Von Stefan Sasse
Ich weiß nicht was es soll, dass ich so traurig bin
Das Märchen von Weimar, es geht mir nicht aus dem Sinn.
Oder so ähnlich. Dass neben dem von den Leitmedien mit einiger Penetranz als "braver Professor" titulierten AfD-Gründer Lucke auch eine ganze Menge Rechtspopulisten von der neuen Partei angezogen ist, dürfte Beobachter des politischen Prozesses kaum überraschen. Das Gesindel hängt sich an jede neue Protestbewegung. Sie vergifteten 2005 den Aufstieg der LINKEn, sie mischten bei den Piraten mit und tummeln sich jetzt in der AfD. Der Partei das zum jetztigen Zeitpunkt vorzuwerfen ist intellektuell unehrlich, denn die hat gerade andere Probleme als ihre innere Kommunikationsdisziplin. Das wird, vorausgesetzt es gibt die Partei überhaupt so lange, Jahre dauern.
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Interessant sind vielmehr die Äußerungen der gut situierten Parteigründer und Anführer, die das Wohl und Wehe der Partei aktuell noch entscheiden. Ein älterer Artikel von 2006 aus der WELT zeigt dabei besonders Konrad Adam in einem für die Außendarstellung der Partei möglicherweise ungünstigen Licht: er applaudiert einem damals erschienenen Artikel des Radikallibertären Lichtschlag für dessen Forderung, "Nettostaatsprofiteuren" das Wahlrecht zu entziehen. Seine Argumentation bewegt sich in einem Rahmen, der in Deutschland seit Jahrzehnten keine politische Heimat mehr hat: der Nationalliberalen.
Die Nationalliberalen sind das Produkt der Spaltung der originalen liberalen Bewegung im Deutschen Kaiserreich unter Bismarck. Sie waren jener Teil der Liberalen, der sich mit dem neuen Staat arrangierte, die Schutzzollpolitik mitmachte und auch Katholiken- und Sozialistenverfolgung mittrug. Der Erste Weltkrieg diskreditierte diese Bewegung weitgehend; bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung kamen sie auf kaum 10%, während ihre eher linksliberale Konkurrenz von der DDP auf rund 20% kam.
Dieses Ergebnis war das beste Ergebnis, dass die Liberalen insgesamt in der deutschen Demokratie erreichen sollten. Von da an ging es nur bergab. Viele liberale Wähler wanderten an den rechten Rand ab, und die liberalen Parteien versuchten, diesen Schwenk mitzuvollziehen und dadurch ihre Stellung zu retten.
Am Ende stand die Zusammenarbeit mit der DNVP, die wiederum mit der NSDAP kooperierte. "Liberal" war bei den Parteien da aber nur noch der Name; die echten bürgerlichen Liberalen wandten sich bereits mit Schauern ab. Dennoch überlebte das nationalliberale Gedankengut die Nazi-Zeit und tauchte danach in den bürgerlichen Parteien wieder auf, die nach und nach von der CDU assimiliert wurden - alle bis auf eine, die FDP, die aber an dem Gegensatz von Rechts- und Linksliberalen in den 1960er Jahren beinahe zerbrach.
Was aber genau konstituiert rechtsliberale beziehungsweise nationalliberale Ideen? Zum ersten haben wir es mit einer wesentlich stärkeren Kontrastierung von Demokratie und Republik zu tun. Nationalliberale sind keine Demokraten, sie sind Republikaner. Das ist ein wesentlicher Unterschied, denn sie lehnen im Allgemeinen eine "Herrschaft des Pöbels" strikt ab - daher auch Lichtschlags und Adams Forderung, "unproduktiven Menschen" (Lichtschlags Wortwahl, nicht meine) das Wahlrecht zu entziehen.
Ein solcher Vorschlag wäre mit der DVP der Weimarer Republik problemlos konsensfähig gewesen. Ebenfalls zum Nationalliberalismus gehörten ein konservatives Gesellschaftsbild, eine starke, machtvolle Außenpolitik, ein nationaler Fokus auf die Wirtschaft ("deutsche Unternehmen"; die DVP erlaubte grundsätzlich Monopole und Kartelle, wenn diese der Nation dienlich waren) und, vor allem, eine Kopplung von Besitz und Rechten.
Nun trifft das natürlich nicht alles auf die AfD zu, die nicht identisch mit der DVP ist. Aber es ist interessant, diese Elemente nach so langer Zeit wieder auftauchen zu sehen. Die AfD vertritt definitiv ein konservatives Familienbild, das mit dem der CDU recht identisch ist und deren Modernisierungsbestrebungen ablehnt, sie spricht sich deutlich gegen Integrations- und Einwanderungspolitik aus und betont echte oder eingebildete nationale Eigenschaften, sie verlangt eine unabhängige Wirtschaftspolitik (die Auflösung des Euro ist dafür nur der Aufhänger) und will die Stellung der "Leistungsträger" stärken (Adams Wortwahl, nicht meine).
