführung.

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    3. In der empirischen Forschung, wie ich sie kennen gelernt habe, werden vernünftige Statistik-Analyse-Tools wie SPSS oder SAS eingesetzt und nicht dieses MS-Office-Zeugs.Wie will ich eine vernünftige Regressions- oder Pfadanalyse rechen, wie sollen mehrere abhängige Variablen kontrolliert werden? Wie sieht es eigentlich mit einem Signifikanztest aus? Wird das alles etwa mit zusammengefrickelten VBA-Makros gemacht? Echt, ich kann über solche Witze einfach nicht lachen.

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    4. Ich bezweifle, dass das die richtigen Programme zum wissenschaftlichen Arbeiten sind.

      Aber das war gar nicht der Punkt. Kritik rief ja nicht das Tool hervor, sondern der Fehler. Und die Frage, ob das Nichteinbeziehen von ein paar Ländern die eigentliche Lehre aufhebt.

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    5. Beantworte dir die Frage an dem folgenden Beispiel:
      Keynesianische Konjunkturpolitik funktioniert! Schau dir nur die Jahre 1968 bis 1973 an!

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  2. 1986 habe ich alle paar Tage eine andere ins Bett bekommen. Das funktioniert heute nicht mehr so. Zumindest nicht mit den gleichen Sprüchen. ;-)

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    1. Nun, für dein spezifisches Problem wurden Bordelle erfunden. Mein Argument bleibt valide^^

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    2. Keynesianische Konjunkturpolitik funktioniert nicht, siehe die Jahre 1974-2000. Siehe Japan 1991- Gegenwart, siehe USA 2008- Gegenwart.

      War das verständlicher geschrieben?

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    3. @In Dubio

      Haben sie das mit dem "modernen" Excel oder noch mit einem Abakus "ausgerechnet"?

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    4. Ich glaube gerade die beiden letzten Fälle sind so offensichtlich, dass das ein Blinder mit dem Krückstock sieht. Klassische Konjunkturpolitik auf der einen Seite - Rezession und Depression auf der anderen über einen Zeitraum von 5-20 Jahre, wo ein Konjunkturzyklus doch 2-5 Jahre dauert.

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    5. Wer die zweite Weltwirtschaftskrise im Rahmen des normalen Konjukturzykluses sieht, dem ist nicht mehr zu helfen. 50% ihrer Argumentations ist hanebüchen.

      Bleibt Japan: wie heftig die Folgen einer Bankenkrise werden können, sehen wir gerade in den europäischen Krisenländern. Wie können sie beweisen, dass die japanische Konjunkturpolitik einen solch vergleichbaren Absturz nicht verhindert hat?

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    6. Länder wie die Schweiz, Deutschland oder Niederlande, die - Kosten der Bankenrettung in Relation zum BIP - ähnlich stark wie die USA von der weltweiten Rezession betroffen waren, haben sich weit schneller erholt. In den USA gibt es keine signifikante Erholung - und dies wird nach den Prognosen US-Notenbank, des Treasury, der OECD sowie des IWF auch in 2014 so bleiben. Gleichzeitig schreitet die Verschuldung der USA in atemberaubenden Tempo voran und erschwert zukünftiges Wachstum. Die erste Weltwirtschaftskrise war binnen 3-4 Jahren weitgehend überwunden. Für die zweite machen Sie in Bezug auf die USA über 7 Jahre geltend.

      Das ist hanebüchen.

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    7. Wie bitte? Die USA wachsen schneller als Deutschland. Ich weiß echt nicht, wovon sie reden. Die Realität ist es jedenfalls nicht.

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    8. @InDubio: Die Einschätzungen sind definitiv umstritten.

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    9. Soso, haben Sie das nachgeschlagen? Dann schauen wir uns das anhand von OECD-Zahlen bzw. Statistiken des IWF an.

      Soweit wir uns die globalen Zahlen ansehen, haben Sie sogar noch Recht, aber wie aussagekräftig ist eine globale Betrachtung? Sie hat nur Wert, wenn sie durch Detailanalyse bestätigt wird. Da das Wirtschaftswachstum bzw. das BIP selbst von Bevölkerungsentwicklungen nicht unwesentlich bestimmt wird, hat sich die Betrachtung pro Capita eingebürgert. Und siehe da, hier marginalisiert sich das amerikanische Wachstum:

      2008: -1,3%
      2009: -4,0%
      2010: +1,5%
      2011: +1,1%

      Die deutschen Zahlen dagegen:
      2008: +1,3%
      2009: -4,8%
      2010: +4,3%
      2011: +3,0%

      Nehmen wir noch Arbeitslosenzahlen und Verschuldungsgrad dazu, zeigt dies, dass gerade die amerikanische Wirtschaft noch nicht erholt ist. Und auch das Pro-Kopf-Wachstum war in den letzten Bush-Jahren höher als bis heute unter Obama.

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    10. Das ist ja interessant. ich wusste bisher gar nicht, dass wir eine jährliche Volkszählung haben.

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    11. Dass Sie das nicht wissen, ist mir klar...

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    12. Zahlen zur Population sind Schätzungen, die mit einem hohen Fehler behaftet sind. Es ist auch bezeichnend, dass in der OECD-Datenbank für Deutschland zu den Jahren 2011 und 2012 noch keine entsprechenden Daten vorhanden sind. Ein Pro-Kopf-BIP-Wachstum aufgrund einer Bevölkerungsentwicklung halte ich für unwahrscheinlich, aber vielleicht hat ja Sarrazin persönlich das Excel ausgefüllt.

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  3. Das Statistische Bundesamt erhebt jedes Jahr von ein paar hunderttausend Haushalten die Daten, gleicht dies mit alten Datenbeständen ab und rechnet die Abweichung hoch. Des Weiteren gehen die gemeldeten Zu- und Abwanderungen, Geburten und Sterbefälle in die Statistik ein. Das ist genauer als Kaffeesatzleserei und auf dem gleichen statistischen Niveau wie die Ermittlung des Volkseinkommens. Klar sind Abweichungen von der Wirklichkeit drin, die bekommt man jedoch mit stochastischen Methoden in den Griff. Lernt man in den ersten Semestern bei MINT sowie Sozialwissenschaften.

    Wenn Sie das nicht anerkennen, dann rechnen Sie bitte auch nicht mit dem BIP verschiedener Staaten.

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