Mehrheitsfähig sind diese Positionen alle nicht (mit Ausnahme der Ablehnung von Intergrationspolitik vielleicht), aber darum geht es auch nicht. Die AfD will keine Volkspartei sein. Wenn sie überhaupt politische Macht erringt, dann als Mehrheitsbeschaffer für die CDU. Wahrscheinlicher ist aber eher, dass sie für die CDU das wird, was die LINKE für die SPD ist: Fleisch vom eigenen Fleische, recht nah und doch als Koalitionspartner untragbar.
Die Konsequenz eines politischen Erfolgs der AfD wäre entsprechend, dass eine vorher nicht repräsentierte Minderheit eine parlamentarische Vertretung erhält und dadurch eine Koalitionsbildung deutlich erschwert. Genausowenig wie die SPD die LINKE-Forderung nach der Abschaffung von Hartz-IV erfüllen kann, kann die CDU die AfD-Forderung nach der Euro-Auflösung erfüllen. Diese Konfiguration führt paradoxerweise zur Stärkung genau des Allparteienkonsens, gegen den sich die AfD ursprünglich gegründet hatte.
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Interessant sind vielmehr die Äußerungen der gut situierten Parteigründer und Anführer, die das Wohl und Wehe der Partei aktuell noch entscheiden. Ein älterer Artikel von 2006 aus der WELT zeigt dabei besonders Konrad Adam in einem für die Außendarstellung der Partei möglicherweise ungünstigen Licht: er applaudiert einem damals erschienenen Artikel des Radikallibertären Lichtschlag für dessen Forderung, "Nettostaatsprofiteuren" das Wahlrecht zu entziehen. Seine Argumentation bewegt sich in einem Rahmen, der in Deutschland seit Jahrzehnten keine politische Heimat mehr hat: der Nationalliberalen.
Die Nationalliberalen sind das Produkt der Spaltung der originalen liberalen Bewegung im Deutschen Kaiserreich unter Bismarck. Sie waren jener Teil der Liberalen, der sich mit dem neuen Staat arrangierte, die Schutzzollpolitik mitmachte und auch Katholiken- und Sozialistenverfolgung mittrug. Der Erste Weltkrieg diskreditierte diese Bewegung weitgehend; bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung kamen sie auf kaum 10%, während ihre eher linksliberale Konkurrenz von der DDP auf rund 20% kam.
Dieses Ergebnis war das beste Ergebnis, dass die Liberalen insgesamt in der deutschen Demokratie erreichen sollten. Von da an ging es nur bergab. Viele liberale Wähler wanderten an den rechten Rand ab, und die liberalen Parteien versuchten, diesen Schwenk mitzuvollziehen und dadurch ihre Stellung zu retten.
Am Ende stand die Zusammenarbeit mit der DNVP, die wiederum mit der NSDAP kooperierte. "Liberal" war bei den Parteien da aber nur noch der Name; die echten bürgerlichen Liberalen wandten sich bereits mit Schauern ab. Dennoch überlebte das nationalliberale Gedankengut die Nazi-Zeit und tauchte danach in den bürgerlichen Parteien wieder auf, die nach und nach von der CDU assimiliert wurden - alle bis auf eine, die FDP, die aber an dem Gegensatz von Rechts- und Linksliberalen in den 1960er Jahren beinahe zerbrach.
Was aber genau konstituiert rechtsliberale beziehungsweise nationalliberale Ideen? Zum ersten haben wir es mit einer wesentlich stärkeren Kontrastierung von Demokratie und Republik zu tun. Nationalliberale sind keine Demokraten, sie sind Republikaner. Das ist ein wesentlicher Unterschied, denn sie lehnen im Allgemeinen eine "Herrschaft des Pöbels" strikt ab - daher auch Lichtschlags und Adams Forderung, "unproduktiven Menschen" (Lichtschlags Wortwahl, nicht meine) das Wahlrecht zu entziehen.
Ein solcher Vorschlag wäre mit der DVP der Weimarer Republik problemlos konsensfähig gewesen. Ebenfalls zum Nationalliberalismus gehörten ein konservatives Gesellschaftsbild, eine starke, machtvolle Außenpolitik, ein nationaler Fokus auf die Wirtschaft ("deutsche Unternehmen"; die DVP erlaubte grundsätzlich Monopole und Kartelle, wenn diese der Nation dienlich waren) und, vor allem, eine Kopplung von Besitz und Rechten.
Nun trifft das natürlich nicht alles auf die AfD zu, die nicht identisch mit der DVP ist. Aber es ist interessant, diese Elemente nach so langer Zeit wieder auftauchen zu sehen. Die AfD vertritt definitiv ein konservatives Familienbild, das mit dem der CDU recht identisch ist und deren Modernisierungsbestrebungen ablehnt, sie spricht sich deutlich gegen Integrations- und Einwanderungspolitik aus und betont echte oder eingebildete nationale Eigenschaften, sie verlangt eine unabhängige Wirtschaftspolitik (die Auflösung des Euro ist dafür nur der Aufhänger) und will die Stellung der "Leistungsträger" stärken (Adams Wortwahl, nicht meine).
Mehrheitsfähig sind diese Positionen alle nicht (mit Ausnahme der Ablehnung von Intergrationspolitik vielleicht), aber darum geht es auch nicht. Die AfD will keine Volkspartei sein. Wenn sie überhaupt politische Macht erringt, dann als Mehrheitsbeschaffer für die CDU. Wahrscheinlicher ist aber eher, dass sie für die CDU das wird, was die LINKE für die SPD ist: Fleisch vom eigenen Fleische, recht nah und doch als Koalitionspartner untragbar.
Die Konsequenz eines politischen Erfolgs der AfD wäre entsprechend, dass eine vorher nicht repräsentierte Minderheit eine parlamentarische Vertretung erhält und dadurch eine Koalitionsbildung deutlich erschwert. Genausowenig wie die SPD die LINKE-Forderung nach der Abschaffung von Hartz-IV erfüllen kann, kann die CDU die AfD-Forderung nach der Euro-Auflösung erfüllen. Diese Konfiguration führt paradoxerweise zur Stärkung genau des Allparteienkonsens, gegen den sich die AfD ursprünglich gegründet hatte.
Uns droht allenfalls eine Rückkehr des Konservatismus - des deutschen Nachkriegs-Konservatismus als die CDU noch konservativ war und auf die soziale Marktwirtschaft einschwenkte. Nichts anderes will die AfD. Zwei allgemeine Gründe, warum Linke bei der AfD von Nationalismus oder Nationalliberalismus fantasieren: a) das unausgesprochene Vorverständnis nationale Währungen seien heute per se schon nationalistisch, und b) das groteske Überbetonen wirtschaftsliberaler Äußerungen weniger AfD-Protagonisten.
AntwortenLöschenZunächst fordert die AfD weder zwingend nationale Währungen noch gab sie sich ein marktliberales bzw. marktradikales Wahlprogramm - außer man versteht unter Marktradikalismus schon Schuldenbremse und zentralistische, wohlfahrtsstaatliche (!) Familienpolitik. Ich lese das AfD-Programm als ein wohlfahrtsstaatliches. Abweichler von der Parteilinie gibt es in allen Parteien. Nukleria, Seeheimer, Katja Kipping als Links-Chefin will das BGE, Kommunistische Plattform, Duisburger Linke usw. Dass sich auch Marktliberale der AfD anschließen, liegt einerseits an Mangel an Alternativen (die PdV passt nicht jedem), andererseits opportunistisch am Euro-Thema. Mit der AfD hat man eine gute Chance wenigstens etwas zu verändern oder ein Umdenken einzuleiten.
Zum dritten rächt sich bei dir nun, dass du seit Jahren "Konservatismus" zur Unkenntlichkeit zerfleddert und als opportune Beliebigkeit definiert hast. Die AfD ist eine astreine CDU, nachdem die CDU selber in die Mitte gerückt ist - in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Dimension. ".. es ist interessant, diese [konservativen] Elemente nach so langer Zeit wieder auftauchen zu sehen" - es ist 40 Jahre her, aber keine 140. Die AfD kommt aus CDU-Kreisen ... will man historische Linien ziehen, hat man zunächst die Auswahl aus: christlich, liberal und konservativ. Warum man sogleich auf nationalliberal geht, ist nur plausibel, wenn man die Positionen der AfD verkennt, sie als nationalistisch denunziert und die Entwicklungen seit der Kaiserzeit ignoriert. Die Nationalliberalen/DVP waren keineswegs streng republikanisch (zuweilen sogar im Gegenteil), es war ein ewiger Konflikt mit der Monarchie - so wie bei Zentrum und Konservativen. Ich sehe nicht, warum das Nationalliberale heraussticht. Man kann nicht weniger Parallelen zur Freikonservativen Partei ziehen.
Weder ist die AfD eine Tea-Party (von SF eh fälschlicherweise als "paläolibertär" bezeichnet) noch kann man mit Verweis auf parteilinien-fremde Ansichten mal eben einen Bezug zum Nationalliberalismus herstellen. Deine Argumentationslinie ist unsauber ... a) du nimmst selektiv eine - an sich - kaum spektakuläre oder provozieren wollende Stellungnahme von Konrad Adam zum Wahlrecht, b) suggerierst sie als Parteilinie oder ideologischen Kern der AfD, c) behauptest pauschal eine antidemokratische, aber republikanische Gesinnung der Nationalliberalen und d) schlussfolgerst aus b und c flott "ideologische Wurzeln" der AfD. Ich kann dir in keinem Punkt folgen. Weder taucht "plötzlich" eine Einschränkung des Wahlrechts wieder auf (das ist für die AfD völlig irrelevant) noch sind solche Überlegungen Merkmale des Nationalliberalismus.
Sämtliche klassische Liberale und vernunftgeweihte Mainstreamer erkennen die Brisanz von Demokratie und Wohlfahrtsstaatlichkeit. Das war bei den Anfängen in Athen so, wo "Leistungsträger" privilegiert wurden, geht über Tocqueville und reicht bis heute. Adam stellt im vorauseilenden Gehorsam überhaupt keine Forderung auf, sondern verteidigt lediglich Lichtschlag, der auch nur auf Selbstverständliches hinwies (und als Polemik nur provozierte). Letzten Sonntag wies ein Reporter im Weltspiegel drauf hin, dass in Venezuela von 19 Mio Wahlberechtigten 10 Millionen direkt vom Staat leben (5 Millionen Staatsbedienstete und 5 Mio Alimentierte) und Maduro nicht der Sieg zu nehmen sei, wenn alle für ihn voteten ... war das ein Nationalliberaler?
Und P.S.
AntwortenLöschenIch wurde fast jubeln, wenn wir wenigstens eine "nationalliberale" Alternative (im Sinne von Lichtschlag) mit der AfD hätten, aber ich kann deinen / den linken Optimismus praktisch überhaupt nicht nachvollziehen. Ich werd die AfD vielleicht wählen, aber taktisch wegen der Euro-Frage - ich vermag weder einen Nationalismus noch einen Wirtschaftsliberalismus erkennen.
Und wie immer der Hinweis, dass "radikallibertär" eine Stilblüte ist. Was ist denn "libertär", wenn du meinst es steigern zu können? Die Eigenbezeichung Lichtschlags radikalliberal magst du bloß nicht, weil du unter liberal nur die pervertierte linke Spielart verstehen willst, aber nicht den klassischen Liberalismus, der heute vom Libertarismus abgedeckt wird.
Ich will darauf verweisen, dass es mir darum geht, dass diese Ideen in der AfD eine politische Heimat finden, nicht dass es die AfD zu einer nationalliberalen Partei reinsten Wassers macht. Die LINKE hat auch eine kommunistische Plattform, ohne eine kommunistische Partei zu sein, und bietet allem linksradikalen eine Art Heimat (sofern es nicht zu extrem wird). Das Gleiche könnte die AfD für Libertäre tun, denn weder in der CDU noch in der FDP haben die gerade ihren Platz.
AntwortenLöschenLibertäre haben aber genauso wenig in der AfD ihren Platz ... der einzige Grund für enttäuschte Liberale/Libertäre sich für und in der AfD zu engagieren, ist die Euro-Frage, sonst nichts. Für liberale/libertäre Positionen bietet die AfD keine (neue) Heimat. Rainer Hank etwa ist demokratie-kritischen Fragen sehr aufgeschlossen, aber - soweit er der konkreten Euro-Linie der AfD keine größere Euphorie entgegenbringt - wird er trotzdem weiter CDU oder wahrscheinlich FDP wählen. Libertäre Fragen oder ein Wahlrecht für Leistungsträger spielen bei der AfD überhaupt keine Rolle.
LöschenDass die AfD momentan eine Projektionsfläche für alle möglichen Gruppen ist, sollte nichtadeliger hinwegtäuschen, dass das Parteiprogramm diese Erwartungen in keiner Weise bedient.
AntwortenLöschenIch war ehrlich gesagt (als Mitte-Linker) geschockt, wie harmlos das Programm war. Als Koalitionsvertrag einer schwarz-grünen Koalition wäre es jederzeit mehrheitsfähig.
Schon, aber es geht ja nicht nur um das Programm.
LöschenAlso Nationalliberal ist so ziemlich das letzte was mir bei den AfD Biedermännern einfällt. Uninspirierter BRD Retrokonservatismus, der versucht, nicht aus der Zeit gefallen zu erscheinen, trifft es am Besten.
